01.12.2024 Fachübergreifend
Das TraumaRegister DGU® der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie – die Erfolgsgeschichte ist jetzt Ü30

Als ein zentrales Instrument der Versorgungsforschung dienen medizinische Register dem wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn und stellen ein wertvolles Werkzeug zur medizinischen Qualitätssicherung dar. Die strukturierte, plausibilitätsgeprüfte Erfassung einer großen Anzahl von Patientenfällen auf einer longitudinal ausgerichteten Zeitachse mit unterschiedlichen Zeitpunkten der Datenerhebung lassen Aussagen zu zahlreichen relevanten Outcomes – nicht nur der Mortalität von Patienten – zu.
Wie funktioniert das TraumaRegister DGU®?
Das TraumaRegister DGU® (TR-DGU) wurde 1993 durch die Arbeitsgemeinschaft Polytrauma als ein standardisiertes Instrument zur systematischen Erfassung und Analyse der Versorgung Schwerverletzter im deutschsprachigen Raum geschaffen. Zielsetzungen waren die Verbesserung der Versorgungsqualität, die Abbildung der Versorgungsabläufe, die Umsetzung der gewonnenen Erkenntnisse in „Leitlinien“ und die Erhebung von Daten zur Entwicklung eines Polytrauma-Scores für die Prognoseabschätzung und zur Klassifikation von Schwerverletzten für wissenschaftliche Zwecke.
Im Kleinen mit fünf teilnehmenden Kliniken begonnen, wurden in der Zwischenzeit im Register ca. 550.000 Behandlungsverläufe dokumentiert. Aktuell werden jährlich Patientendaten aus 700 Kliniken erfasst, was einer fast vollständigen Abdeckung der traumatologischen Versorgung in Deutschland bedeutet. Das TR-DGU ist damit auch international ein Referenzregister für die Qualität der Schwerverletztenversorgung in hochentwickelten Gesundheitssystemen.
Das TR-DGU ist ein mortalitiätsorientiertes Register mit einem Fokus auf der externen Qualitätssicherung von zertifizierten Traumazentren. Es beantwortet aber auch Fragen der Versorgungsforschung bei schwerverletzten Patienten, daher gelten festgelegte Einschlusskriterien, die ein Patient für den Einschluss in TR-DGU erfüllen muss: „In das TR-DGU einzuschließen sind alle über den Schockraum aufgenommen Patienten mit anschließender Intensiv- oder IMC-Überwachung und alle Patienten, die die Klinik mit Lebenszeichen erreichen und vor Aufnahme auf die Intensivstation versterben. Außerdem sind alle die zuverlegten Patienten im Register zu dokumentieren, für die in der erstbehandelnden Klinik bereits eine Dokumentation im TraumaRegister DGU® angelegt wurde.“ (www.bit.ly/TraumaregisterDGU) Diese Kriterien sind pragmatisch gewählt, um zum Beispiel ein Scoring im Schockraum zu vermeiden.
Die Datenerhebung erfolgt über einen mehrteiligen Fragebogen, der aus vier aufeinanderfolgenden Phasen besteht:
- Präklinik,
- Schockraum und anschließend OP,
- Intensivstation und
- Entlassung.
Der prähospitale Teil ist dabei basierend auf der prähospitalen Dokumentation oder durch das behandelnde Rettungsdienstteam z. B. den Notarzt auszufüllen, die nachfolgenden Teile von dem jeweils behandelnden Klinikarzt. Sie beinhalten detaillierte Informationen über Demografie, Verletzungsmuster, Komorbiditäten, prähospitales und innerklinisches Management, intensivmedizinischen Verlauf und wichtige Laborbefunde einschließlich Transfusionsdaten. Weiterhin werden Daten zum Outcome wie beispielsweise der Zustand des Patienten nach Entlassung und das Entlassungsziel dokumentiert.
Die Daten werden über eine Web-gestützte Applikation in anonymer Form in eine zentrale Datenbank eingegeben und können folglich ausgewertet werden. Die Dateneingabe ist im Rahmen des Zertifizierungsprozesses als TraumaZentrum DGU obligat.
Neben der sehr guten, fast flächendeckenden Datenerfassung für Deutschland wächst die Beteiligung am Register aus dem europäischen, aber auch weltweiten Ausland stetig an. Zurzeit gibt es Registerdaten aus Belgien, Finnland, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Schweiz, Slowenien und den Vereinigten Arabische Emiraten. Seit 2023 nimmt auch Nepal am TR-DGU in einem Pilotbetreib teil und ist damit das erste Lower Middle Income Country im Register. Der wissenschaftliche Vergleich von Outcome-Daten zwischen Ländern mit unterschiedlich ausgerichteten Behandlungsstandards kann weitere wertvolle Erkenntnisse für die Qualitätsverbesserung in der Schwerverletztenversorgung erbringen.
Die technische und organisatorische Entwicklung sowie der kontinuierliche Betrieb des Registers inklusive Datenmanagement und statistischer Analyse erfolgt durch die AUC – Akademie der Unfallchirurgie GmbH.
Die wissenschaftliche Leitung obliegt der Sektion Notfall, Intensivmedizin und Schwerverletztenversorgung der DGU (Sektion NIS). Der Arbeitskreis Traumaregister der Sektion NIS gewährleistet die wissenschaftliche Weiterentwicklung des TR-DGU und liefert die für die Fortentwicklung notwendige umfangreiche traumatologisch-fachliche Expertise.
Auswertungen des TraumaRegister DGU® – Jahresbericht
Auf jährlicher Basis werden die Auswertungen zu einem Jahresbericht zusammengefasst und im September eines Jahres auf dem TNT-Kongress veröffentlicht. Neben dem allgemeinen, öffentlichen Jahresbericht erhält jede teilnehmende Klinik einen individuellen Jahresbericht, was ein anonymisiertes Benchmarking i. S. der Qualitätssicherung der eigenen Klinik mit anderen Kliniken ermöglicht und individuelle Qualitätsbemühungen unterstützt.
Der Jahresbericht berichtet in stets gleicher Struktur von der Entwicklung der realen Letalität im Vergleich zur Prognose basierend auf dem RISC II-Score, den demografischen Basisdaten, den überwiegend auf Zeiten basierenden Indikatoren zur Prozessqualität, den anonymisierten Klinikvergleichen, ausgewählten Subgruppen und der Dokumentationsqualität bzw. Vollständigkeit.
Der allgemeinen Jahresberichte des TR-DGU spiegelt somit valide den Stand der Schwerverletztenversorgung in Deutschland in der jeweiligen Berichtsperiode wider. Der Jahresbericht ist in digitaler Form frei auch für Dritte verfügbar (www.bit.ly/JahresberichtDGU2023). Die aktuellen Zahlen des Berichtszeitraumes werden im Bericht stets mit denen des Vorjahres und dem letzten Zehn-Jahres-Durchschnitt verglichen, um strukturelle Veränderungen oder den Einfluss von Leitlinien zu dokumentieren.
Der individuelle Jahresbericht kann dabei beim lokalen Klinikadministrator angefragt werden.
Über den Jahresbericht hinaus liefert das TR-DGU einen wichtigen Beitrag zur Forschung, indem es Analysen in unterschiedlichen wissenschaftlichen Bereichen ermöglicht. Die jeweiligen Publikationen werden einem registerinternen Reviewprozess unterworfen und unterliegen der Publikationsrichtlinie (www.bit.ly/PublikationsrichtlinieDGU). Aus den Registerdaten werden im jährlichen Durchschnitt 24 Publikationen erstellt, womit das Register auch Einfluss auf Handlungsempfehlungen wie zum Beispiel der S3-Leitlinie Polytrauma nehmen konnte. Somit hat das TR-DGU einen hohen Stellenwert in der wissenschaftlichen Arbeit zur Schwerstverletztenversorgung dar.
Mitwirkung am TraumaRegister DGU®
Für traumatologisch begeisterte Ärztinnen und Ärzte gibt es zahlreiche Möglichkeiten sich auf unterschiedlichen Ebenen konzeptionell an der Registerarbeit zu beteiligen.
Die Aussagekraft eines jeden Registers wird maßgeblich durch die Güte der eingebenden Daten beeinflusst. Neben der Vollständigkeit ist die Validität der Daten ein zentraler Baustein. Das wünschenswerte Maximalziel ist die Teilnahme aller an der Verletztenversorgung beteiligten Kliniken, die Erfassung eines jeden versorgten Patienten und die vollständige Dateneingabe des gesamten Datensatzes (Standardbogen). Die Erfüllung dieser Formel würde eine optimale Voraussetzung zur Verbesserung der Behandlungsqualität von Schwerverletzten in Deutschland und für die wissenschaftliche Aussagekraft des TR-DGU schaffen.
Jeder motivierte Mitarbeitende kann in seiner Klinik an der Güte der Datenqualität mitwirken. Zentral scheint es aber vor Ort geeignete Patienten für den Einschluss in das Register zu identifizieren und nach ausführlicher Aufklärung deren Einwilligung zum Dateneinschluss einzuholen. Denn spätestens seit Mai 2018 – dem Inkrafttreten der EU-Datenschutz-Grundverordnung (EU-DSGVO) – unterliegt der Einschluss von Patienten einer verschärften Regulierung. Das künftige Registergesetz in Deutschland schafft hier hoffentlich deutliche Erleichterungen bei der Dokumentation von Routinedaten. Bis dahin gefährdet der Verlust von potenziellen Patienten die Aussagekraft des erfolgreich implementierten Registers.
Wer auf der wissenschaftlichen Ebene eine individuelle Fragestellung verfolgen möchte, dem ist die Kontaktaufnahme mit dem lokalen Klinikadministrator des TR-DGU an der eigenen Klinik empfohlen. Denn jeder Klinik, die Patienten über den Standardbogen einpflegt, ist nach der bereits erwähnten Publikationsrichtlinie grundsätzlich berechtigt die eigenen Daten zur Auswertung anzufordern bzw. Projektskizzen mit Antrag auf Datenauswertung einzureichen.
Wer auf konzeptioneller Ebene am Register mitarbeiten möchte, der ist herzlich eingeladen, sich dem Arbeitskreis Traumaregister der Sektion NIS anzuschießen. Die Gruppe trifft sich regelmäßig bei den Sektionssitzungen der NIS, auf dem Jahreskongress von TraumaRegister DGU®, Sektion NIS und TraumaNetzwerk DGU® (TNT) oder im Rahmen einer zweitägigen Klausurtagung in Bensberg bei Köln, wo das TR-DGU traumatolgisch-inhaltlich weiterentwickelt wird und vorhandenen Items der Dokumentation diskutiert und an den aktuellen Stand der Wissenschaft angepasst werden. Voraussetzung für die Teilnahme ist lediglich die Mitgliedschaft in der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) und eine formlose Mail an den Schriftführer der NIS mit der Bitte um Aufnahme in die Sektion.
Weitere Infos zur NIS finden sich hier (www.bit.ly/NIS-DGU).
Fazit
Zusammenfassend stellt das TraumaRegister DGU(R) seit über 30 Jahren eine Erfolgsgeschichte für die Qualitätssicherung in der Schwerverletztenversorgung dar. Es lieferte aber auch die Datenbasis für zahlreiche herausragende Studien, deren Ergebnisse maßgeblich in die Versorgungsleitlinien und in der Folge in die tägliche Praxis Eingang gefunden haben. Damit hat das Register national und international Maßstäbe für die Register- und Versorgungsforschung gesetzt. Diese Leistung wäre ohne die engagierten Personen hinter den verschiedenen Arbeitsgruppen der DGU und schon gar nicht ohne die zahllosen Kolleginnen und Kollegen in den lokalen, regionalen und überregionalen Traumazentren, die die Daten in mühevoller, kleinteiliger Arbeit erfassen, möglich.
Dafür möchten wir uns an dieser Stelle bei Ihnen, die das möglich machen, bedanken und freuen uns sehr auf die weitere Zusammenarbeit.
Dr. med. Heiko Trentzsch
Institut für Notfallmedizin und Medizinmanagement (INM)
Klinikum der Universität München
Ines Mittelstädt
Prof. Dr. med. habil. Gerrit Matthes
Ärztlicher Leiter Zentrum für Chirurgie I
Chefarzt
Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie
Überregionales Traumazentrum
SAV-Klinik der DGUV
Klinikum Ernst von Bergmann gGmbH
Potsdam
Dr. med. Sebastian Imach
Zentrum für Orthopädie, Plastische Chirurgie, Unfallchirurgie und Sporttraumatologie
Zentrum OPUS Köln-Merheim
Chirurgie
Mittelstädt I, Trentzsch H, Matthes G, Imach S: Das TraumaRegister DGU® der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie – die Erfolgsgeschichte ist jetzt Ü30. Passion Chirurgie. 2024 Dezember; 14(12/IV): Artikel 03_02.
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