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Am 9. Januar 2024 verstarb im Alter von 83 Jahren Jörg Rüdiger Siewert nach kurzer schwerer Krankheit in der von ihm entscheidend geprägten und fortentwickelten Universitätsklinik rechts der Isar der Technischen Universität.

Seinen spektakulären Werdegang durfte ich in seinen frühen Jahren ganz unmittelbar miterleben, was mir einen Nachruf nahelegt. In ihm sei eine aufschlussreiche Schrift erwähnt, die er mir einst in Göttingen widmete: „H.-J. Peiper – Freund und Lehrer, Jörg Rüdiger Siewert (Universitätsmedizin Göttingen, 2016)“.

In Berlin geboren und aufgewachsen, begann er nach seinem dortigen Studium eine chirurgische Laufbahn in dem damals noch städtischen großen Rudolf-Vichow-Krankenhaus unter dem dortigen Chefchirurgen Professor Dr. Wilhelm Heim, dem später langjährigen Präsidenten der Berliner Ärztekammer. Einer von dessen Mitarbeitern, Werner Stengel (später Chefarzt in Bad Hersfeld), war ein entfernter Verwandter von mir. Ihm hatte er sehr rasch bedeutet, dass der junge, mit der Facharztweiterbildung begonnene Jörg Rüdiger Siewert, aufgrund seiner Befähigungen unbedingt an eine Universitätsklinik gehöre. Hierzu sei ihm eingefallen, dass Stengel mich in Göttingen kennen müsse und eine Empfehlung an ihn wohl erfolgreich sein könne. Und so geschah es, dass Siewert sofort als Assistenzarzt angenommen wurde und dies 1967 zu einem Standortwechsel führte. Ich setzte ihn darauf hin zur Erprobung auf meiner etwas altertümliche „Privatstation“ ein, deren Zimmer in verschiedenen Bereichen unserer alten Klinik (1871) lag. Auf dem morgendlichen Visitenweg kam mir die Idee, Siewerts Einsatzbereitschaft zu erproben, mein Ziel war es, die eigentlich mir zugehörige und von den Thoraxchirurgen angeeignete Ösophaguschirurgie zurück zu gewinnen. Dies plante ich durch Erstellung eines neuartigen Manometrielabors für diagnostische Druckmessungen in der Speiseröhre. Innerhalb weniger Tage machte Siewert sich schlau, fuhr nach Ingelheim, wo ein derartiges Verfahren tierexperimentell erprobt wurde und richtete eine derartige Möglichkeit unmittelbar in Göttingen ein, wo es bis heute unter bewährter Leitung funktioniert. Nunmehr kamen die entsprechenden Patienten zu uns und wurden hier gegebenenfalls auch operiert. Daraus resultierten zunehmende Erfahrungen in der Ösophaguschirurgie, die Siewert später am Großstadtkrankengut in München in größerem Umfang zu Nutzen kamen. Er erwarb sich dann über Jahre hinweg national und dann auch international den Ruf eines bedeutenden Spezialisten auf diesem Gebiet.

1972 erfolgte Siewerts Habilitation über „Klinische und experimentelle Untersuchungen zum Wirkungsmechanismus und zur Rekonstruktion des unteren Ösophagussphinkters“.

1977 bereits konnte ich ihn als apl. Professor und geschäftsführenden Oberarzt einsetzen. Er war ein stets präsenter und beliebter Koordinator für die anderen Kliniken. Es entsprach zudem meinem Wunsch, der in den letzten Jahren entstandenen Bedeutung einer kardiovaskulären Chirurgie eine differenzierte, moderne Gastroenterologie durch meine Mitarbeiter entgegenzusetzen, wobei mir Siewert entscheidende Unterstützung leistete. Diesbezüglich griff er während unserer häufigen gemeinsamen Sylt-Aufenthalte unser beider entwickelte Verbindung zu Dr. Götze vom Springer Verlag auf, ein umfassendes drei bändiges interdisziplinäres Werk zu einer modernen Gastroenterologie entstehen zu lassen. Kontaktfreudig, wie Siewert war, pflegte er regelmäßige Treffen mit den Hauptautoren und dies jeweils in Deutschland, der Schweiz, Frankreich ect. Die persönlichen Kontakte gingen soweit, dass man versuchte ihn für die Schweiz abzuwerben. Meine Dankbarkeit für sein Verbleiben in Deutschland lag auf der Hand und sollte Früchte tragen.

Siewerts Verantwortung für die ihm anvertrauten Assistenzärzte nahm er sehr ernst und förderte sie maßgeblich in ihrem beruflichen Weiterkommen. Die Bewunderung der Assistenten war immer groß, auch wenn er gelegentlich gefürchtet wurde. Ich weiß, dass die jüngeren Mitarbeiter, insbesondere auch die Studenten, von seinen Vorlesungen, seinem operativen Können und seinen beachtlichen anatomischen Kenntnissen schwärmten.

Abb. 1: PEIPER 1984

Seine internationalen Kontakte waren ungewöhnlich vielseitig. Ich konnte sie u. a. bei vielseitigem gemeinsamen Kongressbesuchen und Einladungen erleben. Besonders erwähnenswert waren Verbindungen nach Japan, hier besonders die Begegnung mit Joshio Mishima, damals Chefchirurg in Chiba, später Ordinarius an der dentalen und medizinischen Fakultät in Tokio. Es war seinerzeit in Köln, als Jörg Rüdiger Siewert die Initiative zur Gründung eines Verbundes der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie mit der Japan Surgical Society ergriff. Hierdurch kam es jeweils alle drei Jahre in Deutschland und Japan zu Joint Meetings, an deren Gestaltung wir beide regelmäßig teilhaben konnten. Diese Treffen waren über viele Jahre hin Ausdruck der engen Freundschaft beider Nationen und haben erst nach einer langen Zeit ein Ende gefunden, insbesondere, weil es keine Initiatoren mehr gab. Ein letztes Treffen fand in Sapporo auf der Insel Hokkaido im Jahre 2002 statt.

Die Münchener Jahre wiesen für Jörg Rüdiger Siewert neben seinem wissenschaftlichen Wirken eine Fülle organisatorischer wie auch berufspolitischer Leistungen auf. In dieser Zeit kam es zu vielseitigen Auszeichnungen, Ehrungen und Ehrenmitgliedschaften. Sie werden bei der Würdigung seiner eigenen Schüler in München rechts der Isar beschrieben. Unvergessen bleibt seine Präsidentschaft in der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie 2001-2002.

Ich hatte nie Zweifel, dass Siewert einen erfolgreichen akademischen Weg bestreiten würde. Dieser begann 1981 mit seiner Berufung auf den chirurgischen Lehrstuhl am Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München. Mit der Bewunderung für den alten Freund und Schüler konnte ich anlässlich einer Einladung nach München erleben, wie vollendet Siewert neuzeitlichen Entwicklungen in seiner Klinik Gestalt verlieh, so dem Aufbau einer seiner Klinik zugeordneten Intensivstation sowie absolut neuartig: die Einführung einer interdisziplinären Morgenbesprechung zu allen neu aufgenommenen Kranken. Dies fand im Beisein der Vertreter der wichtigsten Nachbardisziplinen statt. Auch der neuartigen minimalinvasiven Chirurgie widmete er sich frühzeitig. Ebenso gab er der wissenschaftlichen Forschung einen fortschrittlichen Freiraum. In all den Jahren kam es zu vielseitigen Auszeichnungen, Ehrungen und Ehrenmitgliedschaften.

Nicht vergessen seien verschiedene familiäre Schicksalsschläge die er bei den enormen beruflichen Belastungen verkraften musste. Teilweise erlebten wir sie durch unsere privaten Begegnungen.

Dabei erinnere ich mich eines Ausspruchs meines Vorgängers Professor Dr. Hans Hellner:


Leicht fällt die Entscheidung nicht, zwischen Neigung und Pflicht. Zu unseren Pflichten müssen wir schweigen, vor unseren Neigungen uns tief verneigen. Wohl dem, bei dem Neigung und Pflicht im Gleichgewicht!“

Er meisterte dieses Gleichgewicht und hatte so ein volles, ein erfülltes Leben. Ihm zu Gedenken möchte ich mich den Abschiedsworten von Jörg Rüdigers Siewerts Familie anschließen:


Er hinterlässt eine leuchtende Spur ….“

und dies ganz besonders in einem Leben, das er seiner Chirurgie gewidmet hat.

Hans-Jürgen Peiper

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