01.05.2023 Recht&Versicherung
Das neue Ehegattennotvertretungsrecht in Gesundheitsangelegenheiten
Seit 01.01.2023 gilt die gesetzlich in § 1358 BGB verankerte gegenseitige Vertretung von Ehegatten in Angelegenheiten der Gesundheitssorge (sog. Ehegattennotvertretungsrecht). Wie das Wort „Ehegattennotvertretung“ aber schon suggeriert, wird hiermit keine Pauschalbefugnis für eine anlasslose und zeitliche unbegrenzt zulässige Vertretung geschaffen, sondern dieses gesetzliche Vertretungsrecht wird auf bestimmte Personen, Anwendungsfälle, abschließend aufgezählte Vertretungshandlungen im Bereich der Gesundheitssorge sowie zeitlich beschränkt.
Beschränkung des Notvertretungsrechts auf bestimmte Personen
Das Recht zur gegenseitigen Vertretung kommt ausschließlich Ehegatten oder Lebenspartnern nach § 21 Lebenspartnerschaftsgesetz (nicht zu verwechseln mit Lebensgefährten, für die die gesetzliche Regelung gerade nicht gilt) zu, die nicht getrennt leben im Sinne des § 1567 Abs. 1 BGB. Hiernach leben Ehegatten getrennt, wenn zwischen ihnen keine häusliche Gemeinschaft besteht und ein Ehegatte sie erkennbar nicht herstellen will, weil er die eheliche Lebensgemeinschaft ablehnt. Erforderlich für ein Getrenntleben ist damit jedenfalls ein Trennungswille zumindest eines Ehegatten.
Anwendungsfälle
§ 1358 Abs. 1 BGB beschränkt die Anwendungsfälle des Vertretungsrechts darauf, dass ein Ehegatte aufgrund von Bewusstlosigkeit oder Krankheit seine Angelegenheiten der Gesundheitssorge rechtlich nicht besorgen kann (vertretener Ehegatte). Damit ist erforderlich, dass der vertretene Ehegatte entweder bewusstlos oder krank und aufgrund dessen einwilligungsunfähig ist.
Der Gesetzgeber führt in der Gesetzesbegründung dazu aus, dass damit klargestellt werde, dass Anlass für das gesetzliche Vertretungsrecht von Ehegatten eine akut eingetretene gesundheitliche Beeinträchtigung des Ehegatten infolge eines Unfalls oder einer Erkrankung ist, die auch eine ärztliche Akutversorgung notwendig macht (vgl. BT-Drucksache 19/24445, S. 179).
Fraglich ist damit aber, ob das Vertretungsrecht damit beispielsweise bei einer durch chronische Krankheit erstmals hervorgerufenen Einwilligungsunfähigkeit generell nicht gilt. Es wird hier somit wieder einmal die Rechtsprechung sein, die die Vorschrift wird auslegen müssen, um den Anwendungsbereich klar zu definieren.
Zulässige Notvertretungshandlungen
Ferner grenzt § 1358 Abs. 1 BGB den Umfang der Vertretungsberechtigung dahingehend ein, dass er die Angelegenheiten der Gesundheitssorge, in denen der vertretende Ehegatte zur Vertretung berechtigt ist, abschließend festlegt.
Der vertretende Ehegatte kann hiernach für den vertretenen Ehegatten
1.in Untersuchungen des Gesundheitszustandes, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe einwilligen oder sie untersagen sowie ärztliche Aufklärungen entgegennehmen,
Hierbei muss es sich um medizinisch notwendige Untersuchungen, Behandlungen oder Eingriffe handeln. Der vertretende Ehegatte ist danach auch berechtigt, alle im Zusammenhang mit diesen medizinischen Maßnahmen notwendigen Aufklärungen entgegenzunehmen.
2.Behandlungsverträge, Krankenhausverträge oder Verträge über eilige Maßnahmen der Rehabilitation und der Pflege abschließen und durchsetzen,
Umfasst sind damit Rechtsgeschäfte, die unmittelbar nach Eintritt der das Vertretungsrecht auslösenden Erkrankung bzw. Bewusstlosigkeit anstehen sowie unaufschiebbare Maßnahmen der Rehabilitation und Pflege, die im zeitlichen Rahmen des Vertretungsrechts und im unmittelbaren kausalen Zusammenhang mit der anlassgebenden Erkrankung oder Bewusstlosigkeit getroffen werden müssen (vgl. BT-Drucksache 19/24445, S. 180). Mit umfasst vom Recht zur Durchsetzung sind auch die Geltendmachung von Mängeln sowie die Einleitung gerichtlicher Verfahren.
3.über Maßnahmen nach § 1831 Abs. 4 BGB entscheiden, sofern die Dauer der Maßnahme im Einzelfall sechs Wochen nicht überschreitet:
Diese zeitlich begrenzte Entscheidungsbefugnis bezieht sich auf freiheitsentziehende Maßnahmen. Hierunter fallen beispielsweise Bettgitter oder Medikamentengaben zur Ruhigstellung. Gleichwohl ist eine betreuungsgerichtliche Genehmigung der Entscheidung des vertretenden Ehegatten stets erforderlich, um deren Rechtmäßigkeit zu gewährleisten. Nicht unter die Vertretungsbefugnis fällt die Entscheidung über eine freiheitsentziehende Unterbringung.
4.Ansprüche, die dem vertretenen Ehegatten aus Anlass der Erkrankung gegenüber Dritten zustehen, geltend machen und an die Leistungserbringer aus den Verträgen nach Nummer 2 abtreten oder Zahlung an diese verlangen.
Hauptanwendungsfälle dürften Leistungsansprüche gegen die Krankenversicherung oder die Beihilfe des vertretenen Ehegatten sein. Der vertretende Ehegatte kann diese Ansprüche zwar geltend machen, jedoch wird der Vertretungsumfang dahingehend beschränkt, dass er Leistung (z. B. Zahlung der Erstattungsleistung der Krankenversicherung) nicht an sich verlangen kann, sondern er den Leistungsanspruch entweder an den Leistungserbringer abtreten muss oder nur Zahlung direkt an diesen fordern kann (vgl. BT-Drucksache 19/24445, S. 180).
Trotz des abschließenden Katalogs sind in der Praxis Anwendungsschwierigkeiten zu erwarten. Denn der Vertretungsumfang wird jeweils nur allgemein beschrieben, sodass der Gesetzeswortlaut im Einzelfall dahin wird ausgelegt werden müssen, ob eine konkrete Handlung, z. B. eine Einwilligung oder ein Vertragsabschluss, tatsächlich vom Vertretungsrecht umfasst ist. Beispielsweise kommt es nach dem Gesetzeswortlaut in Nummer 1 nicht darauf an, ob eine Behandlungsmaßnahme oder ein ärztlicher Eingriff unaufschiebbar ist. Die Gesetzesbegründung fordert andererseits aber für Behandlungen oder Eingriffe, die nicht in direktem Zusammenhang mit der das Vertretungsrecht auslösenden Erkrankung stehen, die im Zuge der Behandlung jedoch erstmals diagnostiziert wurden und deren Behandlung aus medizinischer Sicht notwendig ist, jedenfalls eine Unaufschiebbarkeit der Behandlung bzw. des Eingriffs (vgl. BT-Drucksache 19/24445, S. 179).
Derartige Auslegungsfragen sind zukünftig durch die Gerichte zu klären, sodass eine gewisse Rechtsunsicherheit durch die Neuregelung verbleibt.
Zeitliche Beschränkung des Notvertretungsrechts
In § 1358 Abs. 3 Nr. 4 wird das Vertretungsrecht zeitlich auf maximal sechs Monate befristet, d. h. es endet mit Fristablauf automatisch. Hierdurch sollen Missbrauchsgefahren verhindert werden. Die Frist beginnt mit der Feststellung des Arztes vom Vorliegen der Voraussetzungen des Vertretungsrechts nach § 1358 Abs. 4 Nr. 1 BGB. Ist die Frist abgelaufen und der vertretene Ehegatte weiterhin nicht in der Lage, seine gesundheitlichen Angelegenheiten zu regeln, so muss ein Betreuer bestellt werden, denn die Verlängerung des Notvertretungsrechts ist ausgeschlossen.
Wird während der Geltungsdauer des Notvertretungsrechts ein Betreuer bestellt, dessen Aufgabenkreis die in Absatz 1 Nummer 1 bis 4 bezeichneten Angelegenheiten umfasst, darf ab dessen Bestellung die Vertretung durch den Ehegatten nicht mehr ausgeübt werden (§ 1358 Abs. 5 BGB).
Gesetzliche Offenbarungsbefugnis für Ärzte
§ 1358 Abs. 2 BGB normiert bei Vorliegen der Voraussetzungen des Ehegattennotvertretungsrechts eine gesetzliche Offenbarungsbefugnis für Ärzte hinsichtlich der in Absatz 1 Nummer 1 bis 4 genannten Angelegenheiten, d. h. die behandelnden Ärzte sind gegenüber dem vertretenden Ehegatten von ihrer Schweigepflicht diesbezüglich entbunden. Der vertretende Ehegatte darf zudem die diese Angelegenheiten betreffenden Krankenunterlagen einsehen und ihre Weitergabe an Dritte bewilligen.
Ausschluss des Notvertretungsrechts
Dieses neue Vertretungsrecht nebst den Rechten des Ehegatten aus § 1358 Abs. 2 BGB besteht allerdings gemäß § 1358 Abs. 3 Nr. 1 – 4 BGB nicht, wenn
1.die Ehegatten getrennt leben,
2.dem vertretenden Ehegatten oder dem behandelnden Arzt bekannt ist, dass der vertretene Ehegatte
a)eine Vertretung durch ihn in den in Absatz 1 Nummer 1 bis 4 genannten Angelegenheiten ablehnt oder
b)jemanden zur Wahrnehmung seiner Angelegenheiten bevollmächtigt hat, soweit diese Vollmacht die in Absatz 1 Nummer 1 bis 4 bezeichneten Angelegenheiten umfasst,
Dem vertretenden Ehegatten kommt allerdings keine Pflicht zu, Ermittlungen bezüglich des Eingreifens von lit. a) oder b) anzustellen. Liegt eine Vorsorge- oder Generalvollmacht vor, so ist der Ehegatte in seiner Vertretung jedenfalls nur insoweit beschränkt, als die Vollmacht eine Vertretungsbefugnis für die in Absatz 1 Nrn. 1–4 genannten Angelegenheiten bestimmt. Somit kann der Ehegatte entweder ganz oder auch nur teilweise von der Notvertretung ausgeschlossen sein.
3.für den vertretenen Ehegatten ein Betreuer bestellt ist, soweit dessen Aufgabenkreis die in Absatz 1 Nummer 1 bis 4 bezeichneten Angelegenheiten umfasst, oder
4.die Voraussetzungen des Absatzes 1 nicht mehr vorliegen oder mehr als sechs Monate seit dem durch den Arzt festgestellten Zeitpunkt, zu dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 spätestens eingetreten sind, vergangen sind.
Die Voraussetzungen des Notvertretungsrechts liegen nicht mehr vor, sobald der vertretene Ehegatte seine gesundheitlichen Angelegenheiten rechtlich wieder selbst besorgen kann. Ist dies nach sechs Monaten immer noch nicht der Fall, endet das Notvertretungsrecht automatisch und es muss, wie oben dargestellt, ein Betreuer bestellt werden.
Liegt nur einer dieser Ausschlussgründe vor, so ist der Ehegatte nicht zur Notvertretung berechtigt bzw. endet dessen Vertretungsrecht bei späterem Eintritt eines Ausschlussgrundes.
Es stellt sich damit aber auch die Frage, ob Ärzte hier zur Prüfung bzw. Nachforschung bezüglich des Vorliegens eines Ausschlussgrundes verpflichtet sind. Die Begründung zum Gesetzentwurf spricht sich jedenfalls gegen eine solche spezifische Prüf- und Nachforschungspflicht des Arztes aus. Inwieweit dies auch bei aufkommenden Zweifeln des Arztes an der Vertretungsberechtigung gilt, ist offen und müsste ebenfalls gerichtlich geklärt werden, wobei eine solche Pflicht dem Sinn und Zweck der Regelung zuwiderlaufen würde und Ärzten regelmäßig nicht zumutbar sein dürfte.
Hingegen ist bei positiver Kenntnis eines Arztes vom Vorliegen eines Ausschlussgrundes, z. B. von einer Ablehnung oder einer Vollmacht nach Ziffer 2, dieser zwingend zu berücksichtigen, sodass die Vertretung durch den Ehegatten folglich abgelehnt werden muss (vgl. BT-Drucksache 19/24445, S. 181).
Neues Auskunft- und Einsichtsrecht für Ärzte in das Zentrale Vorsorgeregister
Dennoch hat der Arzt nunmehr die Möglichkeit, bei Zweifeln, ob der Vertretene von seinem Ehegatten vertreten werden möchte oder wenn Anhaltspunkte bestehen, dass einem Dritten eine Vorsorgevollmacht erteilt wurde, der Ehegatte aber auf seinem Notvertretungsrecht besteht, zu überprüfen, ob der Patient einen Widerspruch gegen die Vertretung durch seinen Ehegatten oder eine Vorsorgevollmacht, ggf. in Kombination mit einer Patienten- oder Betreuungsverfügung im Zentralen Vorsorgeregister eintragen hat lassen. Bisher konnte eine solche Einsicht nur durch das Betreuungsgericht vorgenommen werden (vgl. BT-Drucksache 19/24445, S. 182). Nun steht in diesen Fällen auch dem Arzt ein Auskunft- und Einsichtsrecht in das Register zu, soweit eine Auskunft für die Entscheidung über eine dringende medizinische Behandlung erforderlich ist (vgl. § 78b Abs. 1 S. 2 BNotO). Das Auskunft- und Einsichtsrecht ist somit auf Notfallsituationen beschränkt, in denen die Behandlung oder der Eingriff dringlich ist (vgl. BT-Drucksache 19/24445, S. 325).
Die Auskunft an die Ärzte erfolgt im Wege eines automatisierten Verfahrens auf Abruf. Dafür hat die Bundesnotarkammer zuvor mit der jeweiligen Landesärztekammer generell für solche Abfragen schriftlich Festlegungen zu den technischen und organisatorischen Maßnahmen zur Gewährleistung des Datenschutzes und der Datensicherheit zu treffen (vgl. BT-Drucksache 19/24445, S. 325). Die Abfragen werden protokolliert. Die Landesärztekammern sind zur nachträglichen Überprüfung, ob die Voraussetzungen des § 78b Abs. 1 S. 2 BNotO vom ersuchenden Arzt eingehalten worden sind, berechtigt und können die Protokolle hierzu verwenden. Sollte ein Arzt Einsicht in das Zentrale Vorsorgeregister genommen haben, ohne dass diese Einsicht für die Entscheidung über eine medizinische Behandlung dringend erforderlich gewesen ist, wäre dies ein berufsrechtlicher Verstoß gegen die Pflichten zur gewissenhaften Berufsausübung, zur Entsprechung des entgegengebrachten Vertrauens und zur Einhaltung der berufsrechtlichen Vorschriften (vgl. §§ 2 Abs. 2 S. 1, Abs. 5 MBO-Ä). Dies könnte ein berufsrechtliches Verfahren nach sich ziehen, in dem die Protokolle zur Beweisführung verwendet werden können. Die Landesärztekammer hat ihr zur Verfügung gestellte Protokolle ein Jahr nach ihrem Eingang zu löschen, sofern die Protokolle nicht für weitere, bereits eingeleitete Prüfungen benötigt werden (vgl. BT-Drucksache 19/24445, S. 325, 326).
Dokumentationspflichten des Arztes
Bedauerlicherweise geht mit dem Notvertretungsrecht aber ein weiterer Verwaltungsaufwand für Ärzte einher. Denn nach § 1358 Abs. 4 BGB hat der Arzt im Zusammenhang mit der erstmaligen Ausübung des Vertretungsrechts dem vertretenden Ehegatten
1.Das Vorliegen der Voraussetzungen des Absatzes 1 und den Zeitpunkt, zu dem diese spätestens eingetreten sind, schriftlich zu bestätigen.
Es muss vom Arzt also bestätigt werden, dass aufgrund von Bewusstlosigkeit oder einer Krankheit der Patient seine Angelegenheiten der Gesundheitssorge rechtlich nicht besorgen kann sowie der Zeitpunkt, zu dem die Erkrankung oder die Bewusstlosigkeit spätestens eingetreten sind. Zur Festlegung des Zeitpunkts kann sich der Arzt auf die Angaben des vertretenden Ehegatten stützen oder, falls solche fehlen, auf den Zeitpunkt der Klinikeinlieferung bzw. der Vorstellung beim Arzt (vgl. BT-Drucksache 19/24445, S. 183).
2.Dem vertretenden Ehegatten diese Bestätigung mit einer schriftlichen Erklärung über das Vorliegen der Voraussetzungen des Absatzes 1 und das Nichtvorliegen der Ausschlussgründe des Absatzes 3 vorzulegen.
Nachdem der Arzt die Voraussetzungen des Notvertretungsrechts und des Zeitpunkts ihres Eintritts festgestellt hat, muss der Ehegatte, der das Vertretungsrecht ausüben möchte, über die Ausschlussgründe nach Absatz 3 informiert werden. Hierzu ist ihm nach der Gesetzesbegründung ein Dokument vorzulegen, in dem neben der Bestätigung des Arztes die in der Regelung vorgesehenen Ausschlussgründe für das Ehegattenvertretungsrecht nach Absatz 3 dargelegt sind. Wünscht der Ehegatte deren Erläuterung, muss dem vom Arzt oder einem Verwaltungsmitarbeiter der Klinik nachgekommen werden (vgl. BT-Drucksache 19/24445, S. 183).
3.Sich von dem vertretenden Ehegatten schriftlich versichern zu lassen, dass
a)das Vertretungsrecht wegen der Bewusstlosigkeit oder Krankheit, aufgrund derer der Ehegatte seine Angelegenheiten der Gesundheitssorge rechtlich nicht besorgen kann, bisher nicht ausgeübt wurde und
b)kein Ausschlussgrund des Absatzes 3 vorliegt.
Auf dem Dokument ist somit zudem die schriftliche Versicherung des Ehegatten erforderlich, dass weder ein Ausschlussgrund vorliegt noch das Notvertretungsrecht aufgrund der aktuellen Bewusstlosigkeit oder Krankheit schon ausgeübt wurde. Durch die Versicherung der erstmaligen Ausübung soll eine „kettenmäßige“ Ausübung bei länger andauernden oder chronischen Erkrankung verhindert werden. Nicht ausgeschlossen sein soll jedoch nach dem Willen des Gesetzgebers eine mehrfache Notvertretung wegen zeitlich unabhängig voneinander eingetretener Krankheiten bzw. Bewusstlosigkeit, beispielsweise eines schweren Unfalls und eines zu einem späteren Zeitpunkt erlittenen Schlaganfalls (vgl. BT-Drucksache 19/24445, S. 183).
Dieses Dokument ist dem vertretenden Ehegatten für die weitere Ausübung des Notvertretungsrechts schließlich auszuhändigen. Ebenfalls sollte dies nach Ansicht des Verfassers zwingend in die Behandlungsdokumentation Einzug halten.
Das Bundesjustizministerium, die Bundesärztekammer und die Deutsche Krankenhausgesellschaft haben ein Muster-Dokument erstellt, das unter anderem HIER erhältlich ist.
Anforderungen an den Ehegatten bei Ausübung des Notvertretungsrechts
Nachdem § 1358 Abs. 6 BGB auf diverse Vorschriften zur Betreuung verweist, unterliegt der vertretende Ehegatte letztendlich bei der Ausübung des Vertretungsrechts den gleichen Vorgaben wie ein Vorsorgebevollmächtigter und ein gerichtlich bestellter Betreuer. Beispielhaft sind hier zu nennen, dass er die Angelegenheiten des vertretenden Ehegatten so zu besorgen hat, wie es dessen Wünschen entspricht oder, dass dem in einer wirksamen Patientenverfügung niedergelegten Willen des vertretenen Ehegatten Ausdruck und Geltung zu verschaffen ist, wenn die Festlegungen in der Patientenverfügung auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen. Ferner ist insbesondere auf § 1829 Absatz 1 bis 4 BGB hinzuweisen, der festlegt, unter welchen Voraussetzungen die Entscheidung des vertretenden Ehegatten eine Genehmigung des Betreuungsgerichts erfordert.
FAZIT
Nachdem in der Praxis die Erteilung einer Vorsorgevollmacht zu Gunsten des Ehegatten für Fälle einer plötzlichen Einwilligungsunfähigkeit bislang wohl zu wenig genutzt wurde, ist nach Meinung des Verfassers die gesetzliche Verankerung eines Ehegattennotvertretungsrechts sicherlich dem Grunde nach zu befürworten. Dies zum einen im Hinblick auf die dadurch grundsätzlich und zumindest zunächst entfallende Betreuerbestellung, was die Ärzteschaft zukünftig hoffentlich entlastet. Zum anderen auf die hiermit in der Regel verbundene Rechtssicherheit.
Dennoch bleiben auch hier Unwägbarkeiten für die Ärzte in der praktischen Anwendung im Einzelfall bestehen, vor allem durch die von den Gerichten zukünftig zu klärenden Auslegungsfragen.
Zudem ist auch fraglich, ob ein Arzt Konsequenzen zu befürchten hat, wenn sich beispielsweise der vertretende Ehegatte das Ehegattenvertretungsrecht durch falsche Angaben erschleicht oder eine Vorsorgevollmacht fälscht. Der Gesetzgeber vertritt hierzu jedenfalls klar die Auffassung, dass dem vertretenen Ehegatten in solchen Fällen keine Ansprüche gegen Dritte, wie Ärzte oder Krankenhaus zustehen und zwar unabhängig vom Gutglaubensschutz sowie, dass ein Arzt, der auf eine gefälschte Vollmacht vertraut, weder zivil- noch strafrechtliche Sanktionen befürchten muss (vgl. BT-Drucksache 19/24445, S. 480). Nach Auffassung des Verfassers kann dies unter allen rechtlichen und tatsächlichen Aspekten nur richtig sein. Gleichwohl wird man abwarten müssen, ob und wie sich ggf. die Gerichte hierzu positionieren werden. Bei Zweifeln des Arztes über die Vertretungsberechtigung wäre bis dahin nach Ansicht des Verfassers jedenfalls der rechtssicherste Weg die Anregung einer Betreuerbestellung.
Ebenso bleibt abzuwarten, ob der für Ärzte neu einhergehende Informations- und Dokumentationsaufwand für die Ausstellung der ärztlichen Bescheinigung, den die Gesetzesbegründung im Übrigen mit ca. 30 Minuten einschätzt, tatsächlich zu keinem Mehraufwand im Vergleich zu den ärztlichen Aufgaben bei Betreuerbestellung führen wird.
Heberer J: Das neue Ehegattennotvertretungsrecht in Gesundheitsangelegenheiten. Passion Chirurgie. 2023 Mai; 13(05): Artikel 04_08.
Autor des Artikels
Dr. jur. Jörg Heberer
Justitiar des BDC, Rechtsanwalt und Fachanwalt für MedizinrechtRechtsanwaltskanzlei Dr. Heberer & Kollegen kontaktierenWeitere Artikel zum Thema
01.06.2024 Fragen&Antworten
F+A: Zahlungsverhalten von Privatkassen-Patient
Frage: Eine niedergelassene Chirurgin fragt an, ob ein Privatpatient eine
01.05.2024 Fragen&Antworten
F+A: Unterschriftsberechtigter für Abrechnungssammelerklärung im MVZ
Frage: Ein ärztlicher Leiter einer MVZ-GmbH fragt an, von wem
01.05.2024 Fragen&Antworten
F+A: Übersendung eines Arztbriefs nach Koloskopie ausreichend oder persönliche Aufklärung nötig
Frage: Ein niedergelassener Chirurg fragt an, ob die postalische Übersendung
01.05.2024 Praxis
Existenzbedrohende Haftpflicht-Lücke bei Durchgangsärzten
Selten, aber im Einzelfall potenziell existenzbedrohend Eine breite Abdeckung der
Lesen Sie PASSION CHIRURGIE!
Die Monatsausgaben der Mitgliederzeitschrift können Sie als eMagazin online lesen.