11.03.2016 Aus-, Weiter- & Fortbildung
Im Krebsgang – wie es vorwärts gehen kann, wenn es keine Oberarztstelle gibt
Assistenzärzte denken schon lange vor der Facharztprüfung über ihre weitere Karriere nach. In Kliniken fällt der Blick naturgemäß auf die nächsthöhere Hierarchiestufe: den Oberarzt. Aber was tun und vor allem wohin, wenn in der eigenen Abteilung keine Oberarztstelle erreichbar ist? Außerdem endet mit der Facharztprüfung die strukturierte chirurgische Weiterbildung. Angehende Chirurgen werden sich also auch fragen, wie sich ihre Karriere nach der Facharztprüfung inhaltlich weiter gestaltet. Im Folgenden soll an einem Beispiel aus der Thoraxchirurgie dargestellt werden, wie gezielte fachliche Entwicklung eine Alternative zur klassischen Beförderung sein kann.
Wer möchte „Altassistent“ werden?
Die Krankenhaushierarchie kennt neben den Assistenz-, Ober- und Chefärzten auch den Altassistenten und den Funktionsoberarzt. Der eine ist „ein Mädchen für alles“, meist ohne genau definiertes Aufgabengebiet und der andere hat (wenigstens) gewisse Aussichten auf eine korrekt dotierte Oberarztstellung – Rangierbahnhof oder gezielte berufliche Entwicklung?
Die tariflichen Entwicklungsstufen des VKA bzw. TDL berücksichtigen diese Positionen aus gutem Grund schon gar nicht. Und wie immer besteht die Gefahr, dass der klinischen Alltagsroutine die spezifischen Erwartungen und Bedürfnisse der mittleren Ebene zum Opfer fallen – mitunter mit fatalen Folgen [1].
Wenn es in einer Abteilung mehrere Fachärzte in solchen Übergangspositionen gibt, besteht die Gefahr der Abwanderung. Eine Abteilung verliert dann im schlimmsten Fall gut eingearbeitete Fachärzte in die hunderte von Stunden an chirurgischem Training investiert wurden. Nachwuchsmangel und hohe Fluktuation bei den stark belasteten Klinikärzten verschärfen das Problem. Auf jeden Fall aber vergeben chirurgische Abteilungen die Chance motivierte Mitarbeiter an zukunftsträchtige Aufgabenstellungen der Abteilung heranzuführen.
Vorwärts heißt nicht immer aufwärts
Moderne Führungsparadigmen stellen einem „blinden Aufstieg“ alternative Laufbahnmodelle gegenüber. Dabei steht nicht unbedingt der Aufstieg in der Hierarchie sondern lebenslanges Lernen und individuelle Produktivität im Mittelpunkt [2]. Das Motto würde hier lauten: Vorwärts heißt nicht immer aufwärts.
Aus der Personalentwicklung kennt man den sog. Fachaufstieg, auch laterale Beförderung genannt, als Methode, um Mitarbeiter durch gezielte Förderung weiter zu entwickeln und zu halten, z. B. wenn keine vertikale Beförderung in der Linie möglich ist. Verwandte Begriffe sind:
- die „alternative Laufbahnstruktur“,
- die „Fachlaufbahn“ (im Unterschied zur Führungslaufbahn) oder
- die „Parallellaufbahn“.
Einführung eines neuen OP-Verfahrens als Fachaufstieg
In der eigenen thoraxchirurgischen Abteilung waren Anfang 2008 von sechs Assistenzarztstellen drei mit Fachärzten für Thoraxchirurgie besetzt. Alle waren in der eigenen Abteilung ausgebildet worden und sehr gut mit deren spezifischen Anforderungen vertraut. Eine Oberarztstelle war kurzfristig nicht verfügbar. Einer der Fachärzte war auf dem Weg der Habilitation und erklärter Aspirant auf die nächste freie Oberarztposition. Für den zweiten Facharzt war durch unsere Vermittlung bereits eine Oberarztstelle in einer auswärtigen Klinik in Aussicht. Die dritte Facharztstelle war mit einer talentierten und zielstrebigen Kollegin besetzt, die zu diesem Zeitpunkt seit einem Jahr Fachärztin war. Für die Abteilung war es wichtig, sie nicht zu verlieren.
Zur gleichen Zeit stand für die Abteilung die Einführung eines komplexen endoskopischen OP-Verfahrens (endoskopische, bzw. VATS-Lobektomie) an. Es entstand die Idee, beide Anliegen miteinander zu verbinden: ein fachlicher Aufstieg als Anerkennung und Herausforderung und gleichzeitig die Implementierung des neuen OP-Verfahrens.
Das Projekt Fachaufstieg zur Einführung der endoskopischen Lobektomie bestand aus den Phasen „Externe Qualifikation“ und „Implementierung“. Zur externen Qualifikation verbrachte die Fachärztin 2008 zur Hospitation vier Monate in Los Angeles in einem international anerkannten Zentrum für Thoraxchirurgie (Cedars-Sinai Medical Center, Dr. Robert McKenna). Finanziert wurde dieser Aufenthalt durch ein Qualifizierungsstipendium des Klinikträgers, der Robert-Bosch-Stiftung, Stuttgart.
Nach ihrer Rückkehr aus den USA führte sie 2009 und 2010 gemäß der Projektplanung 50 konsekutive endoskopische Lobektomien durch. Alle Eingriffe wurden ihr vom leitenden Oberarzt assistiert, der bis dahin selbst keine Erfahrung mit dem Verfahren hatte. Durch die geteilten Erfahrungen in diesem festen OP-Team, entstand eine gemeinsame Lernkurve mit Effekten gegenseitiger Verstärkung und Unterstützung. Nach der Implementierungsphase standen der Abteilung nun so zwei mit dem neuen Verfahren vertraute Ärzte zu Verfügung, die das Verfahren nun den anderen Kollegen vermitteln konnten.
Der glückliche Fall einer Win-Win-Situation
Wir sind für die Idee, eine jüngere Ärztin mit der Einführung eines derart schwierigen Operationsverfahrens zu betrauen nicht nur gelobt worden. Rückblickend hatte es sich aber als gute Entscheidung erwiesen eine umsetzungsstarke und zielstrebige Fachärztin extern zu qualifizieren und bei der Einführung intensiv zu unterstützen. Das neue und für die weitere Entwicklung der Abteilung wichtige Operationsverfahren wurde erfolgreich eingeführt, sodass ab 2012 endoskopische Lobektomien in die reguläre Facharztweiterbildung unserer Abteilung übernommen werden konnten.
Zugleich konnte eine leistungsstarke Fachärztin in der Abteilung gehalten werden, obwohl eine Beförderung zur Oberärztin erst im Jahr 2010, drei Jahre nach der Facharztprüfung, möglich war. Sie gilt heute als anerkannte Spezialistin auf dem Gebiet der endoskopischen Thoraxchirurgie. 2015 konnte sich die Kollegin noch einmal verbessern, als sie in einer auswärtigen Klinik die Stelle der leitenden Oberärztin antrat.
Personalentwicklung: altruistischer Luxus oder Gebot der Stunde
Es wäre ein Missverständnis, Maßnahmen zur Personalentwicklung als altruistischen Luxus zu verstehen. Es handelt sich um Führungsinstrumente, wobei im Idealfall Abteilungs- und Unternehmensinteressen mit Bedürfnissen von Mitarbeitern nach Qualifikation und inhaltsreicher Beschäftigung verbunden werden können.
Diesem modernen Verständnis von Personalführung steht in den Kliniken jedoch einiges im Wege. Krankenhäuser und insbesondere chirurgische Abteilungen zählen zu den traditionellen und hierarchischen Organisationen. Zudem ist in Kliniken eher die Verwaltung des Personals als ein modernes Personalmanagement die Regel. Auch die Unternehmensgröße spielt eine negative Rolle. Denn in Unternehmen des Industrie- und Dienstleistungssektors finden sich eigene Ressorts für Personalentwicklung auch erst in Unternehmen, die deutlich größer sind als deutsche Kliniken.
Dabei sind die Ideen der Personalentwicklung über betriebswirtschaftliche Fachliteratur oder das Internet jedermann zugänglich. Die Methoden sind leicht nachvollziehbar und nicht automatisch mit hohen Kosten verbunden. Chirurgische Abteilungen können Sie auch ohne Unterstützung der notorisch unterfinanzierten Personalressorts anwenden. Eine relevante fachliche Weiterentwicklung kann für einen Mitarbeiter eine attraktive Alternative zum Aufstieg in eine höhere Gehaltsklasse sein – auf jeden Fall vorrübergehend.
Für die chirurgische Ausbildung stellt die „Weiterbildung nach der Weiterbildung“ eine besondere Herausforderung dar. Fachärzte als Altassistenten oder Funktionsoberärzte in Wartepositionen ohne erkennbares Entwicklungskonzept zu parken, kann heute riskant sein. In Zeiten von Nachwuchs- und Fachkräftemangel verdient der stark beanspruchte und potentiell frustrierte Mittelbau höchste Aufmerksamkeit.
Die rasante Entwicklung hoch technisierter und komplexer OP-Verfahren stellt eine weitere wachsende Herausforderung dar und verlangt nach Konzepten für die Einführung in unsere Abteilungen. Ideen aus der Personalentwicklung wie z. B. alternative Laufbahnstrukturen könnten dabei in der Chirurgie genauso Anwendung finden wie in Industrie- oder Dienstleitungsunternehmen.
Literatur
[1] Morison R, Erickson T, Dychtwald K. Managing Middlescene. Harvard Business Review 3/2006
[2] Buckingham M, Coffman C. Erfolgreiche Führung gegen alle Regeln. Wie sie wertvolle Mitarbeiter gewinnen, halten und fördern. Campus 2001.
Kyriss T. Friedel G. Im Krebsgang – wie es vorwärts gehen kann, wenn es keine Oberarztstelle gibt. Passion Chirurgie. 2016 März, 6(03): Artikel 02_02.
Autor des Artikels
Dr. Thomas Kyriss
Robert-Bosch-KrankenhausKlinik SchillerhöheSolitudestraße 1870839Gerlingen kontaktierenWeitere Artikel zum Thema
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