Dieser Wandel birgt Chancen, insbesondere im Bereich der Krankenhausmedizin: auf dem Boden einer professionalisierten Ökonomisierung hat auch die momentane Begrenztheit der Ressource „Arzt“ zu einem betriebsorientierten Umdenken hinsichtlich ärztlicher Arbeit, Struktur und Organisation geführt.
Krankenhäuser als sogenannte Gesundheitsunternehmen stehen im Wettbewerb um Ärzte, insbesondere Fachärzte, was sich eindrücklich im Umfang des Anzeigenteiles des Deutschen Ärzteblattes widerspiegelt. Immer häufiger werben Kliniken mit einer leistungsgerechten und verhandelbaren Vergütung (Stichwort AT-Verträge) sowie mit dem Versprechen von Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Längst ist die Familie vom Bundesfamilienministerium zum „Erfolgsfaktor“ für Unternehmen benannt und ein Netzwerk ins Leben gerufen worden, dem bereits 3600 Unternehmen angehören, die sich verpflichtet haben, eine neue Balance zwischen Familie und Beruf zu erarbeiten (siehe Link am Ende des Artikels).
Familienfreundliche Strukturen im Krankenhaus
Rechnet sich eine „familienbewußte Personalpolitk“?
Im „Forschungszentrum Familienbewusste Personalpolitik“ der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und Steinbeis- Hochschule Berlin sind mittlerweile auch betriebswirtschaftliche Aspekte untersucht worden [1].
Familienbewusste Personalpolitik beeinflusst den Unternehmenserfolg positiv. Die Mitarbeiter sind motivierter, produktiver und seltener krank: Der sogenannte „Return on investment“ wird mit 23 % beziffert.
Konkrete und eindrucksvolle Berechnungen zur Effizienz einer Kinderbetreuung am Krankenhaus hat die BG-Klinik Murnau durchgeführt [2]. Die Personalfluktuation konnte von über 30 % auf unter 10 % reduziert werden, die Bindung der Mitarbeiter an das Krankenhaus wurde größer, die Teilzeitquote während der Elternzeit wurde mit etwa 17 % (gegenüber 0% bei Betrieben ohne familienfreundliche Maßnahmen) gemessen. Fünfundneunzig Prozent der Mitarbeiter kehrten aus der Elternzeit wieder. In der Bilanz ergab sich so für das Jahr 2004 ein Gesamtaufwand von 522.000 Euro unter Abzug von Gebühreneinnahmen in Höhe von 80.000 Euro und damit ein Fehlbetrag von 442.000 Euro. Die Kosteneinsparungen wurden mit 525.000 Euro berechnet, sodass sich eine Kosten-Nutzen-Differenz zugunsten der Klinik errechnen ließ.
Familienfreundlichkeit ist mehr als Kinderbetreuung.
Nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass immer mehr Frauen in den Arztberuf streben und Männer immer häufiger Teilhabe am Familienleben einfordern, haben wir uns dem Aspekt der Kinderbetreuung gewidmet und eine Umfrage unter deutschen Chirurginnen und Chirurgen durchgeführt.
Unser Ziel war es, diesem Begriff einen möglichst konkreten Inhalt zu geben und eine „Internet-Deutschlandkarte“ zu erstellen, die stellensuchenden Ärzten und Ärztinnen die Möglichkeit bietet, per Mausklick möglichst umfangreiche Informationen über die Krankenhäuser hinsichtlich ihrer Familienfreundlichkeit zu gewinnen.
Zweifelsohne kann aber „Familienfreundlichkeit“ nicht nur auf Kinderbetreuung reduziert werden. In Anlehnung an den Katalog des Deutschen Ärztinnenbundes (DÄB) haben wir daher in unserer 2011 durchgeführten Umfrage vier Hauptkriterien benannt:
1. Kinderbetreuungsmöglichkeit
2. Flexible Arbeitszeitregelung
3. Abteilungs-/Klinikinterne Personalstruktur
4. Mitarbeiterkommunikation
Teilnehmerstruktur
Die Umfrage wurde von April 2011 bis September 2011 über BDC|Online durchgeführt. Dabei wurden alle BDC-Mitglieder per E-Mail eingeladen, sich an der Umfrage zu beteiligen und die Fragen online zu beantworten.
Die große Resonanz von 1.307 Teilnehmern zeigt uns das bestehende Interesse zum Thema Familie und Beruf. Dreiviertel der Umfrageteilnehmer (72,7 %) sind männlichen Geschlechts, sodass wir davon ausgehen können, dass Familie und Beruf längst nicht mehr nur ein weiblich besetztes Thema ist. Fast 70 % der Umfrageteilnehmer waren Ober- oder Chefärzte, 31 % Facharzt oder in Weiterbildung befindliche Kolleginnen und Kollegen. Das Durchschnittsalter der Antwortenden lag bei 44 Jahren.
Wir müssen also festhalten, dass das Interesse bei den jungen Kolleginnen und Kollegen, für die wir diese Umfrage und Initiative initiiert haben, sich bei der Teilnahme eher zurück gehalten haben.
Kinderbetreuungsmöglichkeiten
Erstaunt und erfreut sind wir über den recht hohen Anteil von Kliniken mit Kita-Betreuung (39 %), von denen immerhin ein Drittel räumlich in das Krankenhaus integriert bzw. angegliedert sind. Ein Drittel der Befragten (33.8 %) gibt allerdings an, dass eine Bevorzugung bei Kindern von Pflege- und Verwaltungspersonal existiert.
Differenziert man die Antworten nach den Kliniktypen der Teilnehmer, zeigt sich, dass die Möglichkeit zur Kinderbetreuung proportional zum Versorgungsgrad des Krankenhauses, und damit einhergehend der Mitarbeiteranzahl, steigt. Während nur für ein Fünftel (20,2 %) der Kollegen aus Häusern der Grund- und Regelversorgung eine Kinderbetreuung am eigenen Krankenhaus besteht, berichten Dreiviertel (77,5 %) aller Kollegen an Unikliniken, dass dort eine Kinderbetreuung angeboten wird (Abb. 1).
Abb. 1: Kinderbetreuung nach Krankenhaus-Typ
Abb. 2: Kinderbetreuung-Priorisierung nach Krankenhaus-Typ
Es zeigt sich weiterhin, dass aber gerade in Kindertagesstätten großer Häuser eine Bevorzugung von Kindern des Pflegepersonals sowie der Verwaltung existiert (Abb. 2). Kinder von Ärzten haben es in Unikliniken am schwersten, in eine Kindertagestätte aufgenommen zu werden. Dies wird auch bei Auswertung der Freitextkommentare deutlich. Vergleicht man die Angebote zur Kinderbetreuung verschiedener Krankenhausträger, zeigt sich ein interessantes, aber folgerichtiges Bild. Während Häuser in Landesträgerschaft, wie Universitätskliniken, überwiegend Betreuungsmöglichkeiten anbieten (76 %), sind es nur knapp ein Drittel der Häuser in gemeinnütziger und privater Trägerschaft (Abb. 3 und Abb. 4).
Abb. 3: Kinderbetreuung nach Krankenhaus-Träger
Abb. 4: Kinderbetreuung-Priorisierung nach Krankenhaus-Träger
Eine Betreuung über 24 Stunden (1,1 %) oder die Betreuung am Wochenende (2,5 %) wird nur in Ausnahmefällen angeboten. Eine Altersbegrenzung besteht bei einem Drittel der Kitas (36,5 %), wobei die Kinder in der Regel ab dem 12. Lebensmonat aufgenommen werden.
Flexible Arbeitszeitregelung
Erfreulich ist, dass in 77 % der Abteilungen eine Teilzeitbeschäftigung möglich ist. Nur bei 23 % der Antwortenden existiert diese flexible Form der Arbeitszeitgestaltung nicht. Die Unterschiede zwischen den Versorgungstypen waren marginal (Abb. 5) und zwischen den Krankenhausträgern nicht feststellbar.
Abb. 5: Teilzeit nach Krankenhaus-Typ
Das Dienstmodell variiert bei den Kolleginnen und Kollegen nach Dienststellung und Versorgungstyp des Hauses. Assistenzärzte arbeiten mehrheitlich im 24-Stundendienst (Abb. 6). Zwischen 10 und 20 Prozent der Antwortenden gibt an, im Schichtdienst zu arbeiten.
Abb. 6: Dienstmodell Assistenten nach Krankenhaus-Typ
Die Oberärzte arbeiten mehrheitlich im Rufdienst, wobei die Anwesenheitspflicht entsprechend der Dienstbelastung mit dem Versorgungstyp zunimmt und in Universitätskliniken ein Viertel der Oberärzte ihren Dienst im Haus versehen (Abb. 7).
Abb. 7: Dienstmodell Oberarzt nach Krankenhaus-Typ
Personalstruktur
Weibliche Vorbilder in Oberarzt- und Leitungsfunktion sind eher rar. Allerdings zeigt sich in den nachwachsenden Generationen eine Angleichung des zahlenmäßigen Verhältnisses zwischen Frauen und Männern in der Chirurgie. In den Reihen der Assistenzärzte ist das Geschlechterverhältnis bereits ausgeglichen (Abb. 8).
Einschränkend muss hier beachtet werden, dass sich Assistenzärzte nur unterdurchschnittlich an dieser Umfrage beteiligt haben und die Frage leider nicht ganz eindeutig gestellt wurde. Die hier gefundenen Ergebnisse müssen bei einer Folgeumfrage durch eindeutige Fragestellung geprüft werden.
Abb. 8: Dienststellung männlich/weiblich
Mitarbeiterkommunikation
Zielvereinbarungsgespräche finden bei zwei Dritteln (63,4 %) der Kolleginnen und Kollegen regelmäßig statt, wobei am häufigsten ein Gespräch pro Jahr angeboten wird. Bei einem Viertel der Antwortenden (26,8 %) existieren außerdem Rückkehrgespräche nach Elternzeit, längerer Krankheit oder Abwesenheit.
77 % der Umfragebeteiligten gaben an, dass es keinen benannten Ansprechpartner für personal- und familienspezifische Fragen gibt.
Unterschiede zwischen den Krankenhaustypen und -trägern ergaben sich bei diesen Fragen nicht. Dass nur in einem Viertel der Abteilungen Ansprechpartner für Familienfragen existieren und ebenfalls nur in einem Viertel der Abteilungen Rückkehrgespräche nach längerer Abwesenheit zeigt, welches Verbesserungspotential in den Kliniken besteht, ohne dass dafür enorme Mittel aufgebracht werden müssten.
Fazit
Die Bedeutung von Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist längst auch in den Krankenhausunternehmen angekommen. Inhalte und Qualität des Werbeslogans „Familienfreundlichkeit“ sind jedoch krankenhausspezifisch, d. h. individuell definiert, und waren bisher nicht transparent. Ein erstes Licht ins Dunkel konnten wir mit der hier vorgestellten anonymen Umfrage bringen.
Je höher die Versorgungsstufe, desto wahrscheinlicher bietet das Krankenhaus Kinderbetreuungsmöglichkeiten an. Allerdings stehen diese Ärztekindern nur eingeschränkt zur Verfügung.
Dreiviertel der Arbeitgeber bieten heute Teilzeitbeschäftigungsverhältnisse an und reagieren damit flexibel auf die Anforderungen junger Familien, insbesondere von Ärztinnen mit Kindern. So wählen immer mehr Frauen eine chirurgische Karriere, was sich in einer ausgeglichenen Geschlechterverteilung unter den Assistenzärzten wiederspiegelt. Über die nächsten Jahre wird sich dieser Trend auch bei den höheren Dienststellungen fortsetzen.
Die abteilungsinterne Kommunikation mit den Mitarbeitern lässt jedoch noch zu wünschen übrig und bietet erhebliches Verbesserungspotential. Dies gilt bekanntermaßen für die Zielvereinbarungs- und Weiterbildungsgespräche, aber auch für die Klärung personal- und familienspezifischer Probleme. Durch Einrichtung eines permanenten Ansprechpartners in jeder Abteilung kann hier Abhilfe geschaffen werden.
Ausblick
Familienfreundliche Strukturen werden in den kommenden Jahren eine zunehmende Bedeutung beim Wettbewerb um motivierte ärztliche Mitarbeiter spielen. Um hier Transparenz für den chirurgischen Nachwuchs zu schaffen, wurden einige der im Rahmen dieser Erhebung abgefragten Strukturen in den Karrierebereich des Klinik- und Praxisportals „Chirurgie-Suche“ des BDC übernommen.
Unter www.chirurgie-suche.de können sich interessierte Medizinstudenten und Assistenzärzte gezielt über Weiterbildungsangebote und familienfreundliche Strukturen von Krankenhäusern informieren. Je breiter gefächert und je familienfreundlicher die Angebote einer Klinik sind, desto höher der „CS-Index Karriere“, der als roter Balken in der Trefferliste einer Suchanfrage die Kliniken vergleichbar macht.
Mit diesem Portal kommen wir unserer Idee einer Deutschlandkarte der familienfeindlichen Krankenhäuser bereits sehr nahe. In den kommenden Jahren wollen wir mit dem Portal „Chirurgie-Suche“ Transparenz im Markt schaffen und dem chirurgischen Nachwuchs eine sachliche Entscheidungsgrundlage für ihre Karriere- und Stellenwahl bieten (Abb. 9).
Abb. 9: Chirurgie-Suche ‚Karriere’
Literatur
[1] H. Schneider, I. Gerlach, D. Juncke, J. Krieger: Betriebswirtschaftliche Ziele und Effekte einer familienbewussten Personalpolitik. Forschungszentrum familienbewusste Personalpolitik – Arbeitspapier Nr. 5, ISSN: 1861-5538
[2] E.M. Kinateder: Kinderbetreuung in der Klinik – betriebswirtschaftlich eine gute Entscheidung. Der Chirurg BDC 12/2006, 370-371