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Entwicklungsanalyse von 2004 bis 2007

Einleitung

Die Deutsche Chirurgie hat hartnäckige Nachwuchssorgen. Dafür gibt es zwei Ursachen. Einerseits sehen immer weniger Medizinstudenten in den chirurgischen Fächern eine lohnende Perspektive. Andererseits werden die aktiven Chirurgen immer älter. Bis 2020 geht ca. die Hälfte der niedergelassenen Chirurgen und mehr als ein Drittel der Krankenhauschirurgen in den Ruhestand [1, 2]. Sollten alle vakanten Stellen wiederbesetzt werden, müssten jährlich ca. 10 bis 12 Prozent der Medizinstudierenden eine Karriere in der Chirurgie starten. Nach aktuellen Schätzungen wollen maximal nur 5 Prozent der Absolventen die chirurgische Laufbahn einschlagen [3].

Dabei hat das Berufsbild seine Faszination gar nicht verloren – immer noch bestimmen Chirurgen die Plots gängiger Arztserien und -berichte in Print- und AV-Medien. Doch der reale Berufsalltag der jungen Kollegen entspricht so gar nicht diesen schönen, lebensrettenden, gutverdienenden und sozial integrierten Vorbildern aus „Greys Anatomy“, „Emergency Room“ oder der „Schwarzwaldklinik“. Die deutsche Chirurgie glänzt dagegen weit eher durch eine hohe Fremdarbeitsbelastung, eine dunkelhafte Hierarchie und eine im europäischen Vergleich absurd schlechte Bezahlung. Chirurgische Berufsanfänger starten in Deutschland aber nicht nur in einen unattraktiven Arbeitsalltag. Die ökonomische Reformwut im stationären Sektor, strenge Niederlassungsbeschränkungen und Chefarztverträge auf dem Niveau eines mittleren Angestellten zerstören dazu auch noch Perspektiven und die Hoffnung auf eine attraktive Endposition. Anstelle einer strukturierten und planbaren klinischen Weiterbildung werden junge Chirurgen von Klinikleitungen und Geschäftsführungen weiterhin eher dazu benutzt, strukturelle und ökonomische Löcher zu stopfen. CMI und DRG toppen eben die operative Ausbildung – Dienstplan und EuGH den pragmatischen Tagesablauf. Da kann man sich schon fragen, wer diesen Job noch machen soll.

Viele dieser negativen Bedingungen sind fremd gesteuert und lassen sich zumindest kurzfristig intern nicht lösen. Die fortschreitende Ökonomisierung der Medizin im DRG-Zeitalter und der damit verbundene strukturelle Wandel in der Krankenhauslandschaft sind zudem nicht aufzuhalten. Es liegt auf der Hand, dass sich die chirurgische Weiterbildung diesem Druck nicht entziehen kann. Umso wichtiger wird in der Zukunft eine stringente und verlässliche Organisation von Weiter- und Fortbildung in der Chirurgie werden. Nur so kann man in diesen Zeiten den ärztlichen Nachwuchs noch für das Gebiet Chirurgie begeistern. Eine erste Erhebung zur Qualität der chirurgischen Weiterbildung in Deutschland ergab 2004 schwere qualitative Mängel in über 50 Prozent der chirurgischen Abteilungen [4]. Statt wie in den USA [5,6], England [7] oder Holland [8] einem klar strukturierten Curriculum mit festgelegten Weiterbildungszielen und Guidelines zu folgen, fühlten sich viele deutsche Assistenten den Launen der Chef- und Oberarzte ausgeliefert. Dies blieb auch den letzten PJ-Jahrgängen nicht verborgen, die nach aktuellen Umfragen vor allem im chirurgischen Pflicht-Tertial den letzten Rest an Interesse verlieren [9].

In Konsequenz dieser desolaten Ergebnisse wurden von chirurgischen Berufsverbanden und Fachgesellschaften verbesserte Empfehlungen zur Gestaltung der chirurgischen Weiterbildung aufgestellt [10]. Einige dieser Empfehlungen konnten in die neue Weiterbildungsordnung für das Gebiet Chirurgie integriert werden [11]. Sie sind seit 2006 Pflicht jedes Weiterbilders. Gleichzeitig wurden mit dem obligaten Logbuch und der Dokumentation von Weiterbildungsgesprächen pragmatische Instrumente entwickelt, die Assistenzärzten und Weiterbildern die Organisation und Transparenz der Weiterbildung erleichtern [12].

Ziel der aktuell präsentierten Umfrage des Jahres 2007 war, die Umsetzung der 2005 ausgesprochenen Empfehlungen und die Praktikabilität der angebotenen Instrumente zu testen, um die Weiterbildungsqualität zu steigern.

Methoden

Auf Basis der Ergebnisse aus 2004 wurde in Zusammenarbeit chirurgischer Assistenten und Weiterbilder eine umfangreiche Folgeumfrage entwickelt. Zur Verbesserung der Expertise wurde der Fragebogen mit dem Berufsverband der Deutschen Chirurgen (BDC), der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie (DGCH) und der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) abgestimmt. Die Bogen wurden im August 2007 an gesamt 4.516 Assistenzarzte versandt. Zielgruppe waren dabei sowohl die Assistenten in Weiterbildung, als auch Fachärzte, deren Facharztprüfung nicht langer als 3 Jahre zurücklag. Grundlage war der Adressbestand von BDC, DGCH und DGU. Ergänzend wurde der Fragebogen auch auf BDC|Online, dem Internetangebot des BDC publiziert.

Die Fragebögen konnten anonym per Post oder Fax an den BDC zurück gesendet oder im Internet bei BDC|Online beantwortet werden. Für die Datensammlung und primäre Auswertung wurde mit dem Programm BDC|Poll, ein an die Anforderungen des BDC angepasstes Online-Umfragetool auf Grundlage des internetbasierten, kommerziellen Marktforschungsinstrumentes „zoomerang“, eingesetzt. Die per Post und Fax eingegangenen Antwortformulare wurden manuell in BDC|Poll übertragen. Für weitere Fragestellungen wurden die Rohdaten mit den Statistikfunktionen von Microsoft Excel ausgewertet.

Das Design der Umfrage war darauf ausgelegt, möglichst viele chirurgische Assistentinnen und Assistenten zu erreichen und dabei die volle Anonymitat zu gewährleisten. Auf eine Nachfass-Aktion sowie eine Non-Responder-Analyse musste deshalb verzichtet werden. Im Durchschnitt standen für die Auswertung pro Frage ungefähr 500 Antworten zur Verfügung. Zur besseren Übersicht gibt die Darstellung der Ergebnisse die Anzahl der ausgewerteten Antworten für jede Fragestellung separat an. In einem zweiten Schritt wurden die Ergebnisse mit der Voruntersuchung aus 2004 verglichen.

Ergebnisse Teilnehmerstruktur

Insgesamt konnten 571 Fragebogen ausgewertet werden. Das entspricht einem Gesamtrücklauf von 13 Prozent. Da vornehmlich BDC-Mitglieder erreicht wurden, schätzen die Autoren den Rücklauf von BDC-Mitgliedern in Weiterbildung (n=1.635) auf ca. 30 Prozent. Die Beteiligung an dieser Umfrage ist damit mit der aus dem Jahr 2004 vergleichbar (Tabelle 3)

28 Prozent der eingegangenen Antworten stammen von Kollegen am Beginn der chirurgischen Weiterbildung (Basischirurgie), 55 Prozent der Antworten kommen von erfahrenen chirurgischen Assistenten ab dem 3. Weiterbildungsjahr zum Facharzt für Chirurgie (Special Trunk). 17 Prozent der Antworten enthalten keine Information zum Weiterbildungsstand (Tabelle 1). 41 Prozent der antwortenden Kollegen arbeiten zur Zeit der Befragung in Krankenhäusern der Grund- und Regelversorgung, 25 Prozent in der Schwerpunktversorgung, 17 Prozent in Häusern der Maximalversorgung und 14 Prozent in Universitätskliniken (Tabelle 2).

Weiterbildungszeit

Durchschnittlich erreichen 45 Prozent der chirurgischen Assistenten die Facharztqualifikation in dem durch die Weiterbildungsordnung vorgegebenen Mindestzeitraum von 6 Jahren. Die Unterschiede zwischen den verschiedenen Versorgungsstufen sind im Vergleich zu 2004 verschwunden (Abb. 1).

Abb. 1 Anteil der Umfrageteilnehmer, die in der empfohlenen Weiterbildungszeit von 6 Jahren die Facharztqualifikation Chirurgie erreichen

Weiterbildungsstruktur

Nur 22 Prozent aller Teilnehmer geben für die eigene Klinik eine grobe Struktur zur Organisation der Weiterbildung (z. B. ein Rotationsprogramm oder Curriculum) an. Im Vergleich zu 2004 (43 Prozent) ist das eine Verschlechterung um ca. 50 Prozent. Zwischen den einzelnen Versorgungsstufen besteht ein deutliches Gefälle. Während es Häusern der Grund- und Regelversorgung nur in 14 Prozent gelingt, eine strukturierte Weiterbildung anzubieten, existiert diese immerhin bei 36 Prozent der Universitätskliniken (Tabelle 4).

Weiterbildungskultur und Personalentwicklung

Die Frage, ob Standard-Operationen theoretisch erklärt oder besprochen werden, bejahen nur 48 Prozent der Umfrageteilnehmer (Tabelle 5). Hier war kein Unterschied zwischen Versorgungshäusern und Universitätskliniken zu erkennen. Durchschnittlich 69 Prozent der antwortenden Assistenten sind mit den Lehrassistenzen durch Ober- und Chefarzte in ihrer Klinik unzufrieden, wobei die Unzufriedenheit in Universitätskliniken mit 73 Prozent am größten ist. Die Einteilung zu Weiterbildungsoperationen empfinden nur 40 Prozent der teilnehmenden Assistenzärzte als fair und transparent. Nur wenn der Stationsarzt selbst diese Einteilung vornimmt, sind die Kollegen zufriedener (Tabelle 6).

Nur 35 Prozent der Umfrageteilnehmer kennen regelmäßige Weiterbildungsgespräche als Instrument der Personalführung (Tabelle 5), wobei solche Gespräche in Maximalversorgungshäusern und Universitätskliniken häufiger stattfinden (47 Prozent im Vergleich zu ca. 30 Prozent in kleineren Häusern). Noch geringer scheint das Interesse der Krankenhausträger an der Weiterbildung seiner jungen ärztlichen Mitarbeiter zu sein. Nur 18 Prozent geben an, dass sich ihr Arbeitgeber für die Weiterbildung der eigenen Mitarbeiter interessiert, und lediglich 10 Prozent meinen, dass beim Arbeitgeber Interesse an einem Fortschritt der Weiterbildung besteht. Entsprechend selten wird die Weiter- und Fortbildung von Mitarbeitern als Teil der Unternehmensstrategie des Unternehmens Krankenhaus verstanden (9 Prozent).

Weiterbildungspotential der Klinik

Nur bei 51 Prozent der Umfrageteilnehmer werden alle am Folgetag zu operierenden Patienten hinsichtlich Operationsindikation und Eingriffsplanung in einer täglichen Indikationskonferenz diskutiert. Regelmäßige Mortalitäts- und Morbiditätskonferenzen existieren lediglich bei 43 Prozent und nur bei 20 Prozent werden die Fälle aller verstorbenen Patienten klinikintern regelmäßig besprochen (Tabelle 7).

Fortbildung, Kongresse und Seminare

Regelmäßige Fortbildungsveranstaltungen innerhalb der Klinik finden bei 73 Prozent der Befragten statt (Abb. 2), wobei hier Maximalversorger und Universitätskliniken ihren Mitarbeitern deutlich mehr bieten (87 Prozent bzw. 94 Prozent). Die Hälfte der Umfrageteilnehmer gibt an, wenigstens einmal jährlich eine externe Fortbildungsveranstaltung besuchen zu dürfen (Abb. 3). 65 Prozent der befragten Kollegen erhalten für den Besuch externer Seminare oder Kongresse finanzielle Unterstützung und 30 Prozent müssen für diese Veranstaltungen Erholungsurlaub einreichen (Tabelle 7).

Abb. 2 Angebot klinikinterner Fortbildung
Abb. 3 Teilnahmemöglichkeit bei externen Fortbildungen

Diskussion

Die Qualität von Weiterbildungsprogrammen ist international sowohl in der Chirurgie als auch in anderen Fachdisziplinen aus verschiedenen Gründen Thema der Diskussion [6, 13, 14, 15]. Sowohl in Westeuropa als auch in den USA sind dabei, wenn auch auf unterschiedlichem Niveau, ökonomische und gesundheitspolitische Zwänge [16] sowie arbeitsrechtliche Fragen die entscheidenden Auslöser [17, 18, 19, 20]. Vorliegende Analysen zur Weiterbildung in Deutschland zeigten qualitative Defizite in Weiterbildungsprogrammen auf und skizzierten eine weit verbreitete Unzufriedenheit der betroffenen Ausbildungsassistenten (21, 4). Mit der vorliegenden Umfrage soll die Qualitätsentwicklung der Weiterbildung in der deutschen Chirurgie innerhalb der letzten drei Jahre analysiert werden. In die Auswertung gingen 571 Antworten ein, was aus methodischen Gründen (mehrkanalige Ansprache, anonyme Umfrage) einem geschätzten Rücklauf von ca. 30 Prozent entspricht. Der Natur einer solchen Umfrage folgend können die Ergebnisse nicht einer statistischen Aufarbeitung unterzogen werden. Rücklauf und Verteilung nach Versorgungsstufen entsprechen allerdings ähnlichen Erhebungen des BDC aus den Jahren 1997 [22] und 2004 [4]. Die Umfrageergebnisse bieten damit ein valides Stimmungsbild hinsichtlich der gefühlten Qualität der chirurgischen Weiterbildung in Deutschland.

Weiterbildungszeit

Hinsichtlich der erforderlichen Weiterbildungszeit sind die Ergebnisse ernüchternd. Im Vergleich zu 2004 kommt weniger als die Hälfte (45 Prozent) der befragten Assistenten in der Regelzeit zum Facharztabschluss. Die 2004 noch bestehenden Unterschiede zwischen den Versorgungsstufen wurden dagegen egalisiert.

Die Ursachen für dieses schlechte Ergebnis sind sicher vielschichtig und können nicht kurzfristig gelöst werden. Sie müssen in der chirurgischen Gemeinschaft aber dringend diskutiert werden. Die konsequente, vornehmlich durch bürokratische Aufgaben bestimmte Arbeitsverdichtung und der weiter steigende ökonomische Druck wirken sich offensichtlich zusätzlich negativ auf die Länge der Weiterbildung aus.

Weiterbildungsstruktur

Die zentrale Forderung der neuen Weiterbildungsordnung, in den Kliniken eine feste Weiterbildungsstruktur anzubieten, ist nicht umgesetzt worden. Voraussetzung für die Vergabe einer Weiterbildungsermächtigung ist die Vorlage eines validen Curriculums bei der zuständigen Ärztekammer. Es soll den Weiterbildungsgang skizzieren und adaptiert an die lokalen Möglichkeiten darstellen, wann ein Assistenzarzt an welche Prozeduren und Operationen herangeführt wird. Die Ergebnisse der aktuellen Umfrage sind dazu mehr als ernüchternd. 2007 erkennen nur noch 22 Prozent eine Struktur in ihrer Weiterbildung, 2004 waren es immerhin noch 43 Prozent der Umfrageteilnehmer. Insbesondere kleinere Hauser scheinen hier den verpflichtenden Vorgaben der WBO organisatorisch oder ökonomisch gar nicht folgen zu können. Berufsverbande und Fachgesellschaften könnten diese Lücke schließen und die betroffenen Kliniken mit der Erstellung von Muster-Curricula unterstützen.

Weiterbildungskultur

Als Indikatoren für die inhaltliche Qualität der chirurgischen Weiterbildung bieten sich die theoretische Besprechung operativer Eingriffe, das Angebot an Lehrassistenzen und klinikinterne Fortbildungen an. In diesen Bereichen ist es im Vergleich zu 2004 nicht zu einer Verbesserung gekommen. Die allgemeine Unzufriedenheit mit dem Mangel an Lehrassistenzen, ist sogar noch gestiegen. Universitätskliniken schneiden hier nach wie vor am schlechtesten ab. Die praktischen und operativen Fähigkeiten junger Chirurgen werden während der Weiterbildung zum Facharzt offenbar nur suboptimal entwickelt, was sich auch in der geringen Anzahl selbständig durchgeführter Eingriffe niederschlagt.

63 Prozent aller teilnehmenden Assistenzarzte gaben an, pro Woche maximal drei Eingriffe durchzufuhren, 20 Prozent sogar weniger als einen (Tabelle 8). Die Weiterbildung zum Chirurgen darf aber nicht durch die zum Dokumentationsassistenten oder Chirurgisch-Technischen Assistenten (Hakenhalter) ersetzt werden. Ein Absolvent des Medizinstudiums, der sich für die Chirurgie interessiert, möchte operieren lernen. Wird ihm dies verwehrt, wundert es kaum, dass er sich wieder aus dem Staub macht. Kehrt er nur seinem Heimatland und nicht dem Fachgebiet den Rücken, wird er erleben, dass es auch anders geht. In Holland beispielsweise operieren Assistenzarzte bis zur Facharztprüfung mehr als 1.000 Eingriffe [8].

Zu einem professionellen Weiterbildungsklima gehören regelmäßige Feedbackgespräche zwischen Weiterbilder und Assistent. Hier soll Erreichtes kritisch reflektiert und Ziele für künftige Weiterbildungsabschnitte fixiert werden. Beide Seiten erreichen so wechselseitig ein hohes Maß an Transparenz und daraus resultierend Verständnis. Zusätzlich können sehr viel kurzfristiger Kurskorrekturen vorgenommen werden. Regelmäßige Weiterbildungsgespräche (mindestens eines jährlich) werden deshalb auch in der Weiterbildungsordnung gefordert. Bei 65 Prozent der Umfrageteilnehmer finden diese Gespräche jedoch unverändert zu 2004 nicht statt. Damit verweigert sich die Chirurgie weiterhin einem einfach zu handhabenden und in Industrie und Handel längst etablierten Mittel zur erfolgreichen Personalführung. Feedback-Gespräche sind Ausdruck einer engen Personalführung und gerade in der Krise dazu geeignet, personengebundene Ressourcen zu erhalten oder gar zu stärken. Wer dieses Werkzeug nicht einsetzt, schöpft das Potential seiner Mitarbeiter in der Regel nicht aus und gefährdet die Unternehmensziele.

Weiter- und Fortbildungsangebot

Arbeitsrechtliche und ökonomische Zwänge beschränken häufig die Möglichkeiten von Chefärzten und Abteilungen zur Verbesserung des Weiterbildungsangebotes. Dieses Faktum lässt sich nicht leugnen, aber offenbar durch engagierte Chefarzte und Träger andern. Klinikinterne Weiter- und Fortbildungsangebote wurden im Vergleich zu 2004 deutlich ausgebaut. Regelmäßige Angebote in unterschiedlicher Frequenz gibt es heute bei drei Viertel der Umfrageteilnehmer, ein Drittel besuchen mindestens eine Fortbildung pro Woche.

Dieser positive Trend zeigt sich auch bei der Unterstützung externer Fortbildungen (Abb. 3). Die Kollegen dürfen etwas häufiger als früher Fortbildungen besuchen und bekommen zu zwei Dritteln eine finanzielle Unterstützung (Tabelle 7). Nur ein knappes Drittel muss Urlaub für externe Fortbildungen nehmen, zwei Drittel können offenbar eine Dienstreise geltend machen.

Klinikinternes Weiterbildungspotential

Jeder Klinikbetrieb bietet allein aus dem Arbeitsalltag und der Routine eine Vielzahl von Weiterbildungsmöglichkeiten. (Röntgen-)Besprechungen, Indikationskonferenzen und Tumorboards bieten gerade jungen Kollegen alle Chancen, Fallgeschichten zu präsentieren und die interkollegiale Zusammenarbeit zu vertiefen. Hier lernt man aus der Diskussion und ist gleichzeitig „mittendrin“. Unverändert zu 2004 finden tägliche Indikationskonferenzen für Elektivpatienten jedoch nur bei der Hälfte der Kollegen statt. Die Rate an klinikinternen Komplikationskonferenzen (M&M-Konferenzen) hat dagegen mit ca. 43 Prozent der Umfrageteilnehmer im Vergleich zu 20 Prozent in 2004 deutlich zugenommen. Tumorboards gibt es sogar bei ca. 64 Prozent der befragten Kollegen.

Die aktive Einbindung von Assistenzärzten in diese Konferenzen schult nicht nur die interkollegiale und interdisziplinäre Zusammenarbeit, sondern auch die Fehlerkultur. Sie sind deshalb auch für die Herausbildung einer kritischen Selbstreflexion unentbehrlich.

Limitierung der Umfrageergebnisse

Die Studie kritisch reflektierend muss festgestellt werden, dass die erhaltenen Ergebnisse ausschließlich die Sicht der chirurgischen Weiterbildungsassistenten und junger Facharzte in Deutschland widerspiegeln. Dass auch auf Assistentenseite Mängel bestehen können, ist bekannt und soll hier nicht verschwiegen werden, war aber nicht Thema der Befragung. So können engagierte und flexible chirurgische Assistenten auch heute eine exzellente Weiterbildung erhalten. Dazu gehören Konsequenz und Mut, da im Zweifelsfall der Stellenwechsel dem „Ausharren“ vorzuziehen ist und/oder das offene Gespräch mit dem Weiterbilder gesucht werden muss. Schließlich zwingt uns die gewählte Umfragemethodik dazu, die Aussagen zu relativieren und darauf hinzuweisen, dass die Ergebnisse primär ausschließlich in der Population der Umfrageteilnehmer korrekt sind.

Schlussfolgerungen

Die chirurgische Weiterbildung in Deutschland weist weiterhin qualitative und strukturelle Mängel auf. Die Defizite folgen dabei zu einem relevanten Anteil sicher den stürmischen Veränderungen im sich wandelnden Gesundheitssystem, der zunehmenden Ökonomisierung der Medizin und den Auswirkungen des Arbeitszeitgesetzes. Diese Entwicklungen sind fremdgesteuert, und deshalb nur bedingt zu beeinflussen. Möchte man aber das Heft des Handelns in der Weiterbildung in der Hand behalten, müssen externe Milieuveränderungen aktiv begleitet und nicht trauernd torpediert werden. Moderne Organisationsstrukturen mit prozessorientierten klinikinternen Abläufen vermögen auch unter den aktuell gegebenen Rahmenbedingungen, eine gute chirurgische Weiterbildung zu organisieren. Zu einem großen Teil handelt es sich jedoch auch um „hausgemachte“ Probleme, die auch „im Haus“ gelöst werden können. Erste positive Entwicklungen, wie beim Weiter- und Fortbildungsangebot und der finanziellen Unterstützung externer Fortbildung geben Hoffnung, werden jedoch von fortbestehenden Mängeln in der strukturierten Weiterbildung und der Weiterbildungskultur deutlich überschattet. Die chirurgische Weiterbildung bedarf in vielen Kliniken einer curricularen Strukturierung unter Einbeziehung von Rotationsprogrammen.

Weiterbilder und Assistenten sind gleichermaßen angehalten, den Wandel zu einer besseren Weiterbildungskultur in die eigenen Hände zu nehmen. Hierzu gehören neben einem regelmäßigen bilateralen Feedback auch die konsequente Nutzung des klinikinternen Weiterbildungspotentials, z. B. in Form von Indikationsbesprechungen und M&M-Konferenzen. Die positiven Entwicklungen bei der Nutzung des internen Weiterbildungspotentials zeigen, dass teilweise ein Umdenken eingesetzt hat. Die neue Weiterbildungsordnung für das Gebiet Chirurgie bietet einen Rahmen, der vor Ort mit Leben gefüllt werden muss, um eine echte Modernisierung der chirurgischen Weiterbildung zu erreichen. Ziel ist eine neue Weiterbildungskultur, die in einigen Bereichen eine neue Führungskultur erfordert.

Erfolgssuchende Weiterbilder zeichnen sich durch das klare Bewusstsein aus, ihr Wissen und Können mit Freude an junge Mitarbeiter weiterzugeben. Die chirurgischen Fachgesellschaften und Berufsverbände haben die Aufgabe, den von der Weiterbildungsordnung und den Kammern vorgegebenen Rahmen weiterzuentwickeln und Kollegen vor Ort zu helfen, eine qualitativ hochwertige Weiterbildung anzubieten. Die Entwicklung von Muster-Curricula ist eine erste Maßnahme, die Definition von Qualitätsindikatoren und die Schulung von Weiterbildern sind weitere konsequente Schritte.

Ein Umdenken ist auch bei den Krankenhausträgern erforderlich. Die finanzielle und materielle Unterstützung von Weiter- und Fortbildung dient nicht nur der Entwicklung des eigenen Personals, sondern stärkt die Leistungsfähigkeit und die Qualität des Unternehmens Krankenhaus. Vor diesem Hintergrund ist Weiter- und Fortbildung in Zeiten zunehmenden Konkurrenzdruckes ein Wettbewerbsfaktor, und hat einen festen Platz in der Unternehmensstrategie des modernen Krankenhauses.

Ergebnisse und Konsequenzen für Klinik und Praxis

  • Die Weiterbildungszeit im Gebiet Chirurgie hat sich verlängert. Nur noch 45 Prozent der Assistenzärzte schaffen die Facharztqualifikation innerhalb von sechs Jahren.
  • Die Weiterbildungsstruktur hat sich deutlich verschlechtert, nur bei knapp einem Viertel der Befragten existiert ein Weiterbildungsplan (Curriculum), obwohl dies nach neuer Weiterbildungsbefugnis Voraussetzung zur Erteilung einer Weiterbildungsbefugnis durch die zuständige Landesärztekammer ist.
  • Die Weiterbildungskultur hat sich nicht verändert, obwohl beispielsweise das Führen von Weiterbildungsgesprächen jetzt in der Weiterbildungsordnung verpflichtend ist.
  • Eine faire und regelmäßige Einteilung zu Operationen gibt es für mehr als die Hälfte der Umfrageteilnehmer (60 Prozent) nach ihrer Wahrnehmung nicht.
  • Das klinikinterne Weiterbildungspotential (Indikationskonferenzen, Mortalitäts- und Morbiditätskonferenzen, Lehrassistenzen usw.) wird besser genutzt, allerdings finden tägliche Indikationskonferenzen nur bei der Hälfte (51 Prozent) der Befragten statt.
  • Klinikinterne Weiter- und Fortbildungsangebote werden häufiger angeboten als 2004.
  • Die finanzielle und ideelle Unterstützung für den Besuch externer Weiterbildungsangebote hat deutlich zugenommen.
  • Die wirtschaftliche Situation des Krankenhauses hat Einfluss auf die Qualität der Weiterbildung. Eine hohe Qualität in der Weiterbildung kann deshalb nur erreicht werden, wenn zusätzliche finanzielle Mittel für die Weiterbildung zur Verfügung gestellt werden.

Autorenerklärung

Die gesamte Erhebung wurde durch die BDC Service GmbH, eine Tochter des Berufsverbandes der Deutschen Chirurgen, finanziert.

Autoren des Artikels

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Dr. med. Jörg Ulrich Ansorg

GeschäftsführerBerufsverband für Orthopädie und Unfallchirurgie (BVOU) e. V.ehem. BDC-GeschäftsführerStraße des 17. Juni 106–10810623Berlin kontaktieren
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Prof. Dr. med. Wolfgang Schröder

Erweiterter Vorstand des BDC/der Deutschen Akademie für chirurgische Fort- und WeiterbildungLeitender OberarztKlinik für Allgemein-, Viszeral-, Tumor- und Transplantationschirurgie; Universitätsklinik KölnKerpener Str. 6250937Köln kontaktieren
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Prof. Dr. med. Carsten Johannes Krones

Leiter BDC-Themen-Referat Presse- und Öffentlichkeitsarbeit kontaktieren
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Dr. med. Matthias Krüger

Leiter des Ressorts Zukunft, Ökonomie und Digitalisierung in der ChirurgieGesundheitsökonom, klinischer Risikomanager(DIOcert)ZB Proktologie/NotfallmedizinUnseburger Straße 739122Magdeburg kontaktieren
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Dr. med. Norbert Hennes

ehem. Präsidiumsmitglied des BDCKlinik für Allgemein-, Viszeral- und Minimal-Invasive ChirurgieHelios Klinikum DuisburgAn der Abtei 7471166Duisburg kontaktieren

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