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Das „Gesetz zur Neuregelung des Mutterschutzrechts“ ist zum 01. Januar 2018 in Kraft getreten. Es soll u. a. operativ tätigen Ärztinnen die Möglichkeit geben, unter verbesserten Arbeitsbedingungen und kontrollierten Sicherheitsmaßnahmen ihren chirurgischen Beruf ohne Benachteiligung weiter auszuüben. Mit Bekanntgabe der Schwangerschaft ist der Arbeitgeber verpflichtet eine individuelle Gefährdungsbeurteilung des Arbeitsplatzes vorzunehmen. Der Arbeitsplatz ist so zu gestalten, dass keine unverantwortbare Gefährdung der Schwangeren oder des ungeborenen Kindes vorliegt. Oberstes Ziel ist dabei die Anpassung des Arbeitsplatzes um der schwangeren Chirurgin die Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit weiterhin zu ermöglichen. Individuelle Beschäftigungsverbote sollen möglichst vermieden werden. Ein Jahr nach Inkrafttreten des Gesetzes zeigt die Realität ein steigendes Bedürfnis der Chirurginnen nach einer Weiterführung der operativen Tätigkeit, spiegelt aber erhebliche Unsicherheiten bei der Umsetzung und eine weiterhin nicht bundeseinheitliche Regelung wider.

Nachfolgend werden die wesentlichen Änderungen des „Gesetzes zur Neuregelung des Mutterschutzrechts“ zusammengefasst.

1. Erweiterter Personenkreis

Das Mutterschutzgesetz ist zukünftig nach § 1 Abs. 2 BGBL. I S. 1228 auch für

  • Frauen in betrieblicher Berufsausbildung und Praktikantinnen,
  • Schülerinnen und Studentinnen geltend.

Ebenso einbezogen sind Kolleginnen, die in einer Praxis oder einem MVZ angestellt sind. Nicht berücksichtigt sind niedergelassene, selbständige Kolleginnen.

Für Beamtinnen, Richterinnen und Soldatinnen gelten andere Rechtsverordnungen in Anlehnung an die gesetzlichen Rechtsgrundlagen.

2. Schutzfristen vor und nach Entbindung

Es bestehen nach Entbindung neben den verlängerten gesetzlichen Schutzfristen für Frauen mit Früh- oder Mehrlingsgeburten ebenfalls verlängerte Schutzfristen von acht auf zwölf Wochen für Frauen, die ein Kind mit Behinderung zur Welt bringen.

3. Mehr- und Nachtarbeit, Sonn- und Feiertagsarbeit

Der Umfang der täglichen und wöchentlichen Arbeitsbelastung ist mit nicht mehr als 8 ½ Stunden täglich oder 90 Stunden in der Doppelwoche unter Einrechnung der Sonntage unverändert (§ 4 Absatz 1 BGBL. I S. 1230). Es besteht ebenso ein generelles Beschäftigungsverbot zwischen 20 Uhr und 6 Uhr. Sollte jedoch

  • die Frau sich ausdrücklich bereit erklären,
  • nach ärztlichem Zeugnis nichts gegen eine Beschäftigung der Schwangeren bis 22 Uhr sprechen,
  • und eine unverantwortbare Gefährdung für die schwangere Frau oder ihr ungeborenes Kind durch Alleinarbeit ausgeschlossen sein,

so kann auf Antrag des Arbeitgebers eine Beschäftigung zwischen 20 und 22 Uhr durch die Aufsichtsbehörde genehmigt werden (§ 28 BGBL. I S. 1237). Dies erlaubt Ärztinnen im Schichtdienst, ihre Tätigkeit im Früh- und Spätdienst fortzusetzen. Ähnliches gilt bei Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes und der erforderlichen Ruhezeiten auch für eine Beschäftigung an Sonn- und Feiertagen (§ 5 BGBL. I S. 1230) [1].

4. Freistellung und Kündigungsschutz

Freigestellt wird die Frau durch den Arbeitgeber zur Durchführung von Untersuchungen während der Schwanger- und Mutterschaft. Weiterhin gilt eine Erweiterung des Kündigungsverbots, sodass Frauen, die eine Fehlgeburt nach Beendigung der 12. Schwangerschaftswoche erleiden mussten, bis vier Monate nach Geburt Kündigungsschutz besitzen.

5. Arbeitsplatzgestaltung und Gefährdungsbeurteilung

Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die Arbeitsbedingungen werdender oder stillender Mütter nach individuellen Gefährdungsbeurteilungen so zu gestalten, dass alle erforderlichen Maßnahmen für den Schutz der physischen und psychischen Gesundheit der werdenden oder stillenden Mutter sowie der ihres Kindes getroffen sind, um „eine verantwortungsvolle Interessenabwägung zwischen der Gesundheit der schwangeren Frau … und ihres Kindes einerseits und ihrer selbstbestimmten Teilhabe an der Erwerbstätigkeit andererseits“ zu gewährleisten [2].

a. Gefährdungsbeurteilung „Narkosegase“

Durch den Einsatz einer intravenösen Narkoseinduktion und den generellen Verzicht auf Maskennarkosen kann für die schwangere Ärztin eine Minimierung des Risikos der Arbeitsplatzkontamination durch Vermeidung des Einsatzes von Narkosegasen oder Inhalationsnarkotika erreicht werden. Total IntraVenösen Anästhesien sind nicht kostenintensiver und werden, ebenso wie regionalanästhesiologische Maßnahmen, durch die BDA Kommission „Gesundheitsschutz am anästhesiologischen Arbeitsplatz“ in diesem Kontext befürwortet [3].

b. Gefährdungsbeurteilung „Röntgenstrahlen“

Tätigkeiten von werdenden Müttern in Kontakt mit ionisierenden Strahlen sind im Strahlenschutzgesetz (StrlSchG), das am 27. Juni 2017 erlassen, und ab 01. Januar 2019 Gültigkeit besitzt, beschrieben. Das Strahlenschutzgesetz setzt die Richtlinie 2013/59/Eratom des Rates in nationales Recht um und vereint die Regelungen, die bislang durch die Strahlenschutz(StrlSchV)- und Röntgenverordnung(RöV) festgelegt waren. Dementsprechend ist Schwangeren die Tätigkeit in Kontrollbereichen unter Auflagen erlaubt:

  • Einhaltung der Grenzwerte am Uterus gebärfähiger Frauen von 2 mSv/Monat.
  • Die Äquivalentdosis vom Zeitpunkt der Mitteilung der Schwangerschaft bis zu deren Ende von 1 mSv ist nicht zu überschreiten. [4].

Daher ist anzuraten:

  • Wenn möglich Verlassen des Kontrollbereiches.
  • Ist dies nicht vermeidbar, ist ein Betreten des Kontrollbereiches im Operationssaal unter Anwendung entsprechender Schutzmaßnahmen (z. B. Tragen einer Bleischürze) nach Rücksprache mit dem Strahlenschutzbeauftragten möglich.
  • Tragen eines Dosimeters im Thoraxbereich, das vier-wöchentlich ausgelesen wird, und eines zweiten, wöchentlich auszulesenden Dosimeters in Uterushöhe.

c. Gefährdungsbeurteilung „Infektionen“

Schwangere Chirurginnen sollen nur elektive, nicht kontaminierte Eingriffe bei präoperativ hinsichtlich HCV- und HIV-gescreenten Patienten vornehmen. In vielen Kliniken werden bereits routinemäßig vor größeren Elektiveingriffen Patienten auf HCV und HIV gescreent, um sowohl Chirurg als auch Chirurgin zu schützen. Ebenso verbietet sich eine Tätigkeit an Patienten mit Nachweis von multiresistenten Keimen [5].

d. Gefährdungsbeurteilung „Arbeitsplatz OP“

Durch folgende Anpassungen kann der „Arbeitsplatz: OP“ sicher gestaltet werden:

  • keine stehenden Tätigkeiten von mehr als vier Stunden ab dem fünften Schwangerschaftsmonat,
  • vorhandene Sitzmöglichkeit bei operativen Eingriffen, soweit das möglich ist,
  • Tragen von Indikatorhandschuhen und Augenschutz (z. B. Schutzvisier, Brille, Mikroskop),
  • Einsatz stichsicherer Instrumente, soweit operationstechnisch möglich,
  • ununterbrochene Sichtkontrolle,
  • kein beengtes Operationsfeld. [5]

Weiterhin sollen Sitz- und Liegemöglichkeit im OP-Bereich bereitgestellt sein.

6. Ausschuss für Mutterschutz

Zur Ermittlung von Art, Ausmaß und Dauer einer möglichen verantwortbaren Gefährdung einer Schwangeren soll ein für das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jungend (BMFSFJ) ehrenamtlich arbeitender „Ausschuss für Mutterschutz“ aktiv tätig sein, der gleichzeitig sicherheitstechnische, arbeitsmedizinische und arbeitshygienische Regeln mit erarbeitet und bei Umgestaltung des Arbeitsplatzes Unterstützung leistet.

Fazit

Schwangere Chirurginnen, deren Wunsch es ist, bei intakter Schwangerschaft weiter zu operieren bzw. intensivtherapeutisch zu arbeiten, haben ein Recht auf eine individuelle Beurteilung ihres Arbeitsplatzes im Operationssaal oder auf der Intensivstation. Die immer noch föderale Tätigkeit der Gewerbeaufsichtsämter unter Bezug auf veraltete gesetzliche Regelungen lassen befürchten, dass negative Bescheide ohne aktuell-wissenschaftliche Begründungen vorzeitig ausgesprochen werden. Bei stetig steigenden Zahlen von Chirurginnen in Klinik und Praxis muss ein Umdenken stattfinden, damit das „Gesetz zur Neuregelung des Mutterschutzrechts“ auch eine NEUregelung des Mutterschutzrechts ist.

Die Literaturliste erhalten Sie auf Nachfrage via [email protected].

Fritze- Büttner F, Niethard M: Neuregelung des Mutterschutzrechts – kurz gesagt, was wichtig ist. Passion Chirurgie. 2019 März, 9(03): Artikel 03_02.

Autoren des Artikels

Profilbild von Fritze-Büttner

Dr. med. Frauke Fritze-Büttner

Leiterin Themen-Referat Familie & berufliche Perspektivenim BDCLeitende Oberärztin der Klinik für Allgemein- und ViszeralchirurgieSana Klinikum LichtenbergFanningerstr. 3210365Berlin kontaktieren
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Dr. med. Maya Niethard

Leiterin der Initiative Operieren in der Schwangerschaft (OPidS); Mitglied im Expert:innenausschuss für MutterschutzKlinik für TumororthopädieHelios Klinikum Berlin-Buch

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