Die Adipositaschirurgie verfolgt das Ziel, bei morbid übergewichtigen Patienten das Körpergewicht zu senken und damit deren primäres Gesundheitsproblem zu lösen. Aus der Perspektive des klinischen Risikomanagements erfordern die hierfür zur Verfügung stehenden verschiedenen chirurgischen Verfahren nicht nur eine individuell angepasste und gut dokumentierte Risikoaufklärung, sondern insbesondere auch eine Darlegung der verfügbaren Behandlungsalternativen.
Die Indikationsstellung setzt voraus, dass konservative Methoden der Gewichtsreduktion (Diäten, Ernährungsberatung, Verhaltenstherapie usw.) ausgeschöpft sind und ein BMI von > 40 oder > 35 mit adipositasassoziierten Begleiterkrankungen (z.B. Diabetes mellitus) vorliegt [1].
Die Schadenhäufigkeit ist in der Adipositaschirurgie nicht höher als bei vergleichbaren Eingriffen an Normal- oder mäßig Übergewichtigen.
Risiko von Fehldiagnosen erhöht
Risikobehaftet sind jedoch die alltäglichen klinischen Situationen, wenn sehr adipöse Patienten mit akuten Symptomen in ein Krankenhaus eingewiesen werden. Bereits in der Erstdiagnostik kommt es bei Übergewichtigen eher zu Fehleinschätzungen von Symptomen als bei Normalgewichtigen, weil beispielsweise bildgebende Verfahren weniger verlässliche Ergebnisse liefern.
Betrachtet man Schadenfälle und Anspruchsstellungen von Patienten unter der allgemeinen Stichwortabfrage „Adipositas“ [2], wird deutlich, dass die Beherrschung der spezifischen Komplikationen, die adipöse Patienten zeigen, problematisch ist. Der übergewichtige Zustand des Patienten kann zur Verschleierung der Krankheitssymptomatik und dadurch zu einem Diagnosefehler führen. Die perioperative Medikation kann ungeplante Folgen haben, etwa bei gleichzeitig mit der Adipositas vorhandener Schlafapoesymptomatik. Auch für die pflegerische Versorgung können schwer zu beherrschende Probleme auftreten (z.B. Immobilität, Inkontinenz und Hautläsionen).
Drei Fallbeispiele
- Der Patient suchte die Klinik mit Oberbauchbeschwerden rechts auf und wurde mit der Diagnose Cholecystolithiasis stationär aufgenommen. Allerdings war die Beurteilbarkeit laut Dokumentation aufgrund einer Adipositas eingeschränkt. Nach entsprechender mehrtägiger OP-Vorbereitung fand sich intraoperativ ein Konglomerattumor in Kombination mit einer Sigmadivertikulitis. Der postoperative Prozess (u.a. Anlage eines endständigen Anus praeter) war aufgrund der eingeschränkten Mobilität und der Atemwegsobstruktion erschwert und langwierig.
Laut Gutachter hätte bei differenzierter Diagnosestellung der Eingriff genauer geplant und gezielter durchgeführt werden können. Die mangelnde OP-Vorbereitung habe ursächlich zu den postoperativen Beschwerden geführt. Insbesondere der rechtsseitige Rippenbogenrandschnitt hätte vermieden werden können.
- Der Patient wurde mit primär diagnostizierter Appendizitis bei bestehender extremer Fettleibigkeit operativ versorgt. In der Folge entwickelte sich ein Platzbauch.
Der Gutachter sieht einen Behandlungsfehler und bemängelt die nicht erfolgte Antibiotikatherapie sowie unzureichende Maßnahmen zur Platzbauchprophylaxe.
- Nach abdominellem Eingriff entwickelte sich bei einem adipösem Patienten postoperativ ein Dekubitusulkus im Steißbeinbereich.
Laut Gutachter wurde dessen Entstehung durch den reduzierten Allgemeinzustand, die geringe Mobilität des Patienten und durch die Adipositas begünstigt. In diesem Zusammenhang wird die fehlende Risikoeinschätzung (z.B. Bradenskala) sowie die unzureichende Wund- und Lagerungsdokumentation kritisiert.
Aus Schadenerfahrung lassen sich allgemeine und spezielle Maßnahmen des klinischen Risikomanagements bei adipösen Patienten ableiten:
- Differenzierte Aufnahmediagnostik, insbesondere bei Notfallpatienten
- Interprofessionelle Abstimmung der ärztlichen und pflegerischen Aufnahmeanamnese mit gemeinsamer präoperativer Therapie- und Pflegeplanung
- Präoperative Aufklärung über spezifische Risiken, welche die Adipositas für den geplanten Eingriff mit sich bringt (Wundheilungsstörungen und insbesondere das Platzbauchrisiko)
- Bedarfsgerechte interprofessionelle OP- und Anästhesieplanung mit Prüfung der Verfügbarkeit von notwendigen Einschleusungshilfen, OP-Tischen und Aufwachraumkapazitäten (inkl. Personaleinsatzplanung)
- Bedarfsgerechte Antibiotikatherapie und Thromboseprophylaxe
- Planung und Monitoring der postoperativen Analgesie, i.d.R. in Abstimmung mit der Anästhesieabteilung
- Erstellung einer standardisierten Sturzanamnese und Planung der Sturzprävention
- Dekubitusprophylaxe mit Bereitstellung bedarfsgerechter Lagerungshilfsmittel und eines Mobilisationsmanagements
- Dokumentierte Aufklärung des Patienten über Mitwirkungspflichten
- Dokumentierte Entlassungsplanung und interprofessionelle Pflegeüberleitung
Eine Adipositas ist per se kein negativer Prognose- und Risikofaktor für operative Verfahren. Mit einer adäquaten, präoperativen Vorbereitung und mit einem zielgerichteten intra- und postoperativen klinischen Risikomanagement sind ähnlich gute Ergebnisse zu erzielen wie bei Normalgewichtigen [3].