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Vorwort

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

mit bis zu 10 % der landesweiten Emissionen trägt das Gesundheitssystem aktuell in hohem Maße zur Umweltbelastung bei. Gerade die chirurgischen Disziplinen stellen einen der energieaufwendigsten Bereiche dar mit Unmengen an täglich produziertem Müll. So benötigen OP-Säle bis zu 6-mal so viel Energie wie die übrigen Krankenhausbereiche und der Abfall von Krankenhäusern wird zu fast 30 % bei Operationen verursacht.

Entsprechend ist die Diskussion der Nachhaltigkeit in den letzten Jahren auch in der stationären/ambulanten Medizin angekommen, wobei unter Nachhaltigkeit im Krankenhaus eine integrierte Behandlung von sozialen, ökonomischen und ökologischen Aspekten aufgefasst wird.

Die nachhaltige Balanced Scorecard stellt ein System dar, das eine Lösung für schwieriger werdende Umweltsituationen in Krankenhäusern verspricht. So gibt der aktuelle Artikel nach meiner Meinung genau den richtigen Überblick, inwieweit die Balance Scorecard mit Nachhaltigkeitskennzahlen eine Toolbox zur Umsetzung unserer Klimaziele bietet.

Spannende Lektüre,
Prof. Dr. med. D. Vallböhmer

In den Klimazielen spielt Nachhaltigkeit auch in Kliniken eine wichtige Rolle. Das Gesundheitswesen ist mit global über 5 % der Treibhausgase einer der größten Verursacher des Klimawandels. Deshalb müssen Umwelt- und Klimaschutz im Kennzahlenbereich eines Krankenhauses zukünftig eine zentrale Rolle einnehmen. Beim Deutschen Ärztetag 2021 und im Glasgower Klimaschutzvertrag vom November 2021 [1] hat das deutsche Gesundheitssystem vertraglich zugesichert, bis 2030 klimaneutral zu werden. Der Deutsche Ärztetag (DÄT) 2023 bekräftigte nochmals die bereits erhobenen Forderungen. Auf allen Ebenen des Gesundheitswesens müssen Voraussetzungen für konkretes Handeln geschaffen werden, heißt es in dem Beschlussantrag.

Die Chirurgie trägt in ihren täglichen Abläufen erheblich zu Energie- und Ressourcenverbrauch, zur Umweltverschmutzung und damit zur Klimakrise bei. Das Ziel der Klimaneutralität bis 2030 erfordert damit für diese medizinische Fachrichtung, die relevanten Klimafaktoren zu analysieren und Maßnahmen zur Zielerreichung zu entwickeln und umzusetzen.

Die nachhaltige Balanced Scorecard (BSC) ist ein Mess- und Führungsinstrument aus der Industrie, das zur Evaluation und Steuerung von Unternehmenszielen eingesetzt werden kann. In angepasster Form unterstützt die BSC auch das Erreichen der Klimaziele in der Chirurgie, da die relevanten Parameter bereits existieren. Der folgende Beitrag analysiert die Führung, Umsetzung und Kontrolle von Umwelt- und Klimaschutz mittels einer modifizierten und nachhaltigen Balanced Scorecard [2].

Die Erstbeschreiber Kaplan und Norton sahen die vier Grundperspektiven der BSC nicht als feste Vorgaben, sondern als Vorlage, um eine eigene BSC zu entwickeln [3]. So gewinnt die BSC seit Anfang der 2000er auch im Krankenhausbereich zunehmend an Bedeutung [4, 5, 6, 7]. Zur Steuerung der Nachhaltigkeit einer Klinik fokussiert das bestehende Modell in einer fünften Perspektive zusätzlich den Umwelt- und Klimaschutz [8] (Abb. 1). Für eine ausführliche Beschreibung aller Perspektiven, speziell der auf das Krankenhaus angepassten, wird auf die Literatur verwiesen [9, 10].

Abb. 1: Perspektiven der Balanced Scorecard

Umwelt- und Klimaschutzperspektive

Humane und terrestrische Gesundheit sind untrennbar miteinander verbunden. Es kann keine gesunden Menschen auf einer kranken Erde geben. Daher sind Maßnahmen zum Klima- und Umweltschutz per se eng mit den anderen BSC-Perspektiven im Krankenhaus verbunden. In der Klima- und Umweltschutzperspektive wird festgelegt, wie die globalen Ziele „grüner beziehungsweise netto-null oder net-zero Krankenhäuser“ umgesetzt werden können. Die zentralen Fragen sind hier: Wie wird ein Krankenhaus klimaneutral und bleibt es auch? Was muss ein Krankenhaus leisten, um der allgemeinen Verantwortung für die Welt – und der speziellen für die Patientengesundheit – gerecht zu werden?

Ziele der Klimaschutz- und Umweltperspektive

Jedes Krankenhaus besitzt in seiner übergeordneten Zielsetzung, Gesundheit zu erhalten, eine besondere Verantwortung für den Klima- und Umweltschutz. Ob es um den Ersatz von umweltgefährdenden Ressourcen oder die Beseitigung von Abfällen geht, das Krankenhaus muss sich und seinen Stakeholdern vermitteln, dass Planetary und Human Health eng miteinander vernetzt sind. Damit stehen die Führung, Entscheider und Anwender im Gesundheitssektor an der Spitze einer globalen Bewegung für die planetare Gesundheit [11]. Die Abbildung 2 ist aus meinem Buch „High performance im Krankenhausmanagement 2021“ und wurde von mir erstellt. Die HCWH Aktionspfleiler sind mehr übergeordnete Aktionen, die Ziele im Bereich Klima- und Umweltschutz bildlich darstellen [12].

Abb. 2: Die verschiedenen Aktionspfeiler eines nachhaltigen Krankenhauses

Kennzahlen des Umwelt- und Klimaschutzes

Die zehn Handlungsfelder von HCWHD beinhalten Früh- und Spätindikatoren. Die klassische Bezugsgröße stellt oft der Vorjahreswert. Daher ist es primäre Aufgabe, die Umweltparameter eines Krankenhauses zu messen. Als Benchmark können danach Krankenhäuser dienen, die sich bereits durch eine erfolgreiche Ökologisierung auszeichnen. Hinweise zu Umweltkennzahlen gibt auch das Umweltbundesamt [13]. In einigen Bereichen wie der Beschaffung oder der Abfallwirtschaft gilt zusätzlich die 3R-Regel: Reduce, Reuse, Recycle. Primär sollte man die Vermeidung priorisieren, danach die Wiederverwendung und erst dann das Recycling. Momentan übersteigt die Müllmenge die Recyclingmenge – das Ziel ist eine zirkulare Kreislaufwirtschaft („circular economy“).

Fokus auf die Chirurgie

Die Chirurgie gehört mit ihren anspruchsvollen Eingriffen, komplexem Instrumentarium, Sterilisationsprozeduren und strengen Hygieneanforderungen zu den energieaufwendigsten und damit auch CO2 intensiven Fachrichtungen. Dazu produziert sie große Mengen an Abfall. Zudem gliedert sich die Chirurgie in die gegebenen Krankenhausstrukturen ein. Die Handlungsfelder von HCWH sind: Chemikalien, Abfall, Energie, Wasser, Transport, Ernährung, Arzneimittel, Gebäude, Beschaffung, Führung (Leadership). Die Mehrheit der zehn definierten Handlungsfelder für Umwelt- und Klimaschutz ist deshalb auch für sie relevant. Das NHS in Großbritannien und Schottland hat wie auch das „Royal College auf Surgeons“ dazu Handlungsrichtlinien herausgegeben [14].

1. Führung: Umwelt- und Klimaschutz priorisieren

Das Management eines Krankenhauses muss den Umwelt- und Klimaschutz im Krankenhaus zunächst als strategisches Unternehmensziel festlegen. In einem kontinuierlichen Verbesserungsprozess (KVP) werden dann Umwelt- und Klimaziele festgelegt und Maßnahmen ergriffen, die eine eindeutige Verbindung zu den identifizierten Umweltauswirkungen haben. Eine mögliche übergeordnete Zielsetzung könnte die Vermeidung von Emissionen sein. Einzelziele benötigen konkrete, möglichst quantitative Vorgaben wie z. B. die Maßgabe, in einem Jahr der Energieverbrauch um 10 % zu reduzieren.

Die folgenden Kennzahlen sind für den Bereich Führung relevant:

  • Investitionen mit Umweltbezug zu Gesamtinvestitionen
  • Anzahl der umweltrelevanten Schulungen
  • Umgesetzte Umweltziele versus nicht erreichte Umweltziele
  • Zahl der umweltbezogenen Maßnahmen im KVP
  • Mitarbeiter mit Umweltaufgaben in der Stellenbeschreibung
  • Anzahl der Veranstaltungen mit Umwelt-/Klimabezug
  • Anteil ökologischer Themen an der Kommunikation in der Klinik

2. Energie: Implementierung von Energieeffizienz und sauberer, erneuerbarer Energieerzeugung

Krankenhäuser und medizinische Abläufe haben einen hohen Energieverbrauch. Durch die Nutzung von Benzin, Gas, Kohle und Diesel entstehen große Mengen an CO2, Methan und Stickstoffdioxid. Die Ziele sind daher hier verbesserte Energieeffizienz und der Einsatz von erneuerbaren, sauberen Energieformen. Folgende Kennzahlen sind hier relevant:

  • Energieverbrauch pro Fläche (z. B. KWH/m2) oder pro Patientenzimmer
  • Brennstoffverbrauch aus erneuerbaren Quellen vs. Gesamtbrennstoffverbrauch
  • Monitoring des Energieverbrauchs in der Klinik

Klimafaktor Chirurgie

Der größte Anteil an Emissionen in der Chirurgie wird durch die Energienutzung im Operationssaal generiert: Operationssäle benötigen drei- bis sechsmal so viel Energie wie die restlichen Krankenhausräume. Dabei sind die OPs im Durchschnitt bis zu 40 % der Zeit unbesetzt.

3. Chemikalien: Ersatz von schädlichen Chemikalien durch sicherere Alternativen

Die Reduktion und Substitution schädlicher Chemikalien, Narkosegasen und Verbot von Desfluran (NHS Schottland) und Dosieraerosolen läuft bereits. Ein Beispiel ist das internationale Verbot von Quecksilber in medizintechnischen Geräten, ein weiteres das weltweite Verbot von FCKWs in Medizinprodukten

Die folgenden Kennzahlen können im Jahresvergleich gemessen werden:

  • Kg gefährlicher Abfall pro Patient pro Tag
  • Kg gefährlicher Abfall pro Prozedur/OP pro Tag
  • Nutzung von Narkosemitteln mit dem niedrigsten Treibhauspotenzial

Klimafaktor Chirurgie

Im Operationssaal ist die Anästhesie die größte Verursacherin von Treibhausgasen. Während der Narkose werden nur 5 bis 20 % der volatilen Anästhetika vom Patienten metabolisiert, der Rest gelangt in die Atmosphäre. Etwa 20 % der Anästhetika gelangen in die Stratosphäre und erzeugen so eine CO2-Bilanz wie eine Millionen PKWs. Desfluran besitzt dabei das stärkste Erderwärmungspotenzial. Die Nutzung von Stickstoffdioxid oder Desfluran kann an einem durchschnittlichen Tag so viel CO2 ausstoßen wie 1000 km Autofahrt. Intravenöse Anästhetika wären eine Alternative, sind aber nicht alle umweltverträglich. Der Einsatz von Propofol erzeugt z. B. Phenol. Dieses Narkotikum ist damit nicht nur teuer, sondern auch umweltgefährlich [15].

4. Abfall: Gesundheitsabfälle reduzieren und sicher entsorgen

Im Gesundheitssektor fallen multiple Abfälle wie Papier, Plastik, Metalle, Elektronik, Chemikalien und Arzneimittel an. Obwohl ein Großteil dessen Hausmüll entspricht, landen immer noch viele Abfälle aus Krankenhäusern auf Müllhalden, werden umweltbelastend verbrannt oder in Drittländer mit unbestimmtem Ausgang verschifft. Der Anteil an Problemabfällen (z. B. Labor), der gesondert entsorgt werden muss, ist deutlich geringer. Ein effizientes Abfallmanagement durch Trennung Recycling, Kompostierung, Reduktion von toxischem Abfall und ein verminderter Plastikverbrauch können auch durch Kennzahlen gesteuert werden:

  • Abfallaufkommen nach Abfallart
  • Kilogramm Recyclingabfall nach Abfallart bezogen zum Gesamtabfallaufkommen
  • Kilogramm an festem Abfall pro Patientenbett/Tag
  • Kilogramm fester Abfall pro Termin/Tag
  • Abfallzusammensetzung
  • Lebensmittelabfall pro Patienten/Mitarbeiter

Klimafaktor Chirurgie

Bis zu 70 % des gesamten Krankenhausmülls entfallen je nach Aufkommen auf den Operationssaal, wobei davon 80 % bereits entstehen, bevor der Patient den Saal erreicht. Eine einzelne Operation produziert im Schnitt so viel Abfall wie eine vierköpfige Familie in einer Woche.

Neben regulärem Haus- sowie Plastikmüll und jährlich zunehmendem Elektroabfall entsteht im Operationssaal auch giftiger Biomüll. In den USA etwa ist die Verbrennung des speziellen medizinischen Abfalls unter den ersten Fünf der Quecksilber- und Dioxinquellen. Die Entsorgung giftigen Biomülls ist 10- bis 25-mal teurer als bei regulärem Abfall. Sie ist zudem energieaufwendig und setzt toxische Abgase und Schwermetalle frei. Durch fehlende Trennung werden bis zu 90 % des Abfalls im OP falsch als biogefährdend entsorgt, obwohl der Anteil kalkulatorisch nicht über 15 % liegen sollte. Allein 30 % des OP-Mülls entfällt auf Verpackungen. Die Fehler bei der Abfalltrennung entstehen häufig durch Unwissenheit, unpassende Abfalleinrichtungen sowie hohen zeitlichen und finanziellen Druck. Dazu produziert ein durchschnittlicher Operationssaal pro Monat bis zu zwei Tonnen flüssigen Abfall, der zu 25 % biologisch gefährlich ist. Chirurgische Abdecktücher und Textilien aus Polypropylen machen 19 % des gesamten Abfalls im Operationssaal aus. Es ist nicht geklärt, ob diese Einmalprodukte einen hygienischen Vorteil bieten. Unbestritten ist, dass mehrfach verwertbare Tücher eine bessere Umweltbilanz haben.

5. Wasser: Reduktion des Wasserverbrauches im Krankenhaus

Die Verfügbarkeit von sauberem Trinkwasser wird durch die zunehmenden Dürre- und Hitzeperioden weltweit und auch in Europa reduziert. In Deutschland leiden besonders die östlich gelegenen Bundesländer unter Wassermangel. Der Gesundheitssektor verbraucht viel Wasser durch Reinigung, Waschen, Ernährung und medizinische Therapien (Dialyse). Die konsequente Reduktion des Wasserverbrauchs spart Energie und wirkt Wassermangel und -krisen entgegen. Relevante Kennzahlen z. B. gesamt, pro Patienten oder Bett sind z. B.:

  • Wasserverbrauch (in m3)
  • Grauwasser (Grey-Water)-Nutzung (in m3)

Klimafaktor Chirurgie

34 % des Krankenhausabwassers entfällt auf die Stationen, 17 % auf Operationssaal, Kreißsaal und Zentralsterilisation. Operationen benötigen das meiste Wasser für die Aufbereitung chirurgischer Instrumente.

6. Transport: Verbesserung der Transportstrategien für Patienten und Mitarbeiter

Der meist fossil betriebene Transport von Patienten und Personal belastet die Umwelt, sodass ein Übergang zu klimaverträglichen Alternativen notwendig ist. Kennzahlen im Transportbereich könnten beispielsweise sein:

  • Verkehrsmittel (PKW, Elektrofahrzeug, ÖPNV, Fahrrad/zu Fuß) der Mitarbeiter/Patienten für den Arbeitsweg bzw. Weg zur Klinik: Mitarbeiter/Patient je Verkehrsmittel zur jeweiligen Gesamtzahl
  • Anteile der verschiedenen Verkehrsmittel an Dienstreisen jeweils bezogen auf die zurückgelegten Kilometer
  • Anteile der verschiedenen Verkehrsmittel an den Transportprozessen der Klinik bezogen auf die zurückgelegten Kilometer

7. Beschaffung: Einkauf von sicheren und nachhaltigen Produkten und Materialien mit niedrigem CO2-Fußabdruck

Der Gesundheitssektor ist ein Großeinkäufer von Produkten und Dienstleistungen mit einem hohen CO2-Ausstoß. Außerdem werden Luft, Wasser und Boden durch Abgase, Schadstoffe und Abfälle verschmutzt. In der Beschaffung dominiert meist nur der Kostenfaktor, ohne dass die sekundären Folgen oder der CO2-Fußabdruck berücksichtigt werden. Eine umweltschonende Beschaffung benötigt Richtlinien für Nachhaltigkeit. Der Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. bietet dazu ein Nachhaltigkeitssystem mit PDCA-Zyklus (plan, do, check, act) als Handlungsleitfaden [16] an. Neue Bestell-Richtlinien wie das Lieferkettengesetz 2023 unterstützen die Transition zu nachhaltigen Produkten.

Folgende beispielhafte Kennzahlen weisen hier die Richtung:

CO2-Fußabdruck der eingekauften Produkte und Dienstleistungen im Vergleich zum Vorjahr (z. B. Reduzierung durch die Beschaffung von nachhaltigen Berufstextilien – sie generieren 25 % des CO2-Ausstoßes einer Klinik mit durchschnittlich 2000 Mitarbeitern)

  • Anteil der Kosten von lokalen Produkten zu den Gesamtkosten des Einkaufs
  • Anteil Recyclingmaterial für bestimmte Produktgruppen (z. B. Büroverbrauchsmaterialen)
  • Anteil der nach umweltrelevantem Label zertifizierten Produkte

Klimafaktor Chirurgie

Einmalartikel haben in den vergangenen Jahrzehnten deutlich an Bedeutung gewonnen, was die Müllberge im Gesundheitssystem steigen ließ: Bereits bis 2020 stieg die Abfallproduktion pro Jahr um mindestens 15 %. Die oft in Asien produzierten Einwegartikel sind über die vor- und nachgeschalteten Lieferketten besonders emissionsbelastet. Die Lieferketten machen über zwei Drittel der Gesamtemissionen in der Gesundheitsversorgung aus. Zudem werden Mülltrennung und Materialrecycling in Krankenhäusern wie bereits beschrieben oft nur rudimentär durchgeführt. Für Krankenhausbetreiber bieten Einmalartikel neben der industriellen Haftung Einsparungen in Zentralsterilisation und Wäscherei. Dagegen stehen negativ neben der Umweltbelastung häufig Qualitätsverluste und die immer häufiger auftretenden Lieferengpässe [17].

8. Pharmazie: Pharmazeutika angemessen verschreiben, sicher verwalten und entsorgen

Die pharmazeutische Industrie ist der zweitgrößte Umweltverschmutzer des Gesundheitssektors, im ambulanten Bereich sogar der größte. Neben CO2-intensiven Aktivitäten kommen der Wasser- und Energieverbrauch und die Abfallmenge hinzu. Als Folge der Globalisierung werden Schutzmaterialien und Medikamente weit überwiegend in China und Indien produziert. Dies führt neben den zunehmenden Lieferengpässen zu einem hohen CO2-Fußabdruck sowohl durch den langen Transportweg als auch die lokale Energieerzeugung z. B. durch Kohle. Propagiert werden deshalb vom HCWH kleine Startmengen bei Neu-Rezeptur, das Vermeiden von Miniplastikproben, eine sichere Entsorgung, die zentralisierte Beschaffung und Verteilung und die Rückgabe überschüssiger Arznei- und Hilfsmittel

Folgende Kennzahlen zur Kontrolle dieser Maßnahmen sind:

  • Abgelaufene und selbst zu entsorgende Medikamente im Verhältnis zu der Gesamtabfallmenge von Medikamenten in kg im Vergleich zum Vorjahr
  • Quote der Medikamente und Schutzmaterialien aus inländischer Produktion
  • Quote der Menge abgelaufener Medikamente an Hersteller zur Gesamtabfallmenge von abgelaufenen Medikamenten

Klimafaktor Chirurgie

In den chirurgischen Fächern steht die Neuverschreibung von Medikamenten außerhalb von Antibiosen und Analgetika nicht im Vordergrund. Die größten Sparpotenziale ergeben sich in der strengen Indikationsstellung und zeitnahen Beendigung einer medikamentösen Therapie.

9. Gebäude: Planung und Bau umweltfreundlicher und gesunder Krankenhäuser

Das Ziel der Planung und des Bauens von umweltfreundlichen Krankenhäusern ist ein komplexes Thema, sodass hier nur die Anregungen des HCWH zur Anwendung von „grünen Leitlinien und best practices“ präsentiert werden. Als konkrete Maßnahmen werden u. a. die folgenden Punkte aufgeführt:

  • Beachtung von nationalen oder regionalen Green-Building-Richtlinien
  • Klimaneutraler Gebäudebetrieb mit naturintegrierenden Elementen; Minimieren des kombinierten Platzbedarfs von Gebäude, Parkplatz, Straßen und Wegen
  • Verwendung lokaler und regionaler Materialien; Einsatz recycelter Materialien
  • Hochreflektierende Dächer, Pflaster und „Gründach“-Systeme und durchlässige Pflasterung, um städtische Wärmeinseln zu verringern, Regenwasser zu nutzen und einen grünen Lebensraum zu fördern
  • Vermeidung blei- und cadmiumhaltiger Farben und Beschichtungen, Asbest und schwarzen Gebäudeverschalungen

Beispielhafte Kennzahlen sind:

  • Freiwillig renaturierte Flächen mit hoher Biodiversität/Kompensationsflächen im Vergleich zur genutzten Fläche
  • Flächenverbrauch in Quadratmeter bebauter Fläche
  • Anteil Recyclingmaterial

10. Lebensmittel: Einkauf und Ausgabe nachhaltig angebauter, gesunder Lebensmittel

Die Landwirtschaft in Europa verursacht vom Anbau bis zur Verarbeitung 15 % der Schadstoffemissionen. Komplett verschwendete Nahrungsabfälle haben einen wesentlichen Anteil daran. Sie bilden in Europa jährlich 100 Millionen Tonnen [18]. Eine Verringerung der Nahrungsabfälle und die Reduktion des Fleischkonsums auf maximal 300 bis 600 g pro Woche/Person [19] trägt erheblich zum Klimaschutz bei. Die geringere Menge von Klimagasen und der verringerte Fleischkonsum reduzieren zudem Lungen- und Kreislauferkrankungen als auch Krebsraten [20]. Trotzdem sind gesunde und nachhaltige Mahlzeiten in Krankenhäusern wegen des übermäßigen Kostendrucks eher eine Seltenheit. Mahlzeiten im Krankenhaus bieten zumeist eine mindere Qualität und einen geringen Nährgehalt. Die Umstellung auf die Planetary Health Diet stellt eine Lösung dar [21].

Praktikable Kennzahlen sind:

  • Anteil der Lebensmittelabfälle zum Gesamtabfall oder pro Patient
  • Integration regionaler Lieferanten
  • Reduktion des Fleischanteils
  • Lebensmittelabfall pro Patient oder Mitarbeiter
  • Anteil der veganen/vegetarischen Mahlzeiten pro Patient oder Mitarbeiter
  • Zufriedenheit von Mitarbeitern und Patient mit der Krankenhauskost

Ausblick

Klima- und Umweltfaktoren müssen fester Bestandteil des Wirtschafts- und Strategieplans von Krankenhäusern werden. Der Gesundheitssektor unterliegt im Gegensatz zur Industrie in ökologischen Angelegenheiten zurzeit noch deutlich geringeren Kontrollen. Durch die Vorgabe der Klimaneutralität bis 2030 wird sich der Druck erhöhen. Die im Gesundheitssystem tradierten Managementprinzipien müssen deshalb revidiert und neu bewertet werden. Hier müssen neue Aspekte wie ein ganzheitlicher Ansatz (system thinking) erfolgen. Das betrifft auch Hygienevorgaben und das alles überlagernde Kostenprinzip. Die Balance Scorecard mit Nachhaltigkeitskennzahlen bietet hierzu eine etablierte und bewährte Toolbox zur Umsetzung dieser Ziele.

Das DHOW-Modell zeigt, wie Nachhaltigkeit in die Krankenhauskultur integriert werden kann, wobei die modifizierte nachhaltige BSC dabei eine zentrale Rolle übernimmt (Abb. 3).

Abb. 3: DHOW Modell zur Nachhaltigkeit

Ausblick für die Chirurgie

Das Thema Klimaschutz ist mittlerweile auch in der Chirurgie angekommen. Operateure und OP-Teams bemängeln durchgehend die wachsenden Abfallmengen, das unzureichende Recycling und die stetig steigende Rate an Einmalinstrumenten und Lieferengpässen. Nachhaltige Konzepte stellen bei Ärzteschaft und Pflege bereits jetzt einen Faktor in der Personalakquise, der in Zukunft sicher weiter an Bedeutung gewinnen wird. Auch für die Chirurgie existieren bereits diverse Konzepte, mit deren Hilfe die enormen Herausforderungen strukturiert bearbeitet werden können. Organisationen wie die Health Care Without Harm, Greening the Operating Room oder Practice Greenhealth liefern dazu dezidierte Vorschläge.

Weitere Informationen zu Initiativen in Deutschland:

Die Literaturliste erhalten Sie auf Anfrage via [email protected].

Korrespondierende Autorin:

Prof. Dr. Edda Weimann, MPH

University of Cape Town (Health Information Systems)

Technische Universität München (Global Health & Planetary Health)

[email protected]

Prof. Dr. Carsten Krones

Chefarzt

Marienhospital Aachen

Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Minimalinvasive Chirurgie

[email protected]

Olivia Pässler

Presse- & Öffentlichkeitsarbeit

Berufsverband der Deutschen Chirurgie e.V. (BDC), Berlin

[email protected]

Gesundheitspolitik

Weimann E, Krones C, Päßler O: BDC-Praxistest: Die nachhaltige Balanced Scorecard im Krankenhaus. Passion Chirurgie. 2023 Juli/August; 13(07/08): Artikel 05_01.

Alle Artikel zum Thema „Nachhaltigkeit“ finden Sie auf BDC|Online (www.bdc.de) unter der Rubrik Wissen | Panorama | Nachhaltigkeit.

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