Im AQUA Institut sind ca. 90 festangestellte Mitarbeiter tätig: Apotheker, Ärzte, Ökonomen, Gesundheitswissenschaftler, Informatiker, Psychologen und Biometriker. Ehrenamtlich tätige Ärzte und Patientenvertreter bilden als „Experten“ entsprechende Fachgruppen, die in Zusammenarbeit mit AQUA für die Weiterentwicklung und Sicherung der fachspezifischen Indikatoren und QS zuständig sind. So soll die wissenschaftliche Qualitätsforschung transparent und im sog. Bottom-up-Prinzip funktionieren.
Prozess der Konzeptionierung
Die Diskussion um hohe Operationszahlen in Deutschland, unzureichende Hygiene und die Tatsache, dass postoperative Wundinfektionen an erste Stelle der nosokomialen Infektionen getreten sind, veranlasste den GBA am 20.10.2011 das AQUA Institut mit der Entwicklung einer transsektoralen Surveillance zur Prävention nosokomialer Infektionen (postoperativer Wundinfektionen) zu beauftragen.
Im Verlauf zeigte sich, dass eine inhaltliche Neuausrichtung und Erweiterung notwendig schien: Statt die Surveillance auf eine Vermeidung postoperativer Wundinfektionen nach Eingriffen, die sowohl ambulant als auch stationär durchgeführt werden (also kleinere und mittlere Eingriffe) zu begrenzen, sollte nun eine Surveillance zur Vermeidung postoperativer Wundinfektionen im generellen Sinne erfolgen, sodass die Tracereingriffe um ausschließlich stationäre Eingriffe (also auch alle großen Eingriffe) erweitert werden mussten.
Diese Neuausrichtung und ein dadurch notwendig gewordener Neuauftrag durch den GBA verzögerte das Verfahren um mehrere Monate. Der Neuauftrag konnte am 21.6.2012 gestellt werden.
Ein Scoping-Workshop mit 86 Teilnehmern wurde dann durchgeführt, in dem von Seiten der Referenten und Teilnehmer als wesentliche Kriterien der Vermeidung nosokomialer Infektionen sog. strukturelle Indikatoren wie z. B. Anzahl des Pflegepersonal, Schulungen etc. angesehen wurden. Diese konnten jedoch nicht berücksichtigt werden, da das beauftragte Qualitätssicherungsverfahren explizit keine Strukturindikatoren, sondern ausschließlich Prozess- und Ergebnisindikatoren aufnehmen sollte.
Von Seiten des AQUA Institutes wurde dann als Grundlage des Indikatorenregisters folg. Erhebungsinstrumente vorgeschlagen (Abb. 1):
- Sozialdaten der Krankenkassen
- QS-Dokumentation (fallbezogen) beim Leistungserbringer
- QS-Dokumentation (einrichtungsbezogen) beim Leistungserbringer
Abb. 1: Erhebungskonzept des QS-Verfahrens Vermeidung nosokomialer Infektionen: Postoperative Wundinfektionen (Quelle AQUA Institut)
Um eine systematische Qualitätsdifferenzierung der Einrichtungen zu erlangen, basiert das von AQUA entwickelte Konzept auf einer Annahme von mind. 20 Infektionen/Einrichtung/Jahr und der Erfassung von ca. 15 bis 20 Prozent aller stationären Operationen.
Betroffen sind die Fächer Gynäkologie und Geburtshilfe, Gefäßchirurgie, Orthopädie und Unfallchirurgie, Herzchirurgie, Viszeralchirurgie und Urologie (sog. Tracer Fachrichtungen). Die Fächer Thoraxchirurgie, plastische Chirurgie und Kinderchirurgie sind in der neuen Surveillance nicht berücksichtigt. Etwa 1300 operierende Krankenhäuser und ca. 10.000 Vertragsärzte werden in das QS-Verfahren eingeschlossen. Um eine ähnliche Anzahl an Tracer-Eingriffen im ambulanten Sektor zu erreichen, werden aus den oben genannten Tracer-Fachrichtungen alle ambulanten Operationen aus dem AOP-Katalog mit mehr als 15-minütiger Standard-Operationsdauer (nach GOP-Definition) ausgewählt.
Ausgeschlossen von der Surveillance sind Eingriffe im Rahmen der primär septischen Chirurgie sowie Verbrennungen, Verätzungen, Eingriffe bei Patienten mit Immunsuppression (inkl. Transplantationspatienten), Eingriffe bei Patienten mit Chemo-Strahlentherapie, Operationen bei Polytraumapatienten und chronischen Dialysepatienten.
Über ein sog. RAM-Panelverfahren (RAND Appropriateness Method: strukturiertes Auswahl- und Bewertungsverfahren des internationalen Forschungsnetzwerkes „Research and Development“ (RAND)) sollten insgesamt 54 Indikatoren, die das AQUA Institut ausgearbeitet hatte (Abb. 2), durch eine ausgewählte Expertengruppe (RAM Panel) hinsichtlich Relevanz, Praktikabilität und Eignung zur öffentlichen Berichterstattung geprüft und beurteilt werden. Für die Bildung des sog. RAM Panel erfolgte eine öffentliche Ausschreibung im Januar 2012, für das sich 43 Personen bewarben, wovon 13 vom AQUA Institut nach nicht bekannten Kriterien ausgewählt wurden. Besonders verwunderlich, dass ein Experte, der letztlich wegen Arbeitsüberlastung absagen musste, eine Vertretung nominieren konnte.
Abb. 2: Strategie der Indikatorenrecherche (Quelle AQUA Institut)
Am Ende hielten neun Indikatorenbereiche der Prüfung stand:
- Nosokomiale post OP WI (nach CDC Kriterien)
- Perioperative Vorbereitung
- Vorbereitung des Patienten im OP-Bereich
- Aufbereitung von Sterilgut
- Wundpflege und -kontrolle
- Antibiotikatherapie
- Entlassungs- und Überleitungsmanagement
- Personalschulung
- Qualitätspotenzial übergreifende Indikatoren
Für den Bereich postoperative Wundinfektionen wurden 22 Indikatoren ausgewählt und für praktikabel befunden. Allein für das Fach Orthopädie und Unfallchirurgie waren 163 Seiten notwendig, um alle Tracerdiagnosen zu listen. Dabei wurde die große Anzahl der Operationen nach AQUA Aussage so gewählt, dass Krankenhäuser durchschnittlich über alle Tracer-Eingriffe hinweg 20 Fälle tiefer postoperativer Wundinfektionen pro Jahr aufweisen.
Kritikpunkte aus Sicht einer Orthopädin und Unfallchirurgin
Die umfangreiche Erfassung der Eingriffe in Orthopädie & Unfallchirurgie (O&U) stellt eher eine Vollerhebung als eine Stichprobe dar, denn sie umfasst sämtliche Osteosynthesen, Endoprothesenimplantationen und Prothesenwechsel, subchondrale Knocheneröffnungen mit Einbringen azellulären Implantates und sämtliche Rekonstruktionen mit alloplastischem Material. Im Gegensatz zu anderen chirurgischen Fächern ist damit das Fach der Orthopädie und Unfallchirurgie ganz besonders stark betroffen, da die Mehrheit der Operationen mit einer Einbringung von Fremdmaterial einhergeht.
Ein wesentlicher Kritikpunkt verschiedener Fachgesellschaften und des BDC war, dass die Dauer der postoperativen Surveillance sich nach den amerikanischen CDC-Kriterien [6] richtet und damit bei Operationen mit Einbringung von Fremdmaterial einen Zeitraum von 365 Tagen umfasst. Das bedeutet, dass z. B. ein Endoprotheseninfekt, der am 355. Tag post OP auftritt, als nosokomial bewertet wird, unabhängig ob er in einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang zum Krankenhausaufenthalt steht oder nicht. Insofern ist hier eine neuartige Verantwortungszuschreibung zu berücksichtigen, die Krankenhäuser, Ärzte und das Gesundheitswesen bei fehlender kritischer Betrachtung in ein ungünstiges Licht rücken könnte, zumal allein aufgrund der langen Surveillancedauer mit einem Anstieg der nosokomialen postoperativen Wundinfektionsraten zu rechnen ist.
Ebenfalls kritikwürdig ist die Tatsache, dass für die QS auch Daten erhoben werden, die laut Medizin-Produkte-Gesetz, Infektionsschutzgesetz bzw. Landes-Hygieneverordnung gesetzlich vorgeschrieben sind (z. B. Durchführung von Hygienefortbildungsmaßnahmen) [3-5]. Dies könnte zu einer Verzerrung der tatsächlichen Bedingungen führen, da eine Nichterfüllung dieses Kriteriums einem Gesetzesverstoß gleich kommt.
Letztlich bleibt unklar, mit welchem Ziel ein so aufwendiges Konzept, das allein aufgrund der schwierigen transsektoralen Datenerhebung nur schwerlich umsetzbar sein wird, ins Rollen gekommen ist, zumal die Punktprävalenzstudie aus dem Jahre 2012 [1] gezeigt hat, dass die Rate der NI mit 3,5 Prozent im Vergleich zu NIDEP Studie aus 1994 [7] keinen signifikanten Unterschied zeigte. Auch existiert langjährig eine funktionierende Surveillance von postoperativen Wundinfektionen über das bekannte KISS (Krankenhaus Infektions Surveillance System)-Modul, an dem rund 500 Kliniken teilnehmen. Die hier erhobenen Daten entsprechen im Gegensatz zur neuen Surveillance des AQUA Institutes tatsächlich Stichproben, umfassen im Gegenzug aber wesentliche und häufige Eingriffe. So z. B. für Orthopädie und Unfallchirurgie: Osteosynthese am Sprunggelenk, Hüft- und Knieendoprothesenimplantation, Osteosynthese proximale Femurfraktur, Hallux valgus OP und seit 15.2.2012 auch Spondylodesen.
Verzögerungen in der Datenaquise und –auswertung sind vorprogrammiert, da vollständige Datensätze von ambulanten Patienten bei den Sozialdaten der Krankenkassen erst im dritten Quartal des Folgejahres zur Verfügung stehen.
Fazit
Angesichts eines so weitreichenden und komplexen Auftrages bleibt es beachtlich, wie es gelungen ist, innerhalb eines so kurzen Zeitraumes (unter Berücksichtigung des drei-monatigen Stopps zur Neuausrichtung nur 14 Monate Dauer) ein mehr als 700 Seiten umfassendes Konzept bereits zum März 2013 fertig zustellen, um es zur Stellungnahme vorzulegen. Erwartungsgemäß haben sich nicht alle chirurgischen Fachgesellschaften und Berufsverbände mit einem so papierstarken Manuskript in die Tiefe befassen können. Die Kommentierungen der Fachgesellschaften, des BDC, der Bundesärztekammer, der AWMF u. a. enthalten neben positiver Kritik einen großen Anteil negativer Kritikpunkte, die nur mit wenigen Ausnahmen zu einer Änderung des Konzeptpapieres führte (z. B. wurde aufgrund der Stellungnahme der DGOU die Fixateur externe Anlage aufgrund per se hoher Infektionsraten im Bereich der Pineintrittsstellen aus der Surveillance ausgeschlossen).
Dennoch: Am 18. Juli 2013 wurde der AQUA Bericht vom GBA abgenommen und im Anschluss publiziert [2]. Die weitere Umsetzung liegt zur Zeit in der Hand des GBA.
In dem aktuellen Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD wurde allerdings die Gründung eines „Qualitätsinstitutes“, das sektorübergreifend Routinedaten sammelt, auswertet und einrichtungsbezogen publiziert, beschlossen. Welche Rolle dann das AQUA Institut in der zukünftigen QS im Gesundheitswesen spielen wird, ist noch unklar.
Den Ärzten und Akteuren im Gesundheitswesen, ganz besonders den Unfallchirurgen und Orthopäden, bleibt aktuell nur, die Öffentlichkeit rechtzeitig und umfangreich über die neue Definition und Begrifflichkeit von „nosokomialer Infektion“ im Rahmen postoperativer Wundinfektionen zu informieren.
Literatur
[1] Behnke M, Hansen S, Leistner R, Peña Diaz LA, Gropmann A, Sohr D, Gastmeier P, Piening B: Nosokomiale Infektionen und Antibiotika-Anwendung. Zweite nationale Prävalenzstudie in Deutschland. DÄB 2013, 110: 627-633
[2] Informationen zur „Vermeidung nosokomialer Infektionen: postoperative Wundinfektionen“ unter: http://www.sqg.de/entwicklung/neue-verfahren/nosokomiale-infektionen-postoperativ.html
[3] KRINKO (2007). Prävention postoperativer Infektionen im Operationsgebiet: Empfehlungen der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention beim Robert-Koch-Institut. Bundesgesundheitsbl Gesundheitsforsch Gesundheitsschutz 50(3): 377-393.
[4] KRINKO (2010). Die Kategorien in der Richtlinie für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention – Aktualisierung der Definitionen. Mitteilung der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention. Bundesgesundheitsblatt.Gesundheitsforschung.Gesundheitsschutz. 53: 754-756.
[5] KRINKO (2012). Anforderungen an die Hygiene bei der Aufbereitung von Medizinprodukten. Empfehlung der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) beim Robert Koch-Institut (RKI) und des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Bundesgesundheitsbl Gesundheitsforsch Gesundheitsschutz 55(10): 1244-1310.
[6] NRZ (2011a). Definitionen nosokomialer Infektionen (CDC-Definitionen). 7. Auflage. Berlin: Robert Koch-Institut.
[7] Rüden, H; Gastmeier, P; Wischnewski, N; Kampf, G; Hauer, T; Schlingmann, J; et al. (1997). Prävalenz der wichtigsten nosokomialen Infektionen in Deutschland. Ergebnisse der NIDEP-Studie nosokomialen Infektionen. Bundesgesundheitsblatt 6: 198-203.