01.04.2025 Politik
Rolle der Notfall- und Rettungsdienstreform für die Krankenhausreform

Mit dem Scheitern der Ampelkoalition ist ein deutlicher Einschnitt in die gesundheitspolitischen Reformvorhaben entstanden. Während das Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) verabschiedet wurde, liegt das Gesetz zur Reform der Notfallversorgung (NotfallG) vorerst auf Eis. Dabei wäre die Überarbeitung der Strukturen und Prozesse in der Notfallversorgung essenziell, um sowohl die Patientensicherheit zu gewährleisten als auch andererseits den gesamtvolkswirtschaftlichen Blick nicht weiter zu verlieren. Die steigenden Einsatzzahlen im Rettungsdienst vor allem im sogenanntem Low-Code-Bereich, die zunehmende Verlagerung niedrigschwellig Hilfesuchender aus der vertragsärztlichen Versorgung in die Notaufnahmen sowie die wiederholte Inanspruchnahme durch sogenannte Frequent User [1] erzeugen einen erheblichen Druck auf das System und treiben die Kosten weiter in die Höhe.
Im Gesetzgebungsverfahren des NotfallG war vorgesehen, die Reform des Rettungsdienstes über Änderungsanträge zu integrieren. Für den Rettungsdienst als integralem Bestandteil der Notfallversorgung wäre aber sicherlich ein eigenständiges Gesetzgebungsvorhaben angebracht. Dabei muss die föderale Zuständigkeit der Länder berücksichtigt und ihre Einbindung frühzeitig sichergestellt werden, um erneute Verzögerungen zu vermeiden.
Es ist schon genug Zeit ins Land gegangen – bereits 2018 hat das Sachverständigenrat-Gutachten [2] zentrale Reforminhalte formuliert, die sich auch in den zwei vergangenen Koalitionsverträgen wiederfinden. Von vielen Gremienvertretern wird deshalb unvermindert die rasche Umsetzung der Notfallreform und engere Verzahnung mit der Krankenhausreform nach der Wahl gefordert [3, 4]. Aus den Erkenntnissen muss nun endlich auch ein Handeln werden.
Der Einfluss dieser Reform auf den Fachkräftemangel im stationären Bereich wird im Sachverständigenrat-Gutachten 2024 [5] hervorgehoben: „Das größte Potential zur Reduktion der stationären Belegungstage geht von einer Reform der Notfallversorgung aus […]“ Die verstrichene Zeit hat dazu geführt, dass einige Reformvorschläge bereits umgesetzt oder in Studien erprobt wurden. Der Artikel stellt ausgewählte Best-Practice-Beispiele aus Bayern vor und soll Impulse für Anpassungen im fünften Sozialgesetzbuch (SGB V) geben. Ein Anspruch auf Vollständigkeit kann dabei nicht erhoben werden.
In Bayern ist die digitale Verknüpfung der Leitstellen 116 117 und 112 seit Dezember 2023 flächendeckend umgesetzt. Der befürchtete Ping-Pong-Effekt blieb aus, jedoch zeigen die Einsatzzahlen in Notaufnahmen und Rettungsdienst bisher (noch) nicht die erhoffte Wirkung, damit „vor die Lage zu kommen“. Entscheidend wird in weiterer Folge unter anderem sein, ob die isolierte Verkürzung der Wartezeit beim Anruf in der 116 117 den gewünschten Effekt erzielt. Die Reformpläne sehen hierfür mit der Einführung der Akutleitstelle eine Zeitvorgabe vor: 75 % der Anrufe sollen innerhalb von maximal drei Minuten angenommen werden. Dies stellt die Kassenärztlichen Vereinigungen als Betreiber der 116 117 allein aufgrund der hohen Anrufzahlen vor erhebliche Herausforderungen. Es bleibt abzuwarten, ob dieses Ziel auch mit modernen digitalen Mitteln realisierbar ist.
Eine Patientensteuerung muss daher auch auf operativen Ebenen – im Rettungsdiensteinsatz sowie vom Tresen der Notaufnahme – umgesetzt werden.
Im Rettungsdienst Bayern konnte in einer gemeinsamen Pilotstudie der Durchführenden im Rettungsdienst, Kassenärztlicher Vereinigung Bayerns (KVB) mit dem Bayerischen Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration erfolgreich nachgewiesen werden, dass eine standardisierte Ersteinschätzung am Einsatzort eine sichere Patientensteuerung in die Versorgungsebene „Vertragsarzt“ ermöglicht [6]. Die hierfür durch den Notfallsanitäter genutzte Strukturierte medizinische Ersteinschätzung in Deutschland (SmED) kommt bereits in der Telefonabfrage der 116 117 zum Einsatz. Im Rahmen der Studie wurde das neu konzipierte Rettungseinsatzfahrzeug (REF) für Einsätze disponiert, bei denen nach strukturierter Notrufabfrage der Integrierten Leitstelle (ILS) kein Transport zu erwarten war. Ein flächendeckender Rollout setzt die Schaffung entsprechender sozialversicherungsrechtlicher Grundlagen im SGB V voraus, was auch in den Entwürfen zur Rettungsdienstreform gefordert wird. Dadurch würde zudem eine fallabschließende Behandlung durch den Rettungsdienst ohne unnötige Klinikeinweisung ermöglicht. Die Ergebnisse der Studie legen nahe, dass eine vergleichbare Patientensteuerung auch aus einem Rettungswagen heraus sinnvoll wäre – insbesondere in Fällen, in denen die Notrufabfrage der ILS nicht mit der angetroffenen Situation übereinstimmt, was häufig der Fall ist. Die Steuerung in die Versorgungsebene „Vertragsarzt“ für voraussichtlich ambulant behandelbare Rettungsdienstpatienten wird daher in einer weiteren Studie in Bayern erprobt werden. Damit sollen insgesamt die Notaufnahmen spürbar entlastet werden. Ermöglicht wird dies auch durch die die Finanzierung der Sozialversicherungsträger quasi als Vorleistung im Sinne der Notfallreform.
Auch zwischen Krankenhäusern, deren Notaufnahmen und Kassenärztlicher Vereinigung ist die viel gescholtene Kluft in vielen Bereichen mittlerweile aufgehoben. Man ist sich auf beiden Seiten bewusst, dass die Vermeidung einer unnötigen Inanspruchnahme des Gesundheitswesens insbesondere in vermeintlichen subjektiven Notfallsituationen der Hilfesuchenden erklärtes Ziel einer Notfallreform sein muss. Es ist hier müßig von Selbsteinweisern überlastete Notaufnahmen darzustellen – regelmäßig finden sich dazu Artikel in den Medien. Die Beweggründe sind unterschiedlich [7].
Die Pläne der Notfallreform von Prof. Lauterbach und im Übrigen auch die vergangenen Koalitionsverträge sehen die Lösung in Integrierten Notfallzentren (INZ). Die dahinterliegende enge Zusammenarbeit zwischen einer Notaufnahme und kassenärztlicher Bereitschaftspraxis in unmittelbarer Nähe der Klinik und Steuerung über einen gemeinsamen Tresen ist aber kein Novum. In Bayern sind von 133 Bereitschaftspraxen der KVB 119 Standorte an den Kliniken. Entscheidend werden die Bestimmungen zur Kooperation 24/7 sein. Hier zeigt die jahrelange Diskussion zur Notfallreform ein hin und her schieben der Verantwortlichkeiten in den übrigen Zeitkorridoren. So sollten Patienten auch zu den Praxisöffnungszeiten vom gemeinsamen Tresen in den vertragsärztlichen Bereich gelenkt werden. Der erste Ansatz, dazu die kassenärztliche Präsenz in den INZ auch tagsüber zu gewährleisten, würde zum „Katze in den Schwanz beißen“ führen, da hierzu Vertragsärzte für den Dienst im INZ ihre Praxis schließen müssten [8]. Diese Ressourcen werden im Übrigen für den Aufbau von Videosprechstunden gebraucht. Umgekehrt sollen ausschließlich die Kliniken für die zentrale Ersteinschätzungsstelle fachlich verantwortlich sein. Dies bedeutet letztlich mehr personellen Aufwand für die Kliniken. Auch die Konfiguration der zentralen Ersteinschätzung selbst steht seit der Beanstandung der Ersteinschätzungs-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) durch das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) noch offen. Der dritte Zeitkorridor nachts wird meist in der Kooperation der KV mit den Kliniken gesehen. Dies ist sicherlich insgesamt ressourcenschonend, muss aber in der Vergütung für die Krankenhäuser vorhaltebezogen abgebildet werden.
In der Praxis einer zentralen Ersteinschätzung soll aus eigener Erfahrung vor der Erstellung einer neuen Anwendung gewarnt werden Die Verknüpfung bestehender Systeme ist patientensicher möglich: Vorangeschaltet die klinisch etablierte Ersteinschätzung nach Manchester Triage (MTS) oder Emergency Severity Index (ESI) zur Bestimmung der Behandlungsdringlichkeit in der Notaufnahme. Da diese Systeme kein Lenken in andere Versorgungsbereiche als die Klinik beherrschen, muss ein entsprechend konfiguriertes System angeschlossen werden. Ein Vertreter hierzu ist die bereits oben genannte SmED [9]. In der eigenen Zentralen Notaufnahme (ZNA) wurde dieses Vorgehen im Jahr 2023 unter Studienbedingungen zusammen mit der KVB, in wissenschaftlicher Begleitung des Zentralinstitut Kassenärztliche Versorgung (Zi) zu den Öffnungszeiten der Vertragsarztpraxen bzw. vor der Öffnung der KVB Bereitschaftspraxis evaluiert [10]. Eingeschränkt wurde das Lenken bei notwendiger ressourcenbezogener Versorgung (z. B. Wundversorgung) und fehlender Zumutbarkeit (Patient kommt mit Unterarmgehstützen bei Beschwerden der unteren Extremitäten). Die Weiterleitung aus der Notaufnahme erfolgte zeitnah mit digital gesteuerter Anmeldung in den Vertragsarztpraxen über den Behandlungskapazitätennachweis IVENA®. Die ZNA wurde durch das Vorgehen relevant entlastet.
Der verwendete Ablauf für Patientensicherheit wird in einer prospektive Kohortenstudie in zwei Notaufnahmen der Charité, Universitätsmedizin Berlin und Universitätsklinikum Leipzig [11] bestätigt.
In den Bestrebungen „vor die Lage“, d. h. die Inanspruchnahme aller Sektoren der Notfallversorgung zu kommen, muss konsequent der Patient einbezogen werden. Da Hausmittel zunehmend aussterben, benötigt er Hilfsmittel für die Selbsteinschätzung. Leider ist Dr. Google allmächtig, aber online ist auch das Patienten-Navi der 116 117 zu erreichen.
Hierzu müssen Aufklärungskampagnen zur Patientensicherheit der Selbsteinschätzung und ebenso offen gegen falsches Anspruchsdenken erfolgen, um die eingangs dargestellte volkswirtschaftliche Belastung nicht weiter eskalieren zu lassen.
Zusammengefasst sind die Patientenpfade (s. Abb. 1) in der Notfallversorgung sehr komplex – bieten damit aber auch zukunftssichere Möglichkeiten für eine effiziente patientensichere Versorgung.
Abb. 1: Patientenpfade in der Notfallversorgung
Literatur
[1] https://www.barmer.de/presse/
presseinformationen/pressearchiv/starke-regionale-unterschiede-beim-rettungsdienst-1286290
[2] Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, Bedarfsgerechte Steuerung der Gesundheitsversorgung. Gutachten 2018, Kapitel 14, https://www.svr-gesundheit.de/fileadmin/Gutachten/Gutachten_2018/Gutachten_2018.pdf
[3] https://www.sueddeutsche.de/politik/notaufnahmen-kliniken-ueberlastung-gefahr-patienten-reform-li.3179728
[4] https://www.dkgev.de/fileadmin/default/Mediapool/
3_Service/3.5._Publikationen___Downloads/3.4.1._das_Krankenhaus/das_Krankenhaus_1078-Politik-Notfallreform-12-2024.pdf
[5] Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen und in der Pflege, Fachkräfte im Gesundheitswesen. Gutachten 2024, Kapitel 6 https://www.svr-gesundheit.de/fileadmin/Gutachten/Gutachten_2024/2.__durchgesehene_Auflage_Gutachten_2024_Gesamt_bf_2.pdf
[6] Strukturierte medizinische Ersteinschätzung in Deutschland (SmED) im bayerischen Rettungsdienst: aktuelle Erkenntnisse aus dem Projekt Rettungseinsatzfahrzeug (REF). Notfall Rettungsmed 2024 27:553–555 https://doi.org/10.1007/s10049-024-01348-9
[7] Beweggründe von Patienten, die sich selbständig in der Notaufnahme vorstellen – eine prospektive monozentrische Beobachtungsstudie. Medizinische Klinik – Intensivmedizin und Notfallmedizin 2024 119: 546-557 https://link.springer.com/10.1007/s00063-024-01106-2
[8] 600 Arztpraxen könnten aus der ohnehin schon knappen Regelversorgung fallen, bis zu 4 Millionen Patientenkontakte nicht mehr stattfinden // In der Folge wird eine erneute Überlastung der Notfallversorgung befürchtet | Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung
[9] https://www.zi.de/themen/medizin/smed/uebersicht
[10] Zwischen Vision und Wirklichkeit: Untersuchung zur Machbarkeit der Weiterleitung von weniger dringlichen Hilfesuchenden in die ambulante Versorgung. Notfall Rettungsmed https://link.springer.com/article/10.1007/s10049-024-01347-w
[11] Slagman A, Bremicker A, Möckel M, Eienbröker L, Fischer-Rosinský A, Gries A: Evaluation of an automated decision aid for the further referral of emergency room patients—a prospective cohort study. Dtsch Arztebl Int 2024; 121: 703–9. DOI: 10.3238/arztebl.m2024.0191
Dr. med. Michael Bayeff-Filloff
Chirurg, Unfallchirurgie, Klinische Akut- und Notfallmedizin, Notfallmedizin, Ärztliches Qualitätsmanagement
Chefarzt Zentrale Notaufnahme
Klinikum Rosenheim
Pettenkoferstr. 10
83022 Rosenheim
michael.bayeff-filloff@ro-med.de
Ärztlicher Landesbeauftragter Rettungsdienst Bayern
Bayerisches Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration
Odeonsplatz 3
80539 München
michael.bayeff-filloff@stmi.bayern.de
Chirurgie
Bayeff-Filloff M: Rolle der Notfall- und Rettungsdienstreform für die Krankenhausreform. Passion Chirurgie.
2025 April; 15(04): Artikel 03_02.
Mehr über die Krankenhausreform
auf BDC|Online (www.bdc.de) unter der Rubrik Politik.
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