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Experten befürchten Ärzte-Exodus, Pflegemangel und weniger Forschung

Der Austritt der Briten aus der Europäischen Union – der so genannte „Brexit“ – wirft nicht nur in Politik und Wirtschaft ernste Fragen auf. Auch unter den europäischen Ärzten und Pflegekräften herrscht Unruhe. Denn derzeit profitiert das medizinische Personal von der engen Kooperation, allen voran die Chirurgen: Etwa ein Viertel der britischen Herz-Thorax-Chirurgen haben ihre Ausbildung im europäischen Ausland gemacht, mehr als in jeder anderen Ärztegruppe. Welche Auswirkungen der Brexit für Europas Gesundheitssysteme hat, mit welchen Folgen die derzeitig rund 1.000 deutschen Ärzte in Großbritannien rechnen müssen und was auf die Patienten zukommen könnte, diskutieren Chirurgen aktuell beim 134. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie (DGCH).

Mit dem Austritt Großbritanniens aus der EU gibt es viele offene Fragen, die das dortige Gesundheitssystem betreffen: Dürfen ausländische Ärzte und Pflegekräfte weiterhin in Großbritannien arbeiten? Werden sich die Arbeitsbedingungen ändern? Welche Folgen hat der Austritt auf Forschung, internationale medizinische Zusammenarbeit und Arzneimittelversorgung?

Im gesamten britischen Gesundheitssystem arbeiten rund 57.000 Menschen, die aus anderen EU-Ländern kommen. Laut einer Umfrage der British Medical Association (BMA) unter fast 1.200 Ärzten überlegen bereits 42 Prozent der Befragten, das Land zu verlassen. „Das beträfe konkret etwa 4.000 Ärzte“, betont Dr. med. Gunda Leschber, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Thoraxchirurgie (DGT). „Grund für die Abwanderungsüberlegungen sind vorwiegend Sorgen um die Stellung der ausländischen Ärzte und die öffentliche Einstellung ihnen gegenüber“, berichtet Professor Dr. med. Tim Pohlemann, Präsident der DGCH.

Während also ein Ärzte-Exodus droht, ist ein dramatischer Rückgang von Bewerbungen ausländischer Krankenschwestern auf englische Jobangebote bereits Realität. „Es zeichnet sich ein Pflegemangel ab“, so Leschber. Zudem interessieren sich immer weniger ausländische Studenten für Ausbildungs- und Fortbildungsangebote in Großbritannien. Grund: Die rund 125.000 Studierenden aus dem EU-Ausland hätten nach dem Brexit kein Recht mehr auf ein britisches Darlehen.

„Von Studenten über Pflegekräfte bis hin zu Chefärzten wird der EU-Austritt vermutlich einen ganzen Rattenschwanz an problematischen Veränderungen für die Medizin mit sich bringen, insbesondere für die Chirurgie“, befürchtet DGT-Präsidentin Leschber, zugleich Chefärztin für Thoraxchirurgie an der Evangelischen Lungenklinik Berlin gGmbH. Mittel- und langfristig dürfte dies auch negative Folgen für die Patientenversorgung haben. Schon jetzt hat das britische Gesundheitssystem mit einem Ärztemangel zu kämpfen: Zwischen 2013 und 2015 ist die Anzahl freier Stellen für Ärzte um 60 Prozent gestiegen. „Die Situation wird sich weiter verschärfen“, meint die Lungenchirurgin.

Hinzu kommen Befürchtungen, dass die Forschung im Vereinigten Königreich unter dem Brexit leiden wird. Denn die Insel ist bisher der größte Empfänger von wissenschaftlichen Fördermitteln der EU. „Die Gelder sind wichtig für die Universitäten, und es besteht die Sorge, dass mit dem Verlust der Gelder auch die internationale Reputation und Attraktivität für Wissenschaftler nachlässt“, berichtet Leschber. Wird die Wissenschaftsförderung eingeschränkt, geht dies nicht nur zulasten der britischen Spitzenforschung. „Auch Patienten hätten infolgedessen weniger Zugang zu innovativen Therapien“, betont Leschber.

Quelle: Deutsche Gesellschaft für Chirurgie e.V., Luisenstraße 58/59, 10117 Berlin, www.dgch.de, 21.03.2017

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