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Zum Artikel von Georg Baum, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG): Baum G: Pflegepersonaluntergrenzen: Ziel verfehlt. Passion Chirurgie. 2019 September, 9(09): Artikel 05_01.

Zukunft gestalten, anstatt auf diese zu warten, war sicherlich neben dem Fachkräftemangel einer der Beweggründe der Politik für die Einführung der Pflegepersonaluntergrenzen. In der IT-Branche ist es schon so, dass die Gewinnung eines neuen Mitarbeiters vergleichbar mit der Akquise eines neuen Kunden ist. In vielen Kliniken ist es ebenso. Wobei unser gemeinsamer Patient der Kunde ist. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) führt viele Argumente an, warum das Ziel verfehlt wurde. Einige sind richtig, aber andere verschleiern nur die wirklichen Ursachen.

Richtig ist, dass sich der Fachkräftemangel in der Pflege dramatisch verschärfen wird. Die Gründe sind allen bekannt und vielfältig. Diese Untergrenzen werden den Fachkräftemangel nicht von heute auf morgen lösen können. Vielleicht werden sie diesen sogar noch verstärken. Sie haben aber zu einer längst überfälligen und wichtigen Diskussion geführt. Wie viele Pflegekräfte benötigen wir am Patienten? Hier tappen wir nach wie vor noch im Dunkeln und verlassen uns auf gefühlte Zahlen. Jeder hat seine eigenen und hält diese für richtig. Der Fachkräftemangel hat sehr viel mit der Attraktivität des Pflegeberufes, aber noch viel mehr mit der Attraktivität des Arbeitsortes Krankenhaus und Pflegeeinrichtung zu tun. Jetzt so zu tun, als sei die Politik am Fachkräftemangel schuld, ist zu einfach. Die Politik versucht nur mit ihren Möglichkeiten darauf zu reagieren, dass die Krankenhäuser und Pflegeinrichtungen in den letzten Jahren mit einem dramatischen Abbau von Pflegekräften begonnen haben. Pflegekräfte wie Ärzte werden in den Kranken- und Pflegeeinrichtungen vielfach immer noch als Kostenfaktoren betrachtet. Das ist schlicht falsch!

Die Pflegekräfte sind mit ihren Arbeitsbedingungen unzufrieden. Dies bleibt natürlich dem Nachwuchs nicht verborgen. Wo Wertschätzung an Hand von Case Management (CM) und dem Case Mix Index (CMI) oder Fallzahlen honoriert werden, muss man sich nicht wundern, dass die junge Generation andere Berufsfelder attraktiver finden. In einer Analyse der Hans Böckler Stiftung aus dem Jahre 2018 kümmerte sich in Deutschland eine Pflegkraft um ca. 13 Patienten. Deutlich mehr als in den USA mit 5,3 und den Niederlanden mit 6,9 Patienten pro Pflegekraft. Natürlich ist in diesen Ländern eine andere Krankenhausstruktur vorhanden. Verstärkend wirkt, dass der durchschnittliche Jahreszuwachs an Pflegekräften in den Jahren 2000 bis 2007 in Deutschland mit durchschnittlich 1,5 Prozent ein halbes Prozent weniger als der OECD-Durchschnitt betrug. Diese Mehrbelastung der Pflegekräfte der vergangenen Jahre, um Personalkosten zu reduzieren, wird jetzt zum Bumerang für die Kliniken. Es müssen Intensivstationsbetten geschlossen und Operationen können nicht durchgeführt werden, weil Fachkräfte fehlen. Dies liegt aber nicht an den Pflegepersonaluntergrenzen. Vielfach wird nun mit „Kopfprämien“ reagiert anstatt mit Marke. Wie müssen sich die Pflegkräfte fühlen, die in diesem Krankenhaus jahrelang den „Laden am Laufen gehalten haben“ und die nun miterleben müssen, dass die neue Pflegkraft bis zu 10.000 Euro als Einmalzahlung bekommt, wo früher nicht einmal Geld für Weihnachtgeld übrig war. Was macht dies mit der Motivation? In einer Umfrage an 5.057 Pflegekräften und 302 Pflegekräften in der Chirurgie aus dem Jahre 2016 gaben nur ca. 40 Prozent der Pflegekräfte an, gern zur Arbeit zu gehen. In der Chirurgie sogar nur 30 Prozent. 55 Prozent unter den Pflegekräften empfinden ihren Arbeitsplatz als gut. In der Chirurgie weniger als die Hälfte (40 Prozent). Weiterhin würden nur gut 54 Prozent der Pflegekräfte den Arbeitgeber weiterempfehlen. In der Chirurgie sogar nur 37 Prozent. Nur 52 Prozent bei den Pflegekräften allgemein und nur 36 Prozent rein für die Chirurgie finden, dass ehrliche und ethische Geschäftspraktiken in ihren Kliniken Verwendung finden [1]. Dies zeigt doch eine gewisse Unzufriedenheit mit dem Arbeitsplatz Krankenhaus.

Die Politik und auch Krankenkassen sind an dieser Entwicklung nicht ganz unschuldig, da diese den steigenden Investitionsbedarf einer modernen Medizin auf die Krankenhäuser abwälzen. Diese reagierten bisher mit Personaleinsparungen und Fallzahlerweiterungen, um diese Investitionen finanzieren zu können. Wir behandeln immer mehr Patienten in immer kürzeren Zeitfenstern. Dies führt zu einer Mehrbelastung des Personals! Das DRG-System ist nicht geeignet, die Personalkosten adäquat abzudecken. Dies sollte die Politik als Auftrag verstehen, hier nachzubessern.

Richtig ist aber auch, dass man klinische Belastungen gerade in der Unfallchirurgie nicht planen kann. Gerade bei witterungsbedingter Unwegsamkeit, kann sich binnen weniger Stunden die Patientenzahl drastisch erhöhen. Man käme auch nicht auf die Idee, einen Feuerwehrstützpunkt zu schließen, nur weil es ein Jahr lang keinen Einsatz gab. Hier sind starre Pflegepersonaluntergrenzen sinnlos, da diese eher nach oben korrigiert werden sollten. Es sei die Frage gestattet, ob ein Fachkräftemangel zu Lasten der Behandlungsqualität unserer gemeinsamen Patienten führen darf. Hier muss man eine flexible Einsatz- und Personalplanung von Seiten der Kliniken fordern. Diese sollte sich an den Untergrenzen plus x orientieren. Wer nur die Personaluntergrenzen im Fokus hat und sich daran entlanghangelt wird in Zukunft Probleme bekommen. Die Etablierung von Personalpools ermöglicht hier einen flexiblen Einsatz der Pflegekräfte. Diese Vorhaltekosten gilt es durch das Gemeinwesen zu finanzieren und auf Plausibilität zu prüfen. Jede Klinik kann ja über die Personaluntergrenzen einstellen und hat dann wieder genug Puffer für Extrembelastungen. Sich immer nur an den Untergrenzen zu orientieren, halte ich für falsch. Ja, der Arbeitsmarkt ist leergefegt. Dies ist aber nicht Folge der Personaluntergrenzen. Die Ursachen des Fachkräftemangels liegen Jahre zurück und sind zum Teil hausgemacht. Hier fehlt mir ein wenig Ehrlichkeit und Selbstkritik der DKG. Es offenbart sich eine Denkweise von scheinbar zu vielen Krankenhäusern die Mitarbeiter gerade im pflegerischen wie ärztlichen Bereich als Kostenfaktoren betrachten. Ja, die Personalkosten im Krankenhaus und in den Pflegeeinrichtungen sind der größte Kostenblock. Sie sind aber auch die Leistungserbringer am Patienten. Hieran orientiert sich die Qualität der Behandlung und Betreuung unserer gemeinsamen Patienten. Hier ist Kostenreduktion falsch. Solange man diese Mitarbeiter rein als Kostenfaktoren betrachtet, wird sich am Personalmangel in Zukunft nichts ändern. Wertschätzung der Leistung beginnt eben auch und insbesondere mit guten Arbeitsbedingungen. Viele Krankenhäuser versuchen nun panisch gegenzusteuern. Vielleicht schon zu spät.

Richtig ist zudem auch, dass ein großer Teil der täglichen Arbeitszeit mit Dokumentation verbracht wird. Hier müssen moderne Kommunikations- und Dokumentationsmedien Einzug in den klinischen Alltag (Stichwort „Digitalisierung“) finden. Man muss aber auch diesen Dokumentationswahnsinn ein wenig eindämmen. Vielfach erfolgt diese Dokumentation nur um den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) oder andere Anfragen zu befriedigen und haben keinen Mehrwert in der Verbesserung der Behandlungsqualität unserer Patienten.

Zur Wahrheit gehört auch, dass erst nachdem die Politik agiert hat, die DKG nun reagiert. Man muss sich schon fragen, warum erst jetzt die DKG, ver.di und der Deutsche Pflegerat ein Personalbemessungsinstrument erarbeiten. Scheinbar glaubte man warten zu können und hat die Rasanz nicht erkannt oder unterschätzt. Und man darf postulieren, dass es wieder eher um Kosten auf Seiten der DKG ging und weniger um Leistung und Wertschätzung. Die DKG hat viel wertvolle Zeit verstreichen lassen, denn die Entwicklung war lange vorher absehbar. Es wird nun wohl Jahre dauern, diese Defizite aufzuholen. Ideen sind gefragt! Kosten reduzieren bzw. ein Einsparpotenzial generieren, werden diese nicht! Das sollte allen bewusst sein.

Ja, das Ziel wurde verfehlt, dies aber nach sechs Monaten allein der Politik anzulasten ist falsch. Zukunft gestalten, anstatt auf diese zu warten, sollten wir nicht nur der Politik überlassen. Das Krankenhaus der Zukunft ist mehr als eine reine Krankenanstalt.

Literatur

[1] Borgelt S. / Metz A. / Langer D. Kulturwandel im Krankenhaus. Passion Chirurgie. 2016 März, 6(03): Artikel 02_03.

Krüger M: Kommentar oder doch eher ein Essay zu „Pflegepersonaluntergrenzen: Ziel verfehlt“. Passion Chirurgie. 2019 Oktober, 9(10): Artikel 05_01.

Autor des Artikels

Profilbild von Krüger

Dr. med. Matthias Krüger

Leiter des Ressorts Zukunft, Ökonomie und Digitalisierung in der ChirurgieGesundheitsökonom, klinischer Risikomanager(DIOcert)ZB Proktologie/NotfallmedizinUnseburger Straße 739122Magdeburg kontaktieren

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