27.07.2025 Nachhaltigkeit
How we did it: Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen

AUFBAU EINES UMWELTMANAGEMENTSYSTEMS AM UNIVERSITÄTSKLINIKUM HALLE (SAALE)
Nachhaltiges Handeln ist in den vergangenen Jahren zu einem zentralen gesellschaftlichen Leitprinzip avanciert. In nahezu allen Politikfeldern – von der Finanz- und Sozialpolitik über die Forschungs- bis hin zur Gesundheitspolitik – zählt Nachhaltigkeit zu den maßgeblichen strategischen Zielsetzungen. Der Anspruch, vorausschauend und verantwortungsvoll zu handeln, insbesondere im Sinne nachfolgender Generationen, hat sich fest im öffentlichen und politischen Bewusstsein verankert.
Anfänge des Universitätsklinikums
Das Gesundheitswesen ist zunehmend gefordert, seinen Beitrag zu leisten. Dabei sind die ökologischen Herausforderungen erheblich: Laut Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) verursacht der Gesundheitssektor weltweit rund 4,4 % der gesamten Treibhausgasemissionen – mehr als der internationale Flugverkehr oder die globale Schifffahrt [1]. In Deutschland gehen nach Berechnungen des Bundes für Umwelt- und Naturschutz jährlich rund 600 Millionen Euro an Energie in Krankenhäusern verloren – bedingt unter anderem durch den energieintensiven 24-Stunden-Betrieb. Ein Krankenhausbett verursacht im Durchschnitt einen täglichen Wasserverbrauch zwischen 300 und 600 Litern. Die durchschnittlichen Energiekosten für ein Krankenhausbett pro Jahr betragen 2,887 Euro [2]. Damit zählt das Gesundheitswesen global zu den fünf größten CO2-Emittenten [3].
Vor diesem Hintergrund hat das Universitätsklinikum Halle (Saale) im Jahr 2021 den strukturierten Aufbau eines systematischen Nachhaltigkeitsmanagements begonnen. Den Auftakt bildete eine klinikweite Befragung unter Mitarbeitenden, die als Grundlage für einen anschließenden Tiefenworkshop diente. Ziel war es, strategische Maßnahmen und erste Meilensteine zu definieren. Bereits im selben Jahr wurde das Thema Nachhaltigkeit zu einem der zehn Top-Strategieprojekte des Klinikvorstands erklärt. Gleichzeitig wurde der Beschluss gefasst, das UKH nach der internationalen Umweltmanagementnorm DIN EN ISO 14001:2015 zertifizieren zu lassen.
2022 verabschiedeten das UKH und die Medizinische Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg ein gemeinsames Nachhaltigkeitsleitbild. Zudem wurde eine umfassende IST-Analyse durchgeführt, um die strukturellen, organisatorischen und technischen Ausgangsbedingungen für die geplante Zertifizierung zu erfassen. Parallel entstanden erste Pilotprojekte – etwa zur Trennung von Wertstoffen oder die Einrichtung einer internen Möbeltauschbörse. Die Intranetseite „nachhaltiges UKH“ wurde aufgebaut, um die interne Kommunikation zu verbessern. Mitarbeitende wurden durch gezielte Schulungsmaßnahmen im Umweltmanagement und in der internen Auditierung qualifiziert, flankiert von Workshops, Fortbildungen und Informationsangeboten zur Nachhaltigkeit.
Das Jahr 2023 war maßgeblich geprägt von der Implementierung der Normvorgaben der DIN EN ISO 14001:2015. Die Inhalte der Norm wurde in den zur Erstzertifizierung benannten Einrichtungen bekannt gemacht. Zentrale Dokumente wie Umweltpolitik und -ziele wurden erarbeitet und erste interne Audits durchgeführt [4]. Im November 2023 erreichte das Universitätsklinikum Halle (Saale) einen ersten bedeutsamen Meilenstein: die Zertifizierung nach DIN EN ISO 14001:2015 für drei zentrale Einrichtungen. Aufbauend auf diesem Erfolg wurden weitere Projekte initiiert – darunter die Weiterentwicklung der Möbeltauschbörse, die Erstellung digitaler Weiterbildungsangebote über die E-Learningplattform ILIAS sowie die externe Weiterbildung von jungen Mitarbeitenden zu Sustainable Development Goals (SDG)-Scouts.
Ein entscheidender struktureller Schritt erfolgte 2024 mit dem Vorstandsbeschluss, das Thema Nachhaltigkeit dauerhaft organisatorisch zu verankern. Mit Wirkung zum 01. Dezember 2024 wurde ein eigenes Sachgebiet „Nachhaltigkeit und Umweltschutz“ innerhalb der Stabsstelle für Sicherheit-, Gesundheits- und Umweltschutz geschaffen, die seither für die strategische Steuerung aller Nachhaltigkeitsaktivitäten, die Umsetzung gesetzlicher Anforderungen sowie die Weiterentwicklung der ISO-Zertifizierung verantwortlich sind. Zu Beginn des Jahres 2025 wurde schließlich die Überführung der Nachhaltigkeitsaktivitäten vom Projektstatus in eine dauerhafte Linienfunktion erfolgreich abgeschlossen. Das neue Sachgebiet begleitet seitdem aktiv den internen Zertifizierungsprozess von 22 weiteren Einrichtungen – unter anderem der Klinik für Viszerale, Gefäß- und Endokrine Chirurgie – mit dem Ziel, bis Ende 2025 eine umfassende Erweiterung der bestehenden Zertifizierung zu erreichen.
Die Rolle der Chirurgie
Es ist offenkundig, dass die insbesondere auch die Chirurgie einen Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit im Gesundheitssystem leisten muss, da aufgrund der notwendigen Ausstattung und dem Materialbedarf zwangsläufig große Mengen an Abfall entstehen. Insbesondere im Operationssaal akkumuliert durch das verpackte Sterilgut Müll, der anschließend entsorgt werden muss. Diese Entsorgung benötigt wiederum Energie, genauso wie Lampen und Geräte im OP sowie die Sterilisation der Instrumente [5]. Nicht zuletzt entsteht dadurch wiederum eine relevante Menge an CO2. Schätzungsweise entspricht der jährliche durch den Energieverbrauch und die Entsorgung von Materialien und Müll entstehende CO2-Verbrauch eines akademischen Krankenhauses dem von 2.000 Privathaushalten. Ein Drittel davon wird von der Chirurgie verursacht [6].
Abb. 1: Entwicklung der Nachhaltigkeitsbemühungen am Universitätsklinikum Halle (Saale).
Konsekutiv wurde bereits in verschiedenen Publikationen auf einen sensibleren Umgang mit Einmalmaterialien sowie einem schonenden Ressourcenumgang in der Chirurgie hingewiesen [7, 8]. Die Relevanz dieses Themas spiegelt sich auch in der Schätzung nieder, dass bis zum Jahr 2030 mehr als 143 Millionen Operationen durchgeführt werden müssten, um die weltweite Morbidität und Mortalität senken zu können [9]. Dieses Ziel wäre nur durch eine massive Müllproduktion und erhöhten CO2-Verbrauch zu erreichen. Dabei muss auch insbesondere das angewendete Operationsverfahren berücksichtigt werden. Minimal-invasive Chirurgie wird aufgrund des geringeren Gewebetraumas, der schnelleren Rekonvaleszenz der Patienten:innen sowie dem besseren kosmetischen Ergebnis zumindest in westlichen Industrienationen mit einem entsprechend ausgestatteten Gesundheitssystem der Vorzug gegenüber der klassisch offenen Operationstechnik gegeben [10, 11]. Minimal-invasive Operationstechniken wie die laparoskopische oder die robotische Chirurgie verbrauchen im Vergleich zur konventionellen offenen Operation allerdings mehr Verbrauchsmaterialien, die häufig nur zum einmaligen Gebrauch zugelassen sind [12]. Obgleich die minimal-invasive Operationstechnik den Standard in den meisten Fällen (viszeral)chirurgischer Prozeduren darstellt bzw. darstellen sollte, ist der sich daraus ergebende CO2-Abdruck dieser Verfahren gegen den Nutzen für die Patientinnen und Patienten abzuwägen [13]. Unter den minimal-invasiven Operationstechniken sticht die robotische Chirurgie gemessen an der Menge des produzierten Mülls negativ heraus. Vergleichend mit demselben Eingriff in laparoskopische Technik ist die Menge an produziertem Müll und der dadurch verursachte CO2-Fußabdruck nach robotischer Chirurgie erhöht [13]. Zudem stellt insbesondere die robotische Chirurgie einen relevanten Kostenfaktor im deutschen Gesundheitssystem dar, da durch die Krankenkassen keine Sondervergütung dieser Technik erfolgt und die zusätzlichen Kosten für das Vorhalten des Systems und des Materials daher von den anbietenden Krankenhäusern getragen werden müssen.
Die geplante Zertifizierung nach DIN EN ISO 14001:2015 unterstreicht die Nachhaltigkeitsambitionen der Chirurgie am Universitätsklinikum Halle (Saale). Auf dem Weg zu diesem Ziel wurden in der Klinik für Viszerale, Gefäß- und Endokrine Chirurgie Nachhaltigkeitsziele definiert. Dazu gehören Maßnahmen die von dem Prinzip „Getting it right first time“ geleitet werden. Darunter versteht man eine sinnvolle Priorisierung von Maßnahmen, um ein definiertes Ziel zu erreichen. Übertragen auf die hiesige Chirurgische Klinik bedeutet das, dass Ressourcen-sparende Untersuchungen und Eingriffe durchgeführt und vermeidbare Wiederholungseingriffe vermieden werden. Zudem wird im Operationssaal ein regelmäßiger Wechsel von Operateuren:innen und Assistenten:innen vermieden, um den durch die sterile Kleidung anfallenden Müll zu vermeiden. Das Fadenmaterial wird „on demand“ geöffnet; somit wird neben der ökologischen auch der ökonomischen Nachhaltigkeit Rechnung getragen, damit möglichst wenige – oder besser – keine ungenutzten Materialien verworfen werden. Weitere primäre Nachhaltigkeitsziele sehen eine Reduktion des Stromverbrauchs im OP und den Funktionsräumen vor, etwa durch Löschen des Lichts oder des Herunterfahrens der Computer. Zudem wurde innerhalb der Chirurgischen Klinik eine Arbeitsgruppe gegründet, die im interdisziplinären Konsens sowie im Austausch mit anderen chirurgischen Kliniken Strategien für mehr Nachhaltigkeit im Fachgebiet entwickelt.
Die Zukunft ist jetzt
Das Universitätsklinikum Halle (Saale) hat gegenwärtig mit dieser Entwicklung nicht nur eine institutionelle Basis für nachhaltiges Handeln geschaffen, sondern auch die strukturellen Voraussetzungen, um ökologische, ökonomische und soziale Nachhaltigkeit langfristig in den Klinikalltag zu integrieren. Die Chirurgische Klinik nimmt dabei eine Vorreiterrolle ein und demonstriert, dass Nachhaltigkeit und modernste Versorgung von Patientinnen und Patienten gelingen können. Die mit einem Nachhaltigkeit-bewußten Arbeiten verbundenen Nutzen und Vorteile beschränken sich nicht nur auf eine Kostenersparnis durch Reduktion der Energie- und Verbrauchsmaterialien. Die damit verbundene Ressourcenschonung kann auch eine Verbesserung des Images und damit eine verbesserte Marktposition im Wettbewerb um qualifizierte Mitarbeiter:innen führen. Die Entwicklung in Halle (Saale) zeigt, dass primär das Mindset der Mitarbeitenden verändert werden muss. Nur dann kann es gelingen, nachhaltig tätig zu sein. Dieser Schritt ist nun auch in der Chirurgie zu gehen. Hier werden wir an Karl Poppers kluge Erkenntnis erinnert, dass wir (als Chirurgen:innen) jetzt für das verantwortlich sind, was in der Zukunft geschieht. Daher müssen die Sachverhalte richtig studiert werden, belastbare Daten generiert und die richtigen Schlüsse gezogen werden, damit die bestmögliche Krankenversorgung durch medizinischen Fortschritt nicht gegen nachhaltiges Handeln und in der Folge den ebenso wichtigen Umweltschutz abgewogen wird.
Literatur
[1] World Health Organization (WHO). Health care climate footprint report. 2019.
[2] Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND). Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen – Potenziale und Herausforderungen. 2021. https://www.bund.net
[3] Handlungsleitfaden zu energiesparenden Ansätzen und Technologien, Energieeffizienz im Krankenhaus (03/2023) Hrsg.: Stiftung Münch.
[4] Bundesumweltministerium. DIN EN ISO 14001 – Umweltmanagementsysteme.
[5] Brunaud, L. and K. Slim, Beyond green surgery, green surgical innovation and research. J Visc Surg, 2022. 159(5): p. 351-352.
[6] Slim, K., M. Selvy, and P. Albaladejo, Enhanced recovery programs and carbon footprint. Anaesth Crit Care Pain Med, 2020. 39(5): p. 665-666.
[7] Aldoori, J., J. Hartley, and J. MacFie, Sustainable surgery: in and out of the operating theatre. Br J Surg, 2021. 108(6): p. e219-e220.
[8] Thiel, C.L., N.C. Woods, and M.M. Bilec, Strategies to Reduce Greenhouse Gas Emissions from Laparoscopic Surgery. Am J Public Health, 2018. 108(S2): p. S158-s164.
[9] Meara, J.G., et al., Global Surgery 2030: evidence and solutions for achieving health, welfare, and economic development. Lancet, 2015. 386(9993): p. 569-624.
[10] Buunen, M., et al., Survival after laparoscopic surgery versus open surgery for colon cancer: long-term outcome of a randomised clinical trial. Lancet Oncol, 2009. 10(1): p. 44-52.
[11] Lacy, A.M., et al., Laparoscopy-assisted colectomy versus open colectomy for treatment of non-metastatic colon cancer: a randomised trial. Lancet, 2002. 359(9325): p. 2224-
[12] Papadopoulou, A., et al., Environmental sustainability in robotic and laparoscopic surgery: systematic review. Br J Surg, 2022. 109(10): p. 921-932.
[13] Woods, D.L., et al., Carbon footprint of robotically-assisted laparoscopy, laparoscopy and laparotomy: a comparison. Int J Med Robot, 2015. 11(4): p. 406-12.
Klose J, Achter M: How we did it: Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen. Passion Chirurgie. 2025 Juli/August; 15(07/08): Artikel 04_03.
Autoren des Artikels

Prof. Dr. med. Johannes Klose
Klinik für Viszerale, Gefäß- und Endokrine ChirurgieUniversitätsmedizin Halle (Saale)Ernst-Grube-Straße 4006120Halle (Saale) kontaktieren
Dr. med. Mathias Achter
Sachgebiet Nachhaltigkeit und UmweltschutzStabsstelle SicherheitGesundheits- und UmweltschutzUniversitätsmedizin Halle (Saale) kontaktierenWeitere aktuelle Artikel
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