Zurück zur Übersicht

Am 1. und 2. Oktober 2021 traf sich das Referat Niedergelassene Chirurgen (RNC) im Berufsverband der Deutschen Chirurgen (BDC) zu einer Klausurtagung in Werder am Schwielowsee. Am ersten Tag wurden anstehende Änderungen im Verband und allgemein im ambulanten Sektor diskutiert. Unter anderem wurde ein Beschluss gefasst zur Konkretisierung des Status des/der niedergelassenen Chirurgen/Chirurgin in der anstehenden Satzungsänderung des BDC, welche den Mitgliedern 2022 auf der BDC-Mitgliederversammlung zur Abstimmung vorgelegt werden wird.

Ausführlich diskutiert wurden in der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung anstehende Veränderungen bezüglich der Weiterentwicklung des D-Arztsystems im niedergelassenen Bereich. Die Position des BDC hierzu wurde kürzlich an dieser Stelle publiziert [3], ebenso wie zum leidigen Thema der Finanzierung von Hygienekosten im Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) [7]. Nach jahrelangem Stillstand beim Thema ambulantes Operieren deuten sich nun am Horizont Veränderungen an, die sich durchaus positiv für die Vertragsärzte entwickeln dürften. So ist zum einen von politischer Seite erkannt worden, dass wir in Deutschland beim ambulanten Operieren im Vergleich zu ähnlich entwickelten OECD-Staaten immer noch weit hinterherhinken [5]. Zum anderen ist durch zahlreiche Studien in der Vergangenheit belegt, dass ambulante Operationen nicht nur sicher sind, sondern oftmals auch eine niedrigere Komplikationsrate haben [1, 2]. Daher wurde im MDK-Gesetz aus 2020 festgelegt, dass eine Förderung und damit Besserstellung der Vergütung, kalkuliert auf aktuellen Kosten bei der Betreibung eines ambulanten OP-Zentrums, zu erfolgen hat. In diesem Zusammenhang tagen derzeit unter aktiver Beteiligung des BDC diverse Arbeitsgruppen, koordiniert durch die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV). Darüber hinaus hatte der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen angemahnt, dass zusätzlich zum aktuell gültigen AOP-Katalog weitere operative Leistungen aus dem stationären Sektor herausgelöst werden sollen [6]. Dem folgte das Bundesgesundheitsministerium mit der Vergabe eines ersten Gutachtens zur Identifizierung von initialen Leistungsbereichen [9]. Von der KBV, dem Spitzenverband der GKV und der Deutschen Krankenhausgesellschaft wurde zur Konkretisierung ein weiteres Gutachten ausgeschrieben. Bis Ende Januar 2022 soll das IGES-Institut Vorschläge erarbeiten, welche der bisher hauptsächlich stationär erbrachten Eingriffe dafür in Frage kommen und wie diese zukünftig vergütet werden sollen.

Dieses Thema wurde vertieft am zweiten Tag der Klausur, der im Zeichen eines Workshops zur Verbesserung der intersektoralen Versorgung stand. Das RNC hatte sich zum Ziel gesetzt unter Beteiligung von Klinikärzten eine Position zu diesem Thema zu erbarbeiten. Dabei sollte es im Gegensatz zu bisher erfolgten Diskussionen nicht in erster Linie um pekuniäre Auswirkungen bei der Verschiebung von Leistungen aus dem einen in den anderen Sektor gehen, im Vordergrund sollte vielmehr eine Verbesserung der Versorgung der Patienten stehen.

Zur Einführung in das Thema wurde zunächst vom Leiter des Referates vorgestellt, was heutzutage in einer chirurgischen Praxis oder einem MVZ angeboten wird und wie sich insbesondere die Zusammenarbeit mit dem stationären Sektor darstellt unter besonderer Berücksichtigung der Schnittstellenproblematik. Dem schloss sich ein Impulsreferat von Prof. D. Vallböhmer, viszeralchirurgischer Chefarzt aus Duisburg, an, der darlegte, wo es aus Sicht eines Klinikers in der Zusammenarbeit zwischen den Sektoren hakt. Abgerundet wurde die Einführung durch eine Vorstellung der aktuellen politischen Diskussion zum Thema intersektorale Versorgung, der beteiligten Player, also Bund-Länder-Arbeitsgruppe, SpiFa, MDK-Gesetz usw. Im Anschluss daran entwickelte sich eine lebhafte Diskussion und abschließend konnte vom Referat der niedergelassenen Chirurgen eine Position erarbeitet werden.

Gefordert wird als Voraussetzung ein gemeinsamer Leistungskatalog von ambulant und/oder intersektoral zu erbringenden Leistungen auf Basis des bestehenden AOP-Vertrages. Das Ergebnis des IGES-Gutachtens bleibt abzuwarten. Das daraus abzuleitende Pilotprojekt sollte nach Überzeugung der niedergelassenen Chirurgen mindestens 30 Leistungen umfassen, einschließlich der Definition von Ausschlusskriterien und Ausnahmeindikationen.

Die neuen intersektoral zu erbringenden Leistungen sollen nicht nach EBM, sondern im Sinne einer Anpassung oder Modifizierung der DRG vergütet werden. Die Begründung dafür liegt in einer konsequenten, jährlichen Anpassung der Kostenstrukturen der DRGs. Dies hat im EBM-System nie so richtig funktioniert und basiert aktuell immer noch auf einem 1995 kalkulierten Standardbewertungssystem (STABS).

Weiter muss für die vorgesehenen operativen Eingriffe eine Differenzierung bzgl. des Schweregrades erfolgen auf der Basis einer akzeptierten und praktikablen Klassifikation.

Einige Eingriffe werden nicht in großer Zahl durchgeführt, sodass eine Wirtschaftlichkeit aus dem Erlös des Eingriffes allein kaum darstellbar sein wird. Daher sollen ähnlich wie bei der dualen Finanzierung des Krankenhauses Vorhalte- und Investitionskosten berücksichtigt werden. In diesem Zusammenhang soll die Leistung auch dort vergütet werden, wo sie anfällt. So soll eine leistungsgerechte Aufteilung der zu erbringenden Komplexe, z. B. durch Differenzierung von Strukturkosten (ambulantes OP-Zentrum) und medizinischen Kosten (Arzt) erfolgen.

Die Verschiebung von operativen oder auch konservativen Leistungen aus dem Krankenhaus in den ambulanten oder einen neuen dritten Sektor hat Einfluss auf die Bedarfsplanung. Diese muss zukünftig intersektoral ausgerichtet sein. Im dafür zuständigen Gemeinsamen Bundesausschuss bedarf es auch des Aushandelns von Qualitätskriterien für die neuen Versorgungsstrukturen.

Bekanntermaßen gibt es an der Schnittstelle Vertragsarztpraxis/Hauptabteilung Krankenhaus Reibungs- und Informationsverluste. Der Grund ist oftmals die schlechte Erreichbarkeit eines Ansprechpartners auf der Gegenseite oder auch ein suboptimales Entlassungsmanagement, z. B. an den Hausarzt und damit eintretende unnötige Verzögerungen im Heilverfahren bis hin zu Qualitätsverlusten. Daher fordert das Referat eine Intensivierung der digitalen Vernetzung der Sektoren mit dem Ziel eine elektronische (cloudbasierte) Fallakte zu implementieren. Dadurch sollen Schnittstellenprobleme und Informationsverluste bei Überführung in einen anderen Sektor minimiert werden. In diesem Zusammenhang wird weiter empfohlen Raum für intersektorale Konferenzen (Tumorboard, Morbidity und Mortality) und die gemeinsame Entwicklung von Standard Operating Procedures (SOPs) zu schaffen. Die dafür notwendigen Kosten in der Entwicklung und Anschaffung von Software, Apps, Messenger Diensten etc. sollen refinanziert werden. Und last but not least: vor dem Hintergrund der neuen kompetenzbasierten Weiterbildungsordnung müssen immer mehr Weiterbildungsinhalte im ambulanten Sektor erbracht werden, da dort die entsprechenden Leistungen ausgeübt werden [4]. Daher wird dringend empfohlen intersektorale Verbundweiterbildungen zu implementieren, wie sie z. T. in Form von Modellprojekten schon funktionieren [8].

Die von allen anwesenden Regionalvertretern konsentierte Position soll bei weiteren Treffen des BDC unter Beteiligung der stationär tätigen Kolleginnen und Kollegen thematisiert und diskutiert werden. So soll das gemeinsame Ziel einer echten intersektoral ausgerichteten Behandlung basierend auf einer qualitativ besseren Versorgung der Patienten erreicht werden.

Literatur

[1]   Chung, F.; Mezei, G.; Tong, D. (1999): Adverse events in ambulatory surgery. A comparison between elderly and younger patients. In: Canadian Journal of 29 Anaesthesia 46 (4), S. 309. DOI: 10.1007/BF03013221
[2]   Friedlander, D. F.; Krimphove, M. J.; Cole, A. P.; Marchese, M.; Lipsitz, S. R.; Weissman, J.S. et al. (2019): Where Is the Value in Ambulatory Versus Inpatient Surgery?
[3]   Kalbe P: Anpassungen der ambulanten D-Arzt-Versorgung. Passion Chirurgie. 2021 Oktober; 11(10): Artikel 04_06
[4]   Ludwig, J: Kompetenzbasierte Weiterbildung: Ursprünge, Inhalte und Erfahrungen. Passion Chirurgie. 2020 September, 10(09): Artikel 05_01
[5]   OECD (2020): Health care utilisation. Surgical Procedures. Paris.
[6]   Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen (2018): Bedarfsgerechte Steuerung der Gesundheitsversorgung.Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft:Berlin
[7]   Schmitz R: Hygienekosten in der chirurgischen Praxis – ein Update. Passion Chirurgie. 2021 November; 11(11): Artikel 04_06.
[8]   Schmitz R. Chirurgische Verbundweiterbildung in Kiel. Passion Chirurgie. 2015 August, 5(08): Artikel 02_08
[9]   Schreyögg, J., Milstein, R.: Identifizierung einer initialen Auswahl von Leistungsbereichen für eine sektorengleiche Vergütung. Gutachten im Auftrag des BMG Hamburg Center for Health Economics 26.03.2021

Schmitz, R: Intersektorale Versorgung in der Chirurgie – es wird Zeit! Passion Chirurgie. 2022 Januar/Februar; 12(01/02): Artikel 03_06.

Autor des Artikels

Profilbild von Schmitz

Dr. med. Ralf Wilhelm Schmitz

Referatsleiter Niedergelassene ChirurgenMVZ Chirurgie KielSchönberger Str. 1124148Kiel kontaktieren

Weitere Artikel zum Thema

PASSION CHIRURGIE

Passion Chirurgie: Wege in die Niederlassung

Wir starten mit einer Doppelausgabe Januar/Februar ins neue Jahr, die

Passion Chirurgie

Lesen Sie PASSION CHIRURGIE!

Die Monatsausgaben der Mitgliederzeitschrift können Sie als eMagazin online lesen.