Zurück zur Übersicht

Bericht über den ersten Fortbildungskurs Hernie kompakt 25.-27. Januar 2011 und die 5. Berliner Hernientage 28.-29. Januar 2011

Gibt es eine Notwendigkeit zur Schaffung eines zusätzlichen Kompaktkurses für Hernienchirurgie? Die Antwort liegt in der derzeit immer komplexeren Behandlung der Hernien. Nicht nur eine Vielzahl an OP Techniken stehen heutzutage dem Hernienchirurgen zur Auswahl. sondern auch zahlreiche Netzmaterialien und Fixierungsmöglichkeiten. Es gibt keine eindeutigen Standards und nur grobe Leitlinien, die für viele Weiterbildungsassistenten oft unübersichtlich erscheinen. Laura Hampe, Assistenzärztin für Chirurgie im Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe Berlin konstatierte in ihrem Vortrag anlässlich der 5. Berliner Hernientage, dass man zwar im Laufe der chirurgischen Weiterbildung eine Systematik in diese vielfältigen Behandlungsmöglichkeiten erhalte, die Ausbildung sei jedoch immer von den in der Weiterbildungsklinik bestehenden Lehrmeinungen abhängig. Nur selten bestehe ein breit gefächertes Spektrum der Therapiemöglichkeiten.

Auch die Umfrageergebnisse bei den Teilnehmern von Hernie kompakt und der Berliner Hernientage kommen zu dem Schluss, dass die Qualität der Ausbildung derzeit noch unzureichend ist.

Die TED-Umfragewerte unter den fast 400 Teilnehmern der 5. Berliner Hernientage 2011 ergeben ein eindeutiges Bild:

Der enorme ökonomische Druck in den Kliniken führt darüber hinaus zu einer vermehrten Übernahme der Hernienoperationen durch erfahrene Chef- und Oberärzte, deren OP-Zeiten deutlich unter denen der Assistenzärzte liegen. Klassische Anfängeroperationen verschwinden zunehmend aus dem Klinikalltag. Entweder werden diese Eingriffe ambulant im niedergelassenen Sektor operiert oder die Eingriffe werden aufgrund des medizinischen Fortschrittes immer komplexer und diffiziler. De facto findet jedoch im niedergelassenen Sektor aufgrund der fehlenden finanziellen Förderung keine chirurgische Weiterbildung statt.

Es existieren daneben keine einheitlichen Weiterbildungsstandards entsprechend der Ausbildungsjahre. Die Teilnehmer des Kompaktkurses forderte n eine regelmäßige Qualitätssicherung nicht nur der Kliniken und Operationen sondern auch der Weiterbildung, ggf. auch mit Entzug der Weiterbildungsermächtigung bei unzureichender Ausbildung.

Die Schaffung neuer Konzepte in der chirurgischen Weiterbildung ist vor diesem Hintergrund eine dringende Aufgabe zur Sicherung der Zukunft der Chirurgie.

Dr. Stechemesser, Dr. Lorenz (Foto: A. Böhmig)

Dr. Reinpold, Dr. Lorenz (Foto: A. Böhmig)

Der erste dreitägige Weiterbildungskurs Hernie kompakt, der eine neue Struktur der Weiterbildung erstmalig umgesetzt hat, fand vom 25.01. bis zum 27.01.2011 in Berlin statt. Bereits Mitte Dezember war dieser Kurs mit 50 Teilnehmern aus allen Teilen Deutschlands und Österreichs vollständig ausgebucht. Zielgruppe waren sowohl Assistenzärzte in chirurgischer Weiterbildung als auch Fachärzte für Chirurgie, die ein grundlegendes Update der Hernienchirurgie erhalten wollten. Ziel war es, die Vielfalt der Möglichkeiten systematisch aufzuarbeiten und einen Blick über den „Tellerrand“ zu ermöglichen.

Der Kompaktkurs bestand aus 3 Teilen:

Tag 1
Anatomie
Tag 2
OP- Hospitation
Tag 3
Theorie
– Vortrag Anatomie
– Praktische Übungen an Präparaten
– Operationen an Leichen unter chirurgischer Anleitung
– Kurzpräsentation über alle wichtigen Techniken
– Quiz
9 beteiligte Kliniken und Praxen
13 OP-Säle
– Kleingruppen mit 4 Teilnehmern je OP-Saal
– Fokus Vielfalt der Möglichkeiten
Themen:
– Fehlermanagement
– Qualitätssicherung
– Hernienregister
– Materialien
– Übersicht Leistenhernie
– Übersicht primäre/sekundäre Ventralhernie
– Schmerz
– Ambulant/stationäre Versorgung

Am ersten Tag wurde mit einer anatomischen Vorlesung begonnen um danach diese Anatomie an ausgesuchten Präparaten entsprechend praktisch zu demonstrieren. Am Nachmittag wurde in Kleingruppen an Leichen unter chirurgischer Anleitung operiert, die zusätzlich von kurzen Präsentationen zu den wichtigsten Operationstechniken begleitet wurden. Abgerundet wurde dieser erste Tag durch ein Quiz zur Anatomie der Leiste und zu allgemeinen Fragen der Hernienchirurgie.

Am zweiten Tag wurden die Teilnehmer je nach Wunsch in einzelne Hospitationszentren in Berlin aufgeteilt. 9 Kliniken und Praxen mit insgesamt 13 OP-Sälen waren daran beteiligt. Somit war garantiert, dass jeder Teilnehmer Hands-on an mehreren Operationen assistieren konnte. Sowohl Kliniken als auch Kooperationsmodelle zwischen Klinik und Praxis und chirurgische Praxen waren an diesen Hospitationen beteiligt. Somit wurde auch eine große Vielfalt an Behandlungsoptionen garantiert.

Der dritte Tag wurde mit Präsentationen über verschiedene Themen der Zeit ergänzt. Dabei standen neben Fachthemen auch politische Themen und sogenannte Soft-skills auf dem Programm. Anschließend wurde viel Raum einer breiten Diskussion gegeben um die Erfahrungen der drei Tage auszutauschen.

Alle Teilnehmer erhielten ein ausführliches Script zu allen derzeit vorhandenen Operationstechniken mit kurzer Historie, OP-Anleitung und derzeitiger Studienlage. Dieses Skript liest sich wie ein „Nachschlagwerk der Hernienchirurgie“.

Das Feedback der Teilnehmer war überaus positiv:

Die Deutsche Herniengesellschaft signalisierte im Rahmen der 5. Berliner Hernientage diese Form von Weiterbildungsangebot künftig zu fördern und zu unterstützen.

Weiterbildungskonzepte bei unseren europäischen Nachbarn

Prof. Andrew Kingsnorth aus Plymouth, Präsident der European Hernia Society, zeigte im Rahmen seiner Präsentation bei den 5. Berliner Hernientagen ein britisches Modell zur Ausbildung in der Hernienchirurgie. Kernpunkt ist dabei eine strenge Systematik mit zusätzlicher Einteilung der Patienten in Schweregrade. Dabei gibt es 42 technische Schritte einer Leistenhernien-Operation und insgesamt 8 Schweregrade von Patienten je nach Ausmaß der Hernie und Dicke des Unterhautfettgewebes. Im 1. bis 3. Weiterbildungsjahr wird demnach die offene Hernienchirurgie erlernt und im 4. und 5. Weiterbildungsjahr werden die laparoskopischen Techniken vermittelt. Entscheidend sei eine kontinuierliche persönliche Supervision und eine stufenweise Ausbildung.

Prof. Marc Miserez aus Leuven ( Belgien), gleichzeitig Tagungspräsident des EHS-Kongresses 2011 im Juni 2011 in Gent, wies in seinem Vortrag darauf hin, dass gerade während der Lernphase Komplikationen häufiger sind, die Operationszeit länger ist und die Rate der Konversionen vom laproskopischen zum offenen Vorgehen höher ist. Auch er favorisiert zur Lösung dieses Problems ein strukturiertes Trainingsprogramm mit einem definierten Stufenmodell. Er empfiehlt jedoch im Gegensatz zu Prof. Kingsnorth mit dem Training der laparoskopischen Techniken bereits frühzeitig, schon während der ersten Weiterbildungsjahre zu beginnen. Eine adäquate Patientenselektion kann die Komplikationsrate während der Lernphase minimieren. Grundsätzlich sollte deshalb die endoskopische Ausbildung am besten mit einer weiblichen Hernie begonnen werden, niemals mit einem Rezidiv, einer Scrotalhernie oder einer rechtsseitigen Hernie nach Appendektomie.

Prof. Kingsnorth, Prof. Miserez, PD Niebuhr (Foto: A. Böhmig)

Neue Weiterbildungskonzepte auch in Deutschland

Prof. Reinhard Bittner aus der EuroMed Klinik Fürth berichtet über seinen mehrjährigen Erfahrungen mit Masterkursen für die laparoskopische Hernienchirugie. Seiner Ansicht nach fehlt es derzeit oft an einem Qualitätsbewusstsein der Chirurgen. Die Masterkurse würden hilfreich sein zur Überprüfung der Technik, zur Aktualisierung des Wissens und für praktische Übungen. Die Ausbildung an sogenannten Hernienmodellen bietet dabei zahlreiche Möglichkeiten für ein systematisches Training einzelner Operationsschritte wie dem operativen Zugang, der Präparation, der Netzeinlage und der Fixierung sowie dem Peritonealverschluss.

Prof. Schumpelick, Laura Hampe, Prof. Bittner (Foto: A. Böhmig)

Über seine Erfahrungen mit der Ausbildung in der mikroinvasiven Hernienchirurgie berichtete PD Henning Niebuhr aus dem Hanse-Hernienzentrum Hamburg. In einer Kostenanalyse zeigt er zusammenfassend, dass Ausbildungseingriffe grundsätzlich deutlich mehr Zeit fordern und deren Finanzierung in der jetzigen Vergütung nicht abgebildet ist.

Herniologen in Deutschland?

Auf die Frage, brauchen wir den Herniologen für die Ausbildung in der Hernienchirurgie, antwortete Prof. Volker Schumpleick in seinem Referat bei den Berliner Hernientagen mit einem klaren „Nein“. Der beste Ausbilder sei nach seiner Ansicht ein Chirurg mit breitbasierter Hernienerfahrung. Er fasste darüber hinaus erstmals 10 Gebote für die Hernienchirurgie zusammen:

DIE 10 GEBOTE DER HERNIENCHIRURGIE 2011

1. KLASSIFIKATION (EHS) IST OBLIGAT

2. STANDARDISIERTE INDIKATION UND VERFAHRENSWAHL

3. OBLIGATE QUALITÄTSKONTROLLE

4. VERBINDLICHES REGISTER

5. TRANSPARENTE AMBULANTE VERSORGUNG

6. AUSBILDUNG OHNE ZU FRÜHE SPEZIALISIERUNG

7. ZERTIFIZIERUNG

8. EBM – BASIERTE OPERATIONSVERFAHREN

9. EBM – BASIERTE NETZPROTHESEN

10. SPEZIALTECHNIKEN DURCH SPEZIALISTEN

Zusammenfassend muss festgestellt werden, dass die chirurgische Weiterbildung in Deutschland nicht nur auf dem Gebiet der Hernienchirurgie dringend reformiert werden muss um auch langfristig den qualifizierten chirurgischen Nachwuchs zu sichern.

Neben einer eigenständigen Finanzierung oder zumindest finanziellen Unterstützung der chirurgischen Weiterbildung, die insbesondere dem erhöhten Zeitbedarf der Weiterbildung gerecht wird, ist darüber hinaus eine systematische Standardisierung der Ausbildung auch unter Einbeziehung der niedergelassenen Chirurgen im Sinne einer Verbundweiterbildung zu fordern.

Hier sind neben den Ärztekammern auch die Berufsverbände und Fachgesellschaften gefragt gemeinsam Lösungsvorschläge zu erarbeiten.

Zusätzliche Weiterbildungsangebote wie Hernie kompakt ergänzen das derzeitige Angebot sinnvoll, können allerdings eine systematische und standardisierte Weiterbildung in der Chirurgie nicht ersetzen.

Dr. Stechemesser, Prof. Schumpelick, Dr. Lorenz, PD Conze (Foto: A. Böhmig

Saal Berliner Hernientage (Foto: A. Böhmig)

Lorenz R, Stechemesser B, Reinpold W. Hernienchirurgische Weiterbildung auf dem Prüfstand. Passion Chirurgie. 2011 Feb; 1 (2): Artikel 03_02.


Autoren des Artikels

Profilbild von Stechemesser

Dr. med. Bernd Stechemesser

Hernienzentrum KölnPAN Klinik, Neumarkt GalerieZeppelinstr. 150667Köln kontaktieren
Profilbild von Reinpold

Dr. med. Wolfgang Reinpold

Chefarzt der Chirurgischen Abteilung und HernienzentrumWilhelmsburger Krankenhaus Groß-SandGroß-Sand 321107Hamburg kontaktieren

Weitere Artikel zum Thema

Passion Chirurgie

Lesen Sie PASSION CHIRURGIE!

Die Monatsausgaben der Mitgliederzeitschrift können Sie als eMagazin online lesen.