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Frage:

Ein niedergelassener Chirurg fragt an, ob die künftige elektronischen Patientenakte (ePA) eine weitere Haftungsquelle im Rahmen der Arzthaftung begründet.

Antwort:

Hierzu muss man vorab ganz klar betonen, dass die ePA zum einen weder ein Ersatz noch eine verpflichtende Ergänzung für die primäre Behandlungsdokumentation des Arztes nach § 630f BGB ist, sodass trotz Nutzung der ePA der Arzt nach wie vor zur Führung einer eigenständigen Behandlungsdokumentation (Patientenakte) nach § 630f BGB verpflichtet ist. Zum anderen ist die ePA auch kein Ersatz für die Kommunikation mit dem Patienten oder vor-, weiter- und nachbehandelnder Ärzte, sodass nach wie vor das persönliche Anamnesegespräch, die Untersuchung des Patienten und die Heranziehung sowie Übermittlung von Befunden oder Arztbriefen von oder an andere Ärzte für die Behandlung maßgeblich sind. Befunde, Arztbriefe etc. können lediglich zusätzlich in der ePA gespeichert werden.

Vor allem aber ist die ePA – im Unterschied zur Behandlungsdokumentation des Arztes – gerade eine rein freiwillige und – gerade dies darf aus juristischer Sicht des Verfassers bei der Bewertung der Haftungsfrage nicht unberücksichtigt bleiben – eine versichertengeführte Akte, d. h. deren Nutzung, Zugriffsrechte, Inhalte usw. fallen alleine in die Entscheidungshoheit des Patienten. Der Patient kann somit beispielsweise entscheiden, ob ein Arzt an sich Zugriff auf die Patientenakte erhalten soll oder ob er nur eingeschränkt auf bestimmte Inhalte zugreifen kann oder welche Inhalte in der ePA gespeichert werden bzw. ob und welche Inhalte er eigenmächtig löscht.

Dennoch ist es aus juristischer Sicht grundsätzlich denkbar, dass es bei einer Verletzung der sich bezüglich der ePA ergebenden ärztlichen Pflichten zu einer Haftung kommen kann, wenn hierbei die ärztliche Sorgfalt nicht eingehalten und dadurch ein Patientenschaden verursacht wird. Die Einhaltung der ärztlichen Sorgfalt bei der Behandlung muss nach Auffassung des Verfassers aber der übliche Haftungsmaßstab bleiben.

§ 347 Abs. 1 und 2 SGB V statuieren für Vertragsärzte eine Befüllungspflicht der ePA mit bestimmten medizinischen Daten. Die Befüllungspflicht besteht aber nur, wenn diese Daten bei der konkreten aktuellen Behandlung selbst vom Arzt erhoben wurden, die Daten elektronisch vorhanden sind bzw. elektronisch verarbeitet werden und der Patient dem Zugriff des Arztes und dem Einstellen der Daten nicht widerspricht. Zudem besteht eine Befüllungspflicht für weitere bestimmte medizinische Daten gemäß § 347 Abs. 4, 5 SGB V, wenn der Patient deren Einstellung verlangt. Für Krankenhäuser trifft § 348 SGB V die entsprechenden Regelungen. Folglich wäre es im Hinblick auf die Haftungsfrage denkbar, dass bei Verletzung der Befüllungspflicht eine ärztliche Sorgfaltspflichtverletzung vorliegen könnte, wenn hierdurch ein Schaden des Patienten entsteht, weil beispielsweise ein nachbehandelnder Arzt eine medizinisch relevante Information mangels Einstellung nicht aus der ePA ersehen konnte.

Hinsichtlich der Einsichtnahme des Arztes in die ePA gilt, dass wenn es für die Versorgung erforderlich ist und der Patient keinen Widerspruch erklärt hat, der Arzt Einsicht nehmen darf. Eine routinemäßige und anlasslose Einsichtnahme- oder Ausforschungspflicht legt das Gesetz somit gerade nicht fest. Maßgebliche Grundlagen der Behandlung sind deshalb weiterhin das Anamnesegespräch sowie die Behandlungssituation. Lediglich wenn sich hieraus Gründe für eine Einsichtnahme in die ePA ergeben, wird man zur Erfüllung der ärztlichen Sorgfaltspflicht von einer Einsichtnahmepflicht ausgehen müssen. Die ePA ist deshalb nur unterstützend bei Anamnese, Befunderhebung und Behandlung heranzuziehen.

Zusammenfassend dürfte nach derzeitiger Einschätzung des Verfassers die ePA als neue Haftungsquelle im Rahmen der Arzthaftung aber für den Arzt, der gegen eine Befüllungspflicht verstößt oder keine Einsicht in die ePA nimmt, wohl eher begrenzt sein. Denn wie bereits erwähnt, ist zum einen die Behandlungsdokumentation des Arztes weiterhin allein maßgeblich für die Erfüllung seiner ärztlichen Dokumentationspflichten und zum anderen gelten für die ärztliche Sorgfaltspflicht im Rahmen der Anamnese, der Befunderhebung und der ärztlichen Behandlung die bislang geltenden Grundsätze weiter. Auch die Bundesärztekammer weist darauf hin, dass Ärzte unter dem Gesichtspunkt, dass die ePA versichertengeführt ist, nicht davon ausgehen sollten, dass die ePA zwangsläufig alle behandlungsrelevanten Informationen vollständig enthält.

Durch die ePA werden also nach Ansicht des Verfassers die bisherigen Haftungsmaßstäbe nicht verschärft oder erweitert. Nachdem bislang noch keine Rechtsprechung hierzu existiert, kann die Auffassung des Verfassers jedoch als nicht abschließend gesichert betrachtet werden. Man wird abwarten müssen, wie sich letztendlich die Rechtsprechung hierzu positionieren wird.

Heberer J: F+A Die Elektronische Patientenakte (ePA) eine weitere Haftungsquelle? 2025 Juli/August; 15(07/08): Artikel 04_09.

Autor des Artikels

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Dr. jur. Jörg Heberer

Justitiar des BDC, Rechtsanwalt und Fachanwalt für MedizinrechtRechtsanwaltskanzlei Dr. Heberer & Kollegen kontaktieren

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