Das Risiko eine Venenthrombose zu erleiden, liegt in der Allgemeinbevölkerung im Mittel bei circa 0,1 % pro Jahr, kann jedoch individuell, abhängig von Alter und weiteren individuellen Risikofaktoren, wesentlich höher liegen [1]. Nach Operation oder Trauma ist das Risiko um ein Vielfaches erhöht [1,2]. Postoperative Thrombosen und Embolien waren vor allem in den Anfängen der Chirurgie sehr gefürchtete Komplikationen. Bereits vor 100 Jahren wurden physikalische Maßnahmen, insbesondere das Wickeln und Hochlagern der Beine, Flüssigkeitszufuhr sowie passive und aktive Mobilisation, als Maßnahmen zur Thromboseprophylaxe durchgeführt. Die Einführung der medikamentösen Thromboseprophylaxe konnte die Häufigkeit der postoperativen Thrombosen deutlich senken. Allerdings bleibt trotz aller Maßnahmen das Risiko einer postoperativen Thrombose immer noch hoch: so zeigten die Zulassungsstudien der direkten oralen Antikoagulanzien bei Gelenkersatzchirurgie eindrücklich, dass, trotz prophylaktischer Medikation, bei klinisch asymptomatischen Patienten bei 10–15 % klinisch stumme Gefäßthrombosierungen feststellbar sind. Zu symptomatischen Thrombosen kommt es trotz aller Maßnahmen in diesem Patientenkollektiv noch bei 1–2 % der Fälle. Dieses hohe Restrisiko muss Arzt und Patient bewusst sein und ist der Ansporn zur konsequenten Durchführung von perioperativen Prophylaxemaßnahmen.
Multimodale und risikostratifizierte Thromboseprophylaxe
Im Zuge der obligaten präoperativen Aufklärung bezüglich des möglichen Auftretens und der Verhütung postoperativer Thrombosen und Lungenembolien sollte der aufklärende Arzt das individuelle Thromboserisiko des Patienten abschätzen und ihm geeignete Maßnahmen vorstellen. Neben einer medikamentösen Thromboembolieprophylaxe dienen folgende Maßnahmen der Senkung des thromboembolischen Risikos [1,2]:
Frühzeitige Operation bei Verletzungen
Schnelle Mobilisierung, möglichst noch am Operationstag
Bewegungsübungen, Anleitung zur Eigenaktivierung der Wadenmuskulatur
Eine Besonderheit bei den physikalischen Maßnahmen ist die intermittierende pneumatische Kompression, die bei hohem Blutungsrisiko oder anderen Kontraindikationen für die standardisierte medikamentöse Thromboseprophylaxe zur Anwendung kommen kann, vor allem im Bereich der Intensivmedizin und insbesondere in der Neurochirurgie.
Medikamente zur medikamentösen VTE (venöse Thrombembolie) Prophylaxe
Heparine (unfraktioniert, UFH, bzw. niedermolekulare Heparinpräparate, NMH)
Fondaparinux (synthetisches Pentasaccharid)
Faktor Xa Inhibitoren (DOAK, direkte Antikoagulantien bzw. NOAK, neue orale Antikoagulantien)
Faktor IIa Inhibitor (DOAK, direkte Antikoagulantien bzw. NOAK, neue orale Antikoagulantien)
Danaparoid (Indikaktion: v.a. bei HIT II, Heparin-induzierte Thrombopenie Typ II)
(Vitamin K Antagonist)
(Thrombozytenhemmung)
Am gebräuchlichsten in der perioperativen Situation ist der Einsatz von niedermolekularen Heparinpräparaten, in der Behandlung sowie langfristigen Prophylaxe von Thrombosen und Embolien beim ambulanten Patienten hat sich jedoch die Substanzklasse der DOAKs durchgesetzt. Die Implementierung eines klinik- bzw. abteilungsspezifischen Standards (SOP) zur Anwendung und Dosierung ist in jedem Fall anzuraten [1,2]. Hierbei ist zu beachten, dass abhängig von verwendetem Präparat und Operation auch eine präoperative Gabe am Vorabend der Operation indiziert sein kann. Im Falle von rückenmarksnahen Anästhesieverfahren sind jedoch zwingend die hier vorgeschriebenen Pausen zur Vermeidung von rückenmarksnahen Hämatomen einzuhalten. Ein Labormonitoring der NMH oder DOAK in Standarddosierung wird in der Regel nicht durchgeführt, jedoch bei speziellen Indikation wie z.B. Kumulationsgefahr bei Niereninsuffizienz.
Vitamin K Antagonisten sowie Thrombozytenaggregationshemmung sollten zur venösen Thromboembolieprophylaxe perioperativ in der Regel eher nicht eingesetzt werden (ASS wirkt zu schwach, Vitamin K Antagonisten sind nicht praktikabel und können nicht für einen kurzen Zeitraum eingestellt werden).
Risikoadaptierte Thromboseprophylaxe
„Expositionelles Risiko“: Das expositionelle Risiko stellt die Risikoerhöhung dar, welche mit dem spezifischen Eingriff einhergeht. In den verschiedenen Teilgebieten der operativen Medizin und Traumatologie wurden bereits in den 1990er Jahren Risikogruppen für VTE im Wesentlichen nach OP-Dauer bzw. Ausmaß des Traumas und Dauer der postoperativen Rekonvaleszenz etabliert.
„Dispositionelles Risiko“: Das dispositionelle Risiko stellt als eine zweite Achse der Risikostratifizierung die vom Patient „mitgebrachten“ Risiken, auch aus internistischer/hausärztlicher Perspektive, dar. Hier spielen Morbidität (z. B. akut oder chronische entzündliche Erkrankungen), Medikation (z. B. Hormone, bestimmte onkologische Therapien) und Anamnese für Thromboembolien sowie die Belastung erstgradiger Verwandter durch VTE eine wichtige Rolle
Das individuelle Risiko des Patienten ist die Kombination aus expositionellem und dispositionellem Risiko [1,2].
Beispiel: Bei einem jungen Patienten mit Sprunggelenksläsion und nur mäßigem expositionellem Risiko wird in individueller Abwägung die medikamentöse Thromboseprophylaxe auch bei Teilbelastung 40 kg/40° noch für 14 Tage fortgeführt, weil ein hohes dispositionelles Risiko besteht, da mehrere Verwandte ersten Grades Venenthrombosen erlitten.
Eine Besonderheit sind Patienten mit langfristiger Indikation zur Antikoagulation (z. B. zur Schlaganfallprophylaxe bei Vorhofflimmern oder Rezidivprophylaxe bei VTE). Hier gelten, bei der mittlerweile in diesen Indikationen gebräuchlichen DOAK, Intervalle zum perioperativen Pausieren der gerinnungshemmenden Medikation in Abhängigkeit vom Blutungsrisiko der OP (z.B. Pausieren am OP-Tag bei OP mit kleinem Blutungsrisiko). Bei der Anwendung von VKA (Marcumar) sowie bei Eingriffen mit hohem Blutungsrisiko ist ggf. ein Überbrücken mit NMH (sog. „Bridging“) notwendig [4]. Auch hier sind im Falle von rückenmarksnahen Anästhesieverfahren zwingend die hier vorgeschriebenen Pausen zur Vermeidung von rückenmarksnahen Hämatomen einzuhalten [3]. In diesem Kontext sind klinik- bzw. abteilungsspezifische SOPs basierend auf den publizierten Empfehlungen sinnvoll, in Zweifelfällen wird eine internistische bzw. kardiologische Mitbeurteilung empfohlen.
Dauer der medikamentösen Thromboseprophylaxe
Im Laufe der Zeit konnte eine Abnahme der Nebenwirkungen sowie eine bessere Standardisierung der medizinischen Thromboseprophylaxe erreicht werden. Damit einher ging die Verlängerung der Empfehlungen zur Anwendung auf einen Monat und mehr bei Hochrisikokollektiven (z. B. Gelenkersatz untere Extremitäten, ausgedehnte Tumorchirurgie).
Nebenwirkungen
Neben dem Blutungsrisiko besteht bei der Anwendung von Heparinen die Gefahr einer Heparin-induzierten Thrombopenie (HIT), letztere v. a. bei UFH, die HIT Typ I ist häufiger und klinisch weniger gefährdend, während die HIT Typ II eine seltene und potentiell lebensbedrohliche Immunreaktion darstellt. Generell müssen bei der Anwendung von Antikoagulantien mögliche Interaktionen mit anderen Medikamenten sowie Organfunktionseinschränkungen (Leber, Niere) beachtet werden.
Zusammenfassung
(c) _iStock/brightstars
Venös-thromboembolische Komplikationen sind weiterhin ein bestimmender Faktor der perioperativen Morbidität und Mortalität. Die Zulassungsstudien der im letzten Jahrzehnt erprobten neuen Antikoagulanzien haben uns erneut vor Augen geführt, dass viele Thrombosen klinisch stumm verlaufen und sich dadurch der Wahrnehmung von Patient und Behandler entziehen. Daher ist es wichtig, dem individuellen Risiko entsprechend, welches sich aus der Art des Eingriffs und patientenbezogenen Risikofaktoren ergibt, eine konsequente multimodale Thromboseprophylaxe zu betreiben. Dabei darf die antithrombotische Medikation nur als ein Bestandteil des perioperativen Gesamtkonzepts gesehen werden, welches daneben die frühe Mobilisation und physikalische Maßnahmen beinhaltet. Eine umfassende Aufklärung darüber ist sehr wichtig, die Implementierung von klinik- bzw. abteilungsspezifischen Standards sinnvoll [1,2]. Neben den routinemäßig eingesetzten Heparinen haben sich in den letzten Jahren auch Arzneistoffe anderer Stoffklassen etabliert. Während einige davon Ausweichpräparate in der Situation einer heparininduzierten Thrombozytopenie darstellen, wird das Potenzial der neu hinzugekommenen oralen Antikoagulanzien (leichte Anwendbarkeit und einfache Dosierung) in diesem Indikationsbereich nicht voll ausgeschöpft: DOAKS werden bislang aufgrund der vorliegenden Zulassungen nur bei wenigen Operationen (z.B. Gelenkersatz) eingesetzt. Unabhängig davon kann das Ziel der Reduktion von thromboembolischen Ereignissen jedoch nur durch die konsequente Kombination medikamentöser und nicht-medikamentöser Maßnahmen, unter Beachtung der spezifischen Leitlinien, und unter konsequenter Anwendung von Standards mit individueller Anpassung an das Risikoprofil des jeweiligen Patienten, erreicht werden [1,2].
Literatur
[1] S3-Leitlinie Prophylaxe der venösen Thromboembolie AWMF-Register Nr. 003/001 (Stand 15.10.2015, Leitlinie wird zur Zeit überarbeitet)
[2] Afshari, Arash; Ageno, Walter; Ahmed, Aamer; Duranteau, Jacques; Faraoni, David; Kozek-Langenecker, Sibylle; Llau, Juan; Nizard, Jacky; Solca, Maurizio; Stensballe, Jakob; Thienpont, Emmanuel; Tsiridis, Eleftherios; Venclauskas, Linas; Samama, Charles Marc for the ESA VTE Guidelines Task Force, European Guidelines on perioperative venous thromboembolism prophylaxis, Executive summary, Eur J Anaesthesiol 2018 Feb;35(2):77–83
[3] S1-Leitlinie Rückenmarksnahe Regionalanästhesien und Thrombembolieprophylaxe/ antithrombotische Medikation AWMF-Register Nr. 001/005 (Stand 07/2014, Leitlinie wird zur Zeit überarbeitet)
[4] Jan Steffel, Peter Verhamme, Tatjana S Potpara, Pierre Albaladejo, Matthias Antz, Lien Desteghe, Karl Georg Haeusler, Jonas Oldgren, Holger Reinecke, Vanessa Roldan-Schilling, Nigel Rowell, Peter Sinnaeve, Ronan Collins, A John Camm, Hein Heidbüchel, ESC Scientific Document Group, The 2018 European Heart Rhythm Association Practical Guide on the use of non-vitamin K antagonist oral anticoagulants in patients with atrial fibrillation. Eur Heart J 2018 Apr 21;39(16):1330–1393
Spätestens seit der Neuregelung für klinisches Risikomanagement, die seit Anfang diesen Jahres gewisse Mindeststandards für Krankenhäuser und ambulante Einrichtungen festlegt, ist es Zeit, die „Operation Patientensicherheit” in Angriff zu nehmen. Dies ist ein langer, komplexer Prozess mit weitreichenden Folgen für alle Fachdisziplinen, besonders aber für das „High-Risk”-Fachgebiet Chirurgie.
In dieser Ausgabe legen unsere Autoren im Detail dar, wie wir als Chirurginnen und Chirurgen die Sicherheit für unsere Patienten verbessern können, um tragische Schicksale zu vermeiden, Kosten zu senken und nicht zuletzt auch den verschärften Anforderungen der Versicherungswirtschaft entsprechen zu können.
Wir präsentieren Ihnen mit „Operation Patientensicherheit” einen Leitfaden, um die richtigen Instrumente, Methoden und Verfahren zur Förderung der Patientensicherheit richtig, bedarfs- und zielgerecht einzusetzen. Besonderer Dank gilt Herrn Kollege Gausmann von der Firma GRB, der als Herausgeber großen Anteil am Gelingen dieser Ausgabe hat.
Die April-Ausgabe der Passion Chirurgie befasst sich dieses Mal ausführlich mit dem Thema Hernienchirurgie. Als eine der am häufigsten durchgeführten Operationen zeichnet sich die Hernienchirurgie durch eine Vielfalt von Verfahren aus. Viele Varianten haben ihre Berechtigung und Indikationen, die es immer wieder zu hinterfragen und mit aktuellen Studienergebnissen abzugleichen gilt.
Neu ist ein maßgeschneiderter, individualisierter Ansatz – der sogenannate tailored approach -, der jedoch ebenso abhängig von guten randomisierten Studien im Sinne der evidenzbasierten Medizin ist. Da diese Studien z. T. noch fehlen, liegt es im Moment bei den einzelnen Chirurginnen und Chirurgen, sich über die besten Verfahren für jeden Einzelfall zu informieren und eine individuelle Therapieempfehlung zu geben.
In detaillierten Artikeln stellen Ihnen unsere Autoren den aktuellen Stand der verschiedenen Techniken und Materialien der Hernienchirurgie vor. Der CME-Weiterbildungsartikel beschäftigt sich mit der bildgebenden Diagnostik in der Behandlung von Leistenbeschwerden und Hernien.
Evidenzbasierte Medizin (EbM) ist ein abstrakter, theoretischer Begriff, den wir Ihnen in dieser neuen Ausgabe der Passion Chirurgie näher bringen und für Sie mit praktischem Wissen verbinden wollen.
Die EbM ist ein unabdingbarer Begleiter zur optimalen Betreuung unserer Patienten und hilft uns, Indikationsstellung und Therapie transparent zu machen. Therapien oder Eingriffe, die heute noch modern und angebracht erscheinen, können schon morgen durch neue Verfahren ersetzt werden. Täglich erscheinen hunderte neuer Studien zu allen Aspekten der Medizin. Die EbM ist ein hilfreiches Werkzeug für den praktizierenden Chirurgen, um durch all diese Entwicklungen sicher zu navigieren.
Daher hoffen wir, Ihnen mit dieser Ausgabe Einblicke in den praktischen Nutzen von EbM liefern zu können. Neben einer Einführung in die Grundbegriffe in Form eines CME-zertifizierten Fortbildungsartikels präsentieren wir zwei Praxisbeispiele, anhand derer die Anwendung der EbM sowie der entsprechenden Quellen erläutert werden. Unsere Autoren geben außerdem Einblick in die praktische Nutzung von EbM in Deutschland und England und zeigen auf, welche Hürden noch zu nehmen sind.
Zentrales Thema unserer Februar-Ausgabe ist die Chirurgie im Kindesalter. Dieses Schwerpunktheft bringen wir in enger Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie heraus und danken Prof. Schmittenbecher aus Karlsruhe und Prof. Ure aus Hannover für ihre aktive Mitarbeit als Herausgeber dieser Ausgabe von PASSION CHIRUGIE.
Die chirurgische Behandlung von Kindern findet traditionell nicht nur bei Kinderchirurgen, sondern auch in nahezu allen anderen chirurgischen Disziplinen statt. In diesem Heft wollen wir deshalb nicht nur über neueste Entwicklungen in der Kinderchirurgie berichten, sondern Alltagsfragestellungen und Indikationen zur Chirurgie im Kindesalter beleuchten, die beispielsweise für Allgemein-, Viszeral- und Unfallchirurgen von Bedeutung sind.
Zunächst ergänzen wir unseren bereits im vergangenen Jahr erschienen Artikel zur Appendizitis durch den spezifisch kinderchirurgischen Blickwinkel. In einem weiteren Artikel gehen wir auf die distale metaphysäre Unteramfraktur ein, die häufigste Fraktur im Kindesalter. Im CME-Artikel geht es um die Leistenhernie im Kindesalter, deren drei wichtigste Therapieoptionen besprochen und verglichen werden.