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„Souveräne ärztliche Führung“

Im vielfältigen Angebot des Berufsverbands der Chirurgen sind Veranstaltungen zu den Themen Kommunikation und Führung eher Nischenprodukte. Das einmal jährlich angebotene Gruppencoaching, von dem hier die Rede ist, gehört dazu. Es passt nicht in die sonst in der ärztlichen Weiterbildung üblichen Kategorien. Es ist  kein Symposium, kein Kongress, keine Vortragsreihe, keine Schulung. Es ist eine dialogisch aufgebaute Lernveranstaltung, in der die Chance geboten wird, den beruflichen Alltag mit Kollegen und erfahrenen Moderatoren zu reflektieren und konkrete Anregungen für eine wirksame Gestaltung des Führungsalltags mitzunehmen.

Rückmeldungen der TeilnehmerInnen nach der letzten Veranstaltung:

„Die Methoden und Kompetenzen bekommen wir sonst nicht angeboten“, so äußerte sich ein unfallchirurgischer Oberarzt. „Weder im Studium noch in unseren späteren beruflichen Einsätzen haben wir Wissen über Kommunikation und Führung so aufbereitet erlebt. Alles, was wir tun, beruht auf unserer eigenen Erfahrung. Die meisten von uns handeln ‚aus dem Bauch heraus‘ oder haben ihre Konsequenzen aus dem Beobachten von guten oder schlechten Beispielen der eigenen Chefs gezogen.“

„So eine anregende Lernatmosphäre habe ich noch nie erlebt. Jeder hatte die Möglichkeit, an seinen eigenen konkreten Situationen aus dem Alltag zu arbeiten und durch jeden weiteren Workshoptag klarere Vorstellungen für die nächsten eigenen Handlungsschritte in komplexen Situationen zu bekommen.“ (Chefarzt der Allgemein- und Visceralchirurgie)

„Nach diesen Tagen ist mein eigenes Rollenprofil deutlich geschärft worden. Die Entwicklung von der Fach- zur Führungskraft steht für mich an“, konstatierte ein Chefarzt der Kinder- und Jugendmedizin.

Eine neurologische Oberärztin kam zu dem Ergebnis: „Ich hatte gar keinen konkreten Vorstellungen über die Möglichkeiten im Seminar. Die Reflexion meiner individuellen Fragestellungen im Alltag war enorm hilfreich für mein Führungs- und Lebenskonzept. Die Rollenspiele haben mir Spaß gemacht. Sie verdeutlichen viel mehr als Vorträge.“

„Natürlich ist der Preis, den ich zahlen muss, beachtlich. Das Preis-Leistungsverhältnis ist aber vollkommen in Ordnung. Kein Vergleich mit Veranstaltungen in Vorlesungsform.“ (Oberarzt der Visceralchirurgie)

Konzept und Struktur der Veranstaltung

Das Gruppencoaching zur „Souveränen ärztlichen Führung“ ist ein Angebot an Chefärzte und Oberärzte. Die Teilnehmer haben Gelegenheit, sich mit Anforderungen an ihre Position vertieft auseinanderzusetzen, auf die sie in ihrer fachlichen Ausbildung kaum vorbereitet worden sind, nämlich auf ihre Führungsaufgaben. Die Veranstaltung geht über vier Tage in einer Gruppe von maximal 16 Teilnehmern bei zwei Moderatoren. Wenn die Gruppe kleiner ist, wird sie von nur einem Moderator geleitet. Im Kern ist die Veranstaltung ein thematisch strukturierter Erfahrungsaustausch, d. h. ein Prozess des Voneinander-Lernens, der angereichert wird von kurzen Vorträgen der Leiter zu Erkenntnismodellen aus Kommunikationspsychologie und Soziologie.

Konkrete Inhalte der Veranstaltung

Jeder Workshoptag hat einen thematischen Schwerpunkt. In dieser Reihenfolge sind das: Die Übernahme der Rolle; Dimensionen der Menschlichen Kommunikation; Gesprächsführung; Leitung von Gruppen. Zu jedem Thema gibt es einen kurzen Einführungsvortag. Angewendet und vertieft wird das Wissen dann im Rahmen der Arbeit an Fällen, die die Teilnehmer aus ihrem Führungsalltag beisteuern. Das kann die Fusion von zwei Abteilungen sein oder das Implementieren neuer Verantwortungsstrukturen oder schwierige Gespräche in Konfliktsituationen mit Kollegen, Vorgesetzten und Nachgeordneten. Das waren jedenfalls Fälle im letzten Workshop.

Wenigen ist bewusst, wie sehr die Wirkung einer Nachricht, die ein Mensch übermittelt, davon bestimmt ist, wie dieser seine jeweilige Rolle im Geflecht der Positionen, die ihn umgeben, interpretiert. Ein neu ernannter Oberarzt, der gegenüber seinen ehemaligen Assistenzarztkollegen den Eindruck erwecken möchte, er sei weiterhin der alte Kollege, läuft Gefahr, mit seiner Kommunikation Verwirrung zu stiften. Er wird erst eindeutig, wenn er die neue Rolle wirklich annimmt. Die Übernahme der Führungsrolle ist deshalb ein wichtiges Thema in dieser Veranstaltung.

Man kann seine kommunikativen Fähigkeiten erheblich erweitern, wenn man durchschaut, welche Dimensionen in der menschlichen Kommunikation eine Rolle spielen. Das beschreiben die wichtigsten Kommunikationsmodelle. Diese auf konkrete Kommunikationsprobleme anzuwenden und damit schwierige Situationen zu bewältigen, ist ein Schwerpunkt in diesen vier Tagen. Es leuchtet zwar unmittelbar ein, dass „Aktives Zuhören“ in schwierigen Gesprächphasen ein Hilfsmittel ist. Die Klippen beim Aktiven Zuhören erkennt man jedoch erst, wenn man es einmal nach den Regeln der Kunst versucht hat. Dazu ist hier ausreichend Gelegenheit.

Ähnlich verhält es sich mit dem Thema „Feedback“. Der Begriff ist mittlerweile in die Alltagsprache eingegangen und wird meist synonym mit „Beurteilung“ verwendet. Dass es aber zwischen einem Feedback nach den Regeln der Kunst und einer Beurteilung einen Unterschied gibt, der sich in der Konfliktkommunikation nachhaltig auswirkt, erfahren die Teilnehmer dieser Veranstaltung.

Die feinen Unterschiede zwischen Beratungs-, Kritik- und Konfliktgespräch werden herausgearbeitet. So ein Gespräch dann jeweils zu einem befriedigenden Ergebnis für alle Beteiligten zu führen, wird an geeigneten Praxisbeispielen nachhaltig geübt. Die Teilnehmer erfahren, dass dabei oft so viel Feingefühl gefordert ist wie bei einem komplizierten operativen Eingriff.

Und was ist das Ziel, was der Ertrag für den Teilnehmer?

Die Ermutigung, wichtige Führungsaufgaben, wie beispielsweise Aufgaben und Zuständigkeiten zu klären oder Kritik- und Beurteilungsgespräche zu führen, ohne zu zögern anzugehen. Und die Zuversicht, dass mit jedem solchen Akt die Souveränität in der Wahrnehmung der Rolle wächst und der übliche Widerstand dagegen sich allmählich abbaut. Das ist zum Vorteil des Teilnehmers, aber auch zum Vorteil seiner Mitarbeiter. Denn: Halbherzige Führung ist eine Last für die Mitarbeiter und souveräne ein Segen.

Warum vier Tage? Ein paar Worte zum Lernprozess.

Vor ein paar Jahren lief ein vergnügliches Theaterstück: „Der ganze Shakespeare in 90 Minuten“. Es gab viel zu lachen, weil die Absurdität des Vorhabens immer wieder offenbar wurde. Ähnlich absurd ist ein Seminarangebot, das beansprucht, die oben formulierten Inhalte in einem Tag vermitteln zu wollen. Das gibt es, aber man wagt nicht, spontan darüber zu lachen.

Der Anspruch ist nicht erfüllbar. Auch im Falle des hier vorgestellten Gruppencoachings haben die Leiter den Ehrgeiz, eine sinnvolle Menge Stoff zum Thema in möglichst kurzer Zeit zu übermitteln. Aber es dauert vier Tage. Solche eintägigen Veranstaltungen gehen meist zurück auf die Entscheidung eines vor allem kaufmännisch gebildeten PE-Managers, der forsch und unbeirrt an die Wirkung des Nürnberger Trichters glaubt. Es gibt dann zwei Gewinner: Den Veranstalter, der gegenüber seinen Auftraggebern mit fester Stimme behaupten kann, er habe alles getan, um die Teilnehmer mit dem notwendigen Lernstoff zu versorgen; und den Referenten, der ein schönes Tageshonorar kassiert für ein „Produkt“, das für das konkrete Führungshandeln ohne Wirkung bleibt. Die Teilnehmer gehen ermüdet und mit einem ziemlich wirren Kopf nach Hause und können sich bestenfalls vornehmen, alles, worüber sie gehört haben, noch einmal nachzulesen. Vielleicht reicht das dabei gewonnene akademische Wissen noch zum Aufbau einer soliden „Inkompetenzkompensationskompetenz“ (Odo Marquard).

Denn es gilt nach wie vor, was Konfuzius so formuliert hat: „Sage es mir, und ich vergesse es; zeige es mir, und ich erinnere mich; lass es mich tun, und ich behalte es.“

In dem Gruppencoaching für Führungskräfte wird viel getan. Die Teilnehmer berichten über Fälle aus ihrem Führungsalltag und beschreiben sie meist in kleinen Zeichnungen am Flipchart („zeige es mir…“). Die Fälle werden in der Gruppe gemeinsam analysiert und meist wird das Konzept für ein zukünftiges Vorgehen erarbeitet, das dann in einer Simulation geprobt wird („Lass es mich tun…“). Daraus gehen intensive individuelle Lernprozesse hervor. Dementsprechend verstehen sich die Leiter als Moderatoren von Lernprozessen. Sie verzichten gern auf alles, was den Charakter einer Belehrung hat. Die in Kurzvorträgen vorgestellten Modelle sind Arbeitsmittel und werden eingesetzt, um die Struktur eines Falles zu verstehen und ein Lösungskonzept zu entwickeln.

Viele Teilnehmer suchen sich diese Angebote bewusst außerhalb ihrer Kliniken und Gesundheitskonzerne aus. Sie möchten über ihre Alltagsprobleme in der geschützten Atmosphäre der Anonymität sprechen, ohne auf den Austausch mit Kollegen aus dem klinischen Bereich verzichten zu müssen.

Meist ergibt sich eine dichte Lernatmosphäre. Es gab Teilnehmer, die in zufälligen Begegnungen nach vielen Jahren noch über Details aus diesen Prozessen berichten konnten. Nach der letzten Veranstaltung formulierten Teilnehmer so:

„Ich fühlte mich für mehrere Tage wie auf einer Insel. Ich hatte endlich mal Zeit, mich mit diesen komplizierten Sachverhalten auseinanderzusetzen, die uns im Alltag oft derartig überschwemmen, dass wir kaum Zeit zum Überlegen haben. Der Workshop war auf ganz andere Art sehr anstrengend aber ungewöhnlich effektiv. Ich konnte ganz bei mir bleiben und durch die Identifikation mit den Themen der anderen Teilnehmer für meine eigenen Fragestellungen permanent dazu lernen. Manchmal kam es mir vor wie ein Puzzlespiel.“

„Wie ein roter Faden zog sich mein eigenes Thema durch die Tage. Durch jeden neuen Vortrag oder die konkrete Arbeit eines Kollegen entdeckte ich wieder neue Facetten für meine eigene Situation. Im Grunde hat jeder der Kollegen auch für mich gearbeitet. Ich war eigentlich ständig mit Transferleistungen beschäftigt.“

Risiken und Nebenwirkungen

Diese Veranstaltung ist ungeeignet für Kollegen, die gern in der einer großen Gruppe untertauchen oder sich aus der Distanz mit einem Thema beschäftigen möchten. Bei der hier angestrebten Form des Voneinander-Lernens geht es um Vertrauen und die Bereitschaft, sich zu seinem Thema freimütig zu äußern und die nötigen Informationen zu geben. Ungeeignet ist diese Veranstaltung auch für Teilnehmer, die von ihren Vorgesetzten „geschickt“ worden sind, damit sie von den Leitern auf den rechten Weg gebracht werden. Jeder weiß noch aus der Schule, dass das keine gute Voraussetzung für Lernen ist. Am besten lernt, wer seine Führungsschwächen kennt und Lust hat, dazu zu lernen. Von Nebenwirkungen dieser Veranstaltung profitieren manchmal der Ehepartner und die Kinder der Teilnehmer.

Autoren des Artikels

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Hager van der Laan

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Dr. med. Ulrike Schlein

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