Im Rahmen des Humanmedizinstudiums müssen alle Medizinstudierenden ein dreimonatiges Praktikum in der Pflege absolvieren. Für mich stand Ende Juni des Jahres 2023 der erste Monat auf einer der drei Stationen der Klinik für Kardiologie (Direktor: Prof. Dr. med. habil. R. Braun-Dullaeus) des Universitätsklinikums Magdeburg A. ö. R. an und der darauffolgende auf der Station des Arbeitsbereiches Gefäßchirurgie; Klinik für Allgemein-, Viszeral-, Gefäß- und Transplantationschirurgie (Direktor: Prof. Dr. med. Dr. h.c. R. S. Croner, MA, FACS) des hiesigen Universitätsklinikums.
Das Medizinstudium selbst war für mich nie unbedingt der große Traum von klein auf, sondern vielmehr war der Weg zu dieser Entscheidung ein Prozess aus anfänglich schlummerndem Interesse, das durch die ständige Konfrontation im medizinischen Kontext wuchs und mich schließlich überzeugte. Dieser Prozess ist mit Beginn des Studiums nicht abgeschlossen – ein so breit gefächertes Studium kann nicht in jedem Aspekt auf Zuspruch stoßen. Ganz im Gegenteil: Langeweile und Desinteresse gehören genauso dazu. Umso wichtiger ist es, sich diesem Lernprozess anzunehmen und herauskristallisieren zu können, was meine Interessen wirklich abdeckt. Was für mich jedoch seit jeher feststeht ist, dass ich zwischenmenschliche Interaktion nicht missen kann und will. Diese Interaktionen lassen für mich das Leben (auf- und er-)blühen – sowohl die positiven als auch die negativen Erfahrungen. Von dem Beruf als Ärztin erwarte und erhoffe ich mir, diese Lebendigkeit des Berufes täglich erfahren zu dürfen und an meinen Aufgaben wachsen zu können.
Anfangs hatte ich keine großartigen Vorstellungen von der kommenden Zeit im Pflegepraktikum, ich wusste nicht so recht, was mich erwartet – dennoch war ich neugierig. Dabei konnte ich weder meine anstehenden Aufgaben als (Vor-)Praktikantin zum Humanmedizinstudium, sozusagen formal in einem berufsorientierenden Praktikum (dennoch aber schon als obligatorische und abrechenbare Leistung zum anstehenden Studium und zugesprochenen Studienplatz gehörend), noch meine Verantwortung einschätzen. Doch bereits am ersten Arbeitstag stand fest, dass es alles andere als einfach wird: vom Frühaufstehen bis hin zur initialen Orientierungslosigkeit und dem (noch) bestehenden geringen Einblick in und Verständnis für das Stationsgeschehen und seine Abläufe.
Ich war als Hilfspflegerin eingesetzt und damit in zahlreiche Aktivitäten der Grundkrankenpflege einbezogen (Tab. 1).
– Verbandswechsel, Vorbereiten von Infusionen, Injektionen verabreichen
Dokumentation
– Eintragen von Messdaten in Patientenkurven
– Notieren von Besonderheiten
Aufbereitung Krankenzimmer
– Betten frisch beziehen
– Leeren von Urinflaschen und Bettpfannen
Umgang mit isolierten Patient/-innen
– Einhalten von Infektionsschutzmaßnahmen
Stationsorganisation
– Dienstbeginn und -ende
– Dienstübergabe
– Teilnahme an der Visite
– Verhalten in Notfallsituationen auf der Station
Soft Skills
– Arbeiten im Team
– Kommunikation mit Patient/-innen und Angehörigen
Zunächst erst einmal ziemlich „überrumpelt“ mit den neuen Herausforderungen, die keinesfalls der „stumpfen“ Theorie aus der Schule glichen, nahm ich mir die Aufgabe meiner neuen Funktion und Tätigkeit der „puren Praxis“ zu Herzen. Eine morgendliche „Waschrunde“ für die hilfsbedürftigen Kranken, Vitalwerte erfassen, Mahlzeiten vorbereiten oder Betten beziehen waren die (Haupt-)Aufgaben, die meinen Tag vor allem im pflegerischen Bereich ausfüllten.
Doch genauso wurde mir zeitweise die Möglichkeit geboten, am OP-Tisch als 2. oder 3. Assistentin zu stehen (Abb. 1, 2), diversen Ultraschalluntersuchungen mehrerer Organ(system)e beizuwohnen und diese phasenweise intensiv zu verfolgen (oder) das Blut-Abnehmen zu erlernen; also Erfahrungen, die mir kein Buch so deutlich, kompetent, anschaulich und prägend nahebringen kann wie das menschliche hautnahe Erleben vor Ort/„bed side“, wie man es im Fachjargon ausdrückt.
Abb. 1: Situatives Foto der Erstautorin (links) aus dem Op-Saal mit einem Chirurgen
Abb. 2. Situatives Foto der Erstautorin vom Op-Tisch als Mitglied des Op-Teams (2. von links)
In diesen intensiven zwei Monaten verflog die anfänglich – ehrlich gesagt – mitschwingende recht geringe Lust, die dem Frühaufstehen geschuldet war, gänzlich, und der Tatendrang, Neues zu erleben, zu sehen und zu lernen, wuchs immens.
Neue Gesichter – ob bei medizinischen MitarbeiterInnen oder PatientInnen – und neue Geschichten gehörten zur Tagesordnung. Dabei bleibt es einem jedoch selbst überlassen, darin die Herausforderung zu erkennen oder eben die Chance zu sehen, sich dem täglichen Wechsel, den Anforderungen und Ansprüchen mit einem (hoch-)entwickelten Maß von klinischer Alltags- und Dienstkompetenz sowie adäquater pflegerischer Expertise auszusetzen gegenüber auch einer erkennbar manchmal drohenden Erreichung der Leistungsgrenze.
Determiniert sich erst einmal der Wille, diese herausfordernden Aspekte ernsthaft anzunehmen, lernt man, dass die Quintessenz der Arbeit in den Menschen selbst liegt – mit denen und für die man arbeitet. Sinn der Sache ist es, nicht stumpf geforderte Tätigkeiten zu übernehmen, sondern den Blick hinter die Fassade zu wagen, sich auf die/den Patient:in einzulassen. Zwischen „den Zugang finden“ und „einen Zugang legen“ liegt der Akt der Zwischenmenschlichkeit, der in einem solchen Beruf nicht zu kurz kommen darf. Alltag findet nur dann statt, wenn man zulässt, dass die Routine den Tag bestimmt. Doch wenn man dem Praktikum mit ständiger Neugierde entgegentritt, wird jedes Einzelne zur einzigartigen Erfahrung.
So war der primäre Teil in der Kardiologie vor allem durch pflegerische Einarbeitung gekennzeichnet. Dabei waren die pflegerischen Kolleg:innen großartig – sie „nahmen mich an die Hand“, zeigten mir manchen pflegerischen Kniff, aber auch einige tiefsinnige Hintergrundaspekte zu Patientenäußerungen und -verhalten.
In der Gefäßchirurgie war ich dann schon besser „gewappnet“ hinsichtlich der unzähligen auch kleinen Pflichten, die der (auch hilfs-)pflegerischen Ebene zukommen.
Beide Fachbereiche stellten einen gelungenen Einstieg in die Medizin dar,
einmal eher klinisch-konservativ in der Kardiologie, stark auf diagnostischen Maßnahmen fußend, mit teilweisen Interventionen („Herzkatheteruntersuchung“, „Herzklappenimplantation“), die ich fachlich nunmehr schon etwas besser verstehe;
andererseits eher operativ in der Gefäßchirurgie ausgerichtet mit einem der Operation anhängigen Maßnahmepaket („perioperative Patientenbetreuung“), wo neben der komplexen Patient:inneneinschätzung hinsichtlich der Operationseignung vor dem gefäßchirurgischen Eingriff („präoperativ“) sich eine ebenso intensive Anstrengung dem „postoperativen“ Verlauf (also nach dem gefäßchirurgischen Eingriff – zumeist in Vollnarkose bei teils schwerkranken PatientInnen hinsichtlich gefäßmedizinischer Krankheitsausprägung, Nebenerkrankungen und diversen Medikamenten) zur Patientengenesung und Komplikationserkennung und -beherrschung ärztlich und pflegerisch (Abb. 3) widmete.
Abb. 3: Pflegerische Tätigkeiten im berufsorientierenden Praktikum
Ich hatte so viele interessante Begegnungen und (Kurz-)Gespräche mit tatkräftigen Beschäftigten, ob Schwestern oder Pfleger, im täglichen Kontakt oder der emsigen Ärzteschaft, die in ihrem konzentrierten Tagwerk sich einer kurzen Konversation stellten oder einfach „herüberwinkten“.
Es waren sehr lehrreiche Tage und Wochen mit zahlreichen Einzel- und Detailerlebnissen und -eindrücken, die es erst einmal zu verarbeiten gilt, aber von deren auch erfüllenden Aspekten ich bestimmt noch eine Weile zehren werde.
Neben dem obligatorischen Part im Humanmedizinstudium ist ein derartiges hilfspflegerisch ausgerichtetes berufsorientierendes Praktikum auch durchaus im Vorfeld anderer Fachrichtungen sehr geeignet wie Gesundheitsökonomie/-management, öffentliche(s) Gesundheitswesen/-wirtschaft, Psychologie und Soziologie, aber auch allgemein lebens- und zukunftsorientierend im individuellen Selbstfindungsprozess oder im Rahmen des „Freiwilligen Sozialen Jahrs“.
Auf alle Fälle wurde sehr klar, welchem Zweck ein ausgiebiges Pflegepraktikum im Rahmen des Humanmedizinstudiums dient, den komplexen und kompletten klinisch-medizinischen Alltag schon früh im Studienablauf tiefgründig und nachhaltig zu erfahren als auch den Grundstein für eine adäquate interprofessionelle Zusammenarbeit auf Basis gegenseitigen Verstehens zu legen.
Das berufsorientierende Praktikum hat mir bestätigt was für eine großartige Arbeit Pflegekräfte und Ärztinnen und Ärzte täglich leisten, die Vorfreude auf den dritten Monat im Pflegepraktikum geweckt und mich in meiner Entscheidung, ein Humanmedizinstudium in Angriff zu nehmen, bestärkt.
Korrespondierende Autorin:
Katrin Maria Halloul
Medizinische Fakultät
Universität Hamburg
Prof. Dr. med. Frank Meyer
Medizinische Fakultät Universität Hamburg
Klinik für Allgemein-, Viszeral-, Gefäß- und Transplantationschirurgie
Universitätsklinikum Magdeburg A. ö. R., Magdeburg
Chirurgie+
Halloul KM, Meyer F: Aspekte des berufsorientierenden Praktikums. Passion Chirurgie. 2024 Januar/Februar; 14(01/02): Artikel 04_02.
Begeistern Sie den Nachwuchs für die Chirurgie, mehr dazu auf der Webseite unserer Nachwuchskampagne „Nur Mut! Kein Durchschnittsjob: ChirurgIn“.
Die Kranken- und Gesundheitsversorgung ist ein sehr personalintensiver Sektor. Etwa 62 % der Betriebskosten eines Krankenhauses sind Personalkosten – mit Schwankungen abhängig von Bundesland, Größe und Versorgungsauftrag. Die Kernleistungen werden von Mitarbeiterinnen des Pflegedienstes (31,7 % der Personalkosten) und des ärztlichen Dienstes (29,8 % der Personalkosten) erbracht (vgl. Destatis). Gerade für diese Berufsgruppen besteht ein ausgeprägter Fachkräftemangel. Hohe Personalfluktuationen verstärken mancherorts diesen Mangel.
Für das Fach Chirurgie begeistern, ganzheitlich informieren und unterstützen – das ist die Mission der Nachwuchskampagne „Nur Mut! Kein Durchschnittsjob: ChirurgIn“ des BDC. In der neu aufgelegten Interviewreihe wollen wir die Facetten der Chirurgie transparent machen und zeigen, wie Chirurgen und Chirurginnen ihren Beruf leben.
Vor einigen Jahren startete der Berufsverband der Deutschen Chirurgen (BDC) eine Kampagne mit dem Titel „Nur Mut! Kein Durchschnittsjob: ChirurgIn“. Ziel war es, mit einprägsamen, mehrdeutigen Slogans – im Volksmund auch „Teekesselchen“ genannt – und Plakatmotiven wie „Schnitten“ und „Aufschneider“ angehende junge Medizinerinnen und Mediziner für eine chirurgische Karriere zu begeistern. Im Laufe der Zeit hat der BDC, auch in Kooperation mit anderen Verbänden, auf dem Gebiet der Nachwuchsförderung weitere Programme und Projekte aufgelegt.
Mit einem Update der Rezidiv-Leistenhernien mit und ohne Schmerz greift die BDC|Akademie in enger Zusammenarbeit mit der Deutschen Herniengesellschaft (DHG) die nun zweimal im Jahr stattfindende Reihe "Hernie kontakt" wieder auf.
Wir freuen uns, Ihnen in der Juliausgabe der Passion Chirurgie die zweite Sonderausgabe der Safety Clips zu präsentieren, in dem praxisnah die unterschiedlichsten Ursachen von Behandlungsfehlern beschrieben werden, oft verdeutlicht durch Statistiken zu Schadenhäufigkeiten. Immer geht es auch um Strategien zur aktiven Fehlervermeidung. Kritische Ereignisse in der Patientenversorgung werden beschrieben, analysiert und bewertet, ergänzt durch juristische Stellungnahmen und praktische Hinweise zur Risikobewältigung.
unabhängig vom Schwerpunkt der letzten Ausgaben der Passion Chirurgie , waren die beunruhigenden demographischen und wirtschaftsstrukturellen Entwicklungen in unserer Gesellschaft bereits häufiger Thema unserer Publikationen. Ob Weiterbildung, Nachwuchs, oder ambulante Versorgung – alles muss im Lichte des politischen und ökonomischen Umfeldes betrachtet werden.
In dieser Ausgabe widmen wir uns direkt den wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen im Medizinsystem Deutschland, wie es für uns Chirurginnen und Chirurgen relevant ist. Unter dem Titel Monetarisierung des Patienten diskutieren unser Präsident und weitere Autoren über die Schnittstelle Ökonomie-Chirurgie auf verschiedensten Ebenen – vom Blick auf das Fachgebietsbranding über die Grenzen der wirtschaftlichen Analyse des Patienten bis hin zur Betrachtung der Zukunft des gesamten Gesundheitssystems.
In dieser Ausgabe der Passion Chirurgie mit dem Titel “Notfallmedizin – Fachkompetenz vs. Facharzt” geht es um die Rolle der Notfallmedizin im modernen chirurgischen Berufsleben. Notfälle begleiten uns ein berufliches Leben lang, nicht nur in der Notaufnahme, sondern auch auf der Station oder in der Praxis. Die Behandlung von Notfallpatienten ist Kernkompetenz chirurgischer Tätigkeit – trotz Spezialisierung sowie strukturellem und medizinischem Fortschritt.
Unsere Autoren gehen im Detail auf die Situation der Notfallmedizin in Deutschland ein und plädieren im Ergebnis für mehr Fachkompetenz, aber klar gegen eine neue Facharztqualifikation für Notfallmedizin. Die Notfallkompetenz muss weiterhin in den großen medizinischen Fachgebieten erhalten bleiben, darüber sind wir uns mit den Berufsverbänden der Internisten, Anästhesisten und vielen weiteren Gebieten einig.
Das Thema der vierten Ausgabe diesen Jahres ist Appendektomie in Deutschland, denn einerseits ist die Appendektomie mit jährlich über 120.000 Operationen der häufigste Notfalleingriff in der Chirurgie überhaupt und betrifft somit eine große Anzahl an Patienten und Ärzten, andererseits wird er in Kliniken aller Versorgungsstufen durchgeführt und muss flächendeckend jederzeit („24/7“) erfolgen können.
Wir haben dazu wieder eine Auswahl von analytischen und fundierten Artikeln – zum Beispiel Die Appendektomie 2011/2012 in Deutschland – Ergebnisse der bundesweiten Erhebung zur Technik der Appendektomie (BETA), eine Studie, die mit Unterstützung des BDC ins Leben gerufen wurde – und praktisch anwendbarer Weiterbildung – unter anderem Schau Dich schlau: Wichtigste Operationsschritte bei der offenen und der laparoskopischen Appendektomie für Sie zusammengestellt.
Auch einen CME-zertifizierten Weiterbildungsartikel finden Sie wieder in dieser Ausgabe, diesmal passend aus dem Lernpaket Laparoskopische Appendektomie.