01.04.2011 Politik
Radioaktive Stoffe machen krank
Radioaktive Substanzen und ihre gesundheitlichen Auswirkungen
Cäsium-137 (Cs)
Halbwertszeit (HWZ) 30,2 Jahre, Betastrahler, zerfällt in „angeregtes“, metastabiles Barium 137m (Ba), das sich mit kurzer HWZ von 2,55 min unter starker Gammastrahlung in stabiles Ba 137 umwandelt. Die Aktivitätsbestimmung von Cs 137 mit dem Geigerzähler erfolgt direkt über diese Gammastrahlung
Caesium verteilt sich sehr leicht in der Umwelt; durch die oberirdischen Atomtests sind weltweit noch kleine Mengen zu finden. Die Forschung unterscheidet zwischen externer und interner Exposition: Eine externe Exposition findet statt, wenn man z.B. auf kontaminierter Erde geht oder Kontakt mit verseuchtem Material hat. Bei einer internen Exposition werden radioaktive Stoffe durch Atmen, Essen und Trinken in den Körper aufgenommen. Lebewesen behandeln Cs-137 wie Kalium. Aufgenommenes Cs-137 verteilt sich gleichmäßig im Körper, vor allem in weichem Gewebe, ganz besonders in der Muskulatur, auch im Herzmuskel. Wegen der guten Wasserlöslichkeit der meisten Caesiumsalze werden diese im Magen-Darm-Trakt vollständig resorbiert. Es kommt zu hohen Konzentrationen in den Muskeln, etwas weniger konzentriert wird Caesium in Knochen und Fettgewebe eingelagert. Die biologische Halbwertszeit beträgt 40 bis 200 Tage. Bei hoher externer Exposition kann es Verbrennungen geben, je nach Dosis kann die Exposition tödlich sein. Interne Exposition kann zu Herzmuskelstörungen führen, ferner zu Krebserkrankungen wie z.B. Karzinomen der Lungen und Enddarm.
Strahlenarten
Man unterscheidet Teilchenstrahlung (Neutronen-, Beta- und Alphastrahlen) und Wellenstrahlung (Gamma- und Röntgenstrahlen).
Alphastrahlen (α-Strahlen) haben eine Reichweite von wenigen Zentimetern, in lebendem Gewebe von etwa 0,05 mm. Ein Blatt Papier stellt bereits ein Hindernis für sie dar. Wenn aber Alphastrahler in den Körper aufgenommen („inkorporiert“) werden, richten sie großen Schaden an. Auf ihrer Spur durch lebende Zellen hinterlassen Alphateilchen eine „Schneise der Verwüstung“. Die biologische Schadwirkung der Alphastrahlen ist mindestens 20-mal stärker als die von Gammastrahlen.
Betastrahlen: Die Reichweite der Betateilchen ist unterschiedlich, je nach ihrer Energieausstattung. Die Reichweite ist aber nicht identisch mit der Schadwirkung, denn die Energie entlädt sich jeweils am Ende der Spur und richtet dort den Schaden an. Betastrahlen können durch dünne Metallplatten abgefangen werden.
Alpha-und Betastrahlen tragen zur äußeren Strahlenwirkung auf Lebewesen nur wenig bei: Ihre schädigende Wirkung entfalten sie jedoch als innere Strahlung nach Inkorporation von Radionukliden. Inkorporation kann über Atmung, Essen und Trinken stattfinden.
Gammastrahlen sind elektromagnetische Wellen mit hoher Energie und großer Durchdringungsfähigkeit. Die „Spur“ eines Gammastrahls im lebenden Gewebe ist lang, aber nicht so zerstörerisch wie bei den Teilchenstrahlen.
Cäsium-134 (Cs)
Halbwertszeit 2,1 Jahre, Beta- und (schwacher) Gammastrahler
Nach der Katastrophe von Tschernobyl im Jahr 1986 trug Cäsium 134 in den ersten zwei Jahrzehnten erheblich zu den dort gemessenen Strahlendosen bei. Heute sind wegen der im Vergleich zu Cs 137 kürzeren HWZ nur noch relativ geringe Mengen nachweisbar. Cs 134 verhält sich im Körper wie Cs137.
Jod 131 (I)
Halbwertszeit 8,02 Tage, Betastrahler und Gammastrahler, wobei die Gammastrahlung nur 10 % der Gesamtstrahlung ausmacht. Die von I 131 ausgehenden Betateilchen haben im Gewebe eine Reichweite von maximal 2 mm.
Jod 131 ist ein flüchtiges Radionuklid, das sich über die Luft schnell großflächig verbreitet und von den Menschen eingeatmet werden kann. Es ist auch gut wasserlöslich. Da sich Jod auf Pflanzen ablagert und von Tieren aufgenommen wird, gelangt es in konzentrierter Form schnell in Milch, Fleisch und Fisch und so in die Nahrungskette des Menschen. Die Schilddrüse nimmt Jod so lange auf, bis ihre Aufnahmekapazität gesättigt ist – im Normalfall ist die Schilddrüse nicht gesättigt. Daher führt eine Exposition mit radioaktivem Jod durch einen Atomunfall dazu, dass es in der Schilddrüse gespeichert wird. Es wird dort nur langsam abgebaut. Insbesondere bei Kindern – aber auch bei Erwachsenen – wurde nach Radiojodexposition ein stark erhöhtes Schilddrüsenkrebsrisiko nachgewiesen. Niedrigere Dosen können Schilddrüsenfunktionsstörungen verursachen, z. B. Hypothyreose (Schilddrüsen-Unterfunktion).
Um die Risiken von Schilddrüsenerkrankungen nach einem Atomunfall zu mindern, sollten Tabletten mit Kaliumjodid an die Bevölkerung verteilt werden.
Diese Jod-Tabletten enthalten ungefährliches, nicht radioaktives Jod 127, das die Transportwege in der Schilddrüse für das radioaktive Jod blockiert. Die Jodprophylaxe kann jedoch nur gelingen, wenn das Kaliumjodid vor dem Kontakt mit radioaktivem Jod eingenommen wird.(Dosierungen s. gesondertes Merkblatt ).
Die biologische Halbwertszeit von Jod 131 ist in den verschiedenen Organen unterschiedlich: In der Schilddrüse beträgt sie 100 Tage, in Knochen 14 Tage, in Nieren, Milz und Gonaden 7 Tage.
Jod 129 (I)
Halbwertszeit 15,7 Mio. Jahre (!), im Vergleich zu I 131 schwächerer Beta- und Gammastrahler.
Jod 129 kommt hauptsächlich in Atomkraftwerken vor. In die Umwelt gelangte es vor allem aber durch die oberirdischen Atomtests. Jod 129 verhält sich wie Jod 131 und ist ebenfalls schädlich für die Schilddrüse. Es verteilt sich wie Jod 131 in der Umwelt. Seine biologische Halbwertszeit im Körper beträgt ca. 120 Tage.
Strontium 90 (Sr)
Halbwertszeit 28,6 Jahre, Betastrahler
Strontium 90 ist ein künstliches Radionuklid aus der Atomkernspaltung, das bei den Atomtests und AKW-Unfällen wie Tschernobyl und Fukushima in großen Mengen freigesetzt wurde und wird. In Spuren wird es auch im Normalbetrieb eines AKW über Abluft und Abwasser abgegeben. Über die Nahrungskette kann es in den menschlichen Körper gelangen. Als ein Element, das chemisch dem Kalzium ähnlich ist, wird es in Knochen und Zähne eingebaut, wo es sich anreichert und bis zu 40 Jahre bleiben kann. Besonders gefährdet sind Kinder aller Altersstufen, weil ihr wachsender Organismus einen großen Kalziumbedarf hat und Strontium für Kalzium hält.
20 bis 30% des in den Körper aufgenommenen Strontiums bleiben in den Knochen und im Knochenmark, ca. 1% bleibt im Blut und in den Weichteilen, der Rest wird ausgeschieden. Die Inkorporation von Strontium 90 führt vor allem zu Knochenkrebs und Leukämie. Es gilt als eine der Hauptursachen für Leukämie im Kindesalter.
Plutonium (Pu)
Halbwertszeiten Pu 238: 87,7 Jahre; Pu 239: 24.110 Jahre; Pu 240: 6.564 Jahre; alle Isotope sind Alphastrahler. Pu kommt in der Natur nicht oder allenfalls in geringen Spuren vor.
Plutonium gehört zu den giftigsten Stoffen überhaupt und ist hoch radioaktiv. Es wurde bisher durch den Atombombeneinsatz in Nagasaki und durch Atomunfälle (z. B. Majak, Tschernobyl) freigesetzt. Durch die oberirdischen Atomtests sind 4 Tonnen Plutonium weltweit verteilt. Viele Menschen, die neben Anlagen zur Produktion von Atomwaffen leben, wurden mit Plutonium 239 kontaminiert. Nach einer Freisetzung können Partikel durch Staub, Wasser und Nahrung in den Körper aufgenommen werden. Pu lagert sich im Knochenmark und in der Leber ab. Das Einatmen von plutoniumhaltigen Partikeln führt zu Lungenkrebs. Die Einnahme weniger tausendstel Gramm des Elements verursacht tödliche Strahlenschäden. Plutonium ist auch als Schwermetall hochgradig toxisch und besonders schädlich für die Nieren. Die biologische Halbwertszeit von Pu 239 beträgt in den Knochen 100 Jahre, in der Leber 40 Jahre.
Halbwertszeit (HWZ)
Die physikalische Halbwertszeit ist die Zeit, in der die Hälfte einer bestimmten Menge einer radioaktiven Substanz zerfallen ist. Das entstehende Zerfallsprodukt kann ebenfalls radioaktiv sein. Die Hälfte des Restes, also ein Viertel der ursprünglichen Menge, zerfällt wiederum in der gleichen Zeit, und so fort. HWZ mit 10 multipliziert ergibt die Zeit, in der die Ausgangsmenge (fast) vollständig zerfallen ist. Die biologische Halbwertszeit bezeichnet die Zeitspanne, in der in einem Lebewesen (Mensch, Tier, Pflanze , Einzeller) eine in den Organismus gelangte Menge eines radioaktiven Stoffes durch biologische Prozesse (Stoffwechsel, Ausscheidung, usw.) auf die Hälfte abgesunken ist.
Einer der Fukushima-Reaktoren wurde mit Brennelementen aus MOX (Mischoxid aus Uran 235 und Pu 239) betrieben. So ist zu befürchten, dass im Vergleich zu Tschernobyl mehr Pu freigesetzt wird. Auch mit Actinoiden (Transuranen) wie Thorium, Protactinium, Neptunium, Americium, Curium muss in den radioaktiven Wolken gerechnet werden. Durch diese Elemente wird die Strahlung viel gefährlicher.
Hall X, Eisenberg W. Radioaktive Stoffe machen krank. Passion Chirurgie. 2011 April; 1(4): Artikel 03_05.
Eine Information der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung e.V. (IPPNW) Redaktion: Xanthe Hall, Dr. Winfrid Eisenberg, IPPNW Geschäftsstelle, Körtestraße 10, 10967 Berlin, E-Mail: [email protected]
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