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Die Kassenärztliche Vereinigung Bremen (KVHB) und eine Reihe von Partnern haben vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) den Zuschlag über 5,5 Millionen Euro für das Projekt „IP-Wunde“ erhalten – „Infrastruktur und Prozesse für optimierte Versorgung von Patienten mit chronischen Wunden – dezentral und regelversorgungsnah in Bremen: IP-Wunde“. Beteiligt sind neben der KVHB die AOK Bremen/Bremerhaven, das Kompetenzzentrum für Klinische Studien Bremen und die Hamburger Firma IVP Networks.

Im Innovationsfondsprojekt IP-Wunde wurde ein flächendeckendes Behandlernetzwerk aus initial sieben ambulanten, spezialisierten Wundpraxen (SWP) im Land Bremen aufgebaut, welches zur Verbesserung der Wundversorgung führen soll. Primärversorgende Haus- und Facharztpraxen haben die Möglichkeit ihre Patient:innen an eine SWP weiterzuleiten und bleiben gleichzeitig Teil des Behandlernetzwerks. Die ausführliche Ursachenklärung und die Ausarbeitung individueller Behandlungspläne sollen eine schnellere Wundheilung erzielen. Da die Behandlung von chronischen Wunden komplex ist, wird die fachübergreifende Kommunikation zwischen den Behandelnden durch eine digitale Wundfallakte ermöglicht, in die auch die Patient:innen Einsicht haben.

2,5 Millionen Betroffene in Deutschland

Bislang gibt es jenseits individuellen Engagements keine einheitlich strukturierte, regelbasierte fachgruppenübergreifende Zusammenarbeit entlang definierter Behandlungspfade. Dabei leben einer Schätzung zufolge 2,5 Millionen Menschen in Deutschland mit chronischen Wunden, die zum Beispiel an einem Ulcus cruris, dem diabetischen Fußsyndrom, der arteriellen Verschlusskrankheit oder Dekubitus leiden. Meist sind es ältere Menschen, deren Grunderkrankung wie bspw. Diabetes mellitus eine gute Wundheilung behindert. In der Freien Hansestadt Bremen sind das etwa 25.000 Menschen.

In vielen Fällen wird die Einbindung verschiedener Akteure wie ärztlicher und nichtärztlicher Leistungserbringer erforderlich. Die entsprechende fachliche Spezialisierung bei der Therapieführung und eine über alle Akteure hinweg transparente und koordinierte Behandlung sind unerlässlich.

In der Versorgungsrealität fehlt es oft an klarer Ursachen- und Zielorientierung, systematischer Berücksichtigung leitliniengerechter Versorgung, transparenter Dokumentation und Standardisierung der Datensätze sowie ausreichender Kommunikation und Koordination zwischen den Akteuren. Die Versorgung erfolgt bei verschiedenen Ärztegruppen mit geringen Fallzahlen und wenig Spezialisierung. Zudem sind manche Praxen und Pflegedienste bzgl. räumlicher Ausstattung und Ablauforganisation nicht ideal auf die Versorgung chronischer Wunden ausgerichtet.

Die Konsequenzen der Unter- und Fehlversorgung sind relevant: lange Anschlusszeiten bis zur fachärztlichen Behandlung, im Durchschnitt 3,5 Jahre [1], hohe Fallkosten in Höhe von ca. 10.000 € pro Patienten und Jahr [2, 3, 4] sowie erhebliche Komplikationen. Nur ein geringer Teil der Patient:innen mit Ulcus Cruris und diabetischem Fußsyndrom wird adäquat versorgt. Jährlich könnte bspw. ein beträchtlicher Anteil der etwa 32.000 diabetesassoziierten Amputationen vermieden werden, wenn eine frühzeitige, sachgerechte Behandlung durchgeführt würde [5].

Interessenkonflikte wegen der Wundverbände

In diesem Marktumfeld haben sich Strukturen institutioneller Anbieter (z. B. Home Carer, Hersteller, Sanitätshäuser etc.) etabliert, die den Haus- und Facharztpraxen Unterstützung anbieten (z. B. durch Wunddokumentation, Produkt- und Anwendungsberatung, Verbandwechsel, Produktlogistik etc.). Oft werden solche Services aus Margen im Produktverkauf von Verbandmitteln und somit über Absatzmengen finanziert. Es resultieren Interessenskonflikte hinsichtlich eines kosten- und mengenbewussten Einsatzes von Verbandmitteln und anderer heilungsverkürzender Maßnahmen. Laut AOK Bremen/Bremerhaven entfallen von den durchschnittlichen Jahreskosten allein 48 Prozent auf die Kosten für Verbandmittel. Der Anteil der Gesamtkosten, der auf eine Krankenhausbehandlung entfällt liegt bei 44 Prozent. Der Anteil der Jahreskosten, der auf Pflegehonorare und ärztliche Honorare entfällt, liegt bei 4 bzw. 3 Prozent.

Förderung für die nächsten drei Jahre

Das innovative Projekt IP-Wunde läuft über einen Zeitraum von drei Jahren, in dem eine strukturierte flächendeckende Wundversorgung im Land Bremen erschaffen und ausgebaut wird. Dafür wurde ein Behandlernetzwerk von bisher sieben ambulanten, spezialisierten Wundpraxen – davon 5 x in Bremen und 2 x in Bremerhaven – aufgebaut. Die SWP verfügen nicht nur über ausreichend personelle und räumliche Kapazitäten, sondern insbesondere über Ärzte/Ärztinnen und medizinische Fachangestellte mit ICW-Wundfortbildung oder vergleichbarer Fortbildung. Hausärzte/-ärztinnen und Fachärzte/-ärztinnen der Fachgruppen: Innere Medizin, Dermatologie, Chirurgie, Gynäkologie, Orthopädie und Diabetologie können seit dem 01.07.2022 am Projekt teilnehmen und Patient:innen mit einer chronischen Wunde in das Projekt einschreiben. Primärversorgende Haus- und Fachärzte/-ärztinnen können die eingeschriebenen Patient:innen nach dem Erstkontakt an eine SWP weiterleiten und gleichzeitig Teil des Behandlernetzwerks bleiben. Die ausführliche Ursachenklärung und die Ausarbeitung individueller Behandlungspläne sollen eine schnellere Wundheilung erzielen.

Digitale Wundfallakte für das Netzwerk

Die Behandlung von chronischen Wunden ist komplex und erfordert eine fachübergreifende Kommunikation zwischen den Behandelnden. Um diese zu ermöglichen, greift IP-Wunde auf die digitale Wundfallakte IVPnet zurück. Sie dient als gemeinsame Behandlungsplattform, in der alle zur Diagnostik und Therapie notwendigen Daten der jeweiligen Patient:innen strukturiert erfasst und gespeichert werden. Die am IP-Wunde-Netzwerk beteiligten Mediziner:innen können jederzeit darauf zugreifen und ihre Expertise einbringen. Die Patient:innen werden dann bedarfsorientiert von den Wundexpert:innen in einer SWP oder gemeinsam mit den Haus- und Fachärzten/-ärztinnen behandelt. Im Rahmen von IP-Wunde können auch integrierte Kommunikationsmöglichkeiten wie die Videosprechstunde bspw. für immobile Patient:innen oder ein digitales Wundboard bei komplexen Heilungsverläufen genutzt werden. Ebenso können die Betroffenen mittels Patientenzugang einen unkomplizierten Zugriff auf die eigene Patientenakte erhalten.

Neue Versorgungsstruktur wird evaluiert

Das innovative Projekt IP-Wunde versucht zudem die Versorgung konkret und messbar zu verbessern. Es ist in eine cluster-randomisierte Studie eingebettet und wird durch das Kompetenzzentrum für Klinische Studien Bremen wissenschaftlich begleitet. Die Evaluation ist in Form eines modifizierten Stepped-Wedge-Designs mit einer Gesamtstudiendauer von 27 Monaten angelegt. Im geplanten Design erfolgt die Einschreibung in das Versorgungskonzept IP-Wunde bei ca. ein Drittel der Primärversorgerpraxen direkt bei Studieneinschluss und bei ca. zwei Drittel der eingeschlossenen primärversorgenden Praxen um sieben Monate verzögert, d. h. erst im achten Monat seit Studienteilnahme. Die zuletzt genannten Primärversorgerpraxen rekrutieren bis zum siebten Monat Patient:innen für die Kontrollgruppe. Die Behandlung der Kontroll-Patient:innen erfolgt durchgängig nach dem derzeit üblichen Behandlungspfad, ohne in die Intervention einzuschreiben. Ob ein Primärversorger sofort oder verzögert am Versorgungskonzept IP-Wunde teilnehmen kann und in welchem der ersten neun Monate der Einschluss in die Studie erfolgt, wird per Zufall entschieden.

IP-Wunde fördert die Weiterbildung

Ein weiterer Teil des IP-Wunde Projektes ist neben der Schaffung nachhaltiger Versorgungsstrukturen auch die Qualifizierung der Ärzteschaft und medizinischer Fachangestellter. In Kooperation mit der Ärztekammer Bremen konnten die ersten beiden Wundmanagement-Kurse für medizinische Fachanstellte angeboten werden, die jeweils vollständig ausgebucht waren. Um der Nachfrage gerecht zu werden, sind weitere Kurse in Planung.

Lebensqualität Betroffener soll verbessert werden

Ziel des Projektes ist es, Wundschmerzen, Heilungsdauer und die Gefahr von Komplikationen bei den Betroffenen deutlich zu verringern und so ihre Lebensqualität zu verbessern. Die im IP-Wunde Projekt geschaffene hohe Qualität in der Wundbehandlung kombiniert mit der digitalen Unterstützung durch IVPnet schafft nicht nur transparente Teilhabe an der Behandlung aller Beteiligten, sondern verbessert zudem sowohl die Akzeptanz von Leistungsanbietern als auch die Zufriedenheit der Patient:innen.

Nach den ersten sechs Monaten Projektlaufzeit lässt sich bereits eine positive Bilanz ziehen. Über 40 Bremer Haus- und Facharztpraxen sind Teil des Behandlernetzwerks und haben über 100 Patient:innen im Rahmen des Projektes behandelt.

Literatur

[1]   Storck M., Dissemond J., Gerber V., Augustin M., Expertenrat Strukturentwicklung Wundmanagement: Kompetenzlevel in der Wundbehandlung. Gefäßchirurgie 2019; 24: 388–389.
[2]   Diener, H., Debus E., Herberger S.K., Heyer K., Augustin M., Tigges W., Karl T., Strock M.: Versorgungssituation gefäßmedizinischer Wunden in Deutschland. Gefäßchirurgie 2017
[3]   Fischer T.; Baczako A., Konstantinow A., Volz T.: Chronische Wunden richtig behandeln. Hautnah dermatologie 2019; 35 (5): 44–51
[4]   Aykac, V.: Versorgung chronischer Wunden. Klinikarzt 2017; 46 (12): 630–634
[5]   Augustin M., Mayer G, Wild T.: Herausforderungen der alternden Haut- Versorgung und Therapie am Beispiel des UC. Hautarzt 2016; 67: 160–168

Korrespondierende Autorin: Stefanie Hornemann

Kassenärztliche Vereinigung Bremen

Schwachhauser Heerstr. 26/28

28209 Bremen

[email protected]

 

Julia Berg

Kassenärztliche Vereinigung Bremen

Janina Schumacher

Kassenärztliche Vereinigung Bremen

Dr. Bernhard Rochell

Kassenärztliche Vereinigung Bremen

Chirurgie

Hornemann S, Berg J, Schumacher J, Rochell B: Innovationsfondsprojekt holt die Wundbehandlung zurück in die Arztpraxis. Passion Chirurgie. 2023 April; 13(04): Artikel 03_03.

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