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Das deutsche Gesundheitssystem wird in den nächsten Jahren erhebliche Umstrukturierungen erfahren. Einerseits soll der hohe medizinische Standard gewahrt bleiben, andererseits den geänderten ökonomischen Bedingungen Rechnung getragen werden. Eine wesentliche Ursache dafür ist die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse.

Sie wird spätestens im Jahre 2017 greifen, damit realistische Sparziele erreicht werden. Die Krankenhäuser befinden sich, bereits heute in einer zunehmend desolaten finanziellen Situation. Kommunen und Länder müssen jährlich viele Millionen Euro zuschießen, um jene Krankenhäuser am Leben zu erhalten, denen es nicht vergönnt ist, durch strukturelle Maßnahmen und spezielle Selektion, schwarze Zahlen zu schreiben. Ähnliches gilt natürlich auch für jene Kliniken, die durch eigenes Verschulden in eine finanzielle Schieflage geraten sind.

Diese Defizite dürfen und können in Zukunft nicht mehr getragen werden. Dabei sind die Zuweisungen für die Krankenhäuser, wie sie vom Krankenhausfinanzierungsgesetz einst vorgesehen waren, seit vielen Jahren linear gesunken. Die Kliniken sind damit in ein milliardenschweres strukturelles Defizit geraten, das kaum mehr ausgeglichen werden kann. Die derzeit laufende Kampagne der deutschen Krankenhausgesellschaft “Wir sind das Krankenhaus” legt davon beredtes Zeugnis ab.

Allerdings stellt sich die Frage, ob eine so einseitige Sicht der Dinge, den Anforderungen an eine vernunftgeleitete Problemlösung gerecht wird?

Wenn das Kapital absehbar nicht mehr hinreicht, um eine bestehende Struktur zu finanzieren, sollte es an der Zeit sein über grundlegende strukturgebende Veränderungen nachzudenken. Die große Zahl kleiner und kleinster Krankenhäuser wird jedenfalls in der jetzt bestehenden Organisationsform nicht erhalten bleiben.

Immer weniger Krankenhäuser?

Denn dem ökonomischen Problem hat sich ein Zweites hinzugesellt. Die Krankenhausstruktur und die Weiterbildungsordnung passen längst nicht mehr zusammen. Die Anforderungen, die durch die neue, flexible WBO auf die Krankenhäuser zukommen, sind in der gegenwärtigen Struktur in keiner Weise mehr abzubilden. Die Weiterbildung in Kompetenz-Leveln bedarf einer gewissen Größe der weiterbildenden Institution und einer Mindestzahl an Ärzten, soll die Weiterbildung curricular erfolgen.

Schließlich ist die Krankenhausstruktur in Deutschland eine Gliederung von Versorgungsstufen: nämlich Grund- und Regel-, Schwerpunkt- und Maximalversorgung, wobei die Art und Schwere einer Erkrankung die Versorgungsstufe bestimmen sollte.

Unter der Prämisse des knappen Geldes und der unvermeidlichen Umgestaltung des Medizinsystems – andernfalls werden ab 2016 viele Kliniken aus ökonomischen Gründen ungesteuert untergehen – wird man auch über die Versorgungsstrukturen nachdenken müssen.

Mit dem Beschluss des Ärztetages 2012 ist die sektor-übergreifende Versorgung zum wichtigen Begriff geworden. Die Trennung zwischen Klinik und niedergelassenem Bereich wird daher in sehr absehbarer Zeit aufgehoben werden. Eine flächendeckende Versorgung in kleineren Institutionen wird ohne Einbindung der in freier Praxis niedergelassenen Kollegen in die Grund- und Regelversorgung nicht mehr möglich sein. Es sei denn man würde das Modell der Staatsmedizin nach Kassenlage bevorzugen. Die beschränkte Leistungsfähigkeit dieses Systems darf in England aber auch in den skandinavischen Ländern bewundert werden.

Nun wird man fragen, was dies alles mit dem von der DGINA geforderten Facharzt für Notfallmedizin zu tun hat?

Die BÄK hat die formalen Voraussetzungen für die Einführung einer neuen Facharztbezeichnung eindeutig definiert:

  1. Es muss ein flächendeckender Bedarf bestehen.
  2. Es muss ein wissenschaftlicher Fortschritt zu erwarten sein.
  3. Eine Weiter- und Fotrbildungsmöglichkeit muss gegeben sein.

Notfälle müssen jederzeit überall optimal versorgt werden

Notfälle müssen jederzeit und nicht nur in Ballungsräumen möglichst optimal versorgt werden. Dies aber bedeutet, dass die Notfallmedizin integraler Bestandteil der Basisweiterbildung in den großen Fächern bleiben muss und die weite Verbreitung darüber hinaus gehender Qualifikationen notwendig erscheint.

Ein wissenschaftlicher Fortschritt im Bereich Notfallmedizin wird sich nur dann belegen lassen, wenn die Versorgungsforschung zu der Überzeugung gelangt und dies auch statistisch belegen kann, dass das Überleben und die optimale Therapie durch die Einführung des neuen Facharztes ganz allgemein richtungsweisend verbessert wird. Dabei dürfen die herausragenden Leistungen, die bereits heute von “Notfallmedizinern” an Kliniken der Schwerpunkt- und Maximalversorgung erbracht werden nicht als Maßstab für eine flächendeckende Versorgung herangezogen werden.

Eine der wichtigsten und aus berufspolitischer Sicht entscheidendsten Fragen aber hängt mit der Weiter- und Fortbildung zusammen. Der Wortlaut des Grundgesetzes bestimmt, dass möglichst alle Menschen in Deutschland unter möglichst gleichen Bedingungen leben sollen. Gesundheit ist ein Gut, das von den Bürgern nicht erworben werden muss. Es steht ihnen vielmehr per Gesetz zu, soweit dies durch die moderne Medizin sichergestellt werden kann.

Die Wirkungsstätte der modernen Notfallmedizin ist die Notaufnahme der Kliniken unabhängig von Klinikgrösse und Klinikführung. Jeder ankommende Notfall muss so schnell wie möglich einer optimalen Diagnostik und Therapie zugeführt werden. Dies kann auch bedeuten, dass er nach der Notfallversorgung unverzüglich in ein Zentrum der geeigneten Versorgungsstufe zu verlegen ist. Dazu bedarf es bestimmter Organisationsformen und bestimmter baulicher Voraussetzungen, die jedoch wiederum je nach Versorgungsstufe durchaus unterschiedlich sein werden. Der Facharzt für Notfallmedizin fokussiert besonders auf die Qualifikation, zur Leitung einer Notaufnahmestation, um so nach dem Erstkontakt des Patienten ein optimales klinisches Management sicherzustellen.

Unter den Kriterien der Versorgung in Schwerpunktkrankenhäusern nach einer gründlichen Umstrukturierung unseres gesamten Krankenhauswesens wäre dies eine durchaus gewinnende Idee. Allerdings müsste man sich dann von der flächendeckenden Medizin verabschieden und stattdessen schnelle, optimal betreute Transportmittel einsetzen. Da dies aber schon aus finanziellen Gründen in absehbarer Zeit nicht realisierbar sein wird, sollte man über Lösungen nachdenken, die eine optimale Notfallversorgung möglichst vieler Menschen an möglichst vielen Orten garantieren. Dabei sollte man auch die wohnortnahe Versorgung in einer alternden, zunehmend weniger mobilen Gesellschaft nicht aus den Augen verlieren. Die Vereinsamung eines alten Menschen in einem vom Wohnort weit entfernten Krankenhaus muss bedacht werden.

Dies aber impliziert aus rein berufspolitischen Überlegungen, dass möglichst viele in einer Notaufnahme tätige Ärzte über eine spezielle Kompetenz Notfallmedizin verfügen sollten. Diese Fachkompetenz muss aus allen großen Fächern der Medizin, zumindest aber der Inneren Medizin, der Anästhesie und der Chirurgie erreichbar sein unabhängig davon, ob der Kollege oder die Kollegin im niedergelassenen bzw. im klinischen Bereich tätig ist. Wo die Grenzen verschwinden, dürfen keine neuen Hürden aufgebaut werden.

Der BDC plädiert daher nachdrücklich für eine „Fachkompetenz Notfallmedizin.“

Bruch H.P. „Fachkompetenz Notfallmedizin“ – wichtig zum Überleben zu jeder Zeit an jedem Ort. Passion Chirurgie. 2013 Mai, 3(05): Artikel 02_04.

Autor des Artikels

Profilbild von Hans-Peter Bruch

Prof. Dr. med. Hans-Peter Bruch

ehem. PräsidentBerufsverband der Deutschen Chirurgen e.V.Luisenstr. 58/5910117Berlin
PASSION CHIRURGIE

Passion Chirurgie 05/2013

Notfallmedizin – Fachkompetenz vs. Facharzt In dieser Ausgabe der Passion

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