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National wie international sind bisher zahlreiche organisatorische und medizinische Anstrengungen unternommen worden, um die Qualität der stationären Akutschmerztherapie zu verbessern, es hat sich allerdings nur teilweise etwas verbessert [1, 2]. So sind die Akutschmerz leidenden Patienten immer noch therapeutisch und organisatorisch unterversorgt [3, 4], wenngleich sie diesem Thema eine sehr hohe Bedeutung beimessen [5].

Methoden und Rationale

Der Ist-Zustand der Versorgungsqualität in der Akutschmerztherapie sollte an einem Klinikum der Maximalversorgung evaluiert, anschließend überprüft und durch Festlegung eines neuen Soll-Zustandes verbessert werden. Grundlegende Voraussetzung dafür war ein bestehendes chirurgisch-schmerztherapeutisches Versorgungskonzept. Dieses sollte in Zusammenarbeit mit der TÜV Rheinland Group in ein „Qualitätsmanagementprogramm Akutschmerz“ überführt und interdisziplinär optimiert werden. Dabei entstand eine produktive „Win-Win-Situation“, so nutzte der TÜV Rheinland unser über Jahrzehnte erworbenes klinisches Wissen um den Akutschmerz, während wir den TÜV als Prüfinstanz von Qualität und Prozessabläufen nutzten.

Dabei wird die Qualität der Akutschmerztherapie durch einen kontinuierlichen PDCA-Zyklus (Plan, Do, Check, Act) bearbeitet, in dem die der Akutschmerztherapie zu Grunde liegenden Prozesse definiert (Plan), strukturiert (Do), kontrolliert (Check) und angepasst (Act) werden. Ziel ist eine kontinuierliche Verbesserung der therapeutischen Versorgungsqualität von Akutschmerzpatienten, die mit den etablierten Methoden des Qualitätsmanagements (QM) erreicht werden soll.

Abb. 1: PDCA-Zyklus

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Notwendige Strukturen

Zur Überprüfung von Ergebnisqualität ist es unabdingbar den Erfolg oder Misserfolg einer Maßnahme zu quantifizieren. Patienteninformation und -aufklärung zur Akutschmerztherapie, das Erheben einer Schmerzanamnese durch das betreuende Personal sowie die klinische Schmerzmessung und -dokumentation sind dabei wesentliche Pfeiler dieser Erhebung. Darüber hinaus müssen schmerztherapeutische Standards sowohl seitens der anästhesiologischen Kollegen, als auch der operativen Disziplinen bestehen und eine gemeinsame Abgleichung dieser Konzepte stattfinden, um Schnittstellenprobleme, Doppelverordnungen und Überdosierungen zu vermeiden. Für die Regelung des genauen Ablaufes der Akutschmerztherapie bedarf es auch einer schriftlichen und rechtsgültigen Vereinbarung über Organisation der postoperativen Schmerztherapie auf bettenführenden Abteilungen. Übergeordnet soll im Rahmen der Überprüfung dieser Konzepte ein interdisziplinärer Qualitätszirkel „Akutschmerztherapie“ Modifikationen oder Neuerungen planen („plan“) und deren Ausführungen überwachen („check“).

Über diese Themen sollen regelmäßige interne Fortbildungen beim pflegerischen und ärztlichen Personal informieren und die klinische Umsetzung gewährleisten. Die Pflege bildet mit Hilfe des ärztlichen Personals schmerztherapeutisch geschultes Pflegepersonal aus, um die klinische Versorgung der Patienten im Aufwachraum (durch die Anästhesie) und auf Station (durch die operativen Abteilungen) zu gewährleisten. Dieses kann z. B. durch ein sogenanntes Schmerzmentorensystem erfolgen, in welchem sich das Pflegepersonal selbstständig organisiert und weiterbildet. Internes Benchmarking erfolgt dann durch zweimal pro Jahr durchgeführte „interne Audits“, in welchen die einzelnen Stationen auf Umsetzung der schmerztherapeutischen Maßnahmen überprüft werden. Darüber erhält dann der Abteilungsverantwortliche einen Audit-Kurzbericht, wo auf Stärken und Schwächen bei der Einhaltung der Strukturen hingewiesen wird, was dann in einer stationsinternen Besprechung kommuniziert wird.

Zur externen Evaluation und zum Vergleich mit anderen Kliniken werden im Rahmen des externen Benchmarkings Daten vom Pflegepersonal erhoben und im jährlichen Qualitätsbericht analysiert. Durch den QUIPS-Fragebogen (Qualitätsverbesserung in der postoperativen Schmerztherapie) am ersten postoperativen Tag werden Patientendaten erhoben, die die Ergebnisqualität wiederspiegeln. Der Qualitätsbericht wird von allen beteiligten Chefärzten zur Kenntnis genommen und die gewonnenen Ergebnisse zur weiteren internen Analyse verwendet. Dabei obliegt es dann jeder einzelnen Abteilung, die Ergebnisse intern zu diskutieren und qualitätsüberprüfende oder verbessernde Maßnahmen durchzuführen.

Ergebnisse

Die Kliniken der Stadt Köln am Standort Köln-Merheim wurden als erste Klinik in Deutschland im Jahr 2006 durch den TÜV Rheinland erfolgreich zertifiziert und erlangten das Zertifikat „Qualitätsmanagement Akutschmerztherapie – Initiative schmerzfreie Klinik“ der TÜV Rheinland Group®. Initial waren vier Abteilungen in Köln-Merheim an dem Zertifizierungsprozess beteiligt (Orthopädie/Unfallchirurgie/Sporttraumatologie, Viszeral-/Gefäß-/Transplantationschirurgie, Plastische Chirurgie, Anästhesiologie/operative Intensivmedizin). Ein Jahr später wurden zwei weitere Abteilungen in den Zertifizierungsprozess miteinbezogen (Thoraxchirurgie/ Pulmonologie, Neurochirurgie). Wiederum ein Jahr später wurde der Standort Köln-Holweide mit fünf weiteren Kliniken zertifiziert (Anästhesiologie/Operative Intensivmedizin, Chirurgische Klinik, Frauenklinik, Hals-/Nasen-/Ohrenklinik, Urologische Klinik), alle anderen Kliniken erfolgreich rezertifiziert. Parallel wurden die kliniksinternen Standards elektronisch papierlos im Intranet hinterlegt, um so für jeden Mitarbeiter jederzeit zugänglich zu sein.

Die Ergebnisqualität verbesserte sich im Verlauf der letzten Jahre. Umfasste der Stichprobenumfang im ersten Jahr nach der Zertifizierung gerade einmal 515 QUIPS-Patientendatensätze (Juni 2006 bis Mai 2007) aller Kliniken, konnte dieser stetig gesteigert werden, um eine bessere Trennschärfe bei der Qualitätsanalyse der Datensätze zu ermöglichen (Abb. 2).

Abb. 2: Stichprobenumfänge des externen Benchmarking Prozesses der Kliniken der Stadt Köln, Klinik für Orthopädie, Unfallchirurgie & Sporttraumatologie, Klinikum Köln-Merheim, Jahre 2009- 2011

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Die Patientenzufriedenheit als weiterer Qualitätsindikator blieb über die ganzen Jahre hinweg konstant, bei durchschnittlich 12 Punkten, welches auf der Schulnotenskala von 0-15 Punkten einem „gut +“ entspricht. Darüber hinaus konnten wir auch die Inzidenz von PONV („postoperative nausea and vomiting“) für das Erbrechen durch Einführung von antiemetischen Therapiealgorithmen und Modifikation des Narkoseregimes von initial 13 Prozent im Jahre 2006 auf unter 8 Prozent senken (Abb. 3).

Abb. 3: Inzidenz von Erbrechen am ersten postoperativen Tag, Klinik für Orthopädie, Unfallchirurgie & Sporttraumatologie, Klinikum Köln-Merheim, Jahre 2009 – 2011

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Trotz der drastischen Reduktion dieser unerwünschten Nebenwirkungen und der hohen Patiententzufriedenheit, zeigten sich die Schmerzen bei Belastung und der Maximalschmerz über die gesamten Beobachtungszeiträume gleich hoch (im Mittel NRS=4 resp. 5) und waren damit weiterhin therapiebedürftig [6]. Dementsprechend lag es an uns, nach Erklärungen für diese unerwartet hohen Schmerzintensitäten zu fahnden.

Abb. 4: Durchschnittlicher maximaler Schmerz am ersten postoperativen Tag Klinik für Orthopädie, Unfallchirurgie & Sporttraumatologie, Klinikum Köln-Merheim

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Kliniksintern blieben die Schmerztherapiestandards unverändert bestehen und wurden flächendeckend angewendet. Von 2006 bis 2011 verdreifachten wir die Zahl der schmerzhaften Endoprotheseneingriffe an Hüft- und Kniegelenk.

Es zeigt sich eine Fallzahlsteigerung bei ambulanten und stationären Operationen von 2009: 5.700 Patienten auf 2010: 6.000 auf nunmehr über 6.000 Operationen in 2011. Diese Steigerung beinhaltete aber auch eine Versorgung von komplexeren und kränkeren Patienten. Die Zahl von schmerzhaften Eingriffen bei der Therapie beispielsweise von chronischen Knocheninfekten stieg um 47 Prozent im Vergleich zum Vorjahr (2010 auf 2011), die von komplexen Wirbelkörperfusionen um 11 Prozent und die von schmerzhaften komplexen Eingriffen am Ellenbogengelenk nahmen um das 1,7-fache zu. Darüber hinaus stiegen die schwellungsanfälligen und schmerzhaften komplexen Eingriffe am Fuß um 11 Prozent und die Zahl von aufwendigen Gewebetransplantationen um 24 Prozent. Ebenso führte unsere Klinik im Jahre 2011 4,3 mal so viele komplexe Vakuumbehandlungen zur Wundversorgung durch, als im Vorjahr.

Unsere durchgreifende Schmerztherapie wurde durch die Datenanalyse nach Patientenangaben bestätigt, die eine kontinuierliche Abnahme des „Wunsches nach mehr Schmerzmitteln“ zeigten (von 17 Prozent im Jahr 2009 auf 9,8 Prozent im Jahr 2011).

Diskussion

Qualitätsmanagementprogramme sollen kontinuierlich die Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität verbessern helfen. Bei unserer Initiative „Qualitätsmanagement Akutschmerztherapie – Initiative Schmerzfreie Klinik“ konnten wir über die letzten sechs Jahre alle Qualitätskriterien überprüfen, neu ausrichten und schlussendlich verbessern. Viele der zuvor genannten Strukturfaktoren waren nicht von Anfang an vorhanden, sondern wurden durch den dynamischen Prozess Stück für Stück weiterentwickelt.

Begonnen mit der interdisziplinären Vereinbarung zur Organisation der postoperativen Schmerztherapie, über die Einführung eines interdisziplinären Qualitätszirkels Akutschmerz, über das Einführen eines Schmerzmentorensystems beim Pflegepersonal bis hin zum internen und externen Benchmarking sind alle einem kontinuierlichen Verbesserungs- und Verfeinerungsprozess unterlegen gewesen. Eine entscheidende Bedeutung zur kontinuierlichen Verbesserung kommt dabei dem Pflegepersonal zu. Mitverantwortlich für die Patienteninformation, Schmerzanamnese, Umsetzung der Schmerztherapie, und einer fächer- und klinikübergreifenen Fortbildung, stellen sie den Motor für dieses „Schneeballprinzip“ dar, welches wir in unseren Kliniken feststellen konnten. Der Erfahrungsaustausch mit später zertifizierten, externen Kliniken ergab auch, dass nicht nur ein einziges System zur Verbesserung der Qualität der Akutschmerztherapie führt, sondern kliniksindividuelle Varianten möglich sind, die an die Grösse und Versorgungsstufe der betreffenden Klinik angepasst werden können [7].

Im Vergleich zu anderen Zertifizierungsprogrammen hat sich in der Praxis auch der jährliche Rezertifizierungsprozess als vorteilhaft erwiesen, werden nach erfolgreicher Zertifizierung gleich wieder die Weichen für Veränderungen und Verbesserungen gestellt und neu angegangen – gemäß dem aktuell erstelltem Aktionsplan für das neue Jahr. Beispielsweise wurden in den letzten Jahren die Patienteninformationsbögen „Schmerzen müssen nicht sein“ in andere Fremdsprachen übersetzt (z. B. türkisch), Schmerzstandards neu überarbeitet und Schmerzmessinstrumente bei Intensiv- und Demenzpatienten evaluiert, je nach Ergebnisprotokoll bei der TÜV-Auditierung. Durch die zwischenzeitlich veröffentlichten S3-Leitlinien zur Therapie von postoperativen und posttraumatischen Schmerzen wurden unsere kliniksinternen Therapiestandards modifiziert. Auch über die kontinuierliche Verbesserung der Ergebnisqualität können individuelle Kliniksentwicklungen oder -fehlentwicklungen beurteilt, verändert und mit allen Beteiligten diskutiert werden. Durch Rückkopplung mit der zertifizierenden Institution kommen neue Einflüsse durch Erfahrungen mit anderen Kliniken zur Diskussion und helfen ebenso wieder das System zu verbessern (beispielsweise Einführung von Schmerzmessung in der Notaufnahme).

Fazit für die Klinik

Die Initiative „Qualitätsmanagement Akutschmerztherapie – Initiative Schmerzfreie Klinik“ hat sich in unserem Kliniksalltag erfolgreich durchgesetzt und ist „gelebtes“ Qualitätsmanagement nach dem Motto aus dem Profisport: „Nach dem Spiel ist vor dem Spiel.“

Literatur

[1] Apfelbaum JL, Chen C, Mehta SS, Gan TJ. Postoperative pain experience: results from a national survey suggest postoperative pain continues to be undermanaged. Anesth. Analg. 2003;97(2):534–40, table of contents.

[2] Benhamou D, Berti M, Brodner G, De Andres J, et al. Postoperative Analgesic Therapy Observational Survey (PATHOS): a practice pattern study in 7 central/southern European countries. Pain. 2008;136(1-2):134–141.

[3] Neugebauer E, Sauerland S, Keck V, Simanski C, et al. [Surgical pain management. A Germany-wide survey including the effect of clinical guidelines]. Chirurg. 2003;74(3):235–238.

[4] Lehmkuhl D, Meissner W, Neugebauer EAM. [Evaluation of the “initiative pain-free clinic” for quality improvement in postoperative pain management. A prospective controlled study]. Schmerz. 2011;25(5):508–515.

[5] Simanski C, Lefering R, Paffrath T, Riess P, et al. [Postoperative pain relief is an important factor for the patients’ selection of a clinic. Results of an anonymous survey]. Schmerz. 2006;20(4):327–333.

[6] http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/041-001_S3_Behandlung_akuter_perioperativer_und_posttraumatischer_Schmerzen_aktualisierte_Fassung_04-2009_05-2011.pdf

[7] Böhmer A. B., Poels M., Simanski C. et al. Qualitätsmanagement in der Schmerztherapie. Schmerz, 2012, 26, 425-434.

Simanski C. J. P. Qualitätsmanagement Akutschmerztherapie: Erfahrungsbericht über sechs Jahre TÜV-Zertifizierung aus Sicht des Chirurgen. Passion Chirurgie. 2013 Januar; 3(01): Artikel 02_01.

Autor des Artikels

Profilbild von Christian Simanski

Prof. Dr. med. Christian Simanski

ChefarztUnfall-, Hand- und FußchirurgieSt. Martinus Krankenhaus LangenfeldKlosterstr. 3240764Langenfeld kontaktieren

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