01.06.2010 Politik
Editorial: Nachwuchs fördern und fordern. Spagat zwischen Anspruch und Wirklichkeit!
Na, wo laufen Sie den Hin?
Die sehr gute chirurgische Versorgungsqualität in Deutschland ist das Ergebnis der mitunter aufopferungs- und verantwortungsvollen Arbeit der vielen chirurgischen Lehrer an den Krankenhäusern der Grund- und Re-gelversorgung, den Krankenhäusern der Schwerpunkt- und Maximalversorgung und nicht zuletzt der Universitätsklinika. Glaubt man den Szenarien, so steuert die Gesundheitswirtschaft auf einen Fachkräftemangel hin. Jährliche Jobzuwächse im sechstelligen Bereich werden prognostiziert. Allein in der Chirurgie geht man von einem Bedarf von jährlich 1000 Neuchirurgen aus. Laut Hochrechnungen interessieren sich jedoch nur ca. 400 Absolventen jährlich für eine chirurgische Laufbahn. Es war und ist illusorisch zu glauben, dass der Fachkräftemangel an der kurativen Medizin und insbesondere an der Chirurgie vorbeischiffen würde. Die Bevölkerung wird immer älter. Die Fertilitätsrate sinkt bei immer älteren Eltern. Bei allen Diskussionen um den Nachwuchsmangel darf aber auch nicht unerwähnt bleiben, dass sich die Versorgungslandschaft in den nächsten Jahrzehnten verändern wird. Die Frage muss gestattet sein: Brauchen wir dann noch die prognostizierten Jungchirurgen? Wir haben in Deutschland keine Bedarfsplanung an zukünftigen Chirurgen. Man hat aber auch in anderen Wirtschaftszweigen erfahren müssen, dass eine Bedarfsplanung nicht als Allheilmittel verstanden werden darf. Wirtschaftliche und gesamtgesellschaftliche Entwicklungen kann man nicht prognostizieren und schon gar nicht planen. Wer dies versucht, wird immer enttäuscht werden. Deswegen geht es auch an der Realität vorbei, wenn man glaubt den Ärztemangel durch einen erleichterten Zugang zum Medizinstudium, durch Stipendien oder Zuweisungsquoten begegnen zu können. Wir haben kein Absolventen- sondern ein Attraktivitätsproblem. Dies gilt es zuerst zu verändern!
Die Chirurgie scheint bei den jungen Medizinern enorm an Faszination verloren zu haben. Die operative Medizin, früher die Königsdisziplin der Medizin, hat ihren elitä-ren Charakter verloren. Es mag viele Ursachen dafür geben. Angefangen von den veränderten gesundheitsökonomischen Rahmenbedingungen über die zu lange und mitunter unstrukturierte Weiterbildung, der veränderten Work-life-Balance der jungen Absolventen, der durchaus positiven Feminisierung der Medizin bis hin zu dem Glauben der Verantwortlichen: Dies kann uns nicht passieren!!!! Nun ist es aber einmal passiert.
Haben wir immer die richtigen Antworten auf die drängenden Fragen?
Verharren wir nicht immer allzu oft in einer Art Romantik und Glauben an die guten alten Zeiten ohne den Blick für neue moderne Strukturen zu schärfen. Die gesell-schaftlichen Rahmenbedingungen haben sich in den letzten 20 Jahren enorm verändert. Sind wir diesen Veränderungen immer mit der richtigen Ernsthaftigkeit und Visionsfähigkeit begegnet!
Die Chirurgie hat aus unserer Sicht an Faszination nichts verloren. Sie muss sich nur endlich an den veränderten Rahmenbedingungen und an den Forderungen der jungen Absolventen unter Berücksichtigung der Versorgungsrealität orientieren. Es geht dabei nicht um einen „Waldorfschen Schmusekurs“. Wir sollten unsere Absolventen aber dort abholen, wo sie stehen und nicht dort, wo wir glauben, wo sie stehen müssten. Dies bedeutet nicht, dass wir in der Qualität unserer ärztlichen Versorgung irgendwelche Abstriche zulassen sollten. Dieser Spagat zwischen Anspruch und Wirklichkeit wird von uns zu erbringen sein. Der Grundstein dafür wird in der Aus- und Weiterbildung gelegt. Das Haus der Chirurgie wird zusammenbrechen, wenn die tragenden Mauern zu schwach sind. Die tragenden Mauern sind die Aus- und Weiterbildung, die Zukunftsperspektiven junger Chirurgen, die gesundheitsökonomischen Rahmenbedingungen und die Ansprüche der jungen Generation an Work-life-Balance. Die universitäre chirurgische Forschung ist enorm wichtig und sichert die Einführung und Etablierung der neusten wissenschaftlichen Erkenntnisse in die chirurgische Behandlung unserer Patienten. Aber entgegen aller Exzellenzinitiativen an den Universitäten, die wichtig sind, findet die chirurgische Weiterbildung überwiegend außerhalb der Universitäten statt.
Nun mag dies sehr negativ klingen. Ist es aber nicht. Wir haben die reizvolle Chance die Chirurgie zu modernisieren und Weiterbildungsstrukturen zu schaffen, welche von einer modernen Weiterbildungskultur und einem zukunftsweisenden Weiterbildungsmanagement geprägt sein wird. Lassen Sie uns dies nutzen!
Vielfach wurde dies erkannt, und es findet ein wahres „Buhlen“ um den Nachwuchs auf Fachkongressen statt. Gerade die Konfrontation unserer jungen Studenten mit der harten Wirklichkeit der klinischen Realität im PJ veranlassen ca. 60% der potenziellen Chirurgen dieser den Rücken zu kehren. Die Standesvertretungen und Fachgesellschaften sowie der Berufsverband der Deutschen Chirurgen haben das Problem erkannt und engagieren sich mit enormen personellen, inhaltlichen und emotionalen Einsatz bei diversen Nachwuchskampagnen, Workshops sowie Akademie- und Sommerschulen. Davon wird auch in diesem Heft zu berichten sein. Weiterhin beschäftigt sich dieses Heft mit den Zukunftsplanungen und den Anforderungen der zukünftigen Chirurgen an ihren Arbeitgeber. Insgesamt eine gelungene Mischung von Anspruch und Wirk-lichkeit.
Das Referat Nachwuchsförderung des BDC hat seit April 2010 eine Doppelspitze. Dr. Matthias Krüger aus Magdeburg und sein Stellvertreter PD Dr. Daniel Vallböhmer aus Köln führen das Referat gemeinsam. Wir verstehen uns als Team für die Belange des chirurgischen Nachwuchses. Im Mittelpunkt unserer Arbeit steht die Verbesserung der chirurgischen Weiterbildung, die Erarbeitung von Qualitätsindikatoren der Weiterbildung und das Einwerben des medizinischen Nachwuchses für die Chirurgie sowie das Ausloten von Synergieeffekten mit den einzelnen chirurgischen Fachgesellschaften. Da wir glauben, dass wir kein Zugangsproblem, sondern ein Attraktivitätsproblem haben, ist es nur folgerichtig, dass wir den Nachwuchs vom Studenten bis zum Assistenz- und Facharzt aktiv in die Arbeit mit einbinden wollen.
Wir rufen deshalb aktiv zur Mitarbeit auf!
Wir können nur Veränderungen erreichen, wenn wir wissen, was der Nachwuchs will! Schreiben Sie uns und teilen uns Ihre Sorgen, Nöte und Anforderungen mit.
Wir sind gespannt und hoffen auf eine gute Zusammenarbeit für den chirurgischen Nachwuchs und für die Deutsche Chirurgie.
Autoren des Artikels
Dr. med. Matthias Krüger
Leiter des Ressorts Zukunft, Ökonomie und Digitalisierung in der ChirurgieGesundheitsökonom, klinischer Risikomanager(DIOcert)ZB Proktologie/NotfallmedizinUnseburger Straße 739122Magdeburg kontaktierenProf. Dr. med. Daniel Vallböhmer
Stellv. Leiter Themen-Referat Leitende KrankenhauschirurgInnenEv. Klinikum Niederrhein gGmbHKlinik für ChirurgieFahrner Str. 13347169Duisburg kontaktierenWeitere Artikel zum Thema
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