01.06.2018 Kinderchirurgie
Muss eine Blinddarmentzündung bei Kindern noch operiert werden?
Bereits vor ca. drei Jahren wurde in der Fachliteratur eine wissenschaftliche Pilot-Studie veröffentlicht, die zeigte, dass es offensichtlich möglich ist, bei Kindern die Blinddarmentzündung (Appendizitis) ohne Operation und nur mithilfe von Antibiotika sicher zu behandeln [1]. Diese Untersuchungen wurden an dem renommierten Astrid Lindgreen Kinder-Hospital der Karolinska Universität in der schwedischen Hauptstadt, Stockholm, durchgeführt. Damit wurde das lang bestehende Paradigma erschüttert, dass ein akut entzündeter Blinddarm unverzüglich und dringend mit einer Operation entfernt werden muss. Natürlich haben diese und inzwischen weitere internationale Studien, in denen die operative Behandlung mit der nicht operativen Antibiotikabehandlung der akuten Appendizitis verglichen wurde, in medizinischen Kreisen viel Diskussion hervorgerufen. Die Ergebnisse dieser Studien scheinen allerdings bisher wenig Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit hervorgerufen zu haben. Aktuell werden Komplikationen in der Behandlung der akuten Appendizitis von der Öffentlichkeit und vor allem auch von juristischer Seite noch vorwiegend allein auf eine zu späte Operation zurückgeführt, was allerdings meist wissenschaftlich widerlegt werden kann. Aus Sicht der Deutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie sind Information und Aufklärung der Öffentlichkeit über den aktuellen Erkenntnisstand zur Behandlung der akuten Blinddarmentzündung und ganz besonders der oft unklaren und dabei sehr raschen Verläufe dieser Erkrankung bei Kindern erforderlich, um die Vertrauensbasis zwischen Chirurgen und Patienten bzw. deren Eltern und Angehörigen nicht zu gefährden.
Die antibiotische Behandlung der akuten Appendizitis ist nicht neu. Sie gehört seit langem vor und nach der Operation zum üblichen Vorgehen. In den Fällen mit einer sogenannten komplizierten, das heißt perforierten Appendizitis, bei denen der Blinddarm bereits geplatzt (perforiert) ist, die Entzündung auf den Bauchraum übergegriffen und sich ein Abszess gebildet hat, ist die primäre und alleinige Antibiotikatherapie eine bereits etablierte Behandlungsoption.
In mehreren internationalen Studien wurden nun die Ergebnisse der operativen mit denen nach konservativer Behandlung der akuten Appendizitis wissenschaftlich verglichen. Nach konservativem Vorgehen nur mit Antibiotika bei unkomplizierter Appendizitis (nicht perforiert) wurde eine Misserfolgsrate von bis zu 40 Prozent ermittelt, wobei in bis zu 30 Prozent der Fälle in der Folgezeit wieder eine Blinddarmentzündung auftrat (Rezidiv). Bei der konservativen Antibiotikabehandlung der komplizierten Appendizitis (perforiert mit Abszess) wurden eine Misserfolgsquote von bis zu 20 Prozent und eine Rezidivrate von über 30 Prozent festgestellt. Im akuten Stadium traten bei der konservativen Behandlung weniger Komplikationen als nach der primär operativen Behandlung auf [2-6].
Diese aktuellen Studien zeigten aber vor allem auch, dass der Ultraschalluntersuchung vor allem bei Kindern neben der klinischen Untersuchung der größte diagnostische Wert zukommt. Nach aktuellen Studien ist es möglich, den Wurmfortsatz mit einer professionellen Ultraschalluntersuchung eindeutig darzustellen und die Diagnose einer akuten Appendizitis mit einer Wahrscheinlichkeit von ca. 90 Prozent sicher zu stellen bzw. mit ca. 95-prozentiger Sicherheit auszuschließen [7]. Die professionelle Ultraschalluntersuchung ist damit die wichtigste Voraussetzung für eine sichere Diagnosestellung und unbedingt erforderlich, um die Behandlungsstrategie festlegen zu können.
Es konnte also gezeigt werden, dass auch bei Kindern die akute Appendizitis ohne Operation und vor allem bei der komplizierten Appendizitis nur oder zumindest initial mit Antibiotika behandelt werden kann. Allerdings spielt die Operation nach wie vor eine zentrale Rolle, sowohl als primäre, unmittelbar wirksame Therapieoption mit besten Langzeitergebnissen, als auch sekundär bei Versagen der konservativen Behandlung oder als sogenannten Intervallappendektomie [8] nach erfolgreicher Antibiotikatherapie, um das Wiederauftreten einer Blinddarmentzündung zu vermeiden.
Literatur
[1.] Svensson et al. Nonoperative Treatment With Antibiotics Versus Surgery for Acute Nonperforated Appendicitis in Children – A Pilot Randomized Controlled Trial. Ann Surg 2015; 261:67-71.
[2.] Steiner et al. A role for conservative antibiotic treatment in early appendicitis in children. J Pediatr Surg 2015; 50:1566-1568.
[3.] Hartwich et al. Nonoperative treatment: feasibility. J Pediatr Surg 2016; 51:111-116.
[4.] Caruso et al. Acute appendicitis in children: not only surgical treatment. J Pediatr Surg 2017; 52:444-448.
[5.] Tanaka et al. Long-term outcomes of operative versus nonoperative treatment for uncomplicated appendicitis. J Pediatr Surg 2015; 50:1893-1897.
[6.] Talishinskiy et al. Factors associated with failure of nonop. Treatment. J Pediatr Surg 2016; 51:1174-1176.
[7.] Cundy et al. Benchmarking the value of ultrasound for acute appendicitis in children. J Pediatr Surg 2016; 51:1939-1943.
[8.] Tanaka et al. Is interval appendectomy necessary? J Pediatr Surg 2016; 51:1957-1961.
Tillig B. Muss eine Blinddarmentzündung bei Kindern noch operiert werden? Passion Chirurgie. 2018 Januar, 8(06): Artikel 03_02.
Autor des Artikels
Prof. Dr. med. Bernd Tillig
Stellvertretender Präsident der Deutschen Gesellschaft für KinderchirurgieChefarzt und Direktor der Klinik für Kinderchirurgie, Neugeborenenchirurgie und KinderurologieÄrztlicher Leiter des Vivantes MVZ Prenzlauer Berg Vivantes Klinikum NeuköllnRudower Straße 4812351Berlin kontaktierenWeitere Artikel zum Thema
24.05.2018 Kinderchirurgie
Kleinkinder sind Hochrisikogruppe bei Brandverletzungen
Jährlich werden deutschlandweit über 30.000 Kinder mit thermischen Verletzungen ambulant und 6.000 Kinder stationär behandelt. Verbrühungen, Feuer und Flammen, Kontaktverbrennungen, Strom sowie Verpuffung und Explosion führen zu gesundheitlichen Schäden mit oft lebenslanger Beeinträchtigung. Der Unfallschwerpunkt liegt klar im häuslichen Umfeld. Eine Auswertung des Arbeitskreises „Das schwerbrandverletzte Kind“ zeigt, dass Säuglinge und Kleinkinder eine Hochrisikogruppe darstellen.
04.05.2018 Kinderchirurgie
4 292 Kinder wurden im Jahr 2016 am Herzen operiert
4 292 Kinder im Alter bis einschließlich 13 Jahren mussten sich im Jahr 2016 in einem Krankenhaus in Deutschland einer Operation am Herzen unterziehen.
09.04.2018 Kinderchirurgie
Neuer Tiefstand bei Kinder-Organtransplantationen
Die Zahl der Organtransplantationen bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland ist im vergangenen Jahr auf den niedrigsten Stand seit 2008 gesunken. Das belegen aktuelle Statistiken der Stiftung Eurotransplant. „Gleichzeitig warten viele Kinder auf ein überlebenswichtiges Spenderorgan“, bedauert Professor Dr. med. Jörg Fuchs, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie (DGCH). Um auf die Situation der kleinen Patienten und den Organmangel aufmerksam zu machen, veranstaltet die DGCH im Rahmen ihres Jahreskongresses einen Benefizlauf zugunsten der Kinderhilfe Organtransplantation (KiO). „Weitere Geldspenden sind jederzeit willkommen“, so Fuchs. Der DGCH-Kongress findet vom 17. bis 20. April 2018 in Berlin statt.
05.12.2017 Kinderchirurgie
Neuordnung in der Kinderchirurgie
Kinder benötigen eine besondere chirurgische Behandlung, die nicht nur fach-, sondern auch kindgerecht ist. Um die Versorgung zu verbessern, streben die Kinderchirurgen eine Neuordnung in ihrem Fach an. Auf der Jahrespressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie (DGCH) am 5. Dezember 2017 in Berlin fordert Professor Dr. med. Peter Schmittenbecher eine Umstrukturierung der kinderchirurgischen Versorgung zugunsten von Referenzzentren und erläutert, warum Kinderchirurgen und Pädiater zukünftig in spezialisierten Zentren zusammenarbeiten sollen.
Lesen Sie PASSION CHIRURGIE!
Die Monatsausgaben der Mitgliederzeitschrift können Sie als eMagazin online lesen.