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Vorwort – Klinisches Dashboard – Alles auf einen Blick

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

im Zeitalter der Information ist die wahre Kunst, nicht alles zu wissen, sondern die entscheidenden Informationen richtig miteinander zu kombinieren. Neben der Erhebung und Sammlung von Daten gehört dazu ihre Gewichtung. Erhebung und Sammlung werden mittlerweile in nahezu allen Sparten elektronisch abgehandelt. Der wandelnde humane Almanach alter Schule ist immer noch beeindruckend, aber in der modernen Lern- und Lehrtheorie eigentlich überholt. Jedes Smartphone bietet den jederzeitigen Zugang zur Weltbibliothek. Man muss also nicht mehr auswendig, sondern kombinieren lernen.

Da moderne Informationssammlungen den Informationssuchenden auch in der Medizin mit Informationsinhalten geradezu überschütten, liegt ein entscheidender Schritt auch in der Informationsdarstellung. Alles auf einen Blick ist doch das alte Ideal aus Schüler- und Studententagen zur Erfassung komplexer Themenfelder. Ein Spickzettel wird auch in Mikroschrift diesem Anspruch heute nicht mehr gerecht.

Klinische Dashboards, die standardisiert aufgebaut individuell angepasst werden können, bieten hier eine sehr interessante Alternative. Und weil die sichtbare Information vom Interpreten – hier also dem Arzt – zusammengestellt wird, bleibt im Gegensatz zu Diagnosehilfen, die passiv konsumiert werden, auch Platz für die intellektuelle Leistung der Synopse, was Lernfortschritt und Verständnis sicher fördert. Klinische Dashboards sind ein spannendes Tool in einer Zeit medizinscher Diagnostik und Therapie, in der frei nach Neil Postman der Erfolg dadurch bestimmt wird, das Wesentliche zu erkennen und Unwesentliches einfach wegzulassen.

Erhellende Lektüre wünschen

Prof. Dr. med. C. J. Krones

und

Prof. Dr. med. D. Vallböhmer

Anzahl und Komplexität von medizinischen Daten zu Patient:innen steigen kontinuierlich – z. B. durch Hinzukommen neuer diagnostischer und therapeutischer Verfahren, Multimorbidität oder Zunahme geriatrischer Fälle. So wird es immer schwieriger und aufwändiger, alle relevanten Daten im Blick zu halten. Dafür können – wie in anderen Branchen oft üblich – Dashboards zum Einsatz kommen, wobei klinische Dashboards eine hohe Flexibilität und Individualität bieten müssen und besondere Anforderungen haben. Die Vorteile: Hat der Arzt/die Ärztin beim Öffnen einer Patientenakte immer sofort alles Relevante im Blick, kann einerseits Zeit gespart werden und andererseits die Qualität und Effektivität von klinischen Entscheidungen erhöht werden. Dafür muss es auch möglich sein, dass vordefinierte Dashboards in Form von generellen oder indikationsspezifischen Vorlagen zum Einsatz kommen können. Für eine hohe Patient:innen-Orientierung muss eine Patient:innen-individuelle Anpassung der Sichten möglich sein. Die Zusammenstellung des Dashboardaufbaus muss einfach und für jeden Arzt/jede Ärztin ohne großen Schulungsaufwand möglich sein. Am Beispiel eines Diabetes-Dashboard werden der Grundaufbau und die möglichen Komponenten vorgestellt und erläutert.

Hintergrund und Motivation

Die Digitalisierung im Gesundheitswesen und der Einsatz elektronischer Patientenaktensysteme führen zu immer mehr Informationen über Patient:innen. Neue diagnostische und therapeutische Verfahren sowie die Zunahme von chronisch kranken und multimorbiden Patient:innen verstärken diesen Aspekt. So sieht sich der Arzt/die Ärztin bei seinen/ihren Entscheidungen und dem Monitoring der Patient:innen-Situationen im Rahmen wiederkehrender Vorstellungen immer mehr Daten gegenüber. Diese Daten können für klinische Entscheidungen kaum mehr effizient gesichtet werden, denn die Visualisierungen von relevanten Patient:innen-Informationen mittels statischen Bildschirmmasken und hierarchischen Ordnerbäumen erfordern in den gängigen klinischen Softwaresystemen viele Klicks und Aktionen, um alle in klinische Entscheidungen einzubeziehenden Informationen abzurufen und einzusehen. Hier bedarf es neuer intelligenter und flexibler Ansätze, die auf einen Blick alles Wichtige sachgerecht anzeigen lassen.

Das prinzipielle Konstrukt ‚Dashboard‘

Als Dashboard wird eine Visualisierungsform bezeichnet, mit welcher Daten übersichtlich auf einem Bildschirm dargestellt werden. Die Daten stammen dabei aus einem großen Daten-Pool, der nur schwerlich rasch überblickt werden kann. Die anzuzeigenden Daten hängen vom Anwendungsgebiet und dem Nutzungskontext ab, somit ist ein Dashboard stets auf einen speziellen Anwendungsfall ausgerichtet [1]. Da in einem Anwendungsbereich viele Anwendungsfälle existieren, gibt es in einem Anwendungsbereich oftmals zahlreiche Dashboards. Durch die von Dashboards bereitgestellten Daten kann das Verständnis des Benutzers/der Benutzerin über die Gegebenheiten verbessert [1] und ein effizienteres Arbeiten und sachgerechtere Entscheidungen unterstützt werden. Medizinische Dashboards können u. A. dafür genutzt werden, um medizinische Daten aus Patientenakten darzustellen. Diese sollen Mediziner:innen durch ihre übersichtliche Darstellung von relevanten Informationen bei der Entscheidungsfindung innerhalb der Behandlung unterstützen und zur Behandlungsqualität beitragen [2].

Grundidee und Anforderungen

Medizinische Informationen aus durchgeführten diagnostischen oder therapeutischen Maßnahmen sind umfangreich und vielfältig. Mit Blick auf eine Fragestellung oder bezogen auf eine bestimmte Indikation haben aber nicht alle Informationen den gleichen Stellenwert und sind dauerhaft relevant. Man kann hier von einer „Halbwertszeit“ gewisser Information sprechen. Die Information einer chronischen Erkrankung hat ab Feststellungszeitpunkt dauerhaft Bedeutung, ein Laborwert aber nur für einen bestimmten kurzen Zeitraum, es sei denn, dieser wird für eine Trendanalyse (Beispiel Entwicklung des Tumormarkerwertes) benötigt. So macht es also wenig Sinn, alles auf Basis einer Patientenakte, die alle Informationen über lange Zeit enthält, durchsuchen zu müssen, um bestimmte Aspekte oder nur einen kleinen Zeitabschnitt zu Daten der letzten Tage anzuschauen. Daher ist die Grundidee eines klinischen Dashboards, je nach Wichtigkeit der Informationen bezogen auf eine Indikation oder die spezielle Patient:innen-Situation eine vorkonfigurierte klinische Übersichtsansicht zur Verfügung zu stellen.

Dabei ergeben sich eine Reihe von Anforderungen:

  • Ein Dashboard sollte die Informationen nach bestimmten Kategorien darstellen können. Auf oberster Ebene sind dies z. B. die Phänomenarten Symptome, Diagnosen, Maßnahmen, Vorfälle, Medikationen, Einteilungen und Scores, klinische Parameter zu sehen. Die Kategorisierung sollte ausdrucksstark und granular sein, um die klinische Phänomenologie eines Patienten/einer Patientin gut abbilden zu können.
  • Für die Anzeige sollten, ähnlich wie man das von Textverarbeitungssoftware kennt, Vorlagen definiert und hinterlegt werden können.
  • Vorlagen müssen für bestimmte Anwendungsfälle definiert werden können, z. B. bezogen auf spezielle Indikationen, wobei es auch alternative Sichten/Dashboards je Indikation geben können muss.
  • Eine Anpassung von Vorlagen auf die individuelle Patient:innen-Situation muss möglich sein, gegebenenfalls z. B. auch für wichtige Informationen über zwei Indikationen und/oder mehrere Aspekte hinweg (Beispiel Patient:in hat Diabetes und Asthma und Übergewicht).
  • Einem Patienten/einer Patientin müssen auch mehrere verschiedene Dashboards zugewiesen werden können, zwischen denen rasch umgeschaltet können werden muss.
  • Die Integration oder der rasche Aufruf von Bild- und Signalobjekten muss möglich sein.

Aufbau und Elemente eines klinischen Dashboards

Aufbau

Bei jeder klinischen Anwendung bzw. Maske ist es unabdingbar, dass der Anwendungskontext klar ist. Unser Dashboard (siehe Abbildung 1) enthält daher im oberen Headerbereich sehr präsent eine Übersicht der Patienten:innen-Stammdaten und den problemorientierten Dashboard-Fokus. Aber auch der aktuelle klinische Status des Patienten/der Patientin sollte direkt deutlich werden. Daher befinden sich im Headerbereich zusätzlich die Patient:innen-spezifischen wichtigen klinischen Zielwerte sowie gegebenenfalls erhobene Assessment- und Score-Werte.

Neben diesen schnell zu überblickenden generellen Angaben werden spezifischere Behandlungsinformationen zu den einzelnen klinischen Phänomenen benötigt. Diese werden, nach Typen gruppiert und in Form von Bausteinen im zentralen Bausteinbereich unseres Dashboards angezeigt. Diese Bausteine nennen wir im Folgenden CliPICs (Clinical Phenomenon Information Components). Ein CliPIC repräsentiert entweder eine der o. a. Phänomenarten oder einen speziellen benutzer:innen-definierten Inhalt.

Um optimal und ganz spezifisch im Behandlungs- und Patienten:innen-Kontext den Arzt/die Ärztin in seinen/ihren Entscheidungen unterstützen zu können, werden statt einer statischen Patientenaktenansicht für alle Arten von Patient:innen und Indikationen ganz individuell-anpassbare (Dashboard-)Ansichten benötigt.

Je nach Indikation und spezieller Patienten:innen-Situation sollten individuell ausgewählte relevante Informationen zusammengestellt und visuell präsentiert werden können. Gerade in Zeiten von Termindruck und Zunahme der zu behandelnden Patient:innen pro Zeiteinheit kann eine solche angepasste Gesamtsicht auf die Patienten:innen-Situation einen Wertebeitrag zum Behandlungserfolg leisten.

Damit das Dashboard schnell angepasst werden kann, können Konfigurationen und Filterungen durch einen Klick auf Chips, d. h. kleine Rechtecke mit maximal abgerundeten Ecken, im Baustein- und Konfigurationsbereich angepasst werden. Da je nach klinischem Anwendungsfall die vielfältig vorhandenen klinischen Informationen bzw. Informationstypen von unterschiedlicher Relevanz sind, können diese in unserem Dashboard auch mithilfe von Chips ein- und ausgeblendet, inhaltlich gefiltert und in ihrer Anzeigegröße und -position angepasst werden. So können die Plasmaglukosewerte z. B. bei Patient:innen mit T2DM besonders relevant sein und in unserem Dashboard in einem Extra-Bereich sehr detailliert über eine Zeitspanne angezeigt werden, und bei anderen Patient:innen nur als je ein Wert unter vielen verschiedenen Laborwert en angezeigt werden.

Sollten Risikofaktoren vorliegen, können diese innerhalb des Dashboards visuell hervorgehoben dem Benutzer/der Benutzerin angezeigt werden. Zusätzlich können Dashboard-Inhalte nach Freitexten durchsucht und einmal erstellte Dashboard-Vorlagen gespeichert, verwaltet und wiederverwendet werden.

Abb. 1: Dashboard Mockup; Beispiel für Typ 2 Diabetes Mellitus, mit Bereichen/Bausteinen, Filterungen, Konfigurationen und Risikofaktorkennzeichnungen

Clinical Phenomenon Information Components (CLiPICs)

Ein wichtiger Aspekt für die Medizinische Dokumentation und digitale Patientenakten ist die Granularität der Dokumentation. So sind Systeme die nur Dokumente verwalten wenig geeignet, klinische Entscheidungen und Handeln zu unterstützen. Man sollte also die klinische Phänomenologie aus z. B. Diagnosen, Maßnahmen, Medikation, Symptomen, Vitalparametern, Laborwerten, Sonstigen Gesundheitsbelangen oder Notizen/Zusatzdokumenten (siehe Abbildung 2) gut abbilden können.

Diese medizinischen Inhalte können für Speicherung und Anzeige in Bausteinen gekapselt werden, wobei auch Beziehungen zwischen den Phänomenen möglich sind.

CliPICs bestehen aus einem Bezeichner, aktiven Filterungschips (inhaltlich, zeitlich und statusabhängig), einem Chip zur Anpassung der Darstellungsform (Tabelle, Graph und Zeitstrahl), und Buttons zum Hinzufügen weiterer inhaltlicher Filter und medizinischer Daten. Visuelle Markierungen können optional einzelne medizinische Phänomene innerhalb von CliPICs als Risikofaktoren kennzeichnen.

Abb. 2: Phänomenklassen (grau) und -unterklassen (blau) einer Indikation

Dashboard-Vorlagen

Nun macht es jedoch wenig Sinn mit Blick auf Aufwand und Standardisierung, immer wieder für jeden Patienten/jede Patientin ein Dashboard zu konfigurieren, denn einerseits generell und andererseits je nach Indikation gibt es aus medizinischer Sicht immer eine Menge von Informationen, die von besonderer Bedeutung sind.

Ähnlich wie bei gängiger Textverarbeitungssoftware, welche Vorlagen für Briefe, Rechnungen usw. nutzen, nutzt auch unser Dashboard Vorlagen. Durch Dashboard-Vorlagen können die Konfiguration und das Layout eines einmal zusammengestellten Dashboards gespeichert und für weitere Anwendungsfälle mit unterschiedlichen Benutzer:innen und Patient:innen angepasst und wiederverwendet werden.

Als Anwendungsfall unseres generisch-konfigurierbaren und problemorientierten Dashboards haben wir beispielhaft die chronische Erkrankung Typ 2 Diabetes Mellitus (T2DM) genutzt. Medizinisches Fachwissen zur Behandlung und zum Management dieser Indikation (siehe Abbildung 3) wurden hierzu einer Behandlungsleitlinie [3], einer aufbauenden praktischen Empfehlung [4] und einer thematisch verwandten Publikation [5] entnommen. Die beispielhaft vorgestellte T2DM-Dashboard-Vorlage verdeutlicht auch, wie Dashboard-Vorlagen spezifisches Expert:innen-Wissen darüber, welche Phänomene und Ergebnisse in einem bestimmten Anwendungsfall und Kontext überwacht und überblickt werden sollten für weitere Anwendungsfälle vererben können. Ein indikationsspezifisches Dashboard bildet somit Fachwissen ab.

Abb. 3: Mindmap medizinischen Fachwissens der Indikation Typ 2 Diabetes Mellitus der Phänomenklasse (grau) Klinische Parameter und -unterklassen (blau) Vitalparameter und Laborwerte mit verschiedenen Phänomenentitäten (violett), Attributen (farblos) und möglichen Risikofaktorkennzeichnungen (Fettschrift)

Schlussfolgerung

Klinische Dashboards können Ärzten und Ärztinnen dabei helfen, den Überblick über klinische Patient:innen-Situationen zu behalten und somit bei klinischen Entscheidungen unterstützen. Eine von uns durchgeführte nicht repräsentative qualitative Umfrage hat u. A. gezeigt, dass die meisten Proband:innen mit ihren aktuellen Informationssystemen keine spezifischen Übersichten erstellen können. Es zeigt sich, dass sie sich von unserem Dashboard besser unterstützt fühlen würden. Es bedarf somit in den verschiedenen klinischen Informationssystemen neuer intelligenter und flexibler Ansätze, die auf einen Blick alles Wichtige sachgerecht anzeigen lassen.

In der digitalen Ausgabe der PASSION klicken Sie hier für ein 2-Minuten-Video „Klinische Dashboards“ von Jessica Swoboda und Prof. Peter Haas oder Sie geben in Ihren Browser ein: https://bit.ly/BDC-Dashboard-Video.

Literatur

[1]   Matheus R, Janssen M, Maheshwari D. Data science empowering the public: Data-driven dashboards for transparent and accountable decision-making in smart cities. Gov Inf Q. 2020;37(3):101284. doi:10.1016/j.giq.2018.01.006
[2]   Dowding D, Randell R, Gardner P, et al. Dashboards for improving patient care: review of the literature. Int J Med Inform. 2015;84(2):87-100. doi:10.1016/j.ijmedinf.2014.10.001
[3]   Nationale VersorgungsLeitlinie (Bundesärztekammer, KBV, AWMF). Therapie des Typ-2-Diabetes: Langfassung 1. Auflage. Available at: https://www.leitlinien.de/mdb/downloads/nvl/diabetes-mellitus/archiv/therapie/dm-therapie-1aufl-vers4-lang.pdf. Accessed September 01, 2023
[4]   Landgraf R, Aberle J, Birkenfeld AL, et al. Therapy of Type 2 Diabetes. Exp Clin Endocrinol Diabetes. 2019;127(S 01):S73-S92. doi:10.1055/a-1018-9106
[5]   Zghebi SS, Mamas MA, Ashcroft DM, et al. Development and validation of the DIabetes Severity SCOre (DISSCO) in 139 626 individuals with type 2 diabetes: a retrospective cohort study. BMJ Open Diabetes Res Care. 2020;8(1):e000962. doi:10.1136/bmjdrc-2019-000962

Korrespondierender Autor:

Prof. Dr. Peter Haas

Fachhochschule Dortmund

Fachbereich Informatik, Medizinische Informatik

[email protected]

Jessica Swoboda, M. Sc.

Fachhochschule Dortmund

Fachbereich Informatik, Medizinische Informatik

Universitätsklinikum Essen

Institut für Künstliche Intelligenz in der Medizin

Gesundheitspolitik

Haas P, Swoboda J: BDC-Praxistest: Neue flexible Ansätze für Sichten auf die medizinischen Daten tun Not. Passion Chirurgie. 2023 Dezember; 13(12): Artikel 05_01.

Mehr BDC-Praxistests finden Sie auf BDC|Online (www.bdc.de).

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