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Weiterbildung ist entscheidend für die Nachwuchssicherung

Der Blick auf die Ärztestatistiken zeigt, dass zahlenmäßig zwar immer mehr Ärzte zur Verfügung stehen, es aber dennoch einen zum Teil bereits gravierenden Ärztemangel zu verzeichnen gibt. Obwohl in den letzten zehn Jahren die Zahl der Chirurgen im Vergleich zu allen Arztgruppen sogar überproportional angestiegen ist, können landesweit Assistentenstellen in chirurgischen Abteilungen immer schwerer besetzt werden. Neben der Verbesserung allgemeiner Rahmenbedingungen ist eine attraktive Weiterbildung entscheidend für die Nachwuchssicherung. Das erfordert eine am Bedarf orientierte Weiterbildungsordnung und Anstrengungen zur Steigerung der Weiterbildungsqualität. Die Chirurgie braucht hier neue Impulse.

Das Gebiet Chirurgie nach der Musterweiterbildungsordnung (MWBO) 2003

Die Definition der Gebietsgrenzen hat in der MWBO 2003 eine wesentliche strukturelle Neuerung erfahren. Innerhalb eines Gebietes können verschiedene Kompetenzen erworben werden. Im Gebiet Chirurgie zählen dazu nur die verschiedenen Facharzt- und Zusatzweiterbildungen, eine Schwerpunktweiterbildung wie in anderen Gebieten (zum Beispiel Innere Medizin oder Frauenheilkunde und Geburtshilfe) gibt es hier nicht.

Die vorher eigenständigen Gebiete Kinder-, Herz- und Plastische Chirurgie sowie die Orthopädie in ihrer neuen gemeinsamen Struktur mit der Unfallchirurgie haben sich unter den Bedingungen einer zweijährigen Basischirurgie („Common Trunk“), für alle verpflichtend mit verbindlich festgelegten Inhalten, bereit gefunden, als gleich berechtigte Partner in das neu definierte „Haus“ der Chirurgie einzuziehen (»Abb. 1).

Abb 1

In diesem Acht-Säulen-Modell wird die spezifische Facharztkompetenz in einem auf dem Common Trunk aufbauenden vierjährigen „Special Trunk“ erworben, in dem auch eine einjährige Anerkennung in einem so genannten „Gegenfach“ möglich ist. Innerhalb dieser vorgegebenen Weiterbildungszeiten können infolge der zu nehmenden Spezialisierung allerdings nicht mehr alle Inhalte vermittelt werden. Bestimmte hoch spezialisierte Leistungen sind somit nicht zwingend Gegenstand der obligatorischen Weiterbildung zum Erwerb einer Facharztkompetenz. Besondere Kenntnisse und Erfahrungen können im Rahmen von Zusatzweiterbildungen (ZWB) erworben werden.

Von insgesamt 26 ZWB, die im Gebiet Chirurgie erworben werden können, sind neben der Intensivmedizin vor allem die Spezielle Unfallchirurgie und die Spezielle Orthopädische Chirurgie hervorzuheben. Bei der Fusion der früheren Gebiete Orthopädie und Chirurgie/Schwerpunkt Unfallchirurgie zur neuen Facharztsäule Orthopädie/Unfallchirurgie war es klar, dass ausreichende Kenntnisse und Erfahrungen nicht für das gesamte operative und konservative Spektrum der Orthopädie/Unfallchirurgie innerhalb der vier Jahre nach dem Common Trunk vermittelt werden können.

Folgerichtig wurden insbesondere für die komplexeren Verfahren, die aufgrund ihrer geringen Häufigkeit auch nicht flächendeckend in jedem Versorgungskrankenhaus angeboten werden müssen, die genannten ZWB definiert. Für beide gilt, dass von der dafür geforderten Weiterbildungszeit von 36 Monaten bis zu zwölf Monate während der Facharztweiterbildung, entsprechende Qualifikation der Weiterbildungsstätte vorausgesetzt, abgeleistet werden können. Mit einem derartig „versenkten“ Jahr ergibt sich für die Gesamtweiterbildungszeit einschließlich ZWB eine Mindestzeit von acht Jahren.

Nur wenige entscheiden sich für den neuen Facharzt

Die Anerkennung von Facharztbezeichnungen nach Inkrafttreten der MWBO 2003 zeigt, dass bei rückläufigen Zahlen des Facharztes für Chirurgie (MWBO 1993) sich vergleichsweise wenige für den neuen Facharzt für Allgemeine Chirurgie entscheiden (»Abb. 2). Die in dem Vier-Jahres-Zeitraum nur langsam ansteigenden Facharztqualifikationen für Viszeralchirurgie haben sich im Zeitraum 2007 bis 2008 zwar verdoppelt. Bei dem landesweiten Bedarf müssen diese Zahlen jedoch insgesamt als zu gering eingeschätzt werden.

Abb 2

Die viszeralchirurgische Breitenversorgung teilen sich derzeit neben den Viszeralchirurgen die Fachärzte für Chirurgie nach alter WBO und für Allgemeine Chirurgie nach neuer WBO.

Dies beruht auf den beträchtlichen Schnittmengen von viszeralchirurgischen Eingriffen, wie sie in den Richtlinien der genannten Facharztsäulen enthalten sind. Diese drei Facharztqualifikationen zusammengenommen zeigen allerdings in den Jahren 2005 bis 2008 eine auffallend konstante Zahl der Gesamt-Anerkennungen (»Abb. 3).

„Allgemeine Chirurgie“ ist ein Kompromiss

Der sprunghafte Anstieg bei der Facharztqualifikation Orthopädie und Unfallchirurgie ist auf die Überleitungsbestimmungen zurück zu führen, welche Fachärzten für Chirurgie/Schwerpunkt Unfallchirurgie und für Orthopädie die Anerkennung der neuen gemeinsamen Facharztbezeichnung ermöglichten.

Fachärzte für Chirurgie/Schwerpunkt Unfallchirurgie nach alter WBO werden in dieser Statistik nicht mehr gesondert ausgewiesen, die Facharztanerkennung für Orthopädie hat sich in dem Vier-Jahres-Zeitraum mehr als halbiert. Bei den anderen chirurgischen Facharztqualifikationen sind, was auch zu erwarten war, zahlenmäßig größere Sprünge nach Einführung der neuen WBO nicht zu registrieren. Fest steht, dass im neuen Gebiet Chirurgie die Säule Allgemeine Chirurgie nur eine unter den chirurgischen Fachgesellschaften abgestimmte Kompromisslösung darstellt.

Ausdruck dafür sind die semantischen Bemühungen, nicht mehr von „Allgemeinchirurgie“ und „Allgemeinchirurg“ zu sprechen, ein Begriff, der dem chirurgischen Alleskönner alter Prägung mit einem entsprechenden umfassenden Kompetenzanspruch zu geordnet wurde. Dieser Kompromiss war zum Teil auch europäischen Regelungen geschuldet, um die Neugliederung des Fachgebietes in Europa ratifizierungsfähig zu machen. Allgemeinchirurgie stellt in den meisten Ländern die chirurgische Versorgung der Bevölkerung sicher. Als chirurgische Disziplin ist sie durch die EU-Direktive 93/16 und Folgeregelungen definiert mit Sicherstellung einer gegenseitigen Anerkennung innerhalb der EU-Länder. Allgemein akzeptiert ist, dass die Basischirurgie als nicht fachspezifische chirurgische Weiterbildung unverzichtbare Grundlage eines jeden chirurgischen Fachbereichs sein sollte.

Aufgrund bisheriger Erfahrungen mit der Umsetzung der neuen Weiterbildungsordnung ergeben sich vor allem Probleme innerhalb der Säulen Allgemeine Chirurgie und Viszeralchirurgie. Für erstere stellt die vorgeschriebene Rotation für je ein Jahr in eine zur Weiterbildung befugte Abteilung für Orthopädie/Unfallchirurgie und für Viszeralchirurgie eine oft nur schwer erfüllbare Vorgabe dar. Diese Rotationen sind meist nicht nur mit einem Abteilungs-, sondern einem Klinikwechsel verbunden und erweisen sich zunehmend als „Flaschenhals“ für den Erwerb dieser Facharztqualifikation.

In der Viszeralchirurgie ist es der viel zu weit gefasste Richtlinienkatalog, der nicht den verantwortlichen Ärztekammergremien anzulasten ist, sondern den Vertretern der zuständigen Fachgesellschaft, die anders als Unfallchirurgen und Orthopäden nicht realisiert haben, dass bestimmte hoch spezialisierte Leistungen nicht zwingend Gegenstand der obligatorischen Weiterbildung zum Erwerb einer Facharzt kompetenz sein können. Ein unrealistischer Richtlinienkatalog und der primäre Verzicht auf eine Zusatzweiterbildung „Spezielle Viszeralchirurgie“ war einer der entscheidenden „Webfehler“ bei der Definition der neuen Weiterbildungsordnung.

Der Novellierungsbedarf der MWBO

Aus diesen Erfahrungen heraus hat die gemeinsame Weiterbildungskommission der chirurgischen Fachgesellschaften und der Berufsverbände Änderungsvorschläge zur MWBO 2003 für das Gebiet Chirurgie erarbeitet, die nach Diskussion in den entsprechenden Gremien dem Deutschen Ärztetag zur baldmöglichsten Entscheidung vorgelegt werden sollten.

Für die Basisweiterbildung wird unter Bezug auf eine zunehmende Arbeitsteilung und Arbeitsdichte mit dem Zwang zu einer höheren organisatorischen Flexibilität bei Umsetzung der Inhalte unter anderem gefordert, die sechsmonatige Zeit auf einer Intensivstation auch zu einem späteren Zeitpunkt im Special Trunk ableisten zu können.

Abb 3

Die Weiterbildungsbefugnis zur sechsmonatigen Intensivmedizin-Weiterbildung während der Basischirurgie soll Chirurgen im Verbund mit Anästhesisten zuerkannt werden, wenn diese die Leitung der Intensivstation innehaben.

Eine chirurgisch geführte Intensivstation darf keine Grundvoraussetzung für die Anerkennung der sechsmonatigen Weiterbildungsermächtigung Intensivmedizin im Rahmen des Common Trunk sein. Entscheidend ist der Nachweis, dass die in den Richtlinien vorgesehenen intensivmedizinischen Inhalte vermittelt werden können, was alternativ oder ergänzend auch auf einer Intermediate-Care-Station geschehen kann. Weiterhin sollen Eingriffe, die während der 24-monatigen Basisweiterbildung durchgeführt wurden, im Gesamtkatalog des entsprechenden Facharztweiterbildungsganges anerkannt werden.

Die Befugnis zur chirurgischen Basisweiterbildung sollte bei entsprechendem Nachweis der Voraussetzungen parallel zu einer Weiterbildungsbefugnis in einer der Facharztsäulen möglich sein. Ziel ist dabei die Weiterbildungsbefugnis für die gesamte Facharztqualifikation innerhalb dieser Säule, was in den meisten Fällen der klinischen Realität entspricht. In jeder chirurgischen Abteilung sollte mindestens ein Jahr Basischirurgie im Rahmen der fachspezifischen Stationsarbeit zuerkannt werden. Auch Abteilungen der kleineren chirurgischen Fächer erhielten somit die Möglichkeit, zumindest zwölf Monate Basischirurgie weiterzubilden.

Manche dieser Punkte werden von verschiedenen Landesärztekammern bereits jetzt so gehandhabt. Eine einheitliche Regelung und Interpretation der MWBO ist jedoch dringend nötig. Das Kernstück des von der gemeinsamen Weiterbildungskommission einstimmig verabschiedeten Novellierungskonzeptes ist die Zusammenführung der Facharztkompetenzen Allgemeine Chirurgie und Viszeralchirurgie zur neuen Facharztkompetenz Allgemein-/Viszeralchirurgie.

Die Gründe dafür sind notwendige Änderungen bei der Facharztqualifikation Allgemeine Chirurgie und den Anforderungen in der Viszeralchirurgie. Gegen den Erhalt der Facharztqualifikation Allgemeine Chirurgie in der jetzigen Form spricht, dass die einjährige Rotation in die Unfallchirurgie/Orthopädie, abgesehen von der erwähnten Schwierigkeit, überhaupt eine solche Rotationsstelle zu bekommen, allenfalls rudimentäre Kenntnisse und Erfahrungen in der Unfallchirurgie vermitteln kann. Diese reichen keinesfalls aus, um eine nach heutigem Standard zu fordernde orthopädisch/unfallchirurgische Versorgungsqualität im Rahmen der Allgemeinen Chirurgie zu gewährleisten.

Auf die traumatologischen/orthopädischen Inhalte, wie sie derzeit für die Allgemeine Chirurgie gefordert werden, sollte deshalb verzichtet werden. Dieser Versorgungsbereich wird in qualifizierter Weise durch das Fach Unfallchirurgie/Orthopädie abgedeckt. Für Weiterzubildende in der Facharztsäule Viszeralchirurgie hat sich gezeigt, dass der in den Richtlinien geforderte Operationskatalog mit über 700 Eingriffen zum Teil höchster Schwierigkeitsgrade in der vorgesehenen Zeit nicht zu erfüllen ist.

Dieser Fehler mit den auf Drängen der Fachgesellschaft zu weit gefassten Anforderungen in der Viszeralchirurgie muss korrigiert werden. Die darin enthaltenen komplexeren Eingriffe zum Beispiel am Pankreas, an der Leber, am Ösophagus und am Rektum sind in der Realität erst nach acht bis neun Jahren und bei der Zentrumsgebundenheit dieser Operationen keineswegs von jedem in der Viszeralchirurgie Weiterzubildenden zu schaffen. Der Nachweis von Kenntnissen und Erfahrungen mit komplexeren Krankheitsbildern der Viszeralchirurgie und deren operativer und perioperativer Versorgung sollte deshalb entsprechend der Systematik der bestehenden MWBO einer neu zu definierenden Zusatzweiterbildung „Spezielle Viszeralchirurgie“ zugeordnet werden.

Eine den Erfordernissen angepasste Facharztqualifikation Viszeralchirurgie mit ergänzender Zusatzweiterbildung Spezielle Viszeralchirurgie ist weitgehend deckungsgleich mit einer um die traumatologischen Inhalte reduzierten Facharztqualifikation Allgemeine Chirurgie mit den dann nahezu ausschließlich verbleibenden viszeralchirurgischen Inhalten. Vergleichbar mit der bereits vollzogenen Fusion der Fachgebiete Orthopädie/Unfallchirurgie sollte deshalb in der Weiterbildungsordnung eine gemeinsame Facharztqualifikation Allgemein-/Viszeralchirurgie definiert werden.

Eine weitere Qualifikation des Facharztes für Allgemein-/Viszeralchirurgie ist dann über die Zusatzweiterbildung Spezielle Viszeralchirurgie möglich. Mit diesem Konzept wäre die Allgemein- und Viszeralchirurgie bezüglich des Erwerbs der Basis- und Spezialkompetenz im Fachgebiet strukturell der fusionierten Orthopädie/Unfallchirurgie vergleichbar(»Abb. 4).

Abb 4

Die zukünftige Krankenhausstruktur erfordert aufgrund gestiegener Qualitätsanforderungen und weitergehender Spezialisierung die Mindestvorhaltung einer Abteilung für Allgemein- und Viszeralchirurgie sowie einer Abteilung für Unfallchirurgie und Orthopädie. Bereits heute entspricht diese in Kliniken der Maximal- und Schwerpunktversorgung längst vollzogene Teilung auch weitgehend der Versorgungsrealität in den Krankenhäusern der Grund und Regelversorgung, was eine aktuelle Untersuchung zur Struktur chirurgischer Kliniken in der Bundesrepublik Deutschland gezeigt hat.

Demnach weisen heute rund 75 Prozent aller chirurgischen Abteilungen auch in Krankenhäusern der Grund- und Regelversorgung diese an Schwerpunktkliniken längst vollzogene fachliche Teilung auf (»Abb. 5).

Die beiden großen chirurgischen Fachbereiche Allgemein-/Viszeralchirurgie und Orthopädie/Unfallchirurgie decken heute über 80 Prozent an der flächendeckenden chirurgisch-operativen Versorgung der Bevölkerung ab.

Abb 5

Die Erhebungen des Bundesamtes für Statistik 2007 haben gezeigt, dass von über acht Millionen chirurgischen Operationen an vollstationären Patienten in deutschen Krankenhäusern jeweils über drei Millionen den beiden Fachgruppen Allgemein- und Viszeralchirurgie sowie Traumatologie und Orthopädie zuzuordnen sind.

Personalstrukturen müssen sich anpassen

Das Argument, der Erhalt des jetzigen Facharztes für Allgemeine Chirurgie sei nötig, um auf Oberarztebene übergreifende Bereitschaftsdienste abzudecken, ist nicht überzeugend. Die Anforderungen an die Versorgungsqualität erfordern auch im Notfall die Verfügbarkeit entsprechender Fachkompetenz. Die Fachärzte für Allgemeine Chirurgie nach der jetzigen MWBO werden, im Gegensatz zu den früheren Fachärzten für Chirurgie mit Weiterbildung in einem der Schwerpunkte, künftig nicht mehr in der Lage sein, derartige Hintergrunddienste kompetent abzudecken. Hier werden sich die Personalstrukturen der Kliniken weiter anpassen müssen.

Auch für die Tätigkeit im ambulanten Bereich, ob in der chirurgischen Praxis oder im medizinischen Versorgungszentrum (MVZ), bietet die Qualifizierung in Form der jetzigen Allgemeinen Chirurgie wenig Perspektiven, zumal anders als bei dem früheren Facharzt für Chirurgie eine Zulassung zum Durchgangsarztverfahren nicht mehr möglich ist.

Eine besondere Herausforderung ist es allerdings, bei der zunehmenden „Ambulantisierung“ der Chirurgie, Voraussetzungen zu schaffen, damit der ambulante Versorgungsbereich stärker in die chirurgische Weiterbildung einbezogen werden kann. Wo sollen denn in Zukunft die angehenden Chirurgen das Eingriffsspektrum noch erlernen, das in der klassischen stationären Versorgung kaum noch vorkommt? Am leichtesten dürfte das noch in den MVZ gehen, die von der Klinik aus betrieben werden.

Mit Sorge und unter Weiterbildungsaspekten ist auch das sich ausweitende Konsiliar- und Honorararztwesen zu betrachten. Es ist nicht gelöst, wie bei wechselnden verantwortlichen Operateuren eine persönliche Qualifikation als Weiterbilder geregelt werden kann – ganz abgesehen von den Schwierigkeiten, die sich im Sinne der Weiterbildungsverantwortung und einer für die Weiterbildung förderlichen einheitlichen Schule ergeben.

Die Inhalte für die Allgemein-/Viszeralchirurgie und die Spezielle Viszeralchirurgie wurden definiert und von der gemeinsamen Weiterbildungskommission Chirurgie an die Bundesärztekammer zur weiteren Entscheidung weitergeleitet. Es ist zu hoffen, dass diese Novellierung bereits im Jahr 2010 positiv entschieden werden kann und eine Befassung mit diesem Antrag nicht, wie es eine Beschlussfassung des diesjährigen Deutschen Ärztetages vorsieht, auf das Jahr 2011 oder gar 2012 verschoben wird.

Das dort vorgetragene Argument, dass erst mit dem Jahr 2007 in allen Kammerbereichen die neue Weiterbildungsordnung umgesetzt worden sei (vier Jahre nach Verabschiedung der MWBO) und deshalb noch nicht genügend Erfahrungen vorlägen und nicht schon wieder eine neuerliche Novellierung in Angriff genommen werden könne, kann keineswegs überzeugen.

Umgekehrt müsste diese Tatsache endlich zum Anlass genommen werden, dass, bei allem Verständnis für die föderalen Kammerstrukturen in unserem Lande, vom Ärztetag verabschiedete Musterweiterbildungsordnungen zügig und einheitlich in allen Kammerbereichen umgesetzt werden.

Die Qualität der Weiterbildung

Eine Diskussion über neue Impulse der chirurgischen Weiterbildung darf sich nicht auf die geschilderten strukturellen Änderungen beschränken. Es gibt Defizite, die zum großen Teil auf den Rahmenbedingungen für die ärztliche Tätigkeit insgesamt beruhen, aber auch von uns selbst verantwortet werden müssen, was die Durchführung der Weiterbildung an unseren Kliniken und Abteilungen anbelangt. An Ursachenanalysen mangelt es nicht.

Die Ärztekammern und Ärztegewerkschaft, Fachgesellschaften und Berufsverbände beklagen seit langem die sich ständig verschlechternden Arbeitsbedingungen der Mediziner in Deutschland, die zu einer zunehmenden Flucht aus der ärztlichen Tätigkeit am Patienten in nicht kurative Berufsfelder und zu einem Exodus von jungen Ärzten ins Ausland geführt haben.

Die Motive für diesen Entschluss wurden in zahlreichen Analysen und Umfragen dargestellt. Dass die kritische Einschätzung chirurgischer Karrierewege nicht nur ein Problem in unserem Lande ist, kann hier wenig beruhigen. Zu großer Sorge gibt vor allem die Bewertung der Chirurgie durch die Studenten im praktischen Jahr (PJ-Studenten) nach Ableistung ihres chirurgischen Tertials Anlass.

Wenn sie zum „Motivationskiller“ am Studienende wird, sind es neben der Wahrnehmung, als billige Arbeitskraft ausgenutzt zu werden, vor allem die Negativerfahrungen, welche die PJ-Studenten während dieser Zeit mit der real erlebten chirurgischen Weiterbildung machen. Da ist es auch kein Wunder, dass nur fünf bis acht Prozent als späteren Berufswunsch die Chirurgie angeben. Dass sich im Verlauf des Medizinstudiums immer mehr Studenten von der Chirurgie ab wen den und sich vor allem die besten Studenten lieber für andere Fachgebiete entscheiden, ist allerdings auch ein internationales Phänomen.

Mangelnde Strukturierung

Neben allgemeiner Kritik an der Einkommenssituation, dem Ausmaß der zu bewältigenden nicht ärztlichen Aufgaben sowie einer zunehmenden Fremdbestimmung und Bürokratisierung gibt es in der Chirurgie vor allem Kritik über eine mangelnde Strukturierung der Weiterbildung, überlange Arbeitszeiten mit kaum möglicher Vereinbarkeit von Berufs- und Familienleben, ein immer noch stark ausgeprägtes Hierarchieverständnis und Mängel in der fachlichen Betreuung.

An den Universitätskliniken, zu deren Kernaufgaben Forschung und Lehre zählen, sind viele Ärzte froh, wenn sie es schaffen, ihre Patienten ausreichend zu versorgen und den Wust an Verwaltungsarbeit und Anfragen zu erledigen. Für die Forschung bleiben der Feierabend und die Wochenenden. Ebenso wenig gibt es Freiräume und eine adäquate Unterstützung für eine qualifizierte Weiterbildung.

Die langfristigen Perspektiven bezüglich erreichbarer Endpositionen in Klinik und Praxis haben sich dramatisch verschlechtert und lassen nicht wie früher eine spätere Kompensation arbeitsintensiver und inadäquat vergüteter Assistentenjahre erwarten. So ergibt sich bei der chirurgischen Weiterbildung umfassender Handlungsbedarf inhaltlich-fachlich so wie hinsichtlich der Rahmenbedingungen (»Abb. 6).

Abb 6

Die Chirurgen haben dabei selbst viele Hausaufgaben zu machen. Nicht jeder gute Operateur ist auch ein guter Lehrer, und nicht jede Einrichtung ist auch als Weiterbildungsstätte für den Erwerb der nötigen Facharztqualifikation geeignet. Hier mangelt es unter dem zunehmenden Wettbewerbsdruck zwischen den Kliniken vielfach an realistischer Selbsteinschätzung der eigenen Möglichkeiten. Es mangelt an der Erkenntnis, dass es auch besonderer Qualifizierungen bedarf, um ein guter chirurgischer Lehrer zu sein.

Die diesbezüglichen Angebote des Berufsverbandes und der Fachgesellschaften werden offensichtlich mangels Überzeugung und Selbstüberschätzung noch viel zu wenig genutzt. Es verwundert nicht, dass die geschilderten Defizite vor allem von Ärztinnen, die sich für eine chirurgische Weiterbildung entschließen möchten, als besonders gravierend empfunden werden.

Wenn wir – und an dieser Notwendigkeit besteht bei zwei Drittel weiblicher Studienabgänger kein Zweifel – mehr Chirurginnen als Nachwuchs in unserem Fach gewinnen wollen, brauchen wir neben familienfreundlicheren Arbeitsbedingungen und mehr Teilzeitangeboten vor allem spezielle Unterstützungs- und Mentorenprogramme. Bisherige Erfahrungen zeigen, dass diese gerade von Chirurginnen besonders angenommen werden.

Zeitfaktor ist entscheidend

Gute Weiterbildung braucht Zeit, sie braucht Zeit für Zuwendung und Supervision, sie braucht Zeit für Kommunikation und interaktiven Wissens- und Erfahrungsaustausch (Fallbesprechungen, Mortalitäts- und Morbiditätskonferenzen, Qualitätszirkel), sie braucht Zeit, um unter Anleitung zu lernen und, was in besonderer Weise natürlich für die Chirurgie gilt, Zeit, um das Handwerk zu üben. Nutzung von Phantom- oder Computermodellen sowie ständig verbesserte Möglichkeiten eines Simulationstrainings sind gut geeignet, einen Großteil der Lernkurve außerhalb des Operationssaals zu verlagern.

Aber auch sie brauchen neben dem nicht unbeträchtlichen Kosten aufwand Zeit und damit eine Ressource, die beiden heute immens verdichteten Arbeitsabläufen und knapp kalkulierten Personalständen kaum zur Verfügung steht. Das ist auch der Hintergrund für die kontrovers geführte Diskussion über eine unzureichende Vergütung des Mehraufwandes für Weiterbildung im Rahmen des DRGSystems. Das Argument, bei dem hohen Anteil von Weiterbildungskliniken an den Kalkulationshäusern seien diese Kosten mit berücksichtigt, kann nicht überzeugen.

Denn es sind hier nur die bestehenden Defizite und Kompromisse auf den Schultern der Weiterzubildenden festgeschrieben, die unter dem beschriebenen äußeren Druck der Leistungsverdichtung eingegangen worden sind. Dass wir aber über eine adäquate Vergütung überhaupt nur reden können, wenn diese verknüpft ist mit einem Nachweis wirklich qualifizierter Weiterbildung, muss auch klar sein. Wenn es auch noch Kritikpunkte an dem jetzt in Gang gesetzten Evaluationssystem der Bundesärztekammer gibt, rufen wir seitens der Fachgesellschaft dringend dazu auf, diese von uns seit langem geforderte Evaluation zu unterstützen.

Wir schulden dies nicht nur unserem ärztlichen Nachwuchs, sondern auch einem Stück Glaubwürdigkeit, wenn wir über dringend erforderliche Verbesserungsmaßnahmen offen diskutieren wollen. Falls Nachwuchskampagnen schon bei Studierenden wie die Aktion „Nur Mut“ des Berufsverbandes oder inhaltlich ambitionierte Seminar-Programme für Medizinstudenten wie die Billroth Summer School Tübingen auf Dauer Erfolg haben und angehende Mediziner nachhaltig für die Chirurgie begeistern sollen, dürfen Anspruch und Realität der chirurgischen Weiterbildung nicht weit aus einanderklaffen.

Fazit

Es bedarf also zahlreicher neuer Impulse im Rahmen der chirurgischen Weiterbildung. Die Neustrukturierung der Weiterbildungsordnung ist nur ein Teil davon. Das Angebot einer guten Weiterbildung muss einen viel höheren Stellenwert im Selbstverständnis der verantwortlichen Chirurgen bekommen.

Bestehende Defizite dürfen nicht nur den Rahmenbedingungen geschuldet und damit der dringend erforderliche eigene Handlungsbedarf kaschiert werden. Attraktive Weiterbildungsangebote werden künftig zu einem wichtigen Wettbewerbsfaktor der Krankenhäuser bei der Gewinnung von ärztlichem Nachwuchs.

Literaturhinweise beim Verfasser

Autor des Artikels

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Prof. Dr. med. Hartwig Bauer

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