Alle Artikel von Lisa Braun

Zwei gelebte Projekte stellen sich vor

PATIENTEN-SELF-CHECK-IN

Interview mit dem Universitätsklinikum Bonn

Presseagentur Gesundheit: Worum geht es bei dem Projekt?
Universitätsklinikum Bonn: Ein Ziel der Förderungen im Rahmen des Krankenhauszukunftgesetz (KHZG) ist die verstärkte Einbindung des Patienten in den Behandlungsprozess. Schon zu Beginn soll die Aufnahme des Patienten insbesondere im ambulanten Umfeld deutlich verbessert werden. Wir etablieren daher einen Self-Check-In für die Patienten. Ähnlich wie beim Flughafen-Check-In werden in zentralen Klinikbereichen Patientenkioske aufgestellt, an denen die Patienten die administrative Aufnahme selbst durchführen können: Nach Einlesen der Versichertenkarte, elektronischer Unterschrift unter die Aufnahmedokumente und Einscannen von mitgebrachten Befunden werden die Patienten auf ihren aktuellen Termin hingewiesen und in den Wartebereich der entsprechenden Ambulanz geleitet. Von dort können sie dann direkt über ein ins Krankenhausinformationssystem (KIS) integriertes Aufrufsystem in den Behandlungsraum gerufen werden. Auch der Ruf per SMS ist möglich, sodass die Patienten nicht an den Warteraum gebunden sind.

Worin besteht die größte Herausforderung?
Für einen reibungslosen Self-Check-In müssen die Aufnahmeprozesse im Vorfeld überarbeitet und genau definiert werden, damit sie in der Logik des KIS abgebildet werden können. Außerdem müssen die baulichen Voraussetzungen für das Aufstellen der Patienten-Kioske in den Bestandsbauten geschaffen werden.

Was erhoffen Sie sich von dem Projekt?
Der automatisierte Self-Check-In verkürzt die Wartezeiten der Patienten und erhöht die Primärdatenqualität, da durch die Hinterlegung der Prozesse in der Programmlogik Nutzerfehler bei der Aufnahme vermieden werden.

Inwiefern profitieren die Patientinnen und Patienten konkret?
Wartezeiten für die Patientenaufnahme entfallen weitgehend.

Was haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter davon?
Die Mitarbeiter in der Patientenaufnahme werden von Routine-Aufnahmefällen in der Ambulanz entlastet.

Wie sieht Ihr Zeitplan aus?
Im zweiten Halbjahr 2022 sollen die Prozesse abgestimmt und die Beschaffung der Patienten-Kioske vorbereitet werden. Der Roll-out im Pilotbereich ist für die Quartale zwei/drei 2023 geplant.

Wie viele Abteilungen und/oder Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind in die Umsetzung involviert?
Neben der IT sind die Patientenaufnahme und das Prozessmanagement involviert.

Wie lief die Antragsstellung ab?
Die Anträge wurden im Frühjahr 2021 erstellt und eingereicht, ein Bescheid für die Fördertatbestand 2 liegt bisher nicht vor (Stand 1. Juli, Anmerkung der Redaktion).

Auf einer Skala von 1 bis 10: Wie schätzen Sie den digitalen Rückstand an deutschen Krankenhäusern ein (1 = niedriger Rückstand, 10 = sehr hoher Rückstand)?
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Patientenportal mit Patient-Journey

Interview mit Agaplesion

Presseagentur Gesundheit: Worum geht es bei dem Projekt?
Agaplesion: Das Projekt Patientenportal ist aus vielerlei Hinsicht ein spannendes Projekt: Es vereint aktuelle Anforderungen der Kunden und der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und kann auf künftige Angebote eine Auswirkung haben. Zudem ist es ein hochkomplexes Thema mit unzähligen Schnittstellen zu anderen Prozessen und Projekten. Im Grunde geht es um ein digitales Aufnahmemanagement, die digitale Begleitung der Patienten und Patientinnen vor, während und nach dem Krankenhausaufenthalt sowie eine digitale Pflegeüberleitung bzw. Entlassung. Diese Thematik haben wir bei Agaplesion schon seit ein paar Jahren auf dem Schirm. Mit dem KHZG erhalten unsere Bemühungen natürlich noch einmal einen neuen Schub und es stehen nun Fördermittel als Anschubfinanzierung zur Verfügung.

Im Mittelpunkt des Projektes stehen unsere Kundinnen und Kunden mit ihrer Patient-Journey. Es geht darum, sie bestmöglich zu informieren, zu begleiten und die Prozesse dafür zu optimieren. Die Menschen sind es bereits aus allen Branchen gewohnt, online Leistungen zu buchen, Termine zu vereinbaren oder Informationen transparent zu erhalten. Warum sollte dies nicht auch im Gesundheitswesen möglich sein?

 Worin besteht die größte Herausforderung?
An dem Prozess der Terminvergabe und Aufnahme sind viele Berufsgruppen beteiligt. Die noch analogen und hybriden Prozesse werden nun in digitale Leistungen und Prozesse überführt. Vor allem die neuen Anforderungen in Bezug auf die Teilhabe der Patientinnen und Patienten müssen wir bei der Festlegung der neuen Soll-Prozesse berücksichtigen. Zudem gibt es aufgrund des KHZG mittlerweile unzählige Anbieter für Gesamtlösungen oder auch nur Teilbereiche wie Anamnese, Aufklärung oder Terminvergabe. Wir müssen uns einen Überblick verschaffen und konkrete Anforderungen beschreiben. Die Kundinnen und Kunden möchten eine leicht bedienbare Nutzeroberfläche und möglichst nur ein System oder eine App, in der sie alles finden. Auf Seiten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gilt das auch: Gute Integration in vorhandene Systeme und damit hohe Datenverfügbarkeit sowie Usability spielen eine entscheidende Rolle.

Was erhoffen Sie sich von dem Projekt?
Wichtigstes Ziel ist es, den Prozess der Aufnahme, Behandlung und Entlassung für unsere Patientinnen und Patienten noch besser, transparenter und effizienter zu gestalten. Darüber erhoffen wir uns auch Effekte für die internen Abläufe, zum Beispiel Vermeidung von Wartezeiten im Aufnahme- oder Untersuchungsbereich, Verweildaueroptimierungen oder eine IT-gestützte Kommunikation im Behandlungsprozess.

Inwiefern profitieren die Patientinnen und Patienten konkret?
Sie können sich beispielsweise viel besser auf einen Krankenhausaufenthalt und insbesondere einen Eingriff vorbereiten, da ihnen alle Informationen schon vorab online zur Verfügung stehen. Sie können sich die Verträge und Aufklärungsmaterialien in Ruhe ansehen, Fragen notieren oder uns vorab Informationen zukommen lassen. In der Klinik liegen dann bestenfalls schon alle oder die meisten Daten vor, sodass der Aufnahmeprozess in der Klinik schlank gestaltet werden kann. Wir glauben, dass die Patientinnen und Patienten auch während des Aufenthalts besser informiert sein werden. Sie wissen, welche Termine in welchen Abteilungen geplant sind und wann sie Besuche empfangen können. Sie sind echte Beteiligte in ihrem Behandlungsprozess, was ihrem Bedürfnis nach Teilhabe und Selbstbestimmung entgegenkommen sollte.

Was haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter davon?
Auch für sie kann sich dadurch der Aufnahme- und Behandlungsprozess entspannen. Sie können direkt auf die verfügbaren Daten zugreifen, Doppelarbeiten und -fragen werden vermieden, Patientinnen und Patienten sind besser informiert und bringen sich gezielter ein. Das stärkt die Beziehung zwischen ihnen und den Professionellen. Am Ende bleibt hoffentlich etwas mehr Zeit für die eigentliche Pflege und Behandlung.

Wie sieht Ihr Zeitplan aus?
Wir wollen noch in diesem Jahr die Ausschreibung für das Portal abgeschlossen haben. Parallel arbeiten wir in Teilprojektgruppen bereits an den Soll-Prozessen, um damit die Einführung der Softwarelösung besser begleiten und umsetzen zu können. Die breite Einbindung der relevanten Berufsgruppen ist hier ebenso wichtig wie die enge Abstimmung mit der Konzern-Mitarbeitervertretung. Ab 2023 werden wir dann stufenweise mit dem Roll-out beginnen.

Wie viele Abteilungen und/oder Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sind in die Umsetzung involviert?
Eine genaue Zahl können wir hier nicht nennen. Allerdings sind an dem Prozess sehr viele Berufsgruppen und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beteiligt. Von der Pflegekraft über Ärztinnen und Ärzte, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Aufnahme und Ambulanz, der Sozialdienst und viele mehr.

Wie lief die Antragsstellung ab?
Die Phase der Antragsstellung hatte ihre Tücken. Aber das Themenfeld des Fördertatbestands 2 ist sehr gut beschrieben und mit Kriterien hinterlegt. Eine Herausforderung stellt dann eher die Ausschreibung dar. Hier gilt es, ins Detail zu gehen und die konkreten Anforderungen zu beschreiben.

Auf einer Skala von 1 bis 10: Wie schätzen Sie den digitalen Rückstand an deutschen Krankenhäusern ein (1 = niedriger Rückstand, 10 = sehr hoher Rückstand)
Aus unserer Sicht ist keine seriöse Einschätzung möglich. Es gibt keinen Ausgangspunkt. Zudem ist die Frage, mit wem vergleicht man sich? Mit anderen Branchen oder dem Gesundheitswesen in anderen Ländern? Im internationalen Vergleich werden vermutlich die skandinavischen oder baltischen Länder besser abschneiden als deutsche Kliniken.

Erstveröffentlichung im OPG-Newsletter 21/2022, mit freundlicher Genehmigung von Presseagentur Gesundheit (pag).

Presseagentur Gesundheit (pag): Krankenhauszukunftsgesetz – Zwei gelebte Projekte stellen sich vor. Passion Chirurgie. 2022 November; 12(11): Artikel 09_01.

Wirtschaftlichkeit kommt vor medizinischer Qualität

Ärzte unter Zugzwang – Erlös-Instrumente sind Schreckensszenario

In der täglichen Arbeit erleben leitende Chef- und Klinikärzte einen Widerspruch zwischen Qualität der medizinischen Versorgung und Wirtschaftlichkeit. Dieser wird nicht immer zugunsten der medizinischen Qualität aufgelöst. Das hat Prof. Dr. Hans Hoffmann, Leitender Oberarzt und Chirurgie der Thoraxklinik am Universitätsklinikum Heidelberg, auf der Veranstaltung „Qualität als Währung in der Versorgung“ der Deutschen Krebsgesellschaft am 13. November erklärt.

Hoffmann beruft sich dabei nicht auf eine Studie, sondern berichtet aus Gesprächen, die er mit befreundeten Chefärzten und Klinikdirektoren geführt hat. So habe ein Lehrstuhlinhaber für Innere Medizin an einer berühmten deutschen Universität erklärt: „Wir werden dazu angeleitet, wie wir das System ausbeuten können.“ Ein Chefarzt für Chirurgie habe gesagt: „Das DRG-System hat alle Patienten zu Privatpatienten gemacht. Nicht im Sinne der optimalen Versorgung, sondern im Sinne der optimierten Erlösgenerierung.“

Problematisch ist aus Sicht von Hoffmann, dass Chefärzte für jedes Jahr Zielvereinbarungen unterschreiben müssen. Diese hätten immer ein Renditeziel und ein Wachstumsziel – meist zwischen drei und fünf Prozent. Das sei zwar in den allermeisten Betrieben und für Führungskräfte üblich, sagt er. In der Medizin werde es aber „zunehmend zum Problem“ – zumal das Instrument der Prozessoptimierung in den Krankenhäusern weitgehend ausgeschöpft sei. Um die Ziele zu erreichen, könne man in einem geregelten System nur noch die Kosten reduzieren oder die Menge erhöhen.

Personalabbau gängiges „Drohinstrument“

Für die kaufmännischen Direktoren gehe Kostenabbau in der Regel mit Personalabbau einher. „Das ist das gängigste Drohinstrument, wenn das Budget nicht erreicht wird“, erklärt Hoffmann. Gerade bei den Grund- und Regelversorgern sei der Personalstamm aber ohnehin schon das größte Problem, berichtet der Oberarzt. Wenn ein leitender Arzt nicht auf weiteres Personal verzichten wolle, könne er auf diverse „Instrumente zur Erlössteigerung“ zurückgreifen. Selten könne eine Klinik Patientenzahlen steigern. Häufiger würde die Indikation zu Operationen oder Interventionen ausgeweitet. „Das heißt, ich kann Patienten operieren, die eigentlich besser nicht operiert werden sollten“, sagt er. Oder es könnten Interventionen vorgenommen werden, die nicht gemacht werden sollten oder nicht für den Patienten nützlich seien.

Gerade in der Onkologie gebe es ganz viele palliative Interventionen wie zum Beispiel Stent- oder Kathetereinlagen, die in den letzten Tagen oder Wochen vor dem Tod genutzt würden, die aber nicht notwendig seien. Hoffmann zufolge ist es für Chirurgen auch relativ einfach den Eingriff auszuweiten und damit Geld zu verdienen. Zum Beispiel gehöre zu jeder onkologischen Operation auch die Entfernung der Lymphknoten in der Umgebung, um die Ausbreitung des Tumors in die umgebenden Lymphknoten zu diagnostizieren und dann gegebenenfalls eine zusätzliche Therapie zu indizieren. „Ich muss diese Lymphknoten entfernen, um ein Stadium der Erkrankung nach der Operation zu definieren. In meinem Fachgebiet in der Thoraxchirurgie ist die Lungenlappenentfernung die Standardoperation. Die Vergütung ist aber unabhängig immer gleich – ob ich die Lymphknoten entferne oder nicht“, sagt Hoffmann.

Das Problem für die Klinik: Durch die Entfernung der Lymphknoten verlängert sich die Operationszeit Hoffmann zufolge um ungefähr 30 Prozent. Die Pathologiekosten verdoppeln sich. Beides werde aber in keiner Weise mit einer höheren Vergütung abgebildet. Hoffmann weist darauf hin, dass andererseits die Operation mit einem kleinen Schnitt in den Herzbeutel ausgeweitet werden könne. Daran verdiene die Klinik 3.000 Euro zusätzlich. „Das kostet zehn Sekunden und beim geübten Operateur gefährdet es den Patienten auch nicht“, sagt Hoffmann. Er betont, in der Praxis würde beides gemacht. Es würden die Lymphknoten entfernt, die nicht vergütet würden. Und es werde der Herzbeutel eröffnet, der vergütet werde. „Ein Beispiel, wie man damit umgeht“, meint der Leitende Oberarzt.

Augen auf bei Verfahrensauswahl

Hoffmann erklärt, dass die Ärzte weitere Möglichkeiten nutzen können. Sie könnten etwa das Verfahren entsprechend der Vergütung wählen. „In Deutschland ist zum Beispiel die internistische Thorakoskopie weitgehend gestorben und durch die thoraxchirurgische Spiegelung des Brustkorbs ersetzt worden. Warum? Weil die Vergütung für die chirurgische Methode einfach sehr viel besser ist“, sagt Hoffmann. Er zählt weitere Instrumente auf: Demnach verlagern Kliniken Prozeduren ambulant und stationär, je nachdem wie es in den Systemen gerade mal besser vergütet ist. Knappe Ressourcen wie Intensivbetten werden überbucht. Zeitkorridore werden optimiert, damit ein Patient nicht unter der unteren Grenzverweildauer entlassen wird. Es gibt Zeitvorgaben bis eine bestimmte Vergütung erreicht wird. Mehr Erlöse generiert auch die DRG-Optimierung. Kliniken würden über externe Berater Tricks an die Hand gegeben, wie sie besser codieren. So seien Nebendiagnosen immer häufiger. „Wenn jemand mal einen Arztbrief gelesen hat, ist er sicher erschrocken, was er noch an zusätzlichen Diagnosen hat“, sagt Hoffmann.

In den vergangenen Jahren sei die Depression „sicher bei allen stationären Krankenhauspatienten als Nebendiagnose sehr viel häufiger geworden, weil sie den Schwergrad erhöht“. Und Nebendiagnose oder Hauptdiagnose, das sei häufig kein medizinisches Thema mehr, sondern lediglich eines der Erlösoptimierung.

Das alles sei „das Schreckensszenario an Möglichkeiten, die man als Arzt hat, um dem Kostendruck nachzugeben und seine Pflegekräfte und Assistenzärzte nicht abgeben zu müssen“. Um medizinische Qualität in Kliniken hochzuhalten, ist es aus Sicht von Hoffmann nötig, dass zertifizierte und qualitätsdokumentierte Einheiten besser vergütet werden als nichtzertifizierte Kliniken. „Qualität muss sich lohnen“, sagt er. Nötig seien auch die Finanzierung der Fort- und Weiterbildung von Ärzten, eine Flexibilisierung des DRG-Systems für Grund- und Regelversorger sowie für Universitätskliniken, eine Zentrenbildung und die Abschaffung betriebs-wirtschaftlicher Zielvereinbarungen.

Qualität und Ökonomie im Einklang? Kreativität ist gefragt

Dass Qualität und Ökonomie sich sehr wohl vereinbaren lassen, betont Dr. Felix Mehrhof, Kaufmännischer Zentrumsleiter des Charité Centrum 14 für Tumormedizin. Ein Weg, um aus der Bedrohungslage des Personalabbaus durch höhere Personalkosten zu entkommen, sei „kreative Lösungen“ zu finden, die die Versorgung insgesamt in der Klinik verbesserten. Mehrhof nennt ein Beispiel. Der Charité sei das gelungen, in dem sie Psychoonkologen und Spezialisten aus der Abteilung Palliativmedizin über einen palliativmedizinischen Konsildienst an andere Kliniken bzw. Abteilungen vermittelt hätten, die „nicht diesen Schwerpunkt auf den Ressourceneinsatz legen wollen, aber den Patienten mit Bedarf trotzdem haben“. Damit sei es gelungen, rund 140 Patienten außerhalb der Palliativstationen zu versorgen.

„Wir generieren mit dem palliativmedizinischen Konsildienst zusätzliche Erlöse im DRG-System durch die Abrechnung von Zusatzentgelten. Dadurch konnten wir zusätzliche 200.000 Euro in die Kasse holen“, sagt Mehrhof. Man habe auch ökonomisch günstig gehandelt, weil Liegezeit in spezialisierten Bereichen – zum Beispiel in der Neurochirurgie – hätten verkürzt werden können. Die Ressource des neurochirurgischen Betts habe man so schneller wieder den Neurochirurgen zur Verfügung stellen können. „Ich bin der Meinung, dass wir es damit geschafft haben, die medizinische Qualität – die Versorgungsqualität zu erhöhen und dadurch einen ökonomischen Erfolg zu generieren“, sagt er.

Braun L. Wirtschaftlichkeit kommt vor medizinischer Qualität. Passion Chirurgie. 2015 Januar, 5(01): Artikel 02_05.

Kostenerstattung reloaded: Rösler und Ärzte offensiv

Geht es um Transparenz – oder um Geld und Systemwechsel?

Berlin (opg) – Eigentlich ist die Kostenerstattung in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) klinisch tot. Auf lediglich 0,2 Prozent beziffert das Bundesgesundheitsministerium (BMG) die Zahl der GKV-Mitglieder, die eine Kostenerstattungs-Variante wählen; immerhin seit Anfang 2004 steht allen gesetzlich Versicherten diese Alternative zur Sachleistung offen. Von Fakten unbeeindruckt aber träumt die Ärzteschaft wie vor 20, 30 oder 40 Jahren noch immer davon, diesem Erstattungsleichnam wieder Leben einhauchen zu können.

Kostenerstattung und Kopfprämie = PKV light?

Nicht nur Hartmannbund, NAV-Virchow-Bund & Co. halten Kostenerstattung für den wichtigsten Schlüssel, der ihnen die Tür zu paradiesischen Honorarwelten eröffnen würde. Auch der 113. Deutsche Ärztetag Anfang Mai diesen Jahres erweckt den Eindruck, die Idee der GKV- Kostenerstattung wiederbeleben zu können. Politische Unterstützung kommt neuerdings von ganz oben im BMG. Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) bekennt sich in seiner Rede am 11. Mai in Dresden dazu, gesetzlich Versicherten den Weg zur Kostenerstattung schmackhafter machen zu wollen. Rösler begründet dies offiziell mit seinem Anliegen, mehr Transparenz und Eigenverantwortlichkeit schaffen und fördern zu wollen. Die Mehrheit der Ärzteschaft dürfte sich davon vor allem höhere Umsätze versprechen: Das Honorardelta zwischen Einheitlichem Bewertungsmaßstab (EBM) und Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) könnte dadurch geschlossen werden, so die Hoffnung. Röslers Transparenz-Motiv und ärztliche Honorarphantasien können allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass mit der Ausweitung der Kostenerstattung das zentrale GKV-Prinzip der Sachleistung ausgehöhlt werden würde. Dazu passt das FDP-Gesundheitsprämien-Modell mit einkommensunabhängigen Beiträgen wie die Faust auf’s Auge: Kostenerstattung plus Kopfprämie könnten zwei Schlüsselelemente sein, um aus der guten alten solidarisch finanzierten Sachleistungs-GKV eine private Krankenversicherung (PKV) light, also neuen Typus’ (ohne Risikoselektion, -ausschlüsse), zu machen.

Erstattungsgrenzen und -Abschläge bei der Kostenerstattung

Im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und FDP vom 26. Oktober 2009 heißt es zum Thema: „Wir wollen die Transparenz für Ärztinnen und Ärzte sowie Versicherte erhöhen. Deshalb wollen wir die Möglichkeit zur Kostenerstattung ausweiten. Es dürfen dem Versicherten durch die Wahl der Kostenerstattung keine zusätzlichen Kosten entstehen.“ Von welchen „zusätzlichen Kosten“ will Minister Rösler GKV-Mitglieder entlasten? Wahrscheinlich geht es um Kostenerstattungsabschläge, zu denen die Krankenkassen bisher gesetzlich verpflichtet sind (und deren Höhe in den jeweiligen Satzungen festgelegt werden müssen). Details über die Regierungspläne sind bisher noch nicht bekannt. Der Parlamentarische Staatssekretär im BMG, Daniel Bahr (FDP), verkündete im Januar lediglich, das Kostenerstattungsverfahren in der GKV solle für die Versicherten einfacher und transparenter werden.

Leistungsspektrum bei Kostenerstattung bleibt gleich

Die Kostenerstattung in der GKV ist in § 13 Sozialgesetzbuch (SGB) V geregelt. Mit dem GKV-Modernisierungsgesetz (GMG), das Anfang 2004 in Kraft trat, wurde die Option der Kostenerstattung anstelle von Sach- oder Dienstleistungen allen GKV-Mitgliedern eröffnet (zuvor war dies nur freiwillig Versicherten möglich). Die Versicherten sind an ihre Wahlentscheidung mindestens ein Jahr gebunden. Außerdem besteht die Möglichkeit, die Kostenerstattung auf ärztliche ambulante Leistungen, zahnärztliche Leistungen, stationäre Leistungen oder veranlasste Leistungen zu beschränken. Auch bei Kostenerstattung zahlt die Krankenkasse nur für Leistungen, die nach dem SGB V und dem SGB IX (Reha und Teilhabe behinderter Menschen) bzw. nach Beschlüssen des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) erstattungsfähig sind. Anspruch auf Erstattung besteht zudem nur in Höhe der Vergütung, die die Kasse bei Erbringung als Sachleistung zu tragen hätte. Vom so begrenzten Erstattungsbetrag muss die Kasse zudem „ausreichende Abschläge“ für Verwaltungskosten und fehlende Wirtschaftlichkeitsprüfungen vornehmen sowie vorgesehene Zuzahlungen abziehen. Die Differenz zwischen der vom Arzt/Zahnarzt nach den privaten Gebührenordnungen (GOÄ bzw. GOZ) in Rechnung gestellten Vergütung und dem Erstattungsbetrag der Krankenkasse muss der Versicherte aus eigener Tasche bezahlen.

„Kostenerstattung als primäres Vergütungssystem in der GKV“

Der Deutsche Ärztetag in Dresden greift die Koalitionsinitiative zur Kostenerstattung in der GKV dankbar auf, will aber mehr verändern als bisher von der Regierung angedacht. So spricht er sich – laut Beschlussprotokoll „mit großer Mehrheit“ – dafür aus, „sozialverträgliche Selbstbehalttarife“ sowie „Wahltarife für zusätzliche Versorgungsangebote für GKV-Versicherte auf Basis einer Kostenerstattung“ stärker zu erproben. Zur Begründung heißt es, Kostenerstattung ermögliche „mehr Transparenz über das Leistungsgeschehen als Voraussetzung für eine von den Versicherten selbst gewählte Individualisierung der Versorgung und fördert das Kostenbewusstsein“. (Beschlussprotokoll, Seite 14.) In einer weiteren Entschließung (Seite 93) plädiert der Ärztetag sogar indirekt dafür, das Sachleistungsprinzip in der GKV mittelfristig gänzlich abzuschaffen: „Der Ärztetag fordert den Gesetzgeber auf, bis zur Einführung des Kostenerstattungsprinzips als primärem Abrechnungs- und Vergütungssystem in der GKV, die bestehenden Benachteiligungen für gesetzlich Krankenversicherte bei der Wahl der Kostenerstattung zu beseitigen und eine Gleichberechtigung von Kostenerstattung gemäß § 13 Abs. 2 SGB V und Sachleistungsprinzip in der GKV herzustellen.“

„Keine positive Steuerungswirkung“ – aber Mehrkosten für Patienten

Die von FDP und Ärzteschaft gepflegte Vorstellung, die Kostenerstattung bzw. die damit verbundene direkte Rechnungsstellung führe beim Versicherten nicht nur zu mehr Transparenz und Kostenkenntnis, sondern auch zu einer „kostenbewussteren“ Leistungsinanspruchnahme, nennt Dr. Klaus Jacobs „schlicht falsch“. Ein Blick in die PKV-Welt belegt dies eindrucksvoll. Darüber gebe es unter Gesundheitsökonomen „keinerlei Dissens“, schreibt der Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) in einem Papier zum Thema, das opg vorliegt. Zwar könne die Kostenerstattung die Leistungsinanspruchnahme der Versicherten bremsen. Allerdings nicht wegen der Kostentransparenz, sondern aufgrund einer zusätzlichen, direkten Kostenbeteiligung der Patienten, sei es in Form von prozentualen Selbstbehalten, Mehrkostenregelungen oder dergleichen. Dazu passt nach Einschätzung von Jacobs auch der aktuelle Vorschlag der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) nach Einführung einer prozentualen Beteiligung der Patienten an den Behandlungskosten anstelle der bisherigen Praxisgebühr. Diese KBV-Forderung hat sich der Ärztetag in Dresden soeben auf die eigenen Fahnen geschrieben. Eine direkte Kostenbeteiligung der Patienten könnte zudem auch im Sachleistungssystem realisiert werden.

Zusätzliche Einkommenschancen

Kostenerstattung ist offensichtlich und nach den Erfahrungen der letzten Jahre keine notwendige Bedingung, um Patienten zusätzlich zur Kasse bitten zu können. „Wer die Kostenerstattung ausbauen möchte, will im allgemeinen nicht die Effizienz steigern, sondern Leistungserbringern zusätzliche Einkommenschancen eröffnen“, stellte Prof. Jürgen Wasem bereits vor zehn Jahren fest. Jacobs sieht es ebenso. Den Ärzten, die seit Jahren für die Kostenerstattung in der GKV eintreten – voran vor allem der Hartmannbund – gehe es nicht um mehr Kostenkenntnis/Transparenz von Versicherten und Patienten. Das eigentliche Ziel sei die Anwendung der privatärztlichen Gebührenordnung, „die zu deutlich höheren Vergütungen für dieselben Behandlungsleistungen führt“. Aus Sicht der Ärzte mag das verständlich sein, aber dann sollte es auch so benannt werden.
Auf eine Unstimmigkeit im Koalitionsvertrag weist Jacobs zudem richtigerweise hin: Die Aussage „Es dürfen dem Versicherten durch die Wahl der Kostenerstattung keine zusätzlichen Kosten entstehen“ – könne „logisch überhaupt nicht aufgehen“. Wenn die Versicherten insgesamt nicht mehr bezahlen sollten, blieben am Ende sogar noch weniger Mittel zur Leistungsvergütung der Ärzte übrig, weil zusätzliche Kosten für den mit der Kostenerstattung in jedem Fall verbundenen zusätzlichen Bürokratieaufwand entstünden. Die Alternative sieht demnach so aus: Zwar entstehen den Versicherten keine zusätzlichen Kosten in Form von höheren Beiträgen, wohl aber den Patienten durch direkte Kostenbeteiligungen an Behandlungsleistungen.

Problem Verwaltungsaufwand – „ein bürokratischer GAU“

Die Ärzte dürften keineswegs „scharf auf zusätzlichen Verwaltungsaufwand sein“, vermutet Jacobs. Aber dazu käme es zwangsläufig im Zuge ausgedehnter Kostenerstattung in der GKV, wie die Erfahrungen der PKV eindrucksvoll belegen. Der zusätzliche administrative Aufwand im Vergleich zum Sachleistungssystem sei nicht nur für Ärzte, sondern für alle Beteiligten „immens“. Macht man die administrative Rechnung zur Kostenerstattung auf, sähe diese etwa wie folgt aus:

Für Ärzte/Leistungserbringer:

  • Rechnungsstellung in einer für Patienten verständlichen („transparenten“) Form, mit vermutlich deutlich höherem Dokumentationsaufwand als gegenwärtig;
    postalischer Rechnungsversand;
  • Zahlungseingangskontrolle;
  • Bearbeitung von Nachfragen oder Reklamationen der Patienten;
  • Inkasso-Aktivitäten (Mahnungen, Klagen etc.);
  • Absicherung von Ausfallrisiken, die bei GKV-Patienten ungleich höher ausfallen dürften als bei Privatversicherten.

Für Patienten/Versicherte:

  • Rechnungsprüfung; ggf. Nachfragen/Reklamationen beim Arzt;
  • Überweisung des Rechnungsbetrags;
  • Postversand der Rechnung an die Krankenkasse;
  • Prüfung der Erstattung durch die Kasse; ggf. Nachfragen/Reklamationen bei der Kasse; ggf. Rückkoppelung mit dem Arzt bei unvollständiger Erstattung, um die Rechnung modifizieren zu lassen, zusätzliche Begründungen anzufordern etc.; ggf. finanzielle Vorleistung des Patienten.

Für Krankenkassen:

  • Prüfung der zur Erstattung eingereichten Rechnung und Ermittlung des Erstattungsbetrags, dabei u.a. Verifizierung der Anspruchsberechtigung des Versicherten; Erfassung der Leistungsarten (erstattungsfähig?), Arztkennungen (zugelassen?), Rechnungsdaten und Abrechnungsposten;
  • Überweisung des Erstattungsbetrags an den Versicherten;
  • Erstellung und Postversand der Mitteilung zur erfolgten Erstattung; ggf. separater Rückversand von Originalrechnungen (z.B. im Fall einer Zusatzversicherung);
  • Bearbeitung von Nachfragen, Reklamationen usw.; Archivierung.

Quelle: Nachdruck aus opg – Operation Gesundheitswesen, Presseagentur Gesundheit: Lisa Braun