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Ausgangslage

Die Grundsätze „ambulant vor stationär“, die Versorgung der Bevölkerung durch niedergelassene Vertragsärzte und nur im besonderen Bedarfsfall durch das Krankenhaus führte über Jahre zu einer klaren Aufgabenteilung innerhalb der Ärzteschaft. Die Majorität der Fachärzte war niedergelassen, die Minorität in Chef- und Oberarztpositionen, die Krankenhaus-Assistenten befanden sich regelhaft in Weiterbildung. Entsprechend sahen die Mehrheitsverhältnisse in den Ärzteparlamenten, auch im Deutschen Ärztetag aus. Der Zusammenhang zwischen „freiem Beruf“ und „freiberuflicher Tätigkeit“ bedurfte keiner Beleuchtung. Die Rahmenbedingungen in den Kliniken für die überschaubare Zeit der Weiterbildung spielten eine untergeordnete Rolle, das Karriereziel war nach fünf- oder sechsjähriger Tätigkeit im Krankenhaus erreicht, die Facharztanerkennung wurde regelhaft mit Kauf oder Übernahme einer Vertragsarztpraxis verbunden.

Die Vergütungsanreize im Krankenhaus folgten schon in den 70er Jahren marktwirtschaftlichen Spielregeln; nicht selten wird von ehemaligen Medizinalassistenten berichtet, dass sie in jungem Alter, allerdings in weniger attraktiven Arbeitsregionen doppelte oder dreifache Monatsvergütungen erhalten hätten. Noch Mitte der 90er Jahre galt unser berufspolitisches Streben der Schaffung des „Lebensarbeitsplatzes Krankenhaus“, den man deutlich attraktiver als in der Vergangenheit gestalten wollte. Seit dem Ärztetag von Travemünde wurde über das kollegiale Chefarztsystem diskutiert, über Departments und Spezialabteilungen sollten Fachärzte dauerhaft an das Krankenhaus gebunden werden.

Uniforme Tarife

Die Vergütungsregelungen entsprachen (flächen-)tariflich festgelegten Vereinbarungen, im öffentlichen Bereich basierend auf dem BAT, bei der Kirche auf speziellen Regelungen des AVR. Persönliche Erfahrungen liegen aus den Jahren 1988 bis 1992 vor, als ÖTV, DAG, Marburger Bund und GGVöD mit den öffentlichen Arbeitgebern um die Gehälter im öffentlichen Dienst einschließlich Gesundheitswesen verhandelt haben. Die bestbesuchte Veranstaltung des Hauptstadtkongresses 1998 befasste sich mit der Frage, ob Krankenhausmedizin auch ohne Anwendung des BAT denkbar und zukunftsfest betrieben werden könnte, was von Experten bezweifelt wurde.

Der Wandel

Das Unfallkrankenhaus Berlin hatte im September 1997 den Betrieb aufgenommen, von vornherein wurde auf den Beitritt zur VBL verzichtet, angestrebt wurde ein Haustarifvertrag, hilfsweise wurde vom BAT-Ost Gebrauch gemacht. Damit bewies ein Krankenhaus in der gemeinsamen Trägerschaft des Landes Berlin und der gewerblichen Berufsgenossenschaften, dass man auch außerhalb der Privatwirtschaft Vergütungsvereinbarungen treffen konnte, die von den Beschäftigten aller Berufsgruppen akzeptiert wurden.

Wesentlicher Bestandteil des von Marburger Bund und Ver.di „gefeierten“ Tarifvertrages im Sommer 2002 war die Leistungsorientierung, die im besten Fall zu Einkommens-verbesserungen bis zu 12,8 Prozent führen konnte. Über die Zeit allerdings wurde deutlich, dass regelmäßige und komplizierte Beurteilungen durch Vorgesetzte schlanken Abläufen im Wege stehen. Erst im Kalenderjahr 2010 hat die Ärzteschaft des ukb den Haustarifvertrag verlassen, umgestellt wurde auf einen Arzt-spezifischen Tarifvertrag mit klassischer Einteilung in Erfahrungsstufen und erstmalig bei derartigen Verträgen, die regelhaft mit dem Verzicht auf alle Sonderzulagen einhergehen, der Gewährung eines Kindergeldes in Höhe von Euro 88,88, um – neben einer Reihe anderer besonderer Signale – auch finanziell die familiengerechte Ausrichtung des Krankenhauses zu unterstreichen.

Die sonst übliche Frage, wie Leistungsträger zu motivieren sind, nach Erlangung komplizierter und besonderer Kenntnisse und Erfahrungen den Arbeitsplatz Krankenhaus möglichst nicht zu verlassen, stellte sich im Unfallkrankenhaus Berlin zunächst nicht. Das Durchschnittsalter aller Beschäftigten einschließlich der Verwaltungsangestellten betrug 1997 30,5 Jahre. Vereinbart wurde ein möglichst engagiertes Arbeiten in allen Berufsgruppen, das moderne Krankenhaus mit perfekter Ausstattung am östlichen Rand der Bundeshauptstadt sollte auch der Qualifizierung dienen, moderne Technik sollte mit wissensdurstigen Ärztinnen und Ärzten angewandt werden. Eine Tätigkeit bis zur Berentung wurde – mit Ausnahme der Chefarztetage – in keinem Bereich angestrebt.

Gut zehn Jahre später hat sich die Perspektive in Teilen verändert: Krankenhausträger, Klinikdirektoren und Oberärzte wünschen sich attraktiv ausgestaltete Lebensarbeits-plätze für solche Leistungsträger, die ihre besondere fachliche Kompetenz, den regional und überregionalen Bekanntheitsgrad, die individuelle Kommunikationsfähigkeit mit einweisenden Ärzten und Kostenträgern, Forschungskompetenz und –erfahrung dem Krankenhaus bis zum Renteneintritt zur Verfügung stellen wollen.

Personalabteilung und Krankenhausleitung hatten zu entscheiden, welche Anreize gesetzt werden sollten. Rasch wurde über außertarifliche Verträge diskutiert, sie sind im ukb bisher Abteilungsleitern der Administration, Klinikdirektoren, Chefärzten und nicht kurativ tätigen Kolleginnen und Kollegen vorbehalten. Auch Ärztinnen und Ärzte in Teilzeit oder mit besonderen Aufgaben versehene Kollegen, die nicht am regulären Betrieb, sondern ausschließlich an Bereitschaftsdiensten teilnehmen, erhalten außertarifliche Verträge.

ZV contra AT-Verträge

Bundesweit in aller Munde sind Zielvereinbarungen, die mit Chef- und Oberärzten, aber auch mit nichtärztlichen Leitern medizinischer Fachabteilungen (z. B. Physikalische Therapie) abgeschlossen werden können. Über Zielvereinbarungen können Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter längerfristig motiviert werden; die Prozeduren allerdings sind im Alltag schleppend und weisen zahlreiche Parallelen zu den aus ukb-Sicht überholten komplexen Leistungsbeurteilungen auf.

Werden die Ziele zu allgemein gehalten, die zu überspringenden Latten zu hoch oder zu niedrig gelegt, wird die gewünschte Wirkung verfehlt. Sind die Ziele individuell erarbeitet und vereinbart bedarf es regelmäßiger Zwischenprüfungen, intensiver Einzelfall-betrachtung, Nachjustierungen, dem Finden neuer Ziele; der bürokratische Aufwand ist groß, zu viele Personen sind an dem Prozess beteiligt, Vereinbarungen des Einzelfalls sprechen sich herum, Diskussionen über gerechte Verteilung öffentlicher Gelder und Missgunst lähmen den Betrieb oder führen zu nichtbezahlbaren Anreizspiralen.

Dieses Heft Der Chirurg BDC fokussiert ja ganz besonders auf die langfristige Arbeits- und Einkommenssituation von Oberärztinnen und Oberärzten. Ein nicht zu unterschätzendes Problem von Zielvereinbarungen besteht in der nicht sicher beeinflussbaren Erreichbarkeit. Differieren die mit dem Chefarzt vereinbarten Ziele von denen des leitenden Oberarztes, hat einer das Nachsehen; sind die Ziele identisch, können sie auch nur kollektiv erreicht werden, der eine ist von dem anderen abhängig, im Regelfall stellt dies kein Problem dar, leider bestätigen Ausnahmen die Regel?!

Arbeitnehmer sind zum Stillschweigen über individuelle vertragliche Vereinbarungen verpflichtet, dies gilt auch für den Arbeitgeber. Daher kann bezogen auf das ukb nur festgestellt werden, dass man auf das Angebot außertariflicher Verträge für Oberärztinnen und Oberärzte in der Vergangenheit verzichtet, sehr wohl aber – insbesondere in Zeiten des Haustarifvertrages – individuelle außertarifliche Anreize unter Bezug auf den gültigen Tarif gefunden hat.

Natürlich hat man sich auch im ukb die üblichen Fragen gestellt: Sollen leitende Ärztinnen und Ärzte zu leitenden Angestellten befördert werden, hätten außertarifliche Verträge positive Auswirkungen auf die flexible Anwendung der Arbeitszeitgestaltung, was in einem Krankenhaus mit elektronischer Zeiterfassung von großer Bedeutung ist, macht es Sinn, das Mitspracherecht des Betriebsrates auf diesen Feldern zu beschränken? In allen genannten Punkten haben sich Geschäftsführung und Kaufmännische Direktion dagegen ausgesprochen. Gepflegt wird eine vertrauensvolle und kooperative Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat, das Beschneiden von Mitbestimmungsrechten im Kleinen erschwert die Zusammenarbeit im Großen. Die Personalhoheit bleibt beim Arbeitgeber.

Die neuen Vergütungstabellen

Die Vereinbarungen mit dem Marburger Bund im Februar 2010 haben auf Wunsch der Ärztegewerkschaft zu neuen „Tarifkästchen“ geführt, in denen anstelle einer konkreten Vergütungssumme die Buchstaben AT aufgeführt sind. So stellt sich neuerlich und ganz aktuell die Frage, wen soll man wann mit welcher Art von außertariflichen Verträgen versehen. Da die Vereinbarungen so getroffen worden sind, können die Tarifparteien die Nutzung von AT-Verträgen nicht grundsätzlich negieren, die wesentlichen Argumente sind also zu beleuchten.

Es wäre unrealistisch zu glauben, dass die im ukb sehr breite Zustimmung zu den aktuellen tariflichen Vereinbarungen und Freude über die adäquate Vergütung ärztlicher Tätigkeit dauerhaft anhalten wird. Allzu menschlich ist der regelmäßige Vergleich von Qualifikation, Leistung und Vergütung mit anderen Krankenhausärzten, mit Kolleginnen und Kollegen in Praxen, MVZ, im öffentlichen Gesundheitswesen und im Ausland.

Insoweit wird es mittelfristig im Einzelfall wiederum motivationsfördernder Maßnahmen bedürfen, diese können in der Schaffung besonderer Freiräume, in der Unterstützung bei berufspolitischen und nebenberuflichen Aktivitäten, in der Schaffung herausgehobener Positionen (leitender Arzt, leitender Oberarzt, stellvertretender Direktor, Zentrumsleiter) und in außertariflichen Zulagen bestehen. Die konkrete Entscheidung ist hoch individuell und – angesichts der begrenzten Ressourcen öffentlicher Krankenhäuser – dem Ausnahmefall vorgehalten. Auch würden tarifliche Vereinbarungen, besonders auf aktuell sehr hohem Niveau, wenig Sinn machen, wenn sie regelhaft verzerrt werden würden.

Im Wettbewerb zwischen dem Abschluss außertariflicher Verträge und tariflichen Regelungen mit außertariflichen Zulagen muss Maßstab der Beurteilung sein, ob man die über Jahre bewährten und regelmäßig aus Sicht des Arbeitnehmers verbesserten und aus Sicht aller Beteiligten ausgereiften tarifvertraglichen Regelungen für gut oder für deutlich verbesserungswürdig hält. Der Autor dieser Zeilen ist von den Verhandlungsergebnissen des Marburger Bundes mit Krankenhausträgern überzeugt, Ärztinnen und Ärzte im Krankenhaus sind bezogen auf die berufstypischen Risiken wie Haftpflicht, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Unterstützung bei Fortbildungen etc. vorbildlich abgesichert. Außertarifliche Verträge bedingen einzelvertragliche Vereinbarungen, welche wiederum ständiger Überprüfung bedürfen.

Risiken

Schließlich eröffnet das Angebot des außertariflichen Vertrages dem Arbeitgeber grundsätzlich Möglichkeiten, die tarifvertragliche Vereinbarungen nicht zulassen würden. Die im Nachwuchsbereich glücklicherweise überholte, im Spezialistensegment aber noch über Jahre andauernde Mangelsituation auf dem ärztlichen Arbeitsmarkt suggeriert den Kolleginnen und Kollegen ein besonderes Selbstbewusstsein, das generell gerechtfertigt sein mag, im Einzelfall aber nicht zutreffen muss.

Warum soll der Arbeitgeber den 58jährigen, nur noch mäßig fortbildungswilligen, eingeschränkt motivierten und von Zeit zu Zeit arbeitsunfähigen Oberarzt nicht vor die Wahl stellen, seine weitere Anwesenheit mit deutlich abgesenktem Einkommen zu akzeptieren oder auszuscheiden. Die Vergütung in außertariflichen Verträgen ist frei verhandelbar, die Positionierung der Spalte AT am Ende der jeweiligen Einkommensskala suggeriert völlig grundlos eine gegenüber dem Tarif höhere Vergütung.

Die Interessensdifferenz zwischen dem Krankenhaus, das den ärztlichen Leistungsträger in einer bestimmten Lebensalterstufe nicht verlieren möchte und der des Krankenhausträgers, der häufig mit Hilfe des Chefarztes auf die Dienste eines älteren Mitarbeiters lieber heute als morgen verzichten würde, könnte größer nicht sein.

FAZIT

Tarifliche Regelungen sind durchdacht, schützen alle Beteiligten, vermeiden böse Überraschungen auf allen Seiten. Auch der Risikobereite sollte sich den Abschluss eines AT-Vertrages mit seinem Krankenhausträger gut überlegen, seine Familie in diese Überlegungen mit einbeziehen und sich durch den Berufsverband der Deutschen Chirurgen umfassend beraten lassen.

Autor des Artikels

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Prof. Dr. med. Axel Ekkernkamp

Ärztlicher Direktor und GeschäftsführerUnfallkrankenhaus Berlin (ukb)Warener Str. 712683Berlin kontaktieren

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