01.12.2025 Aus- & Weiterbildung
Förderung der Motivation in die Chirurgie zu gehen

Es ist falsch anzunehmen, dass die junge Generation, die sog. Generation Z, keine Motivation oder Lust hat, etwas zu lernen, zu arbeiten oder in eine Führungsposition aufsteigen zu wollen, wie es hin und wieder gerne unterstellt wird. Wir wissen, wie lang und steinig der Weg vom Abitur bis zum ersehnten Ziel, den erfolgreichen Abschluss mit der Approbation ist. Zunächst muss es überhaupt gelingen, einen Studienplatz zu bekommen, der meist nicht am Wohnort, sondern in einer anderen Stadt oder im Ausland liegt. Das soziale Umfeld wird also zunächst einmal aufgegeben. Es folgt die konsequente Disziplin meist mit geringen finanziellen Mitteln über mindestens 6 Jahre mit schweren Prüfungen und Praktika. Zusätzlich wird noch eine aufwendige Dissertation mit Laborarbeit und Verfassen von Publikationen oder der Dissertationsarbeit erstellt.
Wenn die jungen Ärzte dann endlich das Ziel erreicht haben, fällt es schwer zu glauben, dass sie kein Interesse oder Lust an der Medizin haben. Wir müssen und können also unterstellen, dass sehr wohl eine starke Motivation vorliegt, denn sonst hätten sie dieses Ziel niemals erreicht. Speziell das Fach der Chirurgie kann durch zahlreiche Reize begeistern.
Ein begeisterter Chirurg spürt täglich diese positiven Momente aus Tab. 1 und geht abends zufrieden nach Hause. Die negativen Aspekte treten dann in der Wahrnehmung gerne in den Hintergrund. Wir wissen aber, dass die Motivation und die Begeisterung an der Chirurgie vom ersten Semester an häufig auf der Strecke bleiben. Was ist da schiefgelaufen? Eine Befragung an 4.398 Studierenden der Humanmedizin in ganz Deutschland konnte zeigen, dass von anfänglich 34 % der Befragten im 1. Semester gerade einmal 14 % am Ende des Studiums übrig blieben, die sich eine Karriere in der Chirurgie vorstellen konnten [1]. In einer anderen Umfrage von Studenten zu Beginn und am Ende des Praktischen Jahres betrug der Verlust der potentiellen Chirurgen 26 %. Hingegen gab es einen starken Zuwachs an Interessenten für die Innere Medizin [2]. Wo liegen die Ursachen und an welchen Stellen kommt es besonders zur Demotivation oder gar Demoralisierung mit kompletter Abwendung von der Chirurgie? Als wesentliche Gründe wurden bei den Befragungen schlechte Arbeitsbedingungen mit stundenlangem Haken halten, ausgeprägten Hierarchiestrukturen, Geringschätzung, Überstunden und einer schlechten Betreuung seitens der ärztlichen Kollegen angegeben. Diese Argumente hören wir immer wieder.
Anreize, Chirurg werden zu wollen
- Spannende vielseitige Tätigkeit mit zahlreichen Spezialisierungsmöglichkeiten
- Anspruchsvoller Beruf mit vielen wechselnden Herausforderungen
- Unmittelbares Erfolgserlebnis mit großer Erfüllung
- Große Dankbarkeit der Patienten
- Persönliche Entwicklungsmöglichkeiten
- Hoher sozialer Status
- Gute Berufsaussichten
- Teamarbeit mit multidisziplinärer Zusammenarbeit
- Kontinuierliche Fortbildung und Lehre
Es scheint uns allerdings zu leicht, sich auf die geschilderten Begründungen zu beschränken, die jeweils anderen die Schuld geben. Wir sollten das ganze Thema sehr viel differenzierter sehen. Der Ärzte- und Chirurgenmangel ist ein europäisches Phänomen. Studien aus unterschiedlichen Ländern zeigen starke Parallelen auf. So wurden in einer Schweizer Studie [3] Chirurgen befragt, welche Argumente sie für oder gegen eine Karriere in der Chirurgie anführen. Der größte Teil (18,7 %) gab persönliche Erfahrungen im täglichen Leben an. Positiv seien das chirurgische Training, der unmittelbare Erfolg und die intellektuelle Herausforderung. Negative waren bei 19,6 % die spezifischen Arbeits- und Ausbildungsbedingungen. Ähnliche Argumente liefert ein deutscher Review sowie eine Studie aus UK, die ebenfalls persönliche Faktoren und die Ausbildung im Vordergrund sahen [4, 5].
Um die Gründe und die Gewichtung, die die Motivation der Stundenten und jungen Ärzte bestimmen, besser einordnen zu können, haben wir die Gründe gegen die Chirurgie in drei Kategorien unterteilt:
1. Gründe, die gegen die Chirurgie als
Fach sprechen:
- Hohe Arbeitsbelastung
- Hohe physische und psychische
Belastung - Hoher Leistungsdruck und Verantwortung
- Unvorteilhafte und unzuverlässige
Arbeitszeiten - Erforderliche Flexibilität
- Umgang mit „Niederlagen“
- Zu lange Ausbildung für zu geringes
Einkommen
Das Fach Chirurgie ist höchst anspruchsvoll und erfordert eine große Menge an Qualitäten und Stabilität, die bereits ein werdender Chirurg mitbringen sollte. Es muss immer klar sein, dass eine Schwäche unsererseits durch Überlastung für den Patienten fatale Folgen haben kann. Die Arbeit muss also verinnerlicht werden. Müdigkeit oder Erschöpfung dürfen keine Argumente sein, eine Vorgehensweise oder eine Operation zu ändern.
2. Gründe gegen die Chirurgie, die von
den Studenten und jungen Ärzten
ausgehen:
- Unrealistische Vorstellung vom
Beruf - Zu starkes Pochen auf Rahmenbedingungen,
die teilweise nicht
erfüllbar sind - Zunehmendes intellektuelles Verständnis
für die konservativen
Fächer - Physische und psychische Überforderung
- Zu starkes Verantwortungsgefühl
oder zu geringe Entscheidungsfreudigkeit - Die sogenannte Work-Life-
Balance stimmt nicht - Zweifel an den eigenen motorischen
Fähigkeiten - Zu starke Spezialisierung und zu
geringen Patientenkontakt - Zu geringes Einkommen für die
erbrachte Leistung
Es kann sein, dass sich ein Student zu Beginn des Studiums noch keine konkreten Gedanken über die verschiedenen Fächer gemacht hat und diese im Verlauf kennenlernt. Die Chirurgie ist intellektuell leichter zugänglich, so dass die Vorzüge der konservativen Fächer erst im Verlauf des Studiums erkannt werden und sich dadurch das Interesse verlagert. Andere Faktoren, die Stress verursachen wie die starken physischen und psychischen Anforderungen, das notwendige Treffen schneller Entscheidungen und die hohe tägliche Flexibilität sind für Viele zu belastend. Immer wieder kann man von Kollegen aus konservativen Fächern hören, dass sie die Chirurgie sehr interessant gefunden hätten, aber doch zu viel Angst vor der körperlichen Belastung oder der notwendigen spontanen Entscheidungsfähigkeit hatten.
3. Gründe, die die Führung im Team der Chirurgen betreffen
- Zu viel Autorität und unfreundlicher Umgang
- Keine strukturierte Ausbildung und geringe Perspektiven
- Missbrauch der jungen Ärzte als „billige“ Arbeitskraft
- Gestresste Grundstimmung im Team mit geringem Teamgeist
- Kein Entgegenkommen für Teilzeitstellen und flexible Arbeitszeiten
- Frauenfeindlichkeit
- Keine vertrauensbildenden Maßnahmen
Die ersten beiden Gründe-Kategorien können auch bei guter Personalführung nur schwer durch uns verantwortliche Ausbilder beeinflusst werden, denn die Chirurgie erfordert nun mal ein großes Maß an Aufgaben und Eigenschaften, die erfüllt werden müssen. Die Entscheidung für ein Fach fällt meist spätestens im PJ, wobei natürlich auch zu einem späteren Zeitpunkt Wechsel möglich sind. Leider verlieren wir im Verlauf des PJ 26 % der Studenten, die sich zuvor für die Chirurgie interessiert hatten. Der Hebel, an dem wir drehen können, ist die dritte Gründe-Kategorie. Hier müssen wir dringend umdenken oder besser werden. Der Chefarzt hat hier die zentrale Verantwortung. Er muss verstehen, dass für die jungen Ärzte nicht die Karriere des Chefarztes, sondern die eigene vorrangig ist. Wenn er dieses Prinzip verinnerlichen kann, hat er meiner Meinung nach bereits das Meiste erreicht. Unsere Erfahrung ist nämlich, dass die allermeisten Studenten und jungen Ärzte relativ leicht zu motivieren sind, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt werden. Sie sind in der Regel sehr dankbar für positive Akzente und schätzen die Disponibilität der Ausbilder.
Essenzielle Voraussetzungen für die Motivation
Die Studenten und junge Ärzte fordern zurecht eine qualitativ hochwertige Ausbildung. Hier muss der Chefarzt ein gutes Vorbild sein und darf sich nicht zu schade sein, auch Dinge persönlich zu zeigen oder sie etwas machen zu lassen. Diese Vorbildfunktion muss auch im Team gelebt werden und ist entscheidend. Die Stimmung im Team und das Verhältnis zum Chefarzt sollten positiv motivierend, freundlich und konstruktiv sein. Alle sollten das Gefühl haben rasch in das Team integriert zu werden. Jeder Chirurg des Teams braucht eine Perspektive für sich und persönliche Förderung. Der Chefarzt muss sich darum kümmern, dass die Karriere jedes Einzelnen vorangeht. Das umfasst praktische Förderung im OP und theoretische Weiterbildung. Jeder sollte Freude an der Arbeit haben und gerne zur Arbeit kommen. In schwierigen Situationen erwartet der junge Arzt zurecht Unterstützung seiner Vorgesetzten. Das kann im OP sein, oder bei schwierigen Gesprächen mit Patienten oder Angehörigen. Hier ist wieder die Vorbildfunktion des Chefs äußerst wichtig.
Wir müssen also als Vorgesetzte die schon vorhandene intrinsische Motivation aufrechterhalten, indem wir sie extrinsisch verstärken. Nur letztere können wir beeinflussen. Die Motivation lässt sich im Einzelfall steigern, wenn die Motive, die Veränderung begünstigen, stärker sind als die, im alten Muster zu verharren. Das gelingt, wenn die Veränderungen durch die jungen Ärzte selbst mitbestimmt werden.
Konkrete Maßnahmen der Motivation:
Strafandrohungen als extrinsischer Motivator sind in der modernen Zeit nicht mehr zielführend. Dennoch kommen wir immer wieder mit negativen Erlebnissen wie z. B. einer Komplikation in Kontakt. Das kann sehr wohl die extrinsische Motivation fördern, noch sorgfältiger zu operieren oder etwas zu verändern.
Als Vorgesetzte sollten wir aktiv Reize wie Belohnung und Anerkennung nutzen, um positiv zu motivieren. Bestimmte Ziele können mit jedem Einzelnen je nach Interessenslage abgestimmt werden. Nach meiner Erfahrung ist es sehr motivierend, mit jedem Mitarbeiter einen Verantwortungsbereich je nach Ausbildungsstand festzulegen. So sollte sich ein erfahrener Mitarbeiter z. B. für das Segment der kolorektalen Chirurgie verantwortlich fühlen und ein jüngerer Kollege z. B. für die Proktologie oder Hernienchirurgie. Natürlich werden sie von einem Facharzt begleitet, so dass ein kleines Prokto- oder Hernienteam entsteht. Eine solche konkrete Aufgabe fördert das Selbstwert- und Verantwortungsgefühl. Dazu gehört der Aufbau eines Netzwerks mit Zuweisern, das Besuchen von Fortbildungen und das Tragen der zunehmenden Expertise ins eigene Team. Natürlich dürfen diese Kollegen auch alle andere Operationen erlernen. Es geht hier um zusätzliche Verantwortungsbereiche.
Studenten sollten Visiten in einem oder zwei Zimmern alleine machen lassen und das hinterher kontrollieren lassen. So sollten sie auch in der Notaufnahme zunächst als Erste die Patienten sehen und sich Gedanken machen, die dann mit dem Facharzt besprochen werden. Wenn immer möglich, sollten junge Chirurgen oder auch schon Studenten Eingriffe assistiert bekommen. Zu nennen sind zu Beginn Hautnähte, Einbringen von Trokaren oder Anlage von Thoraxdrainagen. Dazu kommen dann die Laparotomie, lap. Appendektomie und so weiter. Zur Facharztprüfung sollten die Kollegen bereits schon operieren können und es ab dann alleine dürfen.
Vertrauensbildende Maßnahmen wie Unternehmungen, auch zusammen mit der Pflege sind äußerst wichtig, um auch die persönlichen Beziehungen zu vertiefen. Radtouren, Wanderungen, der Besuch einer Kletterhalle oder ein Grillabend können wahre Wunder bewirken.
Umgang mit nicht motivierten Teammitgliedern
Leider gibt es immer wieder Kollegen im Team, die die geschilderten Konzepte nicht mittragen wollen. Sie verursachen eine schlechte Stimmung und sind kontraproduktiv. Junge motivierte Mitarbeiter, die sich weniger wehren, sind nicht selten die Zielgruppe für aktive Missachtung oder gar Unterdrückung. Diese müssen geschützt werden. Mehrere ausführliche und deutliche Gespräche sind erforderlich, um das Verhalten zu ändern. Wenn die Versuche scheitern, muss auch mit Nachdruck über einen Wechsel der Klinik gesprochen werden.
Zusammenfassung
Wir halten es für extrem wichtig, die Studenten und jungen Ärzte frühzeitig in das bestehende Team zu integrieren und sie sehr ernst zu nehmen. Man darf ihnen auch etwas zumuten und konstruktiv kritisieren. Die Selbständigkeit muss gefördert werden. Der Chefarzt tritt als Vorbild in Erscheinung und ist stets hilfsbereit. Er muss das, was er vom Team verlangt, selbst vorleben. Je mehr der Chefarzt dafür sorgt, dass das Team eine gute Ausbildung erhält, desto besser ist die Gesamtqualität und die Zufriedenheit aller Beteiligten. Eine sehr gute Abteilung ist die, die auf demselben hohen Niveau weiterbesteht, wenn der Chefarzt in Rente geht oder die Klinik vorzeitig verlässt. Nicht akzeptabel ist, wenn nur der Chefarzt in der Lage ist, alle schwierigen OPs durchzuführen.
Auf diese Art entwickelt sich schließlich ein motivierendes konstruktives Ambiente, in dem sich jeder Mitarbeiter des Teams entwickeln kann und zum gewünschten Ziel kommt. So wird es gelingen in wenigen Jahren eine hoch motivierte und leistungsfähige Abteilung aufzubauen.
Literatur
[1] Osenberg D et al. Wer wird denn noch Chirurg? Berufsverband der Deutschen Chirurgen 01.06.2010
[2] Elsenhans I et al. PJ-Umfrage 2014: Tolle Ausbildung oder schnöde Ausbeutung? Thieme Umfrage. 18.03.2014
[3] Businger A et al. Arguments for and Against a Career in Surgery, A Qualitative Analysis. Ann Surg. 2010 Aug;252(2):390-6.
[4] Johanna Hirsch J et al. [Gender-Specific and Cross-Gender Reasons for Choosing ‘Surgeon’ as a Career – A Scoping Review] Gesundheitswesen. 2024 Oct 28.
[5] Walker NR et al. Association of Surgeons in Training. Attracting medical students and doctors into surgical training in the UK and Ireland Int J Surg. 2019 Jul:67:107-112.

Prof. Dr. med. Guido Schumacher
Chirurgische Klinik
Krankenhaus Brixen und Sterzing
Dantestraße 51
39042 Brixen (BZ)
Italien

Dr. Astrid Marsoner
Ärztekammer Südtirol
Via Alessandro Volta, 3
39100 Bolzano
Italien
astrid.marsoner@ordinemedici.bz.it
Panorama
Schumacher G, Marsoner A: Förderung der Motivation in die Chirurgie zu gehen. Passion Chirurgie. 2025 Dezember; 15(12/IV): Artikel 09_01.
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