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PRO – DEN SYSTEMWECHSEL VORBEREITEN – PERSONALVORGABEN EINFÜHREN

von S. Dreyer

Grundvoraussetzung für eine qualitativ hochwertige patientenorientierte Versorgung und deren Vergütung ist die Festlegung einer aufgaben- und patientenorientierten Personalbemessung für die Berufsgruppen der direkten Patientenversorgung. Bedarfsgerechte Personalvorgaben sind Ausdruck einer werteorientierten Medizin im Sinne des individuellen Patienten. Durch sie werden Ärztinnen und Ärzte wieder in die Lage versetzt, ihre Aufgaben in der Versorgung mit ausreichend Zeit für Patienten zu versehen.

Die Qualität der Patientenversorgung und die Arbeitssituation der Beschäftigten im Krankenhaus wird sich nur dann grundlegend verbessern können, wenn die Versorgungsnotwendigkeiten im Vordergrund stehen und nicht das Renditeziel eines Klinikbetreibers. Die Herausnahme der Pflegepersonalkosten aus der Fallpauschalenvergütung, die Pflegepersonaluntergrenzen-Verordnung und die Einführung des Pflegepersonalquotienten sind in dieser Hinsicht wichtige Meilensteine gewesen. Wenn dadurch allerdings die Krankenhäuser motiviert werden, die Kostenschraube bei anderen Beschäftigten weiter anzuziehen, ist für die Gesamtbelegschaft nicht viel gewonnen.

Notwendig sind bedarfsgerechte Personalvorgaben für alle patientennahen Dienste, also auch für Ärztinnen und Ärzte. Eine rote Linie in Form von Untergrenzen reicht nicht aus. Damit wird man den patientennahen Beschäftigten und den Patienten auf Dauer keinen Gefallen tun. Wer nur auf eine Untergrenze abstellt, bei deren Unterschreitung eine patientengefährdende Versorgung vermutet wird, definiert lediglich absolut notwendige Minimalvorgaben zur Personalbesetzung. Bei Anwendung solcher Untergrenzen besteht die Gefahr, dass diese sich fälschlicherweise als tatsächlicher Personalbedarf oder gar als Personal-Obergrenze verfestigen können.

Bloße Untergrenzen wären auch deshalb der falsche Ansatz, da deren Unterschreitung zur Notwendigkeit von Aufnahmestopps oder gar Verlegungen von Patienten führt und wesentliche Aspekte wie Fort- und Weiterbildung nicht berücksichtigt werden. Die auf Kostenersparnisse getrimmten Krankenhäuser könnten bloße Untergrenzen zudem als Nachweis ausreichender Personalausstattung missbrauchen und von zusätzlichen Einstellungen absehen. Vor diesem Hintergrund ist es nur zu begrüßen, dass für die Krankenpflege der Deutsche Pflegerat, die Deutsche Krankenhausgesellschaft und Verdi Anfang des Jahres 2020 ihren gemeinsamen Vorschlag für eine Interimslösung zur Pflegepersonalbemessung im Krankenhaus dem Bundesgesundheitsministerium vorgelegt haben.

Bedarfsgerechte Personalvorgaben müssen so bemessen sein, dass eine qualitativ hochwertige, individuelle Patientenversorgung gewährleistet ist. Mindestvorgaben für Ärztinnen und Ärzte ergeben sich automatisch durch die geltenden Arbeitszeitgesetze und Tarifverträge. Verstöße gegen diese Vorgaben sollten konsequent zur Anzeige gebracht werden und Sanktionen nach sich ziehen. Für eine aufgabengerechte Personalbemessung braucht es aber mehr: Alle Tätigkeiten der direkten und der indirekten Patientenversorgung müssen durch qualifiziertes ärztliches Personal abgedeckt sein. Dazu gehören auch die durch Richtlinien und Gesetze definierten Aufgaben, die Anforderungen des Krankenhausträgers, die Aufgaben in der Aus-, Fort- und Weiterbildung, der Mitarbeiter- und Teamentwicklung, des Qualitätsmanagements und Aufgaben in der intra- und interprofessionellen Zusammenarbeit sowie die partizipative Gesprächsführung, Begleitung und Beratung von Patientinnen und Patienten und ihrer Angehörigen. Zudem müssen die durchschnittlichen Ausfallzeiten berücksichtigt werden. An Universitätskliniken sind darüber hinaus Zeiten für Forschung und Lehre zu berücksichtigen.

Das Instrument zur Personalbemessung muss umfassend, verbindlich und durchsetzbar sein. Die Bestimmung der patienten- und aufgabengerechten Personalausstattung erfordert den Einsatz eines standardisierten Bemessungsinstrumentes zur Erfassung des Personalbedarfs: Krankenhäuser und Fachabteilungen unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht, beispielsweise durch den Versorgungsauftrag, die Patientencharakteristika, die Zusammensetzung und Zusammenarbeit der verschiedenen Berufsgruppen sowie durch Ausstattung und bauliche Gegebenheiten. All diesen Unterschieden muss mithilfe eines geeigneten und standardisierten Bemessungsinstrumentes Rechnung getragen werden.

Für die Besetzung einer Intensivstation existiert bereits ein sehr gutes modulares Kalkulationsinstrument, das vom Berufsverband Deutscher Anästhesisten und der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin vor vielen Jahren entwickelt und erst kürzlich aktualisiert wurde. Es ermöglicht der zuständigen Ärztin beziehungsweise dem zuständigen Arzt, die systematische Analyse und Kalkulation des Personalbedarfs auf der Basis der erbrachten intensivmedizinischen Leistungen unter Berücksichtigung der eigenen Betriebsorganisation.

Neben einer solchen aufgabengerechten Personalbemessung ist eine strategische Personalentwicklung erforderlich. Qualifizierung, Aus-, Fort- und Weiterbildung sowie Rahmenbedingungen der Arbeit und Vereinbarkeit sind dabei die wichtigsten Handlungsfelder. Nur mit einer Personalentwicklungsstrategie, die diese Faktoren berücksichtigt, werden Krankenhäuser qualifizierte Ärztinnen und Ärzte dauerhaft an sich binden können.

In der Corona-Krise sind die grundsätzlichen Probleme der Personalbesetzung in den Krankenhäusern noch deutlicher geworden. Bereits vor der Pandemie zeigten Mitgliederbefragungen des Marburger Bundes (MB-Monitor 2019), dass in den Krankenhäusern millionenfach Überstunden angehäuft werden. Auch beim Blick auf die Wochenarbeitszeiten der angestellten Ärztinnen und Ärzte wird deutlich, dass die Krankenhäuser weit entfernt von einer adäquaten Stellenbesetzung sind: Ein Großteil der im MB-Monitor 2019 befragten rund 6.500 Ärztinnen und Ärzte (41 %) arbeitet 49 bis 59 Stunden in der Woche inklusive aller Dienste und Überstunden. Mehr als ein Fünftel (22 %) gibt an, 60 bis 80 Stunden pro Woche im Einsatz zu sein. Die Antwort auf die Frage nach der bevorzugten Wochenarbeitszeit offenbart eine große Kluft zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Denn eigentlich wünschen sich mehr als 90 Prozent der Befragten eine durchschnittliche Wochenarbeitszeit von maximal 48 Stunden inklusive aller Dienste und Überstunden. Nur 9 Prozent bevorzugen eine Wochenarbeitszeit von durchschnittlich mehr als 48 Stunden.

Immer mehr Ärztinnen und Ärzte in den Krankenhäusern entscheiden sich auch deshalb ganz bewusst für ihre private „Arbeitszeitreform“ und vereinbaren mit ihrem Arbeitgeber einen Teilzeitvertrag. Inzwischen hat sich mehr als ein Viertel der Klinikärzte (26 %) für eine Reduzierung der tarifvertraglich vorgesehenen, regelmäßigen Wochenarbeitszeit entschieden.

Es besteht also Handlungsbedarf: Die Stellenpläne im Ärztlichen Dienst sind vielfach auf Kante genäht, mehrere Tausend Arztstellen unbesetzt. Es fehlt an Zeit für eine individuelle Patientenversorgung, für eine strukturierte Weiterbildung und eine bessere Vereinbarkeit von Privatleben und Beruf. Politik und Krankenhäuser dürfen sich nicht länger wegducken und die Unterbesetzung im Ärztlichen Dienst ignorieren. Es muss gegengesteuert werden, sonst werden immer mehr Ärztinnen und Ärzte andere Wege suchen, Beruf und Privatleben bzw. Beruf und Familie besser in Einklang zu bringen.

Die Erfahrungen mit den diagnosebezogenen Fallpauschalen (DRG) zeigen, welche Verwerfungen entstehen, wenn es keine verbindlichen Personalvorgaben gibt. Die Fehlanreize und Risiken des DRG-Systems, insbesondere betriebswirtschaftliche Anreize zur weiteren Leistungsverdichtung auf Kosten des Krankenhauspersonals, müssen deshalb beseitigt werden. Der Systemwechsel ist unvermeidlich: Eine bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung kann nur durch ein funktional abgestuftes und effizient strukturiertes Netz einander ergänzender Krankenhäuser sichergestellt werden, nicht durch Kostenwettbewerb und eine ökonomisch determinierte Patientenversorgung. Ein solcher Systemwechsel muss durch bedarfsgerechte Personalvorgaben eingeleitet werden.

KONTRA – PERSONALUNTERGRENZEN IM ÄRZTLICHEN BEREICH

von P. Köpf

Eine gute Personalausstattung der Krankenhäuser ist für eine qualitativ hochwertige Patientenversorgung unerlässlich. Dies gilt nicht nur für die Pflege, sondern auch für den ärztlichen Dienst. Dass das Instrument der Personaluntergrenzen hierfür nicht geeignet ist, haben die Erfahrungen der Krankenhäuser mit den seit 2019 geltenden Pflegepersonalpersonaluntergrenzen (PPUG) gezeigt. Zielführend sind vielmehr eine vollständige Refinanzierung der Personalkosten sowie die Anhebung der Studienplatzkapazitäten in der Humanmedizin zur Fachkräftesicherung und -gewinnung im ärztlichen Dienst.

Negative Erfahrungen mit Personaluntergrenzen

Die Wirkung von Personaluntergrenzen ist seit dem 01.01.2019 in den Krankenhäusern am Beispiel des Pflegepersonals zu beobachten. Die PPUG geben, jeweils in Bezug auf einen definierten „pflegesensitiven“ Bereich, einen schicht- und stationsbezogenen starren Personalschlüssel vor, der von den Krankenhäusern im Monatsdurchschnittswert einzuhalten ist. Flankiert werden sie von umfassenden Dokumentations- und Nachweispflichten sowie umfangreichen Sanktionsregelungen im Falle der Nichteinhaltung der Untergrenzen bzw. bei Dokumentationsverfehlungen. Nach zwei Jahren Erfahrung lässt sich feststellen, dass sich die Bürokratielast nochmals deutlich erhöht hat, sich jedoch weder die Patientenversorgung noch die Zufriedenheit der Pflegekräfte verbessert hat.

Fast alle maßgeblichen Pflegeverbände lehnen die Pflegepersonaluntergrenzen daher mittlerweile aus gutem Grund ab. Es ist nicht zu erwarten, dass Personaluntergrenzen im ärztlichen Dienst besser funktionieren würden. Auch hier wäre es das primäre Ziel der Kostenträger, zusätzliche Dokumentationsverpflichtungen und Sanktionsmaßnahmen zu implementieren. Vor dem Hintergrund der schon heute hohen Bürokratiebelastung der Ärzte – Stichwort MDK-Prüfungen – dürfte ein solches Instrument auf wenig Akzeptanz stoßen. Zudem müssten weitere Aspekte, wie die Berücksichtigung von Delegation bzw. Substitution von ärztlichen Aufgaben, mit beachtet werden. Die Abbildung des pflegerischen Qualifikationsmixes sowie pflegeentlastende Maßnahmen sind jedoch schon bei den Pflegepersonaluntergrenzen nur unzureichend geglückt. Starre Untergrenzen beim ärztlichen Personal können zudem am tatsächlichen Versorgungsbedarf der Patienten vorbeigehen, der sich z. B. selbst von Station zu Station deutlich unterscheiden kann. Die Folge hiervon ist eine Fehlallokation von Personalressourcen.

Im Übrigen ist die Chirurgie ein gutes Beispiel dafür, dass ein Mangel an qualifizierten Ärzten direkte Auswirkungen auf das Leistungsgeschehen hat: ohne Chirurgen keine Operationen.

Deutlicher Personalaufbau im ärztlichen Dienst

Im Zeitraum von 2003 bis 2018 haben die Krankenhäuser 50.000 zusätzliche Vollkraftstellen im ärztlichen Dienst besetzt, was einer Steigerung von insgesamt knapp 45 Prozent entspricht. Dieser Personalzuwachs hat die Fallzahlentwicklungen im gleichen Zeitraum deutlich übertroffen. Zum Vergleich: auch die Anzahl der Pflegekräfte in den Krankenhäusern ist in den letzten Jahren wieder angestiegen, jedoch in dem Zeitraum lediglich um 3 Prozent. Zudem sind die Gehälter der Ärzte deutlich angestiegen: Die maßgeblichen Personalkosten [1] je Vollkraft sind von 2003 bis 20218 um gut 55 Prozent auf mittlerweile 130.000 Euro pro Jahr gestiegen (Pflegedienst: + 33 Prozent auf 60.000 Euro p.a.).

Bessere Alternativen zu Personaluntergrenzen

Aus Sicht der DKG wäre es zur Fachkräftesicherung im ärztlichen Dienst zielführender, folgende Maßnahmen anzugehen und umzusetzen:

  • Zur Wahrheit des deutlichen Personalaufbaus in den Kliniken gehört, dass dies in erheblichem Maße über die Einstellung ausländischer Ärzte erfolgte. Dies kann jedoch nur eine kurz- bis mittelfristige Strategie gegen den Fachkräftemangel sein. Die DKG fordert daher seit langem, dass die Studienplatzkapazitäten im Fach Humanmedizin aufgrund des demografischen Wandels deutlich erhöht werden. Erste Initiativen wie die Eröffnung medizinischer Fakultäten in Augsburg oder Oldenburg sind begrüßenswerte erste Schritte, die aber deutlich ausgeweitet werden müssen.
  • Es bedarf einer vollständigen Personalkostenrefinanzierung aller Beschäftigten im Krankenhaus. Die Deckelung der Refinanzierung über den Veränderungswert und einen unzureichenden Tarifausgleich führt am Ende zu Rationalisierungsmaßnahmen. Mit der Ausgliederung der Pflege aus den DRGs wird sich der Druck auf die im „Rest-DRG-System“ verbliebenen Beschäftigten ansonsten weiter erhöhen.
  • Die Krankenhäuser haben ihr Engagement in der Verbesserung der Arbeitsbedingungen in den letzten Jahren ausgebaut und die Attraktivität einer ärztlichen Tätigkeit im Krankenhaus damit deutlich erhöht. Angebote zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie neue Arbeitszeitmodelle müssen weiterverfolgt und ausgebaut werden. Dazu gehört z. B. auch eine neue Führungskultur im ärztlichen Dienst. Die DKG unterstützt daher aktiv das Unternehmensnetzwerk „Erfolgsfaktor Familie“, um „Good Practices“ in den Kliniken zu verbreiten und hierfür Nachahmer zu finden.

Die Krankenhäuser setzen also zur Stärkung der Leistungsfähigkeit der Krankenhäuser und zur weiteren Verbesserung sowohl der Patientenversorgung als auch der Arbeitssituation der Krankenhausärzte nicht auf die gesetzlich übergestülpten Zwangsmaßnahmen von Personaluntergrenzen mit geringer Zielgenauigkeit bei hohem bürokratischen Aufwand. Stattdessen setzen sie auf attraktive und familienfreundliche Arbeitsplätze für Ärzte mit guter Bezahlung und attraktivem Tätigkeitsspektrum im Team, auch als Alternative zur Niederlassung. Dies setzt aber voraus, dass ebenso wie die Krankenhäuser auch die Gesetzgeber auf Bundes- und Landesebene ihre Hausaufgaben erledigen und mehr Medizinstudienplätze sowie eine angemessene Refinanzierungsregelung für die Ärzte im Krankenhaus schaffen.

Literatur

[1] Quelle: Destatis (Kostennachweis der Krankenhäuser, Fachserie 12, Reihe 6.3)

Dreyer S, Köpf P: Pro und Kontra Personaluntergrenzen. Passion Chirurgie. 2021 April; 11(04): Artikel 05_02.

Autoren des Artikels

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Dr. med. Sven Dreyer

PRO Personalvorgaben für Ärztinnen und ÄrzteMitglied im Bundesvorstand des Marburger Bundes
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Peer Köpf

KONTRA Personalvorgaben für Ärztinnen und ÄrzteDeutsche Krankenhausgesellschaft e. V.

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