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Die Brustrekonstruktion mit Eigengewebe – ein schonendes Standardverfahren

Das Mammakarzinom ist die häufigste Krebsform der Frau. 2010 wurden in Deutschland 70.340 Neuerkrankungen festgestellt. Das RKI weist daraufhin, dass das Mammakarzinom wesentlich früher auftritt als die meisten anderen Krebsarten. Etwa jede vierte betroffene Frau ist bei Diagnosestellung junger als 55 Jahre, jede zehnte unter 45 Jahre alt – ein Alter, in dem die meisten übrigen Krebserkrankungen zahlenmäßig noch kaum eine Rolle spielen. Die Neuerkrankungs- und Sterberaten folgen in Europa einem Ost-West Gradienten, auch in den neuen Bundesländern liegen sie immer noch deutlich niedriger als in den alten.

Die Wiederherstellung der weiblichen Brust ist ein wesentlicher Bestandteil der Brustkrebstherapie. In den meisten Fällen ist eine brusterhaltende Therapie (BET) möglich (ca. 70 % der Fälle), die die Entfernung des Tumors beinhaltet. Abhängig von der Brustgröße, -form und der Symmetrie können auch onkoplastische Operationen (Neuformungen, Reduktionen, angleichende Operationen der Gegenseite) notwendig werden. In jedem Fall muss die Brust bei einer BET neben einer möglichen Chemotherapie und ggf. einer antihormonellen Therapie bestrahlt werden.

Ist eine BET nicht möglich, so muss die vollständige Mastektomie erfolgen (ca. 30 % der Fälle). Hier ist, im Einklang mit den häufig jungen Patientinnen eine Rekonstruktion anzustreben, die ihnen onkologisch sicher ihre Weiblichkeit wiederherstellt. Die Verwendung von Fremdmaterial (Silikonimplantate) erscheint zunächst mit weniger Aufwand verbunden zu sein. Silikonimplantate können hierbei gute Rekonstruktionsergebnisse erbringen, allerdings unterscheiden sich die Ergebnisse deutlich von denen reiner Brustvergrößerungen, da die Implantate nach einer kompletten Mastektomie unmittelbar unter der ausgedünnten Brusthaut liegen. Während im kranialen Anteil eine Abdeckung durch den Brustmuskel möglich ist, liegt das Implantat im kaudalen Anteil direkt unter der Haut. Dies kann zu schwerwiegenden Komplikationen führen, wie Hautdefekte, starken Kapselbildungen und -schrumpfungen und damit zu ästhetisch unzureichenden Ergebnissen. Durch die Strahlentherapie wird dieser Effekt verstärkt. In diesem Kontext müssen Implantate häufig ausgetauscht werden. Die derzeit aktuellen Netze und azellulären dermalen Matrices (ADM), die das Implantat im kaudalen Anteil stabilisieren und der Kapselbildung vorbeugen sollen, sind mit hohen Komplikationsraten (Serome, Infekte, Hautnekrosen) und Kosten behaftet, so dass ein genereller Einsatz nicht möglich und nicht sinnvoll ist. Darüber hinaus sind die Implantatrekonstruktionen dem körpereigenen Gewebe, in Bezug auf Tastgefühl und Wärmeempfinden unterlegen. Autologes Gewebe passt sich mit dem restlichen Körper korrespondierend Gewichtsschwankungen und Alterungsprozessen an und kann ferner auch komplikationsarm bestrahlt werden.

Idealerweise sollte daher mit jeder erkrankten Frau die Möglichkeit der Rekonstruktion mit Eigengewebe erörtert werden. Mit den heute verwendeten, mikrochirurgischen, schonenden Methoden zur autologen Brustrekonstruktion, kann ein ästhetisch besseres, dauerhaftes und natürliches Ergebnis erzielt werden. Dies ist gerade für die jungen Patientinnen von Vorteil. Für sie ist der Krebs ein „emotional double hit“. Einerseits erkranken sie an einer lebensbedrohlichen Krebserkrankung, anderseits betrifft es Ihre Weiblichkeit und ihr Aussehen. Entgegen landläufiger Meinungen bestehen nur wenige Kontraindikationen für Eigengewebsrekonstruktionen und die hohe Standardisierung in den spezialisierten Zentren hat diese Art der Rekonstruktion zu einer Routineoperation werden lassen, die in drei bis vier Stunden abgeschlossen ist.

Zeitpunkt der Brustrekonstruktion

Nach erfolgter Mastektomie, kann die Rekonstruktion im Regelfall im gleichen Eingriff (primär) erfolgen. Lediglich einige wenige Tumorarten oder -stadien stellen eine Kontraindikation für eine primäre Rekonstruktion dar. Dies impliziert aber auch, dass die Patientinnen im Vorfeld auf die Rekonstruktionsmöglichkeit hingewiesen werden und der Eingriff dann gemeinsam erfolgt. Vorteil bei der primären Rekonstruktion ist die Erhaltung des Hautmantels der Brust. Dadurch entsteht ein ästhetisch besseres Ergebnis als nach einer sekundären Rekonstruktion.

Ist keine primäre Rekonstruktion möglich, oder gewünscht, kann die Brustrekonstruktion in einem zweiten Eingriff nach Abschluss der Chemotherapie oder Bestrahlung erfolgen. Eine solche sekundäre Rekonstruktion muss immer nicht nur die Brust im Volumen, sondern auch den Hautmantel wiederherstellen.

Techniken der Eigengewebsrekonstruktion

Bei den angewandten Techniken zur autologen Brustrekonstruktion hat in den vergangenen Jahren ein Paradigmenwechsel stattgefunden. Initial wurden gestielte Lappenplastiken vom Rücken (M. latissimus dorsi Lappenplastik) oder vom Bauch (TRAM, Transverser rectus abdomis Muskel) verwendet. Bei diesen Lappenplastiken wurde das, zur Brustrekonstruktion verwendete Gewebe umschnitten, ohne die Verbindung zu dem darunter gelegenen Muskel (M. latissimus dorsi, M. rektus abdominis) zu durchtrennen, in dem die versorgenden Gefäße verlaufen. Der Muskel wurde anschließend mobilisiert und distal durchtrennt, so dass er, zusammen mit der Hautinsel, noch am Gefäßstiel hängend, zur Brust hin rotiert werden konnte. Hierbei muss die M. latissimus dorsi Lappenplastik meist noch mit einem Implantat zur Volumenaugmentation ergänzt werden. Damit vereinigt dieses Verfahren, die Nachteile der Implantat- und Eigengewebsrekonstruktion. Ferner berichten viele Patientinnen über Probleme im Hebeareal am Rücken. Die Verwendung der gestielten TRAM-Lappenplastik kann zu Bauchwandschwächen und –hernien führen, da der gesamte Rektusmuskel entnommen werden musste. Auch ist die Durchblutung der kranial gestielten TRAM-Lappenplastik über die superiore epigastrische Arterie eigentlich die unregelmäßigere und kann zu Nekrosen führen. Neben diesen ausgeprägten Hebemorbiditäten und aufgrund der limitierten Positionierungsmöglichkeiten dieser Lappenplastik, ist das ästhetische und funktionelle Ergebnis nicht immer befriedigend.

Mit der Einführung und Standardisierung mikrochirurgischer Operationstechniken, ist es möglich freie mikrochirurgische Lappenplastiken zu transplantieren. Hierbei werden die die Lappenplastik versorgende Arterie und Vene durchtrennt und frei, unter Verwendung eines Operationsmikroskops mikrochirurgisch an thorakale Gefäße anastomosiert. Hierdurch ist es möglich, die beteiligte Muskulatur im Hebeareal zu schonen und durch die freie Positionierung der Lappenplastik ein besseres, ästhetisches Ergebnis zu erzielen. Empfängergefäße sind früher klassischerweise die Arteria und Vena thoracodorsalis (ATD) gewesen, heute sind es eher die Arteria und Vena mammaria interna (IMA, oder auch throacica interna genannt).

Bei den heute verwendeten perforatorbasierten Lappenplastiken, wird das zur Brustrekonstruktion verwendete Gewebe, nur an den Gefäßen gehoben, die aus den tief gelegenen Arterien und Venen durch die Muskulatur hindurch oder in den Faszien liegend, zur Haut ziehen (Perforatorgefäße). Diese Perforatorgefäße sind in der Regel klein (< 1mm Lumen). Die Anastomosen erfolgen mit feinem Nahtmaterial (9-0 oder 10-0) und erfordern mikrochirurgische Expertise. In rekonstruktiven Zentren ist das Routine und es werden Erfolgsraten von über 98 % erreicht.

Die DIEP-Lappenplastik (Deep Inferior Epigastric artery Perforator), bei der das Unterbauchfettgewebe an Perforatoren der inferioren epigastrischen Gefäße gehoben wird, hat sich als weit verbreiteter Standard durchgesetzt. Der M. rectus abdominis, seine Innervation und die Rektusscheide bleiben dabei erhalten. Ein Defekt am Bauch entsteht nicht. Die Rektusscheide kann nach der Entnahme der DIEP Lappenplastiken fast immer primär verschlossen werden, und eine Verwendung von verstärkenden Netzen ist nicht notwendig. Das Risiko einer Bauchdeckenschwäche mit folgender Hernierung wird damit gesenkt. Der Bauch wird wie bei einer Bauchdeckenstraffung verschlossen. Die Hebemorbidität entspricht letztlich derjenigen der Abominoplastik. Brustrekonstruktionen sind darüberhinaus mit der SIEA-Lappenplastik (Superfizielle Inferiore Epigastrische Arterie), bei der die Rektusscheide vollständig unangetastet bleibt, und mit der TMG-Lappenplastik (Transverse Myokutaner Gracilis) von der Oberschenkelinnenseite möglich.

Abb. 1 A: Primäre Brustrekonstruktion (DIEP-Lappenplastik) vor OP

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Abb. 1 B: Primäre Brustrekonstruktion (DIEP-Lappenplastik) nach OP

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Abb. 1 C: Primäre Brustrekonstruktion (DIEP-Lappenplastik) nach Brustwarzenrekonstruktion

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Autologe Brustrekonstruktion heute

Erfolgt die Brustrekonstruktion primär kann, bei onkologisch sicherer Resektion des Tumors, der Hautmantel der Brust erhalten bleiben (hautsparende Mastektomie, HSM). Über einen periareolären Zugang kann sowohl die HSM, als auch die mikrochirurgische Anastomosierung der Arterie und der Vene an die Anschlussgefäße erfolgen. Die Lappenplastik wird anschließend fast vollständig deepithelialisiert und eine Hautinsel in den entstandenen areolären Defekt eingenäht (Abb. 1 A, B). Neben der kleinen Hautinsel, aus der später die neue Brustwarze geformt werden kann (Abb. 1 C), und dem ansprechenden ästhetischen Ergebnis, bleibt den Patientinnen der traumatisierende vollständige Verlust der Brust erspart (Abb. 2 A). Bei der sekundären Rekonstruktion, wird der bestehenden thorakale Hautmantel, durch eine größere Hautinsel der Lappenplastik ersetzt (Abb. 2 B) oder die bestehende Haut muss zunächst mit Hilfe eines Gewebeexpanders gedehnt werden. Dies erfordert allerdings zusätzliche Eingriffe und eine über mehrere Wochen andauernde repetitive Befüllung des Expanders.

Abb. 2 A: Sekundäre Brustrekonstruktion (DIEP-Lappenplastik) vor OP

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Abb. 2 B: Sekundäre Brustrekonstruktion (DIEP-Lappenplastik) nach OP

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Neuere Studien weisen auch daraufhin, dass die Nipple-sparende Mastektomie (NSM) für bestimmte Tumore und Lokalisationen ebenfalls eine Option darstellt. Damit kann die Lappenplastik komplett unter dem Hautmantel der Brust verschwinden. Die Lappenplastik ersetzt damit die entfernte Brustdrüse, ohne sichtbar zu werden. Diese Technik führt auch bei prophylaktischen Mastektomien bei Patientinnen mit genetischen Mutationen zu ästhetisch ansprechenden Ergebnissen.

War es früher üblich, immer ein bis zwei Zentimeter vom Rippenknorpel sternumnah zu entfernen, um die IMA frei zu legen, so haben sich heute rippensparende Verfahren durchgesetzt. Darüber hinaus werden heute nicht mehr ausschließlich die Vasa mammaria interna als Anschlussgefäße verwendet. Bei über ein Drittel der primären Brustrekonstruktionen, erfolgt die Anastomose an die interkostalen Perforatorgefäße der IMA. Dies schont nicht nur die Rippen, sondern verhindert auch mögliche thorakale Komplikationen (Pneumothorax, Atembeschwerden, Schmerzen). Ferner bleibt die IMA für mögliche kardiale Bypass-Operationen erhalten. Zudem können auf Grund der oberflächlicheren Lage der Anschlussgefäße, kürzere Gefäßstiele am Bauch gehoben werden, was wiederum die abdominelle Muskulatur und die Rektusscheide schont. Durch die Schonung der Rippen, die Verwendung interkostaler Perforatorgefäße als Anschlussgefäße und die Hebung kurzer Gefäßstiele am Bauch, kann der Operationsaufwand und damit die OP-Zeit drastisch reduziert werden. So beträgt die OP-Zeit für eine hautsparende Mastektomie und gelichzeitige primäre Brustrekonstruktion mit Eigengewebe in spezialisierten Zentren heute nur ca. 3 bis 4 Stunden. Das wiederum unterstützt die Rekonvaleszenz der Patientinnen. Positiv hierauf wirken sich auch neuere OP-vorbereitende Maßnahmen aus, wie die präoperative Darstellung der Perforansgefäße mittels Computertomographischer Angiographie (CTA).

Fazit

Die Brustrekonstruktion ist integrativer Bestandteil der Therapie des Mamma-Karzinoms. Kann nicht brusterhaltend therapiert werden, so empfiehlt sich die autologe Rekonstruktion, da das Eigengewebe den Silikonimplantaten in Bezug auf anhaltende Ästhetik, Komplikationen, Wärme- und Tastgefühl und schließlich auch der Bestrahlbarkeit überlegen ist. Durch die hochstandardisierten Techniken (DIEP, TMG, SIEA-Lappenplastiken) sind Erfolgsraten von über 98 % in erfahrenen Zentren möglich. Eine schnelle Rekonvaleszenz ist auf Grund verfeinerter Operationstechniken (Verwendung von Perforansgefäßen, Schonung der Rippen, Schonung der Muskulatur, Schonung der Rektusscheide) und einer spezialisierten Operationsvorbereitung (CTA) regelhaft möglich.

Diese Verfahren eignen sich nicht nur für erkrankte Patientinnen, sondern sind auch für die Patientinnen mit genetischen Mutationen geeignet, die sich einer prophylaktischen Mastektomie unterziehen. Schlussendlich können hierdurch nicht nur optimale rekonstruktive Ergebnisse für die Patientinnen erzielt werden, es ist darüber hinaus möglich, wertvolle Ressourcen und Kosten zu sparen und die Angst bei den Patientinnen vor einem rekonstruktiven Eingriff zu reduzieren.

Vollbach F.H. / Heitmann C. / Fansa H. Die Brustrekonstruktion mit Eigengewebe – ein schonendes Standardverfahren. Passion Chirurgie. 2014 Juli, 4(07): Artikel 02_06.