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Was Chirurgen wissen sollten

Für die im Krankenhaus tätigen Chirurgen geraten die Krankenhausvergütung betreffende Abrechnungsfragen immer mehr in den Blickpunkt. Während für die Abrechnung früher allein die Abteilung Medizincontrolling zuständig war, erwarten die Klinikleitungen zunehmend, dass sich auch die in der Klinik tätigen Ärzte einbringen. Auch vor dem Hintergrund, dass – anders als früher, als nach tagesgleichen Pflegesätzen abgerechnet wurde – das heute geltende DRG-Abrechnungssystem viel direkter an medizinische Fragen anknüpft.

Krankenhausvergütungsprozesse werden zumeist nach medizinischen Gesichtspunkten entschieden. Insbesondere auf die Behandlungsdokumentation kommt es an. Es ist zu erwarten, dass die Relevanz der DRG-Abrechnung für die in den Kliniken tätigen Chirurgen künftig noch steigen wird. Schon jetzt sind in nicht wenigen Krankenhäusern Round-Table-Konferenzen zwischen Chirurgen und Medizincontrolling etabliert. Bisweilen sind ein oder zwei Oberärzte pro Abteilung besonders mit Abrechnungsfragen und der Kommunikation zum Medizincontrolling befasst.

Welche Begrifflichkeiten der Chirurg kennen sollte

Folgende Begriffe rund um die DRG-Abrechnung sollten dem Chirurgen geläufig sein:

1. Allgemeine Krankenhausleistungen

Unter der Bezeichnung allgemeine Krankenhausleistungen werden die im Krankenhaus erbrachten Leistungen der stationären medizinischen Versorgung zusammengefasst. Diese Leistungen stehen gesetzlich krankenversicherten und privat krankenversicherten Patienten gleichermaßen zu.

Zu unterscheiden von den allgemeinen Krankenhausleistungen sind die Wahlleistungen. Darunter fallen nichtärztliche (z. B. Unterbringung im Ein- oder Zweibettzimmer) und ärztliche Wahlleistungen (die sogenannte Chefarztbehandlung). Die ärztlichen Wahlleistungen werden nach der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) gegenüber den Patienten abgerechnet.

2. DRG-Fallpauschalen

Seit einigen Jahren werden die allgemeinen Krankenhausleistungen nach den sogenannten DRG-Fallpauschalen abgerechnet. Dies im Gegensatz zu früher, als die Abrechnung nach tagesgleichen Pflegesätzen erfolgte. DRG steht für Diagnosis Related Groups, was ein Klassifikationssystem gemäß diagnosebezogenen Fallgruppen bezeichnet.

Im DRG-System werden Patienten anhand medizinischer Diagnosen, durchgeführter Behandlungen und demografischer Daten in Fallgruppen klassifiziert. Hieraus werden dann gemäß einem sehr komplizierten System die abrechenbaren Kosten errechnet.

Der Gedanke, den der Gesetzgeber mit der Einführung des DRG-Systems verfolgte, ist darauf hinzuwirken, dass die Krankenhäuser in der Behandlung der Patienten wirtschaftlicher vorgehen sollen. Nach dem früheren System der tagesgleichen Pflegesätze war es für das Krankenhaus ökonomisch günstig, wenn ein Patient – etwa nach einer Blindarm-OP – länger in der stationären Betreuung verblieb, ohne jedoch großen Aufwand zu verursachen. Da sich nach dem DRG-System die Vergütung grundsätzlich an der Diagnose und nicht einer tatsächlichen Liegezeit ausrichtet, stellt sich dies heute genau anders herum dar. Grundsätzlich gilt: Je kürzer der Patient im Krankenhaus ist, desto besser die Erlössituation. Hiergegen wurde von Kritikern des Systems vorgebracht, dass die DRG-Fallpauschalen die Krankenhäuser wirtschaftlich zu „blutigen Entlassungen“ zwingen würden.

3. Fehlbelegung: primar/sekundär

Fehlbelegungsprüfungen werden durch die Krankenkassen eingeleitet und in der Regel durch den MDK (Medizinischer Dienst der Krankenversicherung) durchgeführt. Der eine mögliche Vorwurf an die Krankenhausseite: Eine stationäre Aufnahme des Patienten wäre gar nicht erforderlich gewesen, vielmehr hätten sämtliche Leistungen auch im ambulanten Setting erbracht werden können. Dies ist der Vorwurf der primären Fehlbelegung.

Anders bei der sekundären Fehlbelegung: Hier wird zwar grundsätzlich eine stationäre Behandlungsbedürftigkeit anerkennt, den Krankenhausärzten jedoch vorgeworfen, der Patient sei zu lang in der stationären Versorgung verblieben und hätte früher entlassen werden können.

4. ICD und OPS

Der ICD-Schlüssel betrifft die Diagnosen. Er folgt der International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems, herausgegeben von der WHO.

Der Operationen- und Prozedurenschlüssel wird als OPS bezeichnet. Hier werden etwa diagnostische Maßnahmen oder Operationen – wichtig für Chirurgen – abgebildet.

5. Haupt- und Nebendiagnosen

Im DRG-Abrechnungssystem wird unterschieden zwischen Haupt- und Nebendiagnosen, die für die Abrechnung relevant sind. Hauptdiagnose ist dabei die Diagnose beim Patienten, die hauptsächlich die stationäre Behandlung veranlasst hat. Nebendiagnosen sind weitere Diagnosen, die diagnostische, therapeutische oder pflegerische Maßnahmen – man spricht in diesem Zusammenhang von einem Ressourcenverbrauch – erforderlich gemacht haben.

Die häufigsten Streitpunkte mit den Krankenkassen

Wenn der Vorwurf einer primären oder sekundären Fehlbelegung gemäß MDK-Gutachten erhoben wird, geht es um die stationäre Verweildauer. Hier hat sich die Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes in den letzten Jahren grundlegend geändert, was mit erhöhten Anforderungen für die Krankenhausseite einhergeht.

Die Rechtslage stellt sich so dar: Den im Krankenhaus behandelnden Ärzten kommt keine Einschätzungsprärogative zu. Vielmehr ist die ärztliche Entscheidung, ob eine stationäre Aufnahme des Patienten erforderlich ist oder nicht, im Nachhinein – im Vergütungsprozess – voll überprüfbar. Maßgeblich für die Beurteilung ist allerdings die ex ante-Perspektive, wobei es auf rein medizinische Kriterien ankommt.

Fallbeispiel zur primären Fehlbelegung

Am Wochenende kommt ein Patient in die Klinik und berichtet dem diensthabenden chirurgischen Assistenzarzt über starke Bauchschmerzen. Der Assistenzarzt ist sich unsicher über die Genese und behält den Patienten zur Sicherheit zwecks Überwachung stationär in der Klinik. Später stellt sich heraus, dass kein behandlungs- oder gar operationsbedürftiger Befund vorlag; der Patient litt lediglich unter einem passageren Unwohlsein.

Da die ex ante-Perspektive maßgeblich ist, kommt es darauf an, ob aus der Sichtweise des diensthabenden Chirurgen zum Behandlungszeitpunkt eine stationäre Aufnahme des Patienten gerechtfertigt war oder nicht. Diese Entscheidung des Chirurgen ist jedoch im Nachhinein voll gerichtlich überprüfbar. Wenn der Sachverständige im Prozess zu dem Ergebnis kommt, man hätte dem Patienten nach den damaligen Beschwerdebild nicht stationär aufnehmen müssen, verliert der Krankenhausträger den Prozess und die Vergütung. Der „Fehler“ des diensthabenden chirurgischen Assistenzarztes wirkt sich also direkt vergütungsmindernd aus.

Sekundäre Fehlbelegung

Für in der Klinik tätige Chirurgen ist insbesondere der Vorwurf sekundärer Fehlbelegung von Relevanz. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes kommt es hierbei allein auf medizinische Kriterien an. Organisatorische Gründe im weiteren Sinne können nicht als Argument angeführt werden.

Folgende Fallgestaltungen können Probleme aufwerfen:

  • Wenn der Patient etwa zwecks Durchführung einer elektiven OP bereits einen Tag vorher aufgenommen wird, reicht als Begründung hierfür nicht aus, dass dies aus organisatorischer Notwendigkeit bedingt durch die Abläufe im Krankenhaus erfolgte. Auch das Argument, dass Vorbereitung der OP noch klärende Diagnostik durchzuführen oder der Patient rechtzeitig vor dem Eingriff aufzuklären sei, ist schwierig. Hier wird von Krankenkassenseite häufig eingewandt, dass dann nach Aufklärung und Diagnostik der Patient auch für die eine Nacht wieder nach Hause hätte entlassen werden können. Nicht selten greift dieser Einwand juristisch durch, da nach den Vorgaben des Bundesozialgerichts allein medizinische Aspekte maßgeblich sind, die auf den konkreten Behandlungsfall bezogen dargelegt werden müssen.
  • Wenn etwa nach einer OP wegen Schenkelhalsfraktur eines älteren Patienten eine vollstationäre Behandlung eigentlich nicht mehr medizinisch erforderlich ist, jedoch der Patient nicht entlassen werden kann, da etwa ein Pflegeheimplatz nicht verfügbar ist und der Patient sich alleine zu Hause nicht versorgen kann, ist dies auch kein tragendes Argument im Vergütungsprozess. Wenn nicht über die gesamte Verweildauer aus rein medizinischen Gründen eine stationäre Behandlungsbedürftigkeit begründbar ist, steht dem Krankenhaus insofern nach den geltenden rechtlichen Maßstäben die Vergütung nicht zu.

Achtung! Unterlassene Hilfeleistung

Hier kann es zu einer Kollision zwischen Vergütungsrecht und Haftungsrecht kommen. Selbst wenn eine stationäre Behandlungsbedürftigkeit aus medizinischen Gründen nicht mehr besteht und damit ein Krankenhausvergütungsanspruch zu verneinen ist, können die behandelnden Klinikärzte den Patienten nicht einfach so ohne Weiteres entlassen, wenn dessen Anschlussversorgung nicht gesichert ist. Ansonsten kann der Tatbestand einer unterlassenen Hilfeleistung verwirklicht werden, was für die beteiligten Ärzte auf der chirurgischen Station sogar strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen kann. Dass hier ein Widerspruch besteht und die Klinikärzte aus haftungsrechtlichen Gründen zu einer Vorgehensweise gezwungen sind, die auf eine Behandlung des Patienten in der Klinik umsonst ohne Vergütungsanspruch hinausläuft, nimmt das Bundessozialgericht bewusst in Kauf.

Kodierfragen

Neben der Fehlbelegungsprüfung sind Kodierfragen regelmäßig Gegenstand von Krankenhausvergütungsstreitigkeiten. Oftmals wird durch den MDK (Medizinischer Dienst der Krankenversicherung) die Begründung der Kodierung aus rechtlicher oder medizinischer Sicht infrage gestellt. Dabei kann es um die Hauptdiagnose oder um Nebendiagnosen gehen, denen ebenfalls eine erlösrelevante Bedeutung zukommen kann.

Häufig entscheidet die Behandlungsdokumentation den Prozess

Im Prozess betreffend Kodierfragen ist regelmäßig die ärztliche Dokumentation von entscheidender Bedeutung. Wenn die Hauptdiagnose in Streit steht, muss das Krankenhaus anhand der Behandlungsdokumentation nachweisen können, dass die als Hauptdiagnose kodierte Diagnose hauptsächlich für die Veranlassung des stationären Krankenhausaufenthaltes des Patienten verantwortlich war.

In Streitigkeiten um Nebendiagnosen geht es oftmals um die Frage eines spezifischen Ressourcenverbrauches. Nebendiagnosen sind nur dann kodierfähig, wenn die betreffende Diagnose das Patientenmanagement beeinflusst hat – im Hinblick auf zumindest einen der folgenden Faktoren: therapeutische Maßnahmen, diagnostische Maßnahmen oder erhöhter Betreuungs-, Pflege- und/oder Überwachungsaufwand. Auch hier ist die Krankenhausseite in der Nachweispflicht. Lässt sich aus der Patientenakte nicht belegen, dass etwa wegen postoperativer Risiken eine besondere Überwachung des Patienten erforderlich war, ist der Vergütungsanspruch insofern nicht durchsetzbar.

Gerade in diesem Zusammenhang ist es wichtig, dass von ärztlicher und auch von pflegerischer Seite in der Patientenakte sorgfältig dokumentiert wird. Regelmäßige Round-Table-Konferenzen mit Medizincontrollern des Hauses können dazu beitragen, dass für die Chirurgen, die in den Vergütungsstreitigkeiten mit den Krankenkassen häufiger vorkommenden „neuralgischen“ Punkte offenbar werden, damit sich der Chirurg in der Handhabung der Dokumentation darauf einstellen kann.

Hammerl S. Krankenhausvergütung und DRG-Abrechnung im Fokus. Passion Chirurgie. 2016 November; 6(11): Artikel 04_01.

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Dr. Siegfried Hammerl

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