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Vorwort

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

mit dem niedersächsischen Minister für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Gleichstellung Herrn Dr.med. Andreas Philippi steht der Berufsverband der Deutschen Chirurgie (BDC) seit einiger Zeit im engeren Kontakt. Vor seiner Berufung als Minister im Januar 2023 war er seit 2009 als niedergelassener Chirurg bzw. dann in dem MVZ der Herzberg Klinik tätig. Herrn Dr. Philippi sind somit die Herausforderungen im deutschen Gesundheitswesen nicht zuletzt auch durch eigene praktische Erfahrungen hinreichend bekannt. Nach der Regierungsneubildung hat er sich nun zu einem Interview über die aktuelle Gesundheitspolitik einverstanden erklärt, welches Frau Olivia Päßler aus unserer Presseabteilung geführt hat.

Einige Aspekte dieses Interviews seien kurz angeführt: In Niedersachsen sollen unter den strukturellen Veränderungen die regionalen Gesundheitszentren als Transformationschancen für ländliche Regionen weiterentwickelt werden. Geplant ist die Einrichtung integrierter Notfallzentren mit Notaufnahme und Notarztpraxis der Kassenärzte. Es ist zu begrüßen, dass Krankenhäuser, ähnlich wie andere Institutionen, eine Grundfinanzierung erhalten. Die Spezialisierung in der Medizin mit angestrebter Verbesserung der Behandlungsergebnisse steht außer Frage, allerdings muss auch eine qualitativ hochwertige Weiterbildung garantiert werden, was ggf. als problematisch angesehen werden kann. Im Rahmen der anstehenden Krankenhausreform ist eine enge Zusammenarbeit von der Politik und den Selbstverwaltungsorganen sinnvoll. Das Primärarztsystem wird begrüßt, allerdings können Ausnahmen, wie auch vom BDC gefordert, vor allem in der Akutmedizin sinnvoll sein. Hervorgehoben wird explizit die notwendige Anerkennung der ambulanten Chirurgie, vor allem auch bezüglich einer gerechten Vergütung. Dieses soll durch Einführung der Hybrid-DRGs geregelt werden. Nach Meinung des Ministers wäre allerdings ein Zurückfallen auf den einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) das Ende der ambulanten Chirurgie und des sektorenübergreifenden Vorgehens. Genau diese Befürchtung wird schon seit geraumer Zeit auch vom BDC geäußert und es sollte folglich eine Änderung des diesbezüglichen Abschnitts im § 115f angestrebt werden.

Ich wünsche Ihnen nun einen entsprechenden Erkenntnisgewinn beim Lesen des gesamten Interviews.

Ihr
Prof. Dr. med. Dr. h.c. Hans-Joachim Meyer
Präsident des Berufsverbandes der Deutschen Chirurgie e.V. (BDC)

Olivia Päßler: Mit Interesse verfolgen wir über Ihren Presseversand, wie Sie Ihre Krankenhäuser im Rahmen des Krankenhaus-Investitionsprogramms 2024 unterstützen. Wie geht es damit voran? Welcher Art von Krankenhäusern in Niedersachsen kommt das Programm zugute? Wie möchten Sie grundsätzlich die zukünftige Finanzierung des Gesundheitssystems und der Krankenhäuser in Ihrer Region sichern?

Andreas Philippi: Mit dem Krankenhaus-Investitionsprogramm 2024 haben wir mehr als eine halbe Milliarde Euro für Investitionen in die Krankenhausinfrastruktur bereitgestellt. Förderfähig sind alle Krankenhäuser, die in den Niedersächsischen Krankenhausplan aufgenommen sind und das unabhängig von der Trägerschaft. Das Geld fließt beispielsweise in notwendige Sanierungsarbeiten oder Neubauprojekte, aber auch in die Anschaffung von Großgeräten. Mittlerweile haben alle Krankenhäuser, deren Antrag positiv beschieden wurden, ihre Fördermittel erhalten.

Doch natürlich braucht es darüber hinaus auch strukturelle Veränderungen, wenn wir langfristig eine qualitativ hochwertige und flächendeckende Gesundheitsversorgung gewährleisten wollen. Mit der Krankenhausreform haben wir nun die große Chance, unsere Krankenhauslandschaft auf wirtschaftlich tragfähige Beine zu stellen. Gleichzeitig treiben wir die Entwicklung der Regionalen Gesundheitszentren voran, um die lokale Gesundheitsversorgung dort sicherzustellen, wo ein Krankenhaus nicht oder nicht mehr bestehen kann. Das bietet gerade für ländliche Regionen Transformationschancen.

Welche gesundheitspolitischen Erwartungen haben Sie an die neue Regierung und an die neuen Verantwortlichen im BMG? Bitte nennen Sie uns hier Ihre Forderungen, gerne zu konkreten Themen wie der Finanzierung der Weiterbildung, der Entbürokratisierung sowie der Notfallreform

Ich erwarte von der neuen Bundesregierung, dass sie die längst überfälligen Reformen im Gesundheitswesen endlich anpackt. Dazu gehört aus meiner Sicht, dass die finanziellen Defizite der Krankenkassen durch Steuermittel kompensiert werden – als schnelle Notmaßnahme. Die Stärkung des ambulanten Sektors muss dringend vorangetrieben werden, um Leistungen kosteneffizienter aufzustellen. Wir brauchen echte Strukturreformen, weil wir die Kosten in den Griff bekommen müssen. Dessen unbenommen benötigen auch die Krankenhäuser Unterstützung. Deshalb macht sich Niedersachsen für eine Überbrückungsfinanzierung bis zum Start des Transformationsfonds stark sowie für einen Ausgleich der inflationsbedingten Mehrbelastungen.

Kurzportrait

Minister Dr. Andreas Philippi

Seit dem 25. Januar 2023 ist Dr. Philippi Niedersächsischer Minister für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Gleichstellung. Von 2021 bis 2023 war er Mitglied des Deutschen Bundestages und praktiziert als Facharzt für Chirurgie am Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) Herzberg Klinik. Dr. Philippi schrieb seine Promotion zum Thema „Entwicklung und Diagnostik in Therapie des primären Hyperparathyreoidismus“.

Bei der Notfallreform sind wir mit dem Innenministerium und den Kommunen eng abgestimmt und beeinflussen im Sinne unseres Flächenlandes die Gesetzgebung auf Bundesebene. Die Patientinnen und Patienten müssen schnellstmöglich an dem passenden Ort und von der passenden medizinischen Fachkraft behandelt werden. Dazu ist eine engere Verzahnung der Rufnummern 116 117 und 112 meiner Meinung nach zwingend erforderlich. Ebenso halte ich die Einrichtung Integrierter Notfallzentren mit Notaufnahme und Notdienstpraxis der Kassenärzte für sinnvoll. In Sachen Bürokratieabbau haben wir eine umfassende Bundesratsinitiative auf den Weg gebracht, damit der Bund endlich handelt. Wir brauchen mehr Zeit für die Patientinnen und Patienten und weniger für Dokumentationen.

Welche Einschätzung haben Sie zur momentanen Fassung des KHVVG, mit welchen Themen beschäftigen Sie sich schwerpunktmäßig? Bitte nennen Sie uns Ihre Meinung und Ihre möglichen Forderungen speziell zum Transformationsfonds und zur Handhabung der Vorhaltebudgets. Bezüglich der Zuteilung von Leistungsgruppen: Wo sehen Sie Chancen und Risiken besonders im Bereich der Chirurgie und ihren Unterfächern?

Mit der Verabschiedung der Krankenhausreform haben wir ein neues Kapitel in der Gesundheitsversorgung aufgeschlagen. Das ist auch dringend notwendig, denn die Krankenhäuser brauchen mehr Geld und Planungssicherheit. Niedersachsen hat sich in diesen Prozess sehr stark eingebracht und viele Verbesserungen durchsetzen können, etwa was den Erhalt kleinerer, versorgungsstrategisch wichtiger Kliniken angeht oder der rückwirkenden Anrechnung der Gelder aus dem Transformationsfonds. Letzteres ist ein gutes Signal für die Länder, die sich bereits auf den Weg gemacht haben und ihre Investitionen hochgefahren haben. Gleichzeitig ist es aus meiner Sicht absolut zu begrüßen, dass Krankenhäuser – ähnlich wie die Feuerwehr – eine Grundfinanzierung erhalten für all die Kosten der nötigen Vorhaltung zu jeder Stunde und an jedem Tag im Jahr.

Mit Blick auf die Chirurgie bin ich überzeugt davon, dass die Konzentration von spezieller Speiseröhren- und Bauchspeicheldrüsenchirurgie zu einer besseren Qualität führen wird. Probleme sehe ich dabei allerdings in der Weiterbildung. Hier ist die Frage, ob es über die Leistungsgruppen gelingt, gemeinsam mit den Ärztekammern die notwendigen Weiterbildungsabläufe abzustimmen.

Grundsätzlich wünsche ich mir deutlich mehr Anerkennung für die ambulante Chirurgie. Das betrifft nicht nur die Ausbildung, sondern beinhaltet gleichermaßen eine gerechtere Bezahlung. Ermöglicht werden soll dies durch die Hybrid-DRGs. Ein Zurückfallen auf den EbM wäre meines Erachtens das Ende der ambulanten Chirurgie und des sektorübergreifenden Denkens.

Hybrid-DRG – wie setzen Sie sich für eine faire Berechnung der Pauschalen speziell in der Chirurgie ein?

Wir wollen in Niedersachsen gemeinsam mit den Stakeholdern einen Modellversuch auf den Weg bringen, der verdeutlichen soll, dass ambulante Chirurgie das System entlastet und Ressourcen spart, sobald sie leistungsgerecht bezahlt wird. Es muss zu einer gerechten Vergütung bei gleichen Eingriffen kommen, egal auf welcher Seite des Sektors.

Welche Rolle und welche Aufgaben sehen Sie bei der Selbstverwaltung?

Sowohl bei der Krankenhaus- als auch bei der Gesundheitsreform arbeiten wir eng mit allen an der Selbstverwaltung Beteiligten zusammen. Ich bin hier im stetigen Austausch mit den Kassenärztlichen Vereinigungen und den Ärzteverbänden. Uns ist es wichtig, dass wir bei der Neustrukturierung in Niedersachsen, wie im Übrigen auch schon beim Enquetegesetz, eine sehr große Mitbeteiligung haben. Ich glaube, dass die Selbstbeteiligung bereit sein muss, „out of the box“ zu denken, um die Ressourcen besser ausnutzen zu können.

Wie sehen Sie die Rolle des Fachgebiets Chirurgie bei der geplanten Einführung eines verbindlichen Primärarztsystems? Welche Sonderregeln können Sie sich für die Chirurgie bzw. chirurgische Fälle bei der Implementierung des Systems vorstellen?

Das von der Bundesregierung geplante Primärarztsystem begrüße ich ausdrücklich. Wir brauchen dringend eine bessere Steuerung der Patientinnen und Patienten. Auch kann ein solches System einen wichtigen Beitrag dazu leisten, um Kosten zu senken und Qualitätsverbesserungen in der Gesundheitsversorgung zu erzielen. Die Niederlande beispielsweise machen es bereits seit Jahren vor. Ausnahmen für bestimmte Fachbereiche können durchaus sinnvoll sein, gerade mit Blick auf die Akutmedizin. Hier ist der Bund gut beraten, mit den einzelnen Verbänden ins Gespräch zu gehen.

Päßler O: Der BDC im Interview mit Gesundheitsminister Dr. Philippi. Passion Chirurgie. 2025 Juli/August; 15(07/08): Artikel 05_01.

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Olivia Päßler

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