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Bericht eines Symposiums auf der ‚Viszeralmedizin 2011’

Es ist was faul im Staate Dänemark … oder war es in der Chirurgie?

Vom 14. bis 17.09. fand die Viszeralmedizin 2011 in Leipzig statt. In einer Mittagssitzung wurde das Satellitensymposium Johnson & Johnson: „Chirurgische Fort- und Weiterbildung in der Sackgasse?“ abgehalten. In dem bis auf den letzten Platz gefüllten Saal des überwiegend angejahrten Publikums mussten noch viele stehen – das Thema scheint zu berühren, aber bewegt es auch?

Bereits das Präsidium war beeindruckend: ein Jurist als wortgewandter Diskussionsleiter und die bekannte Riege der Universitätsdirektoren. Ein Student? Ein Pflichtassistent? Ein Assistenzarzt? Ein junger Facharzt? Fehlanzeige! Ebenso im Publikum waren die, um die es ging, eher spärlich vertreten. Ist es doch nicht mehr 5 vor 12? Anwesend waren sorgenvolle Chefs mit der Frage: Wo bleibt unser Nachwuchs? Wo ist mein Stapel mit den 30 Bewerbungen von früher? Was kann man ändern? Will man wirklich etwas ändern?? Man stelle sich vor: Von Pflichtassistenten, die im Ausland das Chirurgietertial absolvieren, möchten danach 40 % nichts mehr mit der Chirurgie zu tun haben, absolvieren sie es in Deutschland, ziehen sich 70 % von unserem Fach zurück.

Warum ist das so? Dieser Frage sollte wieder einmal ratlos nachgegangen werden. Zu nennen waren hier ganz klar die üblichen Verdächtigen: Die Industrie zieht sich zurück! Man stelle sich vor Geburtstagssymposien werden nicht mehr ausreichend unterstützt! (Wer solches ins Feld führt, ist Lichtjahre von der Realität entfernt.) Die DRG machen uns zu schaffen. Es ist zu wenig Geld im System! Die Abstimmung mit den Ärztekammern ist schwierig. Natürlich das Arbeitszeitgesetz. Wir brauchen mehr Weiterbildungsangebote (Nie gab es so viel wie heute)! …und immer wieder das liebe Geld! Wie gut, dass hier in allem Konsens besteht: Es sind in jedem Fall die Anderen! Die Industrie. Die Umstände. Die Ökonomie. Wir dürfen gemeinsam erfolglos weiter jammern! Elend verbrüdert schließlich. Da all das Genannte auch einen gewissen Teilaspekt der Wahrheit darstellt, brauchen wir vor allem eines nicht: Und zwar uns selber ändern, denn das wäre das Schwerste. Wie schön! Aber wer soll uns einmal operieren?

Im Abschlusswort wurde universitär zusammengefasst: „ Ja, wir tun weiter unser Bestes!“ Wie schön doch! Wie man allerdings sieht, reicht das nicht oder aber vom Besten gibt es recht unterschiedliche Vorstellungen. Der Nachwuchs hat längst mit den Füßen abgestimmt: Chirurgie? Nein danke!

In der eigenen Klinik gibt es Fachärzte für Chirurgie, die dieses gefürchtete und schreckliche Fach in der Pflichtassistenz als erstes wählten. Nicht etwa aus Lust und Interesse, sondern um es schnell hinter sich zu bringen, um sich dann der Medizin und dem Leben zuzuwenden. Sie blieben dann „hängen“ nicht nur weil unser Fach Unglaubliches zu bieten hat, sondern weil Klima und Struktur der Arbeit nicht nur ein Leben mit Chirurgie zulassen, sondern tief befriedigend, erfüllend und im Einklang mit Familie möglich sind.

Als ich selbst im dritten Studienjahr erstmals bei einer OP vor Ehrfurcht erstarrt Haken hielt und zwei Stunden nicht einen einzigen Ton von mir gegeben hatte, musste der Operateur bei der Hautnaht unbedingt noch eines mit erhobenen Zeigefinger loswerden (Zitat): „ Und dass De‘ klar siehst: in der Chirurgie haste die Haken und vor allem die Schnauze zu halten!“ Diese sprichwörtlichen chirurgischen Umgangsformen gehören heute wohl weitgehend der Vergangenheit an, allein ihr Nachhall scheint für Studenten und Berufsanfänger schon noch manchmal in der Luft zu liegen.

Natürlich gibt es echte Probleme in unserem Land. Das ist die Kinderlosigkeit durch den Weggang junger Menschen, die Überalterung, der Bevölkerungsrückgang ganzer Regionen und die alles in allem gefühlte Zukunftslosigkeit vermeintlich unattraktiver Landstriche. Dort Ärztenachwuchs zu finden ist schwierig, aber das betrifft die Medizin in allen Fachbereichen und den Fachkräftemangel ganz allgemein. Das ist nicht ein spezifisch chirurgisches Problem.

Was ist unser eigenes Problem? Dauerlarmoyanz wird wenig Begeisterung und Nachwuchs hervorbringen. Die erste Frage sollte sein, was passiert in meiner eigenen Klinik und zwar heute? Der Leser könnte sich doch einmal ein paar Fragen durch den Kopf gehen lassen, die aus meiner Sicht viel näher am Problem sind:

Wie ist meine Klinik strukturiert? Zeitlich, personell und besonders von den Abläufen her? (Stichwort: Chefvisite 20 Uhr – dort sollte außer dem Diensthabenden einfach niemand hingehen!)

Wie sieht es mit der Pünktlichkeit aus (auch mit der des Chefs)? In der eigenen Klinik beginnt spätestens fünf Minuten nach der Zeit der Ranghöchste die Konferenz, die Übergabe, die OP – der Vorgesetzte ist offensichtlich verhindert.

Wann habe ich persönlich (Chef, Oberarzt) Lehrassistenzen durchgeführt bei erster (und folgender) Galle, erstem Kolon, erstem Whipple? Das ist gelebte Weiterbildung. Das kostet Nerven und das strengt an! Das dauert oft lange. Hoffentlich wird es dankbar registriert. So wird es gemacht! So forme ich die Zukunft handwerklich und nur so lerne ich eine sehr wichtige Seite meiner Mitarbeiter kennen.

Wann habe ich das letzte Mal jemanden gelobt – ganz still unter vier Augen oder besser vor allen Mitarbeitern? Habe ich darauf hingewiesen, dass dieses gut oder sehr gut und jenes genau dort noch zu verbessern ist?

Wann habe ich einem Mitarbeiter gesagt, dass er für unser Fachgebiet ungeeignet ist? Dazu muss ich sie/ihn genau kennen. Solche Gespräche sind für beide Teile sehr belastend – ja, davor sträubt man sich – aber sie sind äußerst wichtig! Es gibt nette und hoffnungsvolle Mitarbeiter, die aber für die Chirurgie vollkommen ungeeignet sind. Es ist kein Dauerzustand, wenn Weiterzubildender und Weiterbilder aufgrund handwerklicher oder anderer Unzulänglichkeiten miteinander täglich unglücklich sind. Hier ist manchmal schmerzliche Ehrlichkeit gefordert! Der Patient ist letztendlich der Leidtragende.

Wie gehe ich mit Mitarbeiterinnen um? Frauen in die Chirurgie! Sind sie für mich nur verdeckte Männer? Kinderlos und 24 Stunden verfügbar, wissenschaftlich exzellent und grenzenlos leidensfähig? Ein Mindestmaß an Attraktivität sollten sie aber mitbringen! Oder sind es Frauen, die eine Familie und Nachwuchs haben, die an bestimmten Tagen pünktlich weg müssen, die noch einen Kinderarzttermin wahrzunehmen haben, da die Oma heute nicht verfügbar ist. Frauen, die vier Dinge parallel regeln können, die oft effizienter als ihre männlichen Kollegen sind, die einen hohen Anspruch an sich und die Welt haben und die randvoll sind mit Chirurgie UND mit normalem Leben. Kennen Sie die Namen der Kinder ihrer Mitarbeiter? Ich kenne sie und bin stolz darauf. Handwerklich sind Frauen ihren männlichen Kollegen ebenbürtig – manchmal sind sie auch besser.

Wie strukturiere ich Weiterbildung? Die eigene Klinik ist eine reine Viszeralchirurgie. Meine Assistenten durchlaufen Kliniken für Gefäßchirurgie, Unfallchirurgie, Thoraxchirurgie und chirurgische Intensivmedizin sämtlich in anderen Krankenhäusern. Dazu gibt es bisher keinerlei Verträge. Das funktioniert aus zwei Gründen: Die jeweiligen Chefärzte tragen das Konzept engagiert mit, zum Teil unter vielen Diskussionen mit den jeweiligen Verwaltungen. Sie wissen aber, dass die jeweilige Stelle 100 %ig besetzt wird. In der Regel ist die Reflexion der Chefs auf den jeweiligen Rotanden ausgesprochen positiv. Es funktioniert, weil diese Assistenten begeisterte und geeignete angehende junge Chirurginnen und Chirurgen sind. Nur die Förderungswürdigen haben die Chance zur Rotation, die anderen sollten nicht in der Chirurgie bleiben dürfen. Neben der fachlichen Weiterbildung hat diese Rotation erhebliche positive Nebeneffekte: Man kennt sich und die Assistenten wissen, wo was wie läuft – strukturell und besonders auch menschlich. Wie ist der Umgang miteinander? Beim Abschied fanden es alle in der angestammten Klinik schon ganz nett, wer wieder einrotiert, sagte nicht selten: Endlich wieder zu Hause! Am Ende steht der Facharzt für Allgemeinchirurgie. Er hat überall hineingerochen und eine sehr solide Grundausbildung. Wird sie/er übernommenen, kann sie/er dann selbstständig! umfangreiche operative Erfahrungen sammeln. Größere Eingriffe werden chef- oder oberärztlich assistiert. Nach weiteren ca. vier Jahren wird die Prüfung zum Viszeralchirurgen abgelegt. Diese Bezeichnung füllt die- oder derjenige dann auch aus – nicht nur dem Namen nach!

Eigentor OP-Katalog! Der Katalog für Viszeralchirurgie ist weltfremd, sichert Pfründe und fördert Unehrlichkeit! Gefordert sind u. a. 25 laparoskopische Cholezystektomien – man sollte das 5-fache verlangen für diesen täglichen Routineeingriff! Gefordert sind weiterhin u. a. 10 Pankreasoperationen und 10 biliodigestive Anastomosen! Welcher Chef hat einem jungen Assistenten, einem Nichtfacharzt! – denn der soll die Prüfung machen – je 10 solcher Operationen assistiert? Ob es in Deutschland einen einzigen gibt? Wird einerseits ein Viszeralchirurg neu eingestellt, sollte sich das Krankenhaus darauf verlassen dürfen, die- oder derjenige füllt dieses Spektrum aus. Andererseits sollte ein Kandidat den Katalog einfordern können. Dafür muss ein OP-Katalog jedoch realistisch und machbar sein. Er darf keiner operativen Fata Morgana entsprechen!

Wann wurde in der eigenen Klinik zuletzt gemeinsam herzhaft gelacht? …bei uns fast täglich.01Wann wurde zuletzt gemeinsam etwas unternommen? Nicht unbedingt, dass der Chef wieder zur großen Party in seinen Garten lädt: Alles muss sich zeigen – sonst gibt es Minuspunkte. Nein spontan, wer kommt mit, ein Bier trinken, weil heute herrliches Wetter ist und weil es einfach schön ist, einmal so – mit Euch allen – zusammen zu sein. Letztens wurden bei uns noch zahlreiche Kinder mitgebracht, die dann auf der Wiese tobten – das ist Leben!

Welches Fachgebiet hat diese Bandbreite wie das unsere? Wir kennen den Körper von Kopf bis Fuß, von innen und außen. Wir behandeln ganz junge bis hin zu greisen Patienten, Frauen und Männer, vom großen Schnitt bis zur NOTES-Technik, vom Blinddarm, der durchaus eine Herausforderung sein kann (und den im Volksmund der Pförtner operiert) bis hin zu multiviszeralen Operationen mit komplexen, multimodalen und interdisziplinären Gesamtkonzepten. Wer hat das zu bieten? Im Chirurgen ist genauso der exakte Handwerker wie der Wissenschaftler, der sofort Handelnde wie der stoisch Wartende, der gute Psychologe und Beobachter wie der kühl planende Rationalist, der Routinier und genauso der kreative Künstler, der, der die Wunder vollbringt und so oft ist einfach nur der Mensch (gegenüber Patient und Mitarbeiter!) gefragt. Wir machen uns selber arm, wenn wir nur eines davon freiwillig hergeben!

Wer weiß wofür sie/er kämpft, ist grenzenlos belastbar und zu begeistern. Erkennt das der Weiterbilder und kann er dem eine Richtung geben? Weiterbildung ist täglich erlebte Chirurgie in all ihren Facetten. Strukturierte Weiterbildungsveranstaltungen gehören auch dazu – hier hat sich einiges getan in den letzten Jahren. Hauptbestandteil bleibt aber der Dienst heute und jetzt. Wir müssen strukturieren sowohl den heutigen Stations-, Rettungsstellen-, Sprechstunden- und OP-Tag, als auch die Weiterbildung in Monaten und Jahren, als auch Auszeiten für werdende Familien. Wir müssen fördern und fordern, formen und auswählen und manchmal auch abwählen. Das ist hart aber langfristig sinnvoll und gut. Wer menschlich, fachlich aber auch handwerklich geeignet ist, dem sollten langfristige Perspektiven eröffnet werden. Schon heute sind im umfassenden Sinne wirklich gute Fachleute Mangelware. Wir brauchen Generalisten, die den gesamten Menschen sehen und kennen und ein breites Spektrum der Basischirurgie abdecken, die aber in bestimmten Bereichen exzellente Spezialkenntnisse umsetzen können und damit auch langfristig eigene Arbeitsbereiche in die Tiefe entwickeln und abbilden können.

Wer Weiterbildung auf Geld, Industrie, Forschung und Ökonomie reduziert, dem sei der Assistentenmangel zugestanden. Die Weiterzubildenden, die ausschließlich Geld sehen – ich denke, es sind wenige – die brauchen wir nicht. Wir brauchen Mitarbeiter, die für unser Fach brennen, die wollen trotz Widerständen. Es ist an uns dieses Feuer weiterzugeben! So wie wir es vorleben, so wird die Zukunft aussehen und die fängt jeden Tag neu an!

So oft können wir Leiden lindern, nicht selten dürfen wir Lebenszeit verschenken, wenn es gelingt den Krebs zu eliminieren. So haben wir wohl den schönsten Beruf der Welt!

Goethe lässt Wilhelm Meister in seinen Wanderjahren sagen: „ Willst du dich ernstlich dem göttlichsten aller Geschäfte widmen, ohne Wunder zu heilen und ohne Worte Wunder zu tun, so verwende ich mich für dich.“

Dazu brauchen wir nicht jeden. Dazu brauchen wir die Besten – das gilt nach wie vor. Es ist an uns, die Fackel weiter zu reichen.

„Der Worte sind genug gewechselt, lasst uns endlich Taten seh‘n!“

Freitag M. Chirurgische Weiterbildung in der Sackgasse?! Bericht eines Symposiums auf der ‚Viszeralmedizin 2011’. Passion Chirurgie. 2012 Januar; 2(1): Artikel 02_07.

Autor des Artikels

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Dr. med. Martin Freitag

Klinik für ChirurgieKrankenhaus St. Joseph Stift DresdenWintergartenstr. 15/1701307Dresden kontaktieren

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