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Die chirurgische Facharztweiterbildung steht an einem kritischen Wendepunkt. Die Generation Z (Ärztinnen und Ärzte, die ab 1997 geboren wurden und vollständig in einer digital vernetzten Welt aufgewachsen sind) tritt mit einem neuen Werteverständnis in die Kliniken ein [1, 2]. Geprägt von permanenter Vernetzung, sozialer Vielfalt und dem starken Fokus auf individuellen Sinn und Selbstverwirklichung, fordern sie eine Arbeitswelt, die mit der traditionellen Krankenhauskultur oft diametral kollidiert [3, 4].

Die Gen-Z ist die erste Generation, die sich als „Digital Natives 2.0“ beschreiben lässt. Sie sind realistisch, sicherheitsorientiert und zugleich anspruchsvoll, wünschen sich Unabhängigkeit und ein optimales Verhältnis aus Arbeitsleben, Freizeit und Familie [2]. Demgegenüber steht ein Weiterbildungssystem, das in vielerlei Hinsicht noch in den Strukturen des 20. Jahrhunderts verankert ist: lange Präsenzzeiten, starre Hierarchien und die Erwartung, dass persönliche Bedürfnisse hinter beruflicher Hingabe zurückzustehen haben.

Die provokante These lautet: Wir bilden nach einem Modell aus, das älter ist als die Menschen, die wir ausbilden.

Die junge Generation bringt neue Perspektiven, Werte und Kompetenzen mit, die den Wandel in der chirurgischen Weiterbildung entscheidend vorantreiben können. Die Herausforderung der kommenden Jahre besteht darin, diese Haltung in konkrete Verbesserungen zu übersetzen, sodass aus dem Streben nach Sinn, Work-Life- Balance und digitaler Vernetzung spürbare Vorteile für Patient:innen, Teams und das gesamte Versorgungssystem entstehen. Eine Modernisierung der Weiterbildung ist damit kein Bruch mit Bewährtem, sondern ein notwendiger Schritt, um die Zukunftsfähigkeit, Attraktivität und Innovationskraft der Chirurgie langfristig zu sichern.

Kulturclash: Klinikalltag trifft Generation Sinn

Das Aufeinandertreffen der sogenannten Generation Sinn, wie die Gen Z auch genannt wird, mit der chirurgischen Realität legt tiefliegende Spannungsfelder offen. Der Wunsch nach Selbstgestaltung, planbaren Arbeitszeiten und einer sinnstiftenden Tätigkeit, die über das bloße Abarbeiten hinausgeht, prallt auf eine Weiterbildungskultur, die noch immer von Unplanbarkeit, körperlicher Belastung und Hierarchien geprägt ist.

Was zunächst wie ein Generationenkonflikt aussieht, ist in Wahrheit Ausdruck struktureller Defizite: starre Arbeitsmodelle, eine begrenzte Feedbackkultur und eine fehlende Flexibilität bei der Gestaltung von Lernprozessen. Die Forderung nach einer ausgewogeneren Balance zwischen Berufs- und Privatleben ist dabei kein exklusives Anliegen der Jüngeren, sondern ein gesamtgesellschaftlicher Trend. Studien zeigen, dass dieser Wunsch nach Vereinbarkeit die Loyalität gegenüber Arbeitgebern sinken und die Wechselbereitschaft steigen lässt [3]. Besonders im Gesundheitswesen sind die Spannungen zwischen den Generationen mit rund 30 % überdurchschnittlich ausgeprägt [4], was darauf hindeutet, dass die bestehenden Strukturen nur begrenzt zukunftsfähig sind.

Konfliktlinien im chirurgischen Alltag:

  • Erwartung: planbare Arbeitszeiten, die das Privatleben respektieren
    Realität: unvorhergesehene, oft lange Operationen, starre Dienstpläne, die oft an die Grenzen der europäischen Arbeitszeitrichtlinie stoßen [1]
  • Erwartung: hohe Wertschätzung, kontinuierliches Feedback, Coaching-Mentalität
    Realität: traditionelle Hierarchien, Führungsverhalten nach dem Prinzip „Befehl und Gehorsam“ sowie häufig fehlende strukturierte Weiterbildungsgespräche [5]
  • Erwartung: strukturierte, kompetenzbasierte Weiterbildung, die den individuellen Fortschritt in den Fokus stellt [6]
    Realität: starre Rotationspläne, die primär dem Personalbedarf dienen, und ein Fokus auf Anwesenheit statt auf Lernerfolg [6]

Die Folge: Trotz guter Ansätze scheitert die Umsetzung einer modernen, kompetenzorientierten Weiterbildung häufig an systemischen Grenzen, Personalknappheit und finanziellem Druck [7]. Während die chirurgische Klinik im Rahmen der Weiterbildungsordnung oft durch hohe Belastung und unflexible Strukturen geprägt bleibt, gewinnen ambulante Versorgungsformen an Attraktivität – nicht, weil sie weniger anspruchsvoll sind, sondern weil sie mehr Gestaltungsspielraum, Planbarkeit und Eigenverantwortung bieten [2].

Perspektivwechsel: Was die Gen Z einbringen kann

Es geht nicht darum, in einem Generationenkonflikt zu verharren, sondern die Chirurgie zukunftsfähig zu gestalten. Angesichts attraktiverer und flexiblerer Arbeitsmodelle in anderen Branchen (von Homeoffice und Workcation bis hin zu personalisierten, individuellen Karrierewegen) wird es zur strategischen Notwendigkeit, die Generation Z nicht als Fordernde, sondern als Katalysator für strukturelle Veränderungen zu verstehen.

Die Diskussion über die Generation Z darf daher nicht im Klagen über vermeintlich hohe Ansprüche verharren. Vielmehr eröffnet sie die Chance, lang etablierte Strukturen zu hinterfragen, Lern- und Arbeitsprozesse effizienter zu gestalten und die chirurgische Weiterbildung an die Anforderungen der kommenden Jahrzehnte anzupassen.

Die Generation Z ist somit keine Gefahr für das System, sondern das Potenzial, das dessen Modernisierung ermöglicht.

Abb. 1: „Wer ist die Gen-Z?“

Ihre Stärken sind bereits heute auf viele Herausforderungen der modernen Klinik übertragbar:

  1. Digitalkompetenz und Innovationsbereitschaft: Als „Digital Natives 2.0“ verfügt die Gen-Z über eine ausgeprägte Routine im Umgang mit digitalen Tools, sozialen Medien und neuen Technologien [1, 7]. Diese Fähigkeiten sind von zentraler Bedeutung für die Weiterentwicklung der chirurgischen Weiterbildung – von Telemedizin und OP-Simulationen über KI-gestützte Weiterbildung bis hin zu digitalem Wund- und Fallmanagement. Viele junge Ärzt:innen treiben die Digitalisierung der Weiterbildung aktiv voran, indem sie Social-Media-Plattformen zur fachlichen Vernetzung, Wissensvermittlung und Aufklärung von Patient:innen nutzen [1].
  2. Werteorientierung und Teamkultur: Der Wunsch nach Sinnhaftigkeit, Transparenz und Wertschätzung ist die ideale Grundlage für eine moderne Klinik- und Teamkultur. Die Generation Z fordert flachere Hierarchien und eine positive Fehlerkultur, in der Führung als Coaching verstanden wird. Diese Haltung fördert die Offenheit im Umgang mit Komplikationen, stärkt das Lernen im Team und steigert die Patientensicherheit. Gleichzeitig bringt die Generation mit ihrer Kreativität und Flexibilität neue Impulse ein, um ineffiziente Prozesse zu hinterfragen und klinische Abläufe konstruktiv zu verbessern.
  3. Veränderungswille und Effizienzdenken: Die Gen-Z stellt vor allem die Frage „Warum?“. Dieses kritische Hinterfragen zielt jedoch nicht auf Widerstand, sondern auf Verbesserung ab. Ihr Fokus auf klare Ziele, Feedback und messbare Ergebnisse unterstützt die Einführung kompetenzbasierter Weiterbildungsmodelle, wie beispielsweise Entrustable Professional Activities (EPAs), und eine effizientere Nutzung der verfügbaren Arbeitszeit [8]. Dadurch wird die Weiterbildung nicht nur strukturierter, sondern auch nachvollziehbarer und leistungsorientierter – ein Gewinn für Weiterzubildende, Kliniken und Patient:innen gleichermaßen.

Beispiele aus chirurgischen Disziplinen zeigen, dass eine gezielte Ausrichtung der Weiterbildung auf die Bedürfnisse der Generation Z messbare Effekte haben kann. Wo flexible Arbeitsmodelle, klare Lernstrukturen und praxisnahe Ausbildungsmöglichkeiten umgesetzt wurden, steigt die Attraktivität des Fachs spürbar – insbesondere im ambulanten Bereich [2].

Diese Erfahrungen verdeutlichen: Wenn Weiterbildung modern gedacht und konsequent umgesetzt wird, profitieren nicht nur junge Ärzt:innen, sondern das gesamte Versorgungssystem.

Lösungen statt Lamento: Chancen für die Weiterbildung

Um die Chirurgie langfristig zukunftsfähig zu gestalten, ist eine klare Abkehr von der traditionellen Präsenzkultur hin zu einem individualisierten, kompetenzbasierten Weiterbildungsmodell erforderlich. Dabei geht es nicht darum, die Weiterbildung bequemer, sondern effizienter, motivierender und wirksamer zu gestalten.

Der Fokus sollte auf den tatsächlichen Lernfortschritten liegen und nicht auf der bloßen Anwesenheit. Eine moderne Weiterbildung zeichnet sich durch erworbene Kompetenzen, nachvollziehbare Entwicklungsziele und eine gezielte Begleitung durch qualifizierte Weiterbildungsbefugte aus.

So entsteht ein System, in dem Leistung gefördert, Motivation gestärkt und Qualität gesichert wird – zum Vorteil von Nachwuchs, Teams und Patient:innen gleichermaßen.

1. Personalisierung durch kompetenzbasierte Weiterbildung:

  • Meilenstein oder/und EPA-basiertes Lernen: Eine moderne chirurgische Weiterbildung sollte sich an klar definierten Kompetenzen und nicht an starren Zeitvorgaben orientieren. Das Konzept der „Entrustable Professional Activities“ (EPAs) bietet hierfür einen geeigneten Rahmen. Es ermöglicht eine gezielte Förderung und transparente Dokumentation von Lernfortschritten sowie eine Anpassung operativer Tätigkeiten an den individuellen Weiterbildungsstand. Durch EPAs werden Erwartungen klar formuliert und Lernziele überprüfbar. Dies ist ein entscheidender Schritt hin zu einer Weiterbildung, die Qualität messbar und Entwicklung nachvollziehbar macht.

2. „New Work“ im chirurgischen Kontext

  • Teilzeit ohne Stigma: Teilzeitmodelle in der Weiterbildung sind bereits Realität, müssen jedoch als gleichwertige Karriereoption anerkannt und organisatorisch abgesichert werden. Entscheidend ist eine Entstigmatisierung, damit reduzierte Arbeitszeit nicht als fehlendes Engagement, sondern als bewusste Entscheidung für eine nachhaltige Karriere wahrgenommen wird.
  • Flexible Arbeitsgestaltung: Nicht jede Aufgabe muss im Krankenhaus erfolgen. Tätigkeiten wie das Verfassen von Arztbriefen, die Dokumentation von Operationen oder die Nachbereitung von Fällen lassen sich effizient im Homeoffice bearbeiten. Dadurch kann die Präsenzzeit im Krankenhaus fokussierter genutzt werden – für das, was den Kern der Weiterbildung ausmacht: Das operative Lernen an Patient:innen.

3. Mentoring-Strukturen und Entwicklung:

  • Die Forderung nach Vorgesetzten als „Coaches“ erfordert eine systematische Schulung von Weiterbildern im Bereich Führung und Mentoring. Während viele Weiterbildungsbefugten ihre Kompetenz in der Weiterbildung sehen, zeigt die Befragung der Weiterzubildenden, dass hier eine höherer Kompetenz in Supervision, Feedback und Erwachsenenbildung gewünscht sind [8].
  • Die Entwicklung der Weiterbildungsbefugten kann in unterschiedlichen Formaten und Ebenen gestaltet werden. Formelle Gruppenformate wie Workshops und Seminare bieten strukturierte Lerngelegenheiten zu pädagogischen Themen und fördern den kollegialen Austausch. Individuelle und formelle Ansätze wie Mentoring und Coaching unterstützen die persönliche Weiterentwicklung und Reflexion der Lehrpraxis. Peer-Review-Verfahren und systematisches Feedback ermöglichen eine kontinuierliche Qualitätsverbesserung durch gegenseitige Rückmeldung unter Kolleginnen und Kollegen. Ergänzend können E-Learning-Angebote und Simulationen flexible, orts- und zeitunabhängige Lernmöglichkeiten schaffen. Eine Kombination dieser Methoden ermöglicht eine umfassende, praxisnahe und nachhaltige Fakultätsentwicklung [9].

Tab. 1: Darstellung der Gen-Z Erwartungen, des aktuellen Chirurgischen Alltags und die Möglichkeiten zur Veränderung/Anpassung.

Gen-Z Erwartungen

Chirurgischer Alltag (Traditionell)

Möglichkeiten

Flexible Arbeitsmodelle, Teilzeit ohne Stigma

48h-Woche (oder mehr), Präsenzkultur

New Work im chirurgischen Kontext

Vorgesetzte als Coach/Mentor

Hierarchie, Befehl & Gehorsam

Ausbildung von Weiterbildungsbefugten um die Qualität und den Wert der Weiterbildung zu erhöhen

Sinnhaftigkeit, Transparenz, Wertschätzung

Stress, Überlastung, unklare Abläufe

Meilenstein, EPA-basierte, Kompetenzbasierte Weiterbildung; Differenzierte Karrierepfade

Digitale Tools & mobiles Lernen

Papierakten, CDs, Faxgeräte, mangelnde digitale Infrastruktur

New Work im chirurgischen Kontext

4. Differenzierte Karrierepfade:

  • Um den aktuellen und zukünftigen Bedürfnissen gerecht zu werden, sind vielfältigere Karrierepfade in der Chirurgie zu berücksichtigen. Nicht alle Ärztinnen und Ärzte streben eine klassische Hierarchielaufbahn bis zur Chefarz/Chefärztintposition an. Durch die Etablierung differenzierter Karrierewege in Klinik, Praxis, Forschung oder Lehre können individuelle Stärken gezielt gefördert werden. Werden Arbeitszeitmodelle, Verantwortlichkeiten und Entwicklungsperspektiven entsprechend angepasst, steigert das nicht nur die Zufriedenheit, sondern auch die langfristige Bindung an das Fachgebiet.

Abb. 2: New Work im OP

Fazit & Ausblick

Die Generation Z ist kein Problem, das gelöst werden muss, sondern die entscheidende Ressource, um die Zukunftsfähigkeit der Chirurgie zu gewährleisten. Eine moderne chirurgische Weiterbildung muss nicht bequem sein, aber effizient, motivierend und transparent gestaltet werden.

Der Auftrag an alle Weiterbildungsbefugten ist klar: Wer auch künftig exzellente Chirurginnen und Chirurgen gewinnen und ausbilden will, muss die Generation verstehen, die dieses Fach in Zukunft prägen wird. Die Integration neuer Werte wie Sinnhaftigkeit, Vereinbarkeit und digitale Kompetenz ist dabei keine Konzession, sondern ein strategischer Wettbewerbsvorteil.

Kliniken, die die Weiterbildung strukturiert, individuell und wertschätzend gestalten, profitieren mehrfach: Sie erhöhen ihre Attraktivität als Arbeitgeber, verbessern die Mitarbeiterbindung und die Weiterbildungsqualität und sichern so ihre Versorgungs- und Innovationsfähigkeit langfristig.

Die von den Fachgesellschaften angestoßenen modularen, kompetenzbasierten Ansätze sind ein richtiger Anfang. Nun gilt es, diese Konzepte mutig in den klinischen Alltag zu übertragen, um die Chirurgie als modernes, leistungsfähiges und für kommende Generationen begeisterndes Fach zu erhalten.

Die Literaturliste erhalten Sie auf Anfrage via passion_chirurgie@bdc.de.

Korrespondierende Autorin:

Dr. med. Johanna Ludwig

Fachärztin Orthopädie & Unfallchirurgie

ZB Spezielle Unfallchirurgie

MSc Surgical Science and Practice

University of Oxford

mail@johannaludwig.com

Jonah Grütters

CEO & Co-Founder von acceler8health

B.A. Healthcare Management

Cand. M.Sc. Business Intelligence & Smart Services, Maastricht University

Chirurgie

Grütters J, Ludwig J: Gen-Z und Weiterbildung in der Chirurgie. Passion Chirurgie. 2025 Dezember; 15(12/IV): Artikel 03_03.

Mehr zur chirurgischen Weiterbildung lesen Sie auf BDC|Online (www.bdc.de) unter der Rubrik Wissen | Aus-, Weiter- und Fortbildung.

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