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Geschlechtsspezifische Disparitäten in der Herzchirurgie

Die geschlechtssensible Medizin hat in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen, auch in Fachbereichen wie der Herzchirurgie, in denen geschlechtsspezifische Unterschiede in Diagnose, Behandlung und Ergebnissen bisher oft unzureichend berücksichtigt wurden. Zahlreiche aktuelle Studien und laufende Forschungsprojekte belegen, dass Männer und Frauen aufgrund biologischer Unterschiede sowie sozialer und kultureller Faktoren unterschiedliche Behandlungsverläufe im Gesundheitssystem aufweisen. Diese Unterschiede können zu variierenden Behandlungsstrategien und -ergebnissen führen, die insbesondere in der Herzchirurgie eine zentrale Rolle spielen.

Aus der Literatur geht hervor, dass Patientinnen nach großen Operationen darunter herzchirurgische Eingriffe wie die koronare Bypass-Operation, der Aortenklappenersatz sowie der Mitralklappenersatz bzw. -rekonstruktion, eine höhere Sterblichkeitsrate aufweisen als männliche Patienten. Obwohl beide Geschlechter ähnliche Raten schwerwiegender Komplikationen zeigen, sterben Frauen häufiger an diesen. Das könnte darauf hindeuten, dass Ärztinnen und Ärzte Frauen nach der Operation unterschiedlich behandeln, was die Sterblichkeit erhöht. [1] Eine bessere Erkennung und Behandlung von Komplikationen bei Frauen könnten diese geschlechtsspezifische Diskrepanz verringern.

Zudem sind Frauen in vielen großen Studien unterrepräsentiert – oft stellen sie nur etwa 15 % der Teilnehmenden. Diese ungleiche Repräsentation führt zu einer verzerrten Sicht auf die Behandlungsergebnisse und -empfehlungen für Frauen. Es gibt zahlreiche Hypothesen zur Unterdiagnose von Herzerkrankungen bei Frauen. So beschreiben Frauen ihre Symptome häufig anders als Männer und erleben bei einem Herzinfarkt häufig subtilere Symptome wie Atemnot, Übelkeit oder Schmerzen im Kiefer, Arm oder Rücken, während männliche Patienten eher die typischen Brustschmerzen schildern. Studien deuten darauf hin, dass Frauen weniger aggressiv behandelt werden und ihre Beschwerden nicht immer mit der gleichen Priorität gewichtet werden wie die von männlichen Patienten. Beispielsweise werden in Europa deutlich mehr Prozeduren an der Aortenklappe bei Männern durchgeführt (423 Eingriffe pro eine Million Einwohner im Vergleich zu 258 bei Frauen), trotz mutmaßlich gleicher Inzidenz von Aortenklappenvitien. [2]

Dies könnte zu schlechteren Behandlungsergebnissen führen und verdeutlicht die Notwendigkeit, geschlechtsspezifische Faktoren stärker in der klinischen Praxis zu berücksichtigen. [3]

Koronare Bypass-Chirurgie

Die Ergebnisse der koronaren Bypass-Operation (CABG) sind bei Frauen im Vergleich zu Männern schlechter. Ein internationales Forschungsteam analysierte Daten von 45.372 Fällen aus sieben Studien, darunter 777 Frauen. Die Ergebnisse zeigen, dass Frauen nach einer koronaren Bypass-Operation schlechtere Langzeitergebnisse und mehr Komplikationen haben, insbesondere eine höhere Rate an Bypass-Versagen, vor allem bei der Verwendung von Beinvenen. Frauen benötigen häufiger erneute Eingriffe und haben ein höheres Risiko für Herzinfarkte und Tod. [4]

Es ist bekannt, dass Frauen während der Operationen seltener arterielle Bypässe erhalten, obwohl diese eine bessere Haltbarkeit aufweisen. Die aktuell laufende ROMA-Studie ist die erste Koronarchirurgie-Studie, die sich speziell mit Frauen befasst. Sie wird geschlechtsspezifische Leitlinien für die koronare Bypass-Operation entwickeln helfen, um bestehende Ungleichheiten zu reduzieren und Lücken in der Evidenz zu schließen, die durch die Unterrepräsentation von Frauen in früheren Studien entstanden sind. Darüber hinaus kann die Studie zukünftig als Vorbild für weitere Forschungsprojekte dienen, um gezielt Studien für Frauen und andere Minderheitengruppen zu konzipieren. [5]

Aortenklappenchirurgie

Ein besonders relevantes Thema in der Herzchirurgie ist die Behandlung von Patient:innen mit Aortenklappenstenose. Hier zeigt sich die Unterdiagnostizierung von Frauen ganz deutlich. [2] [6] Männer (31.3 %) werden beim Hausarzt häufiger mit dem Stethoskop untersucht als Frauen (24.2 %, p < 0.001), was zeigt, dass eine gewisse Aware­ness fehlt, Frauen auf Herzerkrankungen hin zu untersuchen, was die Diagnose verzögert. [6] Frauen mit Aortenklappenstenose werden auch seltener invasiv therapiert und häufiger mit Transkatheter-Aortenklappenimplantationen (TAVI) als mit konventionellem Aortenklappenersatz behandelt, was aufgrund ihres höheren Alters und des höheren Risikoscores bei Indikationsstellung nachvollziehbar scheint. [7] [8]

Die jüngsten Daten über erhöhte Sterblichkeitsraten nach einem chirurgischen Aortenklappenersatz (SAVR) bei weiblichen Patienten sind besorgniserregend und erfordern gezielte Aufmerksamkeit. [7] [9] [10] Es ist notwendig, geschlechtsspezifische Faktoren in den Entscheidungsprozess zur Wahl der optimalen Behandlungsstrategie (TAVI vs. SAVR) einzubeziehen und eine sorgfältige prozedurale Planung vorzunehmen, um den Eingriff an die individuellen Bedürfnisse der Patientinnen anzupassen.

Ein erheblicher Anteil weiblicher Patienten weist kleinere anatomische Strukturen auf, darunter den Aortenklappenannulus, die Aortenwurzel, den Thorax und periphere Gefäße. Diese Faktoren haben wichtige Auswirkungen auf die prozedurale Planung und die Behandlungsergebnisse. Daten aus einer randomisierten Studie zeigen, dass 60 % der Frauen eine chirurgische Klappenprothese mit einer Größe von ≤ 21 mm erhielten, im Vergleich zu nur 13,3 % der Männer. [11] Aus chirurgischer Sicht kann der kleinere Brustraum es zusätzlich erschweren, minimalinvasive Eingriffe in einem ohnehin begrenzten Operationsfeld durchzuführen. Eine effektive prozedurale Planung sollte daher Strategien zur Bestimmung des optimalen Prothesentyps und der passenden Größe, die Auswahl des besten Zugangswegs sowie die Beurteilung der Notwendigkeit einer Aortenwurzelvergrößerung beinhalten.

Neue Daten randomisierter Studien zeigen Vorteile von TAVI bezüglich kombinierter Endpunkte aus Letalität, Schlaganfall und Rehospitalisierung insbesondere bei Frauen, während bestimmte schwerwiegende Komplikationen ausschließlich bei Frauen auftraten. [12] Die genaue wissenschaftliche Bewertung dieser Daten steht noch aus, unstrittig ist jedoch, dass in Zukunft durch geschlechtsspezifische Prozedurplanung die Ergebnisse und Prognosen von Frauen mit Aortenklappenstenose verbessert werden kann.

Mitralklappenchirurgie

In den letzten Jahren hat die Mitralklappenchirurgie große Fortschritte gemacht, wobei die minimalinvasive Technik (MIV) zunehmend den klassischen chirurgischen Zugang ergänzt. MIV hat hervorragende Langzeitergebnisse erzielt, doch es gibt wenig Wissen über geschlechtsspezifische Unterschiede. Eine Studie zu geschlechtsspezifischen Ergebnissen in einer MIV-spezialisierten Kohorte ergab, dass Frauen im Vergleich zu Männern älter waren, höhere EuroSCORE II-Werte aufwiesen, symptomatischer waren und komplexere Klappenpathologien hatten. Die In-hospital-Sterblichkeit war zwischen den Geschlechtern ähnlich, jedoch trat bei Frauen häufiger Vorhofflimmern auf. Die 5-Jahres-Überlebensrate und die Freiheit von Reoperationen waren ebenfalls vergleichbar. Nach Propensity-Matching zeigte sich, dass bei Frauen seltener die Mitralklappe reseziert wurde, aber Frauen häufiger Vorhofflimmern entwickelten. Im Follow-up war die Ejektionsfraktion bei Frauen besser. [13]

Insgesamt zeigen Frauen trotz höherer Komplexität und höheren Alters vergleichbare frühe und mittelfristige Ergebnisse in Bezug auf Mortalität und Reoperationen nach MIV. Eine interdisziplinäre Zusammenarbeit im Herzteam könnte helfen, das erhöhte chirurgische Risiko bei Frauen zu verringern. Weitere Studien sind notwendig, um diese Ergebnisse zu bestätigen.

Chirurgen-Geschlecht beeinflusst Outcome

Eine kanadische Studie aus dem Jahr 2022, veröffentlicht in JAMA Surgery, zeigte, dass das Geschlecht des Chirurgen einen entscheidenden Einfluss auf den Verlauf und das Ergebnis einer Operation hat. Die Untersuchung, geleitet von Prof. Dr. Angela Jerath und Prof. Christopher Wallis, analysierte die Daten von über 1,3 Millionen Patienten:innen, die in Ontario in den letzten 12 Jahren von fast 3.000 Chirurgen:innen operiert wurden. Dabei zeigte sich, dass Frauen, die von männlichen Chirurgen operiert werden, nach dem Eingriff ein um bis zu 15 Prozent höheres Risiko für Komplikationen haben als Frauen, die von weiblichen Chirurgen behandelt wurden. Diese Ergebnisse werfen ein neues Licht auf geschlechtsspezifische Unterschiede in der chirurgischen Praxis und betonen die Notwendigkeit, diese in der Patientenversorgung zu berücksichtigen, auch in der Herzchirurgie bei komplexen Eingriffen. Die Studie deutet darauf hin, dass Unterschiede in Kommunikation und Entscheidungsfindung zwischen männlichen und weiblichen Chirurgen signifikante Auswirkungen auf die Behandlungsergebnisse haben könnten, und empfiehlt die Bildung gemischter Chirurgenteams. [14]

Internationale Tagung „Geschlechtsspezifische Aspekte in der Chirurgie“ – Juni 2025 in Greifswald

Die Berücksichtigung von Genderaspekten in der Herzchirurgie ist nicht nur eine wissenschaftliche Herausforderung, sondern auch eine gesellschaftliche und praktische Notwendigkeit. Angesichts o. g. dringender Fragestellungen wird eine internationale Tagung „Geschlechtsspezifische Aspekte in der Chirurgie“ im Juni 2025 im Alfried Krupp Wissenschaftskolleg in Greifswald unter der wissenschaftlichen Leitung der Autorinnen stattfinden.

Die Veranstaltung wird sich mit den aktuellen Entwicklungen der Geschlechtssensiblen Medizin im Bereich der chirurgischen Fächer insgesamt befassen. Die Tagung wird durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und Alfried Krupp Wissenschaftskolleg gefördert und bringt führende Expert:innen und Forscher:innen aus Deutschland sowie internationale Partner:innen zusammen, um neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu diskutieren und die praktische Umsetzung geschlechtsspezifischer Medizin in allen chirurgischen Fächern zu fördern.

Für weitere Informationen zur Tagung, Podcasts, Statements und zur Anmeldung laden wir Sie ein die Website der Tagung zu besuchen.

Bleiziffer S, Katsari E: Geschlechtssensible Aspekte in der Herzchirurgie: Neue Perspektiven und Herausforderungen. Passion Chirurgie. 2025 Mai; 15(05): Artikel 03_06.

Autoren des Artikels

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Prof. Dr. med. Sabine Bleiziffer

Klinik für Thorax- und KardiovaskularchirurgieHerz- und Diabeteszentrum Nordrhein-Westfalen/Bad OeynhausenUniversitätsklinik der Ruhr-Universität Bochum kontaktieren
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Dr. med. Elpiniki Katsari

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