Zurück zur Übersicht

Politischer Wille

Die beschleunigte Einführung der elektronischen Patientenakte war eines der Herzensprojekte des letzten Bundesgesundheitsministers Karl Lauterbach, der damit „Zehntausende Leben retten“ wollte (Quelle: Rede des Ministers bei der Bundespressekonferenz zum Start der ePA für alle vom 15.1.2025). Vor allem in die Vermeidung von unerwünschten Medikamentenwechselwirkungen und in die epidemiologische Auswertung der in der ePA erhobenen Daten zu Forschungszwecken setzte er große Hoffnungen. Somit wurde während seiner Amtszeit die bis dahin schleppende bundesweite Umsetzung der ePA durch die Gesetzgebung forciert und mit Sanktionsdrohungen für die Praxen und Krankenhäuser belegt. Man darf aber nicht vergessen, dass das Projekt schon im GKV-Modernisierungsgesetz vom 14. November 2003 unter der Gesundheitsministerin Ulla Schmidt beschlossen wurde und somit schon mehr als 20 Jahre vor sich hindümpelte, woran eine anfangs grundsätzliche Blockadehaltung großer Teile der Ärzteschaft nicht ganz unschuldig war. Eine gute Übersicht zur historischen Entwicklung findet sich bei WIKIPEDIA [1].

Aktueller Entwicklungsstand und erste Erfahrungen

Ja, es gibt sie jetzt, die ePA in der Version 3.0, und seit dem 2. Quartal 2025 auch außerhalb der begrenzten Testregionen, allerdings noch nicht bei sämtlichen PVS-Herstellern und auch bei den PVS-Marktführern noch nicht vollständig ausentwickelt, so dass zurzeit sowohl auf Seiten der Ärzte als auch bei den Versicherten keine allzu große Begeisterung ausgelöst wird. So ist vor allem bisher die Nachfrage vonseiten der potenziellen Nutzer, nämlich unserer Patienten, äußerst überschaubar. Auch in unserem Gelenkzentrum Schaumburg konnten wir die ePA im PVS Medistar testen, nachdem ein erster Versuch mit der ePA 1.0 im September 2021 von uns mangels Umsetzbarkeit eingestellt worden war. Es hat aber bis heute (Ende September 2025) noch kein Patient danach gefragt oder eine Befüllung gewünscht.

Arzt- oder Psychotherapiepraxen haben im Behandlungskontext standardmäßig Zugriff auf alle Inhalte der ePA eines Versicherten. Der „Behandlungskontext“ wird durch Stecken der elektronischen Gesundheitskarte nachgewiesen. Dazu werden im Hintergrund die Versichertenstammdaten abgerufen und abgeglichen. Hierdurch erhält die Praxis automatisch Zugriff auf die ePA-Inhalte für einen Zeitraum von 90 Tagen. Das ist eine sehr pragmatische Regelung, weil das in der Version ePA 1.0 erforderliche Eintippen einer 8-stelligen PIN durch die Versicherten völlig an der Versorgungswirklichkeit vorbeiging. Für die Praxen und Krankenhäuser bedeutet dies auch, dass elektronisch aufbereitete Inhalte auch noch an späteren Tagen in die ePA eingetragen werden können. Für uns Chirurgen dürfte es sich dabei meist um den elektronischen Arztbrief, den elektronischen Op.-Bericht sowie um Labor- und Histologiebefunde sowie Befundberichte über die Bildgebung handeln. Das Einstellen von Originalbildern aus der MRT- und CT-Bildgebung ist – zumindest in der jetzigen Ausbaustufe der ePA – noch nicht vorgesehen. Dazu bleibt es für uns also leider zunächst einmal beim zeitraubenden Einlesen von Bilddaten von CDs und den Servern der Radiologen.

Allerdings haben die Versicherten ausgiebige Möglichkeiten, den Zugriff auf die Daten der ePA einzuschränken: Versicherte können nämlich mithilfe ihrer ePA-App die Zugriffsdauer beliebig anpassen, aber auch ein dauerhafter Zugriff kann erteilt werden. Sie haben aber auch die Möglichkeit, den Zugriff einer Praxis auf die Inhalte einer ePA vielfältig zu beschränken, indem sie widersprechen, Inhalte verbergen oder löschen. Allerdings ist das Verbergen von Dokumenten nur grundsätzlich möglich und kann somit nicht auf einzelne Ärzte bzw. Einrichtungen begrenzt werden.

Dies betrifft aber nur diejenigen, die sich die ePA-App ihrer Krankenversicherung heruntergeladen haben und das Handling damit beherrschen. Bei dem sehr überschaubaren Marketing der Krankenkassen für die ePA selbst und damit auch für die zugehörige App dürfte das nur für Ausnahmefälle zutreffen. Darüber hinaus ist die Installation und Freischaltung der ePA-App (aus nachvollziehbaren Datenschutz-Gründen) mit zahlreichen Hürden versehen, die vor allem ältere Versicherte kaum überwinden dürften. Prospektiv soll die Verwaltung der ePA aber auch mithilfe einer Desktop-Anwendung auf einem PC möglich sein. Grundsätzlich kann dies auch durch persönliche Vorsprache des Versicherten in einer Krankenkassenfiliale erfolgen.

Weiterentwicklung bis zum Endausbau

Zurzeit ist ein grundsätzlicher Nachteil noch die fehlende Volltextsuche, was den Nutzen erheblich einschränkt. Man kann sich das so vorstellen, als ob sich ein Patient mit einem Stapel thematisch nicht geordneter Befundberichte in der Praxis vorstellt und der Arzt diese durchsuchen muss. Das wäre vollkommen inakzeptabel. In der ePA finden sich zurzeit noch ausschließlich pdf/A-Dokumente, die lediglich anhand der Metadaten und der individuellen Verschlagwortung zumindest einigermaßen erkennbar sind. Leider kann man die Inhalte auch erst nach dem Herunterladen der einzelnen Datei ansehen.

Eine entscheidende Verbesserung wäre weiterhin durch eine Optimierung der digitalen Schnittstellen zwischen den Leistungserbringern, z. B. zwischen den Krankenhäusern und den chirurgischen Praxen bzw. zwischen den Laboren und den Praxen, zu erzielen. Dann könnten Behandlungsdaten in Echtzeit in die ePA übertragen werden und das häufige lästige Nachfragen und Recherchieren im Behandlungskontext könnte überflüssig werden. Ein entscheidender Vorteil für den Bereich Orthopädie und Unfallchirurgie wäre außerdem die Speicherung von Bilddaten, was zumindest für die Zukunft angestrebt wird. Einen weiteren Fortschritt dürfte die angekündigte Implementierung des elektronischen Medikationsprozesses (EMP) bringen, weil dadurch Doppelverordnungen und Unverträglichkeiten online sofort erkennbar und vermeidbar werden sollen.

Für die Zukunft wünschen wir uns, dass sämtliche Prozesse der Telematikinfrastruktur komplett im Hintergrund laufen und die übrige Dokumentation und Verwaltungstätigkeit im PVS nicht beeinträchtigt. Aus chirurgischer Sicht wäre es auch wünschenswert, schon vor Ankunft eines angemeldeten Patienten die Datenrecherche durchführen zu können und schon während der Wartezeit in der Praxis einen automatisierten Datenabgleich zwischen verschiedenen in der TI gespeicherten Informationen durchzuführen, z. B. zwischen im Notfalldatensatz hinterlegten Allergien und dem elektronischen Medikationsplan.

Potenzial für die Anwendung in der Chirurgie (Praxis und Krankenhaus)

Die Befüllung der ePA ist vordringlich hausärztliche Aufgabe. Für die Chirurgie kann sich im Endausbau und bei vollständiger Dokumentation ein großer Vorteil für die Operationsvorbereitung ergeben, wenn alle Erkrankungen, eventuelle Allergien und die Medikation aktuell aufgeführt sind. Angaben, die jetzt noch mühsam gesammelt werden müssen. Sobald die Anwendung (MIO) Impfpass implementiert ist, dürfte dies die Antwort auf die in unfallchirurgischen Praxen und Krankenhausnotaufnahmen täglich mehrfach gestellte Frage nach dem Tetanusimpfschutz erleichtern und vervollständigen. Ob der schon seit mehr als vier Jahren eingestellte Notfalldatensatz jemals eine praktische Bedeutung (z. B. am Unfallort) gewinnen wird, bleibt abzuwarten.

Oft wird kritisiert, dass Patienten bestimmte Dokumente verbergen können, ohne dass dies in der ePA kenntlich wird. Dies trifft zu, ist aber auch jetzt schon im analogen Umgang mit Patienteninformationen der Fall. Man darf aber davon ausgehen, dass die Patienten ein gezieltes Interesse daran haben, zum Zweck der Risikominimierung zumindest im präoperativen Setting möglichst umfassende Angaben zu machen. Die aktuelle Diskussion um das bewusste Verbergen von bestimmten Befunden bezieht sich überwiegend auf Diagnosen und Behandlungen aus dem psychischen, gynäkologischen und sexuellen Bereich. Dabei ist aber regelmäßig der Zugriff auf die von der Krankenkasse eingestellten Abrechnungsdaten möglich, die neben den abgerechneten Leistungen auch die ICD-Codes der zugehörigen Diagnosen enthalten. Auch dem kann der Versicherte durch Einstellungen in seiner ePA-App widersprechen.

Datenschutz und ärztliche Verantwortung

Dazu verweisen wir auf den Artikel von Herrn Rechtsanwalt Butzmann aus der Kanzlei unseres Justiziars Dr. Heberer, der unter andrem auf folgende Aspekte eingeht:

  • Sorge der Ärzteschaft, dass Informationen aus der ePA übersehen werden und daraus Haftpflichtansprüche abgeleitet werden
  • Klarstellung, dass die ePA kein Ersatz für das Patientengespräch sowie die Anamnese und die Behandlungs-Dokumentation darstellt
  • Beurteilung des Datenschutzes und des Risikos eines Verstoßes gegen die Verschwiegenheitspflicht

Fazit

Bisher ist die ePA nicht gerade ein „Renner“. In den chirurgischen Praxen spielt die ePA bisher keine wesentliche Rolle. Das mag auch daran liegen, dass manche PVS noch gar nicht „ePA-ready“ sind.

Leider beißt sich die Katze damit selbst in den Schwanz: Die mangelnde Akzeptanz bei der Bevölkerung ist nachvollziehbar, weil sich den Patienten der Mehrwert der ePA nicht ohne weiteres erschließt. Dies umso mehr, als die Daten in der ePA durch die noch fehlende Beteiligung der Krankenhäuser systematisch unvollständig sind. Somit ist die ePA nach heutigem Stand noch meilenweit davon entfernt, eine wichtige Rolle im klinischen und im Praxisalltag zu spielen, was auch die Akzeptanz bei den Medizinern mindert. Je nach Einstellung finden das die Befürworter der ePA schade und fühlen sich die Kritiker des Projekts bestätigt. Die Einführung zum Oktober 2025 mit Daumenschrauben, sprich Honorar-Sanktionen, für die nicht teilnehmenden Vertragsarztpraxen, wird das Projekt sicher nicht vorantreiben, sondern eher die Ablehnung bei Teilen der Ärzteschaft befeuern. Der Sanktionsmechanismus muss daher aus der Sicht des BDC unbedingt ausgesetzt werden. Mit mehr Zeit für die Umsetzung und einer zunehmenden Einbindung der Krankenhäuser und aller anderen Player im Gesundheitssystem hat die ePA auf lange Sicht durchaus das Potenzial, die Gesundheitsversorgung grundlegend zu verbessern. Zumal dann, wenn erst einmal die ersten positiven Berichte über eine von Karl Lauterbach prophezeite Lebensrettung durch die Informationen aus der ePA in der Laienpresse erschienen sind.

Der BDC bleibt ebenso wie die kassenärztlichen Vereinigungen am Ball und begleitet das Projekt wie bisher konstruktiv fördernd. Dr. Barth ist als Regionalvertreter des BDC in Niedersachsen und als stellvertretender Vorsitzender des Digitalisierungsausschusses der KV Niedersachsen (KVN) prominent an der weiteren Entwicklung beteiligt. Das von der KVN im Juni 2024 vorgelegte Eckpunktepapier „Anforderungen an die elektronische Patientenakte (ePA) in der vertragsärztlichen Versorgung[2] wird somit vom BDC vollumfänglich mitgetragen.

Literatur

[1]   WIKIPEDIA: https://de.wikipedia.org/wiki/Elektronische_Patientenakte_(Deutschland) Zuletzt zugegriffen: 1.10.2025
[2]   Kassenärztliche Vereinigung Niedersachsen: ECKPUNKTEPAPIER Anforderungen an die elektronische Patientenakte (ePA)in der vertragsärztlichen Versorgung (2025)

Kalbe P, Barth F: Elektronische Patientenakte ePA – Mehrwert oder Bürokratiemonster für Chirurgen? Passion Chirurgie. 2025 November; 15(11): Artikel 03_04.

Autor:innen des Artikels

Profilbild von Kalbe

Dr. med. Peter Kalbe

Vizepräsident des BDCGelenkzentrum SchaumburgStükenstraße 331737Rinteln

kontaktieren

Profilbild von Barth

Dr. med. Florian Barth

Regionalvertreter/Vorsitz des Landesverbands BDC|NiedersachsenGelenkzentrum SchaumburgStükenstr. 331737Rinteln

Weitere aktuelle Artikel

PASSION CHIRURGIE

Passion Chirurgie: Digitalisierung & Innovationen in der Chirurgie

Die aktuelle Ausgabe der PASSION CHIRURGIE widmet sich der Digitalisierung

Passion Chirurgie

Lesen Sie PASSION CHIRURGIE!

Die Monatsausgaben der Mitgliederzeitschrift können Sie als eMagazin online lesen.