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Den Punkt, an dem sich Chirurginnen und Chirurgen fragen, ob sie weiter angestellt in einer Klinik arbeiten wollen oder sich mit einer eigenen Praxis selbstständig machen wollen, kennen wahrscheinlich die meisten. Sie müssen sich scheinbar entscheiden. Genau diese Entscheidung aber war es, die Florian Vogel* und Benjamin Tobin* scheuten. Oder besser: Sie wollten diese Entscheidung nicht in dieser Form treffen. Kein entweder/oder, besser ein sowohl/als auch. Beide Alternativen haben Vorteile, warum sich also entscheiden müssen? Geht nicht beides?

Aus einem Gedankenspiel wurde eine Idee. Und diese Idee schien Realität werden zu können, als Vogel seinem Kollegen Tobin von einem freien Praxissitz erzählte. Zu dem Zeitpunkt arbeiten beide in einer Vollzeitbeschäftigung an einer Klinik. Beide sind Oberärzte. Aber für beide ist klar, sie wollen nicht Chefarzt werden. Sie wollen nicht „auf dem Schleudersitz sitzen“ wie sie es von anderen Kollegen kennen. Aber einen Praxissitz allein übernehmen, kommt auch nicht infrage. Das Operieren – vor allem größere Eingriffe – würde ihnen fehlen. Also warum nicht Chancen und Risiken teilen? Eine selbstständige Tätigkeit mit eigenem Praxissitz und eine angestellte Tätigkeit als Oberarzt, geht das?

Die ersten Hürden

Anfang 2012 entscheiden sich die beiden: Wir probieren es. „Für die beiden Oberärzte steckte auch der Gedanke dahinter, manchen Patienten nicht nur zu operieren, sondern von der Diagnose bis zur Nachsorge zu begleiten. Es war natürlich nicht einfach, unseren Chef davon zu überzeugen – schließlich würde eine freie Stelle in der Klinik entstehen. Aber am Ende war er einverstanden“, erzählt Vogel.

Jetzt folgen eine Menge Organisation für beide Praxisinhaber in spe. Termine mit Banken, der KV, mit Rechtsanwälten, dem Abgeber der Praxis usw. „Bevor wir einen Vertrag aufsetzen konnten, mussten wir beide uns klar und einig darüber werden, was wir genau wollen. Das fing bei der Praxiseinrichtung an und hörte bei der Gestaltung der Arbeitszeiten auf“, sagt Tobin. Diese Zeit sei nicht einfach gewesen. Aber letztendlich habe es beide Kollegen noch mehr zusammengeschweißt. „Bei unserem eher ungewöhnlichen Modell ist eine Absprache auch in einfachen Angelegenheiten unerlässlich. Es ist wichtig, dass man sich gut kennt und versteht – und vor allem ehrlich miteinander ist.“

Aber wie genau soll das laufen?

Was beide sich vorstellen, steht also fest. Jetzt folgen die Verträge, die Zusammenarbeit muss in rechtliche Formen gegossen werden. Es wird vertraglich festgehalten, dass jeder seine Arbeitskraft in gleicher Weise in der Klinik und in der Praxis einbringt. Damit wird sichergestellt, dass beide ungefähr das gleiche Einkommen beziehen. Diese und andere Eckpunkte werden im Gemeinschaftspraxisvertrag geregelt.

Weitere Details müssen nebenbei – also neben der Vollzeitbeschäftigung in der Klinik organisiert, geplant und abgesprochen werden. Die Zeit läuft. Im Juli 2012 wollen sie gemeinsam in der Praxis starten.

„Nachdem wir genau besprochen hatten, was wir wollen, mussten wir festhalten, wo unsere Stärken liegen, wie wir die Praxis gestalten und ausrichten wollen. Dabei haben wir festgestellt, dass die fachliche Qualifikation alleine nicht ausreichend ist. Gerade vom Thema EDV und Abrechnung als niedergelassener Chirurg wusste ich nicht viel“, erzählt Vogel ganz offen. Es stand also fest, dass sie bei der Durchführung Hilfe benötigten.

Hilfe bei der Planung

Beide besuchten ein Seminar zur Praxisübernahme. Die KVen und auch der BDC beraten in solchen Situationen. „Man sollte dringend Beratung in Anspruch nehmen. Damit man sicher geht, nichts zu vergessen und an möglichst viele Informationen zu kommen“, rät Benjamin Tobin. Auch Gespräche mit bereits niedergelassenen Kollegen sind hilfreich. Um externe Beratung solle man sich so früh wie möglich kümmern. „Um Ideen zu bekommen, Probleme und Regelungsbedarf frühzeitig zu erkennen – und dann peu à peu alles abarbeiten zu können“.

Alles in allem hatten beide ungefähr zehn Monate für die Planung. „Das war zu kurz – am Ende war es eine Punktlandung, ein ganzes Jahr sollte man auf jeden Fall einplanen“, sagt Vogel. Einen Tag vor dem eigenen Praxisstart hat der Praxisvorgänger noch mit seiner alten EDV-Anlage dort gearbeitet. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion musste die neue Anlage installiert werden. Eben eine Punktlandung.

Zufriedenheit in allen Bereichen

Aus „Da gibt es einen Praxissitz. Was hältst du denn davon? Wollen wir da was machen?“ wird ein perfektes Team – im Klinikalltag hat es bereits über fünf Jahre geklappt, jetzt auch in der Praxis. Eigene Entscheidungen treffen und trotzdem oft operieren: für beide die beste Kombination. Sicher, dieses Modell passt nicht für jeden optimal. In Zeiten, in denen sektorenübergreifende Versorgung großgeschrieben wird, regt es aber zumindest zu neuen Ideen an.

* Name von der Redaktion geändert

Tipps für Nachahmer

  • Erstmal Praxis-Luft „schnuppern“, also wenigstens drei Monate in einer Niederlassung arbeiten
  • Was will ich? Ehrlicher Austausch zwischen den Praxis-Partnern
  • Seminar/Beratung zur Praxisübernahme/-gründung
  • Mindestens ein Jahr Zeit für die Planung und Organisation

Weilbach J: Hälfte:Hälfte – Ein etwas anderes Arbeitsmodell. Passion Chirurgie. 2018 März, 8(03): Artikel 08_01.

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Julia Weilbach

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