Alle Artikel von Corinna Falge

Teilautomatisierung des OP Managements – Notwendigkeit oder Vision?

Die Städtischen Kliniken Köln stehen vor einer tief greifenden IT-Umstellung, die eine Klärung und Neuordnung ihrer Prozesse notwendig macht. Eines der Projektziele ist, durch eine Verbesserung von OP-Disposition und -Nutzung den Mangel an OP-Ressourcen in einigen Bereichen zu mildern bzw. die Ressourcenauslastung weiter zu verbessern.

In diesem Prozess stellt sich die Frage, wie weit sich OP-Planung und OP-Management automatisieren lassen. Welche Entscheidungen können in einer OP-Software als Regelwerk hinterlegt werden, so dass bestimmte Fragestellungen automatisiert beantwortet werden können? Dabei geht es auch darum, das OP- Management von unnötigen Aufgaben, wie beispielsweise der Überprüfung freier Intensivbetten, zu entlasten, um Freiraum für Moderation, Innovationen und die kontinuierliche Verbesserung des Gesamtsystems zu schaffen.

Aufgaben des OP-Managements

  • Im Göttinger Leitfaden für OP-Manager definieren Bauer et al. die Verantwortlichkeiten der OP-Koordination bei der Ablauforganisation:
  • termingerechter Abruf von Patienten in den OP,
  • Zuweisung eines für den entsprechenden Eingriff geeigneten OPs,
  • koordinierende Kommunikation mit den an der Leistungserbringung beteiligten Berufsgruppen und
  • Planumstellung bei Auftreten von unvorhersehbaren Ereignissen (Komplikation, Notfall etc.)“[1].

Darüber hinaus gibt eine umfangreiche Liste weitere Aufgaben wieder, die von der Einhaltung der Hygienevorschriften über die zeitgerechte Bereitstellung des benötigten Instrumentariums (Materiallogistik) bis zur umfassenden Kostenstellenverantwortung für den OP-Bereich reicht [1].

Alltag des OP-Managements

In der Realität wird die Zeit des OP-Managements vorwiegend für die Ressourcenplanung, Ad-hoc-Koordination und manuelle Anfertigung von Statistiken verwendet. Die Moderation von Konflikten, sobald die rational nachvollziehbare Disposition einzelnen Abteilungsinteressen widerspricht, geht auf Kosten der Kraft- und Zeitreserven, die für eine kontinuierliche Optimierung des OP-Bereichs genutzt werden könnten. Abstimmungsvorgänge im Verlauf des OP-Tages ziehen nicht selten Leerstandszeiten in den Sälen nach sich. Hierbei zeigt sich, dass OP-Management vor allem auch ein Thema des disziplinierten Umgangs mehrerer Beteiligter mit einem Regelwerk für den OP (OP-Statut) und damit eine Teamleistung ist [2]. Deshalb soll untersucht werden, in welchem Umfang die Planung auch von Notfällen so strukturiert werden kann, dass sich der Koordinationsaufwand im Alltag auf ein Minimum reduziert und zuvor festgelegte Regeln automatisiert befolgt werden. Diese Standardisierung von Prozessen kann erheblich zur Qualität und Sicherheit im operativen Bereich beitragen [3, 4].

Vorgehen

Für das Clustern der häufigsten Operationen empfiehlt sich die TOP 10-Analyse nach dem dreistelligen ICD, um die Leistungsschwerpunkte der Abteilung angemessen abzubilden. Die Analyse der OP-Daten aus dem Krankenhausinformationssystem schafft Überblick über die indikationsspezifische Wahrscheinlichkeit der verschiedenen Eingriffe, vor- und nachgelagerter Untersuchungen und der ggf. notwendigen Intensivkapazität. Zudem zeigt die Auswertung der OP-Dauern für die Haupt-OPS im Mittelwert mit Standardabweichung und Median, wie hoch die Varianz der indikationsspezifischen OP-Zeiten ist.

Bei der nachfolgenden Prozessanalyse sollte klar zwischen der Vorbereitung des Patienten, der den Operationstag nach Aufnahme bestimmt und den perioperativen Aktivitäten, die über das optimale Timing am OP-Tag entscheiden, getrennt werden. Die Prozesse sind in Flussdiagrammen zu notieren.

Im nächsten Schritt sind die Verantwortlichkeiten und unterstützenden Informationsprozesse zu definieren. Wichtig ist besonders, Varianzen zu klären und für typische Planungsunsicherheiten Ausweichszenarien festzulegen.

Viele Abteilungen sind mit der Analyse ihrer eigenen Prozesse überfordert, da die Definition von Algorithmen klare kaskadierende Entscheidungen verlangt und die einzelnen Patientenhistorien abstrahiert werden müssen. Gerade unter Zeitdruck besteht die Gefahr, nur für einen vermeintlich idealtypischen Patienten oder den „worst case“ zu planen und dabei den Abgleich mit den relativierenden Daten zu unterlassen. An dieser Stelle schont es die Ressourcen, durch externe Unterstützung für ein stringentes Vorgehen zu sorgen [5].

Erst wenn die Leistungspakete für die einzelnen Indikationen sauber definiert sind, können Regelwerke für die Ressourcenverteilung definiert werden.

Für die Zuordnung der OP-Slots ist ein Entscheidungsbaum zu erstellen, der als Rahmen die Regeln des OP-Statutes nutzt und neben der indikationsbezogenen Dringlichkeit patientenspezifische Besonderheiten in Prioritäten übersetzt [1].

Dieses Regelwerk wird an Hand der Organisation der letzten Monate überprüft. Die Konsequenzen so identifizierter Planungsfehler in der Vergangenheit oder im aktuellen Regelwerk sind am runden Tisch mit den Fachabteilungen zu diskutieren: Erst hier wird es möglich, Interessen auszugleichen und konsentierte Entscheidungen zu definieren, wie diese Sonderfälle in Zukunft behandelt werden [5].

Ein Korridor, der den Abteilungen Raum für spontane Planung lässt, wird die Akzeptanz des Gesamtsystems erhöhen. So kann zum Beispiel das Blocken von ein bis zwei Blanko-Slots zwei Tage nach der Sprechstunde des Autonomiestrebens eines Fachbereichs berücksichtigen und vorhersehbaren Konflikten vorbeugen.

Umgang mit Notfällen

„Planungssicherheit und Notfall sind ein Widerspruch in sich“, so Bauer [1]. Eine Grundvoraussetzung für eine Verbesserung der Planungssicherheit ist, dass so früh wie möglich eine automatisierte und rationale Bewertung der Dringlichkeit des Notfalls erfolgt.

Hilfreich ist es hier, in einer Chefarztrunde retrospektiv das Management von Notfällen des letzten halben Jahres zu klären: Wie wurde die Dringlichkeit bei der Anmeldung der OP eingeordnet, welche Argumente haben hier eine Rolle gespielt, was waren die Konsequenzen und welches Entscheidungssystem soll in Zukunft für diese Fragestellungen hinterlegt werden? Erfolgsentscheidend ist aber, dass die relevanten Informationen zu dem Notfall so früh wie möglich für die Umstellung des OP-Programms zu Verfügung stehen [5].

Bedeutung des Informationsmanagements

Das Regelwerk für die zeitliche und räumliche Positionierung der OP-Slots ist nicht nur abhängig von der Dauer und Komplexität des Eingriffs, sondern auch von der notwendigen Vorbereitung, Art der Anästhesie sowie Infektionen, ambulanter oder stationärer Erbringung, Patientengewicht, etc.

Für die notwendigen Angaben muss geklärt werden, wann diese Informationen frühestens mit ausreichender Validität vorliegen könnten. Das Maß darf dabei nicht die aktuelle Organisation der Informationsbeschaffung sein, vielmehr ist der Innovationsimpuls der IT-Umstellung für eine Veränderung des Informationsmanagements zu nutzen.

Der Anspruch, Informationen so früh und nützlich wie möglich zu verwerten, steht den aktuellen Strukturen entgegen. Häufig sind die Personen, die zuerst mit dem Patienten in Kontakt kommen, nicht ausreichend qualifiziert, bereits eine Pfadzuweisung vorzuschlagen. Dies kann durch einen angemessenen Fragenkatalog abgefangen werden, dem diese Personen folgen. Spätestens mit Klärung der Indikation bei der Voruntersuchung des Patienten ist elektronisch eine Voranmeldung mit valider Angabe der geplanten Maßnahmen vorzunehmen. Papierkalender sind deshalb in allen Fachabteilungen zu eliminieren und unvollständige Voranmeldungen automatisch zurückzuweisen.

Auch die Information des Patienten über den OP-Termin ist zu überdenken. Die Kalkulation der Wahrscheinlichkeit einer Verschiebung für jede Operation ergibt, ob dem Patienten mitzuteilen ist, dass er die Chance hat, am genannten OP-Tag operiert zu werden, sofern es nicht zu unerwarteten Zwischenfällen kommt. Das Bewusstsein, der „Joker“ zu sein, vermeidet Unzufriedenheit, wenn die OP tatsächlich abgesetzt werden muss. Die Sicherheit, dass die Operation am nächsten Tag garantiert durchgeführt wird, muss gegeben sein und wird in der automatisierten Disposition berücksichtigt.

Auch im Verlauf des OP-Tages kann die Teilautomatisierung des Informationsflusses für eine bessere Ressourcennutzung sorgen:

Das Abrufen von Ressourcen erfordert derzeit eine Aktion der Mitarbeiter, obwohl der Zeitpunkt des Abrufs sich aus den vorhergehenden Aktivitäten ergibt. Bei sauberer Planung und Strukturierung ist vorhersehbar, dass bei einer bauchchirurgischen OP ca. 10 Minuten nach Naht das Reinigungsteam notwendig wird. Nach orthopädischen/unfallchirurgischen Operationen mit radiologischer Kontrolle im Saal wird diese Zeit länger sein. Diese indikationsspezifischen Slots lassen sich im System hinterlegen, um mit der Eingabe eines Timestamps automatisch den nächsten Schritt auszulösen. Zweifellos wird es bei der konsequenten Umsetzung dieses Systems manchmal zu Wartezeiten für zu früh abgerufene Ressourcen kommen. Diese sind in Relation zu setzen mit den aktuell existierenden Leerzeiten im Saal und nach ihrem Potenzial zu bewerten, die Wechselzeiten zu reduzieren.

Der Nutzen einer teilautomatisierten OP-Planung entfaltet ihr Potenzial weit über die Grenzen des OP-Bereichs hinweg, da auch den interagierenden Abteilungen deutlich früher Planungsinformationen vorliegen.

So verbessert die deutlich frühere Zuweisung des OP-Materials die Abläufe in der Zentralsterilisation und macht eine Verschlankung bei qualitativer Verbesserung des Materialbestandes möglich. Szenarien der Just-in-time-Lieferung von OP-Materialien können geprüft werden.

Auch für die Stationen und chirurgischen Teams ergibt sich eine höhere Planungssicherheit, weil die Abwesenheit von Mitarbeitern für die Patientenbegleitung oder auch der Tagesablauf für den jeweiligen Operateur vorhersehbar wird.

Fazit

Die kritischen Erfolgsfaktoren für die Umsetzung eines solchen Systems sind, dass die

  1. Informationen, die für die automatisierte Entscheidungsfindung notwendig sind, so früh wie möglich zur Verfügung stehen. Zudem muss die
  2. Aufnahmeplanung zwangsläufig digital passieren.

Ziel ist, bereits bevor der Patient das Krankenhaus betritt, mit großer Genauigkeit und Validität OP-Tag, OP-Dauer, Art der OP und die notwendigen Ressourcen vorherzusagen. Für die Aufnahme dürfen anschließend nur Termine vorgeschlagen werden, bei denen Ressourcen für das komplette Leistungspaket vorhanden sind.

Die Akzeptanz des Systems wird erst dann hoch sein, wenn es ausreichende Reife hat, um einen angemessenen Nutzen für alle Abteilungen zu generieren. Dies ist nur dann zu erreichen, wenn es sich um ein selbstlernendes System handelt und der OP-Manager seinen gewonnenen Freiraum nutzt, um die Planungsautomatisierung sukzessive zu verbessern. Dabei sollten auch Szenarien zur Korrektur von OP-Dauern im OP-Verlauf berücksichtigt werden [7].

Es steht außer Frage, dass für den Erfolg eines solchen Modells

  1. die Disziplin der Abteilungen,
  2. die Güte der Ablaufdefinitionen und Entscheidungsalgorithmen,
  3. die Reife der Umsetzung in der IT und die
  4. Konsequenz bei der Umsetzung von Anreizen und Sanktionen

darüber entscheiden, wie effizient die OP-Organisation ist [8, 9, 10].

Erfolgsentscheidend sind die kontinuierliche Analyse und das automatisierte Feedback an die Abteilungen. Dabei wirkt bereits die nachgewiesene Verbesserung motivierend. Bei Stagnation der Optimierung bietet es sich an, die Compliance der Fachabteilungen als zusätzlichen Motivator in das System zu integrieren: Bei gleicher indikationsspezifischer Priorität der Operationen können OP-Slots nach zeitlicher Attraktivität entsprechend der Ablaufunterstützung durch den jeweiligen Fachbereich verteilt werden. Dieses Vorgehen sichert, dass die Abteilungen schon im eigenen Interesse stetig daran arbeiten, ihre Planungssicherheit zu verbessern.

Voraussetzung für jegliche Form der automatisierten Planung ist die Aufmerksamkeit gegenüber der Information an sich. Sie muss als Chance für mehr Struktur im Tag und somit mehr Freiheit zur Gestaltung begriffen werden, die so früh wie möglich erfragt, elektronisch dokumentiert und für die Planung genutzt wird. Ein Aspekt neben der Erhöhung von Qualität und Sicherheit des OPs ist die Zufriedenheit der Mitarbeiter mit der Verbindlichkeit der Planung. Aktuelle Studien zeigen, dass dies vor allem für die Pflege, jedoch auch für junge Mitarbeiter ein wichtiger Auswahlfaktor für einen Arbeitgeber ist. Da im OP ein relevanter Teil der Krankenhauserlöse erwirtschaftet wird, ist dieser Vorteil beim Wettbewerb um diese Fachkräfte nicht zu unterschätzen [11, 12, 13].


Literatur:

[1] Bauer M, Hinz J, Klockgether-Radke A (2010) The Göttingen manual for OR managers. Anästhesist 59: 69-79.

[2] Gfrörer R, Schüpfer G, Schmidt CE, Bauer M (2005) Teamwork in the operating theatre. Effect on quality of decision-making. Anästhesist. 54:1229-34.

[3] Schmidt CE, Reibe F, Sellschopp C, Möller J, Bauer M, Kremer B (2008) Risikoprofil und Ergebnisqualität nach Cholecystektomie – Ein Vergleich zwischen einer Universitäts- und Praxisklinik. Zentralbl Chir. 133: 498-503.

[4] Schmidt CE, Hardt F, Möller J, Malchow B, Schmidt K, Bauer M (2010) Verbesserung der Teamkompetenz im OP – Trainingsprogramme aus der Luftfahrt. Anästhesist 59:717-22.

[5] Schüpfer G, Bauer M (2011) Who is suited as operation room manager? Evaluation process for hospitals and candidates. Anästhesist 60:251-6.

[6] Dexter F (2011) Event-based knowledge elicitation of operating room management decision-making using scenarios adapted from information systems data. BMC Med Inform Decis Mak 2:2

[7] Dexter F (2009) Automatic updating of times remaining in surgical cases using bayesian analysis of historical case duration data and “instant messaging” updates from anesthesia providers. Anesth Analg. 108:929-40

[8] Dexter EU, Dexter F, Masursky D, Garver MP, Nussmeier NA (2009) Both bias and lack of knowledge influence organizational focus on first case of the day starts. Anesth Analg 108:1257-61.

[9] Blake JT; Operating room managers’ use of integer programming for assigning block time to surgical groups: a case study.; Anesth Analg. 2002 Jan;94(1):143-8

[10] Wachtel, R. E. et al. ; Review article: review of behavioral operations experimental studies of newsvendor problems for operating room management.; Anesth Analg, Department of Anesthesia, University of Iowa, Iowa City, IA 52242, USA., 2010, 110, 1698-1710

[11] Schmidt CE, Gerbershagen MU, Salehin J, Weiß M, Schmidt K, Wolff F, Wappler F (2011) From personnel administration to human resource management: Demographic risk management in hospitals. Anästhesist 60:507-516.

[12] Schmidt CE, Möller J, Schmidt K, Gerbershagen MU, Wappler F, Limmroth V, Padosch SA, Bauer M (2011). Generation Y: Recruitment, retention and development. Anästhesist 60:517-524.

[13] Zentrum für Gesundheitswirtschaft und -recht (Hrsg.) OP-Barometer 2009. Arbeitssituation und Arbeitsumfeld der Funktionspflege im OP-Bereich. Eigenverlag, Frankfurt a.M., 2009.

Falge C., Schmidt C. Teilautomatisierung des OP-Managements – Notwendigkeit oder Vision? Passion Chirurgie. 2011 Oktober; 1(10): Artikel 02_06

Wer weiß wann was? Informationslogistik als Grundlage dynamischer Abläufe

Prozessmanagement im Krankenhaus ist nicht erst seit Einführung der DRGs in aller Munde. Dennoch wirken viele Veröffentlichungen über Erfolge bemüht, insbesondere die Zufriedenheit der klinischen Mitarbeiter ist begrenzt.

Dies liegt nicht nur am Autonomieverlust für die klinischen Mitarbeiter, der zwangsläufig mit einer Strukturierung von Prozessen einher geht. Bisher wurde zu wenig darauf geachtet, an welchen Punkten das klinische Personal entlastet werden kann und warum es bei allen Bemühungen zur Prozessstrukturierung nach wie vor zu hohem Abstimmungsaufwand und Planungsunsicherheit kommt.

Der Ärztemangel rückt nun ein weiteres Thema, das als neue Ebene des Prozessmanagements verstanden werden muss, in den Fokus:

Das Informationsmanagement, und dabei insbesondere die Informationslogistik.

Das medizinische Arbeitsumfeld ist gekennzeichnet durch eine papiergebundene und digitale Informationsüberflutung einerseits und eine qualitative Informationsunterversorgung andererseits“ so markant beginnen bereits 2005 Koch und Kaltenborn ihren Artikel zum Thema „Informationslogistik am Arbeitsplatz“ im Ärzteblatt. [1]

Der Begriff Informationslogistik ist nicht klar definiert:

„Als Informationslogistik wird die Planung, Steuerung, Durchführung und Kontrolle der Gesamtheit der Datenflüsse verstanden, die über eine Betrachtungseinheit hinausgehen, sowie die Speicherung und Aufbereitung dieser Daten. Dabei werden nur solche Datenflüsse zur Informationslogistik gezählt, die der Unterstützung von Entscheidungen dienen.“ So definiert Robert Winter Informationslogistik als Basis des St. Galler Konzepts zu diesem Thema. [2]

In der Gesundheitswirtschaft wird nach wie vor ein Großteil der Informationen mündlich oder handschriftlich übertragen. Somit greift Winters Definition für deutsche Krankenhäuser zu kurz.

Die auf Wikipedia am 01.10.2011 verfügbare Definition berücksichtigt schon eher die Alltagsrealität in der stationären Versorgung:

Informationslogistik analysiert den Fluss von Informationen innerhalb einer Organisationseinheit. Ziel ist die Optimierung der Verfügbarkeit und der Durchlaufzeiten von Information. Aufgabe der Informationslogistik ist daher die Verfügbarkeit der richtigen Information am richtigen Ort, zum richtigen Zeitpunkt und zu richtigen Kosten [3].

Pragmatisch formuliert beschäftigt sich Informationslogistik also mit: Wer weiß wann was woher und wofür?

Bedeutung

Die wissenschaftliche Literatur bestätigt, dass Ärzte in Deutschland einen großen Teil ihrer Arbeitszeit mit Tätigkeiten verbringen, die nur indirekt mit dem Patienten zu tun haben. Clustert man Aktivitäten wie Organisationen, Dokumentation, Abstimmung mit anderen Kollegen, etc. , so ergeben sich Werte von bis zu 70 % der ärztlichen Arbeitszeit, die mit Informationsmanagement verbracht werden. [4]

Ohne Zweifel ein zu hoher Wert, bedenkt man die Kosten einer Arztstelle und die knappe Ressource „Arzt“. In Zeiten der Zuwanderung von Ärzten, für die Deutsch nicht die Muttersprache ist, steht zudem zu befürchten, dass entweder dieser Zeitanteil weiter steigt oder aber die Patientensicherheit leidet. Somit verdient dieser Aspekt mehr Aufmerksamkeit als ihm derzeit zuteil wird.

Die Arbeit am Patienten erfordert eine harmonisierte Interaktion vieler Berufsgruppen, von den Aufnahmekräften, über die Pflegekräfte und Ärzte, bis hin zu den Sachbearbeitern in Abrechnung und im MDK Management. Deshalb sind Validität und Qualität der Informationen von entscheidender Relevanz. Prozesse können nur dann harmonisiert laufen, wenn Trigger für Entscheidungen oder die nächste Aktivität zur richtigen Zeit am richtigen Ort beim verantwortlichen Mitarbeiter in verständlicher Form ankommen.

Das klingt trivial. Zur Verdeutlichung der Komplexität sei auf ein weit verbreitetes Zitat von Konrad Lorenz verwiesen:

„Gedacht ist noch nicht gesagt,
gesagt ist noch nicht gehört,
gehört ist noch nicht verstanden,
verstanden ist noch nicht einverstanden,
einverstanden ist noch nicht angewendet,
und angewendet ist noch nicht beibehalten.“

In diesen wenigen Zeilen verbergen sich die wichtigsten Gründe für zum Beispiel das Scheitern einer einzelnen OP-Planung bis hin zu ganzen Projekten im Prozessmanagement. Bei diesen wird die Klärung und konsequente Einhaltung von Verantwortlichkeiten häufig als Ziel beschrieben. Damit wird jedoch nur die Spitze des Eisbergs berührt.

Noch komplexer wird die Aufgabe harmonisierter Informationsprozesse, wenn man über die Grenzen des Krankenhauses hinaus denkt. Patienteninformationen liegen vor Einweisung am differenziertesten beim Hausarzt oder beim niedergelassenen Facharzt vor. Auch nach Entlassung sind klinische Informationen, wie zum Beispiel die Dokumentation in der Patientenakte, Begründungen im Arztbrief, bis hin zum Gutachten durch den behandelnden Arzt relevant. Die Informationen müssen so übermittelbar sein, dass sie auch für verschiedene Zielgruppen, so z.B. den Medizinischen Dienste der Krankenkassen, aber auch Juristen im Fall eines Rechtsstreits eindeutig und verständlich sind.

Die Wahrscheinlichkeit, dass bei einem vorwiegend intuitiven Umgang mit Informationen all diese Ansprüche gesättigt werden können, ist gering. Die obigen Beispiele zeigen, dass der bewusste Umgang mit Informationen eine Notwendigkeit im Interesse des einzelnen Patienten aber auch im Interesse der wirtschaftlichen Sicherung der Patientenversorgung ist.

Eine relevante Information muss als solche erkannt, dokumentiert und so zur Verfügung gestellt werden, dass sie für jene verwertbar ist, die sie für die Weiterbehandlung des Patienten benötigen.

Das Differenzierungsvermögen, was eine relevante Information ist, schärft sich mit der klinischen Erfahrung. Es ist auch eine Führungsaufgabe im Rahmen der ärztlichen Ausbildung, zu vermitteln, welche Informationen relevant und welche überflüssig sind.

Der Mehrwert für den aktuellen und zukünftigen Patienten ist das entscheidende Kriterium, das über die Relevanz von Informationen entscheidet. Es gilt, den „Lärm“ im klinischen Informationssaustausch abzustellen, damit wichtige Information gehört werden können. Gleichzeitig muss dafür gesorgt werden, dass im klinischen Alltag relevante Informationen ad hoc in einer verwertbaren Form zugänglich sind.

Die Informationslogistik ist der Schlüssel dazu, dass auch unter weiterhin knapper werdenden Ressourcen eine qualitativ hochwertige Patientenversorgung realisiert werden kann. Gleichzeitig bietet sie zahlreiche Wege, den Arbeitsalltag der Ärzte zu entlasten und ihnen Freiraum und Freude für die Patientenversorgung zurückzugeben. Das Management von Prozessen hat eine neue Stufe erreicht, auf dem es nun endlich auch den Bedürfnissen der klinischen Mitarbeiter entgegenkommt.

Der Anfang muss auf der Führungsebene gemacht werden

Prof. Dr. Hans-Peter Bruch macht in seinem Artikel „Vom Leid der vom Zinseszins Geplagten“ die Gefahr deutlich, die in Zeiten knapper Ressourcen und industrialisierungsähnlicher Veränderungen für die Patientenversorgung besteht, wenn Kommunikation und Informationspolitik zwischen Führungsebenen nicht harmonisiert sind. Er postuliert die Notwendigkeit, dass die notwendigen Veränderungen das „Ergebnis eines vernünftigen, zielgerichteten und vertrauensvollen Dialoges zwischen den Leistungsträgern und den Ökonomen widerspiegeln“ sollten. Aus diesem Grund wirbt er dafür, an der „Umfrage zum Schnittstellenmanagement und dem Umgang zwischen chirurgischen Chefärzten und der Krankenhaus-Geschäftsleitung“ auf www.bdc.de teilzunehmen.

Die weiteren Teile der vorliegenden Ausgabe von „Passion Chirurgie“ behandeln die Informationslogistik mit Fokus auf die verschiedenen Prozessabschnitte im Rahmen der Patientenversorgung. Es soll Anregung sein zu hinterfragen, welche Reife die Informationslogistik im Umfeld des Lesers hat.

So beschreibt Dr. M. Holderried in seinem Artikel „Health2.0 als Klinik- und Praxismagnet: online Arzt-Patienten-Kommunikation und Terminmanagement“, wie die Interaktion des Krankenhauses mit dem Zuweiser optimiert werden kann. Onlineterminvergabe bedeutet nicht nur eine Verschlankung der terminlichen Abstimmungsprozesse, sie ermöglicht, das Risiko von unnötigen Missverständnissen bei der Übergabe von Patienteninformationen ein Schritt über die Sektorengrenze zu minimieren. Auch wenn dem aufnehmenden Arzt die Verpflichtung bleibt, die übermittelten Informationen zu validieren: Durch das frühzeitige Wissen zu Patientendetails ergibt sich die Chance, den stationären Patientenprozess besser zu planen und somit die Versorgungsqualität für den Patienten und zugleich die Planungssicherheit im Hause zu steigern.

Frau Dr. Hagl stellt in ihrem Artikel „Chirurgische Weiterbildung zwischen Effizienz und Ökonomie“ klar, dass der Schlüssel zur langfristigen Bindung junger Ärzte der Generation Y die Exzellenz der Ausbildung ist. Deren Finanzierung sieht sie nur dann gesichert, wenn die Prozessgestaltung einer klaren Mehrwertorientierung unterworfen wird. Als Beispiele dafür nennt sie die Verlagerung des Wissenstransfers vor den Flaschenhals OP, sowie den bewussten Umgang mit Besprechungen und z.B. der IT-gestützten Behandlungskoordination. Somit wird ein Umdenken in der Gestaltung der stationären Informationsprozesse notwendig.

Die Bedeutung des Informationsmanagements für die erfolgreiche Umsetzung auch solcher Veränderungen behandelt wiederum Herr Dr. M. Holderried in seinem Artikel „IT-gestütztes Teamlernen in der Chirurgie – der Weg vom kurzfristigen ‚Change’ zum dauerhaften ‚Improve’“.

Holderried zeigt an konkreten Projekten, wie IT Lösungen gestaltet sein und implementiert werden müssen, damit durch die Identifikation der Mitarbeiter und regelmäßiges Feedback über deren Erfolg eine dauerhafte Verbesserung von Qualität und Wirtschaftlichkeit in der Gesundheitsversorgung möglich wird.

Prof. Dr. Schmidt analysiert die Möglichkeiten zur Teilautomatisierung des OP Managements. Dabei kommt er zum Schluss, dass die Voraussetzung für jegliche Form der automatisierten Planung ist die Aufmerksamkeit gegenüber der Information an sich ist. Als Vorteile eines solchen Strukturgewinns sieht er nicht nur einen Gewinn an Qualität und Sicherheit im OP, sondern auch die Zufriedenheit der Mitarbeiter mit der Verbindlichkeit der Planung.

Hansen zeigt auf, welche Effekte z.B. digitale Whiteboards auf die Prozesse im OP haben können. Er beschreibt eine dänische Lösung zur Informationslogistik, die neben anderen Effekten nachweisbar die Produktivität, Effizienz und Qualität der Patientenversorgung positiv beeinflussen. Er beschreibt vor dem Hintergrund der speziellen Herausforderungen operativer Abteilungen, wie die integrierte Nutzung von großen interaktiven Bildschirmen, Tracking Systemen und mobilen Endgeräten in Abstimmungsbedarf „dramatisch“ senken können. Obwohl auf Englisch lohnt sich das Studium dieses Artikels, weil er zeigt, in welchem Umfang die Nutzung der technischen Möglichkeiten, die für uns alle im privaten Alltag bereits Gewohnheit sind, den klinischen Arbeitsalltag erleichtern können. Im Anschluss an den Artikel finden Sie eine kurze deutsche Zusammenfassung des Inhalts.

Dr. Burgdorf kommt zum Punkt: ob IT überhaupt in der Lage ist, die Ärzte zu entlasten, ist auch eine Frage des organisatorischen Reifegrads. In ihrem Beitrag „Delegation ärztlicher Tätigkeiten an die IT-Eine Frage der Reife von Organisation und System“ zeigt sie am Beispiel der Arztbriefschreibung, wie der Reifegrad von IT und Organisationen gemessen werden kann, um einen priorisierten Maßnahmenplan zu erhalten.

Kleibrink und Heinemeier wagen schließlich den Brückenschlag „Von der Leistung zum Erlös“. Sie zeigen auf, an welchen Details die Übersetzung der klinischen Arbeit in Geld scheitern kann. Zusätzlich stellen sie einen Idealprozess und eine Checkliste vor, um diese Fehlerquellen zu umgehen. Auch sie bestätigen, dass erst der Rückfluss der Informationen, also das Feedback, die Basis einer dauerhaften Verbesserung auf dieser Ebene ist.

In den folgenden Beiträgen findet sich also eine Fülle an Informationen über einen besseren Umgang mit: Wer weiß wann was woher und wofür? Wie immer ist es Aufgabe des Lesers, zu selektieren, was für ihn relevant ist. Diesmal ist die ganz egoistische Frage: „Was hilft mir das?“ nicht nur erlaubt, sondern empfohlen. Denn: weniger ist mehr. Zu viel Information blockiert jene Handlung, die Sie entlasten soll.

 

 

Literatur

[1] O.Koch; Mehr Zeit für Patienten durch bessere Information; Dtsch Arztebl 2005; 102:A 2008–2011 [Heft 28–29]

[2] R.Winter et al.; Das St Galler Konzept der Informationslogistik in: Integrierte Informationslogistik; 2008; S1ff.

[3] Schlanke Informationslogistik: Wie die Prinzipien des Lean Managements helfen können, den Umgang mit Informationen und Wissen zu verbessern. In: UdZ – Unternehmen der Zukunft, FIR-Zeitschrift für Betriebsorganisation und Unternehmensentwicklung. 11. Jg., Heft 3/2010, ISSN 1439-2585, S. 57-60

[4] Mache,Stefanie; General and visceral surgery practice in German hospitals: a real-time

work analysis on surgeons’ work flow; Langenbecks Arch Surg; 2010;395; 81–87b

Falge C. Wer weiß wann was? Informationslogistik als Grundlage dynamischer Abläufe. Passion Chirurgie. 2011 Oktober; 1 (10): Artikel 01_01.