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Hernien- und Hybrid-DRG: Fluch oder Segen?

Das DRG-System wurde 2003 flächendeckend in Deutschland eingeführt, um die Krankenhausfinanzierung transparenter und leistungsorientierter zu gestalten. Es basiert auf Fallpauschalen, die die Behandlungskosten eines Patienten standardisieren. Die EBM-Abrechnung (Einheitlicher Bewertungsmaßstab) hingegen ist das System, mit dem niedergelassene Ärzte, Psychotherapeuten und andere Leistungserbringer ambulante Leistungen zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) abrechnen.

Die Einführung der gesetzlichen Krankenversicherung 1883 durch Otto von Bismarck schuf wesentliche Grundlagen für das deutsche Gesundheitssystem. Diese Versicherung ermöglichte Arbeitnehmern den Zugang zu ärztlicher Versorgung und Krankengeld:

  • Die ambulante Versorgung wurde durch Vertragsärzte abgedeckt.
  • Die stationäre Versorgung in Krankenhäusern blieb zunächst eine kommunale oder karitative Aufgabe.

Das Berliner Abkommen von 1913 legte fest, dass Vertragsärzte für die ambulante Versorgung zuständig sind, während Krankenhausärzte die stationäre Behandlung übernehmen. Diese Vereinbarung verstärkte die Trennung der Sektoren und führte zu einer strikten Abgrenzung der Tätigkeitsbereiche.

Mit der Einführung der Integrierten Versorgung (2000) und später durch das GKV-Versorgungsstrukturgesetz (2012) wurden erste Schritte unternommen, um die Sektorentrennung zu überwinden. Ziel war eine bessere Vernetzung zwischen ambulanten und stationären Leistungserbringern, die Vermeidung von Doppeluntersuchungen und eine effizientere Auslastung des Gesundheitssystems.

Operationen wurden bis vor wenigen Jahren überwiegend in stationären Einrichtungen durchgeführt, da die notwendige Infrastruktur, wie Operationssäle und Intensivstationen, nahezu ausschließlich in Krankenhäusern vorhanden war. Ambulante Eingriffe waren aufgrund von Sicherheitsbedenken und fehlender technischer Ausstattung in der ambulanten Versorgung nur eingeschränkt möglich.

Fortschritte in der Chirurgie, wie minimalinvasive Operationstechniken sowie moderne Narkoseverfahren, haben jedoch in den letzten Jahren zu einer deutlichen Verbesserung der ambulanten Versorgung geführt. Viele Eingriffe können heute ambulant durchgeführt werden, oft mit besseren Ergebnissen als in der stationären Versorgung.

Internationale Vergleiche und Herausforderungen in Deutschland

Im internationalen Vergleich liegt Deutschland bei der Anzahl ambulanter Operationen hinter vielen Ländern zurück. Während in den USA, den Niederlanden und skandinavischen Ländern ein Großteil der Eingriffe ambulant erfolgt, werden in Deutschland weiterhin viele Operationen stationär durchgeführt.

Die Hauptgründe dafür sind ökonomischer Natur. Im ambulanten Sektor erfolgt die Abrechnung nach dem EBM, was zu einer erheblichen Ungleichheit in der Vergütung führt. Eine stationär durchgeführte Leistenhernienoperation wird im DRG-System nahezu zehnmal besser vergütet als im EBM-System. Dies führte dazu, dass bis vor Kurzem etwa 80 ٪ der Leistenhernien stationär versorgt wurden.

Einführung der Hybrid-DRG

Die Hybrid-DRG soll die Systeme des ambulanten und stationären Sektors vereinen. Erstmals wird eine Leistung, die sowohl von niedergelassenen Chirurgen als auch von Krankenhauschirurgen erbracht werden kann, in einem gemeinsamen Vergütungssystem abgebildet. Ziel ist es, die Anzahl der ambulanten Eingriffe deutlich zu erhöhen.

Die Einführung der Hybrid-DRG geht auf den Koalitionsvertrag der mittlerweile gescheiterten Ampelkoalition zurück. Sie wurde jedoch nicht durch die Selbstverwaltung des Gesundheitssystems entwickelt, sondern durch eine Rechtsverordnung des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) am 19. Dezember 2023 veröffentlicht und trat am 01. Januar 2024 in Kraft. Eine Änderungsvereinbarung vom 21. Oktober 2024 erweitert die Regelungen ab 2025. Die Vertragsparteien der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen konnten sich innerhalb eines Jahres nicht auf eine Einigung über die geeigneten Eingriffe und deren Vergütung einigen. Der Ball wurde daher an das BMG zurückgespielt.

Herausforderungen bei der Umsetzung

Zwischen der Veröffentlichung und dem Inkrafttreten der Verordnung lagen nur 12 Tage, was die Akteure und Leistungserbringer vor große Herausforderungen stellte. Insbesondere die Abrechnung funktionierte anfangs nicht reibungslos. Sie erforderte entweder zertifizierte Grouper, die Unterstützung einer Managementgesellschaft oder der Kassenärztlichen Vereinigung (KV). Unterschiedliche Interpretationen der Verordnung führten zu vielfältigen Abrechnungstheorien.

Tab. 1: Hernienrelevante Hybrid-DRG 2024

Hybrid-DRG

Text

Entgelt

Pseudoziffer (KV)

G 24 M

Eingriffe bei Hernien ohne plastische Rekonstruktion der Bauchwand, ohne beidseitigen Eingriff, ohne komplexen Eingriff, Alter > 13 Jahre oder ohne äußerst schwere oder schwere CC

1.653,41 €

83001

G 24 N

Eingriffe bei Hernien ohne plastische Rekonstruktion der Bauchwand, mit beidseitigem oder komplexem Eingriff oder Alter < 14 Jahre mit äußerst schweren oder schweren CC

1.965,05 €

83002

G 09 N

Beidseitige Eingriffe bei Leisten- und Schenkel-hernien, Alter > 55 Jahre oder komplexe Herniotomien oder Operation einer Hydrocele testis oder andere kleine Eingriffe an Dünn- und Dickdarm

2.021,82 €

83001

Erst zum Ende des ersten Quartals 2024 konnten niedergelassene Kollegen die Hybrid-DRG über die KVen abrechnen. Bis dahin mussten Leistungserbringer für Partner, OP-Zentren, Angestellte und Sachkosten in Vorleistung treten. Eine Auszahlung erfolgte teilweise als Abschlag durch die KV oder im Rahmen der regulären Quartalsabrechnung – also mit einer Verzögerung von bis zu sechs Monaten. Dabei fielen Bearbeitungsgebühren von bis zu 3 ٪ an.

Hybrid-DRG in der Hernienchirurgie

In der Hernienchirurgie gibt es derzeit drei Hybrid-DRGs (siehe Tabelle). Diese umfassen:

  1. Alle primären Leistenhernien, unabhängig von der Methode.
  2. Nabel- und epigastrische Hernien, allerdings nur bei Nahtverfahren.
  3. Beidseitige Leistenhernien, die in eine höhere Hybrid-DRG verzweigen.

Für das Jahr 2025 sind Erweiterungen geplant:

  • Netzverfahren bei primären Ventralhernien werden ebenfalls als Hybrid-DRG abgebildet.
  • Minimalinvasive Operationen von Narbenhernien bis 10 cm werden ebenfalls erfasst.
  • Offene Verfahren für Narbenhernien bleiben jedoch im aDRG-System.

Kritische Betrachtung der Hybrid-DRG in der Hernienchirurgie

Eine kritische Analyse der Hybrid-DRG im Bereich der Hernienchirurgie offenbart derzeit nur wenige positive Aspekte. Selbst diese erscheinen bei näherer Betrachtung ambivalent.

Ein positiver Punkt ist die Einführung einer sektorenübergreifenden Vergütung. Erstmals haben niedergelassene Chirurgen die Möglichkeit, ihre Leistungen im DRG-System abzubilden. Darüber hinaus können sie, sofern die entsprechende Infrastruktur vorhanden ist, Patienten nach einem Eingriff für eine Nacht stationär überwachen – eine Möglichkeit, die bisher ausschließlich Krankenhäusern vorbehalten war. Weitere klare Vorteile der Hybrid-DRG lassen sich schwer ausmachen. Die überhastete Einführung, unklare Abrechnungswege und die unscharfe Definition, welche Leistungen genau unter die Hybrid-DRG fallen und mit dieser abgegolten sind, erschweren die Umsetzung erheblich.

Herausforderungen der Hybrid-DRG

Trotz der sektorenübergreifenden Vergütung bestehen weiterhin strukturelle Unterschiede, die die Ergebnisse für verschiedene Akteure beeinflussen.

I. Vergütung und Kosten

1. Kalkulation

Die Berechnung der Hybrid-DRG basiert auf einer Mischung aus stationären und ambulanten Daten. Die Datengrundlage, die jeweils zwei Jahre vor der Kalkulation erhoben wird, stammt vom InEK (Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus) für die DRG-Daten und vom InBA (Institut des Bewertungsausschusses) für die EBM-Daten.

Allerdings fließen wichtige Faktoren wie Preissteigerungen, Lohnentwicklungen und Inflation nicht in die Berechnungen ein. Die ambulanten Daten werden anhand von Stichproben aus bestimmten Jahrgängen erhoben und anschließend hochgerechnet. Die Sachkosten basieren ausschließlich auf Daten des InEK und berücksichtigen daher nicht die teils erheblichen Preisunterschiede bei Materialien, wie z. B. Netzen im ambulanten Bereich.

Die Validität der zugrunde liegenden Daten, insbesondere aus dem ambulanten Sektor, ist daher stark anzuzweifeln.

Berechnungsformel Hybrid-DRG:

Hybrid-DRG = AG * Fallwertambulant + (1 − AG) * Kostenstationär

Ambulantisierungsgrad α = Anzahl ambulanter Fälle / Gesamtfallzahl stationärer und ambulanter Bereich

2. Sachkosten

Aktuell müssen die Kosten für Herniennetze durch die Hybrid-DRG gedeckt werden. Dabei bestehen nach wie vor erhebliche Preisunterschiede zwischen dem Krankenhaussektor und dem ambulanten Sektor. Im ambulanten Bereich können die Einkaufspreise für Netze mehr als doppelt so hoch sein wie die Preise, die Krankenhäuser zahlen. Da bei der Ermittlung der Sachkostenanteile in der Hybrid-DRG ausschließlich stationäre Daten herangezogen wurden, entsteht im ambulanten Sektor ein erheblicher Kostendruck. Dies führt oft dazu, dass netzfreie Verfahren bevorzugt werden – entgegen den aktuellen Leitlinien.

Auch die endoskopischen Verfahren sind davon betroffen, da sie durch die Kosten für Geräte und Trokare teurer sind als offene Verfahren. Das kostengünstigste Vorgehen bleibt ein netzfreies Verfahren in Lokalanästhesie. Materialien wie Nahtmaterial, Pflaster, Desinfektionslösungen und Kompressen gelten derzeit in den meisten Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) noch als Sprechstundenbedarf. Jedoch gibt es föderale Unterschiede zwischen den einzelnen KVen, sodass die Regelungen von Bundesland zu Bundesland variieren können. Dieser Aspekt stellt einen Vorteil für ambulant tätige Chirurgen dar.

Ab dem kommenden Jahr (2025) sollen auch primäre Ventralhernien mit Netz als Hybrid-DRG abgerechnet werden. Sollte die Vergütung jedoch nicht angepasst werden, könnte dies zu einer Renaissance netzfreier Verfahren und sogar zu einer Wiederbelebung längst veralteter Operationsmethoden wie der Fasziendoppelung nach Mayo führen.

3. Nebenkosten

Die Nebenkosten sind ein weiterer kritischer Aspekt der Hybrid-DRG. Während Krankenhauspathologen ihre Kosten im Rahmen der Hybrid-DRG decken müssen, kann ein niedergelassener Chirurg das Operationspräparat auf einem Laborschein zur Untersuchung einschicken, ohne selbst mit den Kosten belastet zu werden. Zudem werden andere Nebenkosten wie Strom, Heizung und Wasser in der Kalkulation der Hybrid-DRG nicht berücksichtigt. Dies stellt eine Herausforderung dar, insbesondere für Einrichtungen mit höheren Betriebskosten.

4. Personalkosten

Die Personalkosten müssen in beiden Sektoren aus der Hybrid-DRG finanziert werden. Im ambulanten Bereich ist es jedoch seit Jahren üblich, mit deutlich weniger Personal auszukommen als in Krankenhäusern. Niedergelassene Chirurgen arbeiten häufig in einem minimalistischen Setting, das oft lediglich aus dem Chirurgen selbst und einer Operationsschwester besteht. Dieser Unterschied in den Personalanforderungen sorgt für eine strukturelle Ungleichheit zwischen den beiden Sektoren.

II. Verteilung der Vergütung

1. Krankenhaus

Die Verteilung der Hybrid-DRG im Krankenhaus ist klar geregelt: Das Krankenhaus muss aus den Gesamterlösen alle beteiligten Mitarbeiter und die Sachkosten decken. Betrachtet man die Kosten auf den einzelnen Fall heruntergebrochen, wird schnell deutlich, dass es kaum kostendeckend möglich ist, Hybrid-DRGs in der bestehenden Infrastruktur des Krankenhauses abzubilden. Oft fehlen die räumlichen und logistischen Voraussetzungen für das ambulante Operieren. Ambulante OP-Einheiten, die den Patienten beispielsweise ermöglichen, Wertsachen und persönliche Kleidung sicher zu verwahren, sich umzuziehen und postoperativ schnell wieder das Krankenhaus zu verlassen, sind entweder nicht vorhanden oder werden auf normalen Stationen durchgeführt – neben dem stationären Betrieb. Die erforderliche Infrastruktur für eine effiziente und sichere Durchführung von Hybrid-DRG-Operationen fehlt somit häufig.

2. Niedergelassener Chirurg oder Praxisklinik

Der selbstständige Leistungserbringer rechnet hingegen pro Fall mit den beteiligten Akteuren ab. Dabei hängt die genaue Verteilung von der Verhandlungskompetenz des Chirurgen und den beteiligten Akteuren ab. Aus den Erlösen der Hybrid-DRG müssen der Anästhesist und alle anderen OP-Kosten bezahlt werden. In diesem Zusammenhang ist entscheidend, wem der OP gehört und wer den Aufwachraum versorgt. Dabei spielt es eine Rolle, ob die Anästhesisten Angestellte des OP-Zentrums sind oder als selbstständige Dienstleister arbeiten. Aufgrund des Kostendrucks wird der Leistungserbringer in der Regel Verfahren wählen, die vor allem kostengünstig sind. Dies kann dazu führen, dass endoskopische Verfahren vermieden werden, zugunsten von netzfreien und möglichst preiswerten Narkoseverfahren.

Welche Fälle sind geeignet, als Hybrid-DRG abgerechnet zu werden, welche nicht?

Die Vorstände der Herniengesellschaften aus Österreich (ÖHG), der Schweiz (SAHC) und Deutschland (DHG / CAH der DGAV) haben im Februar 2023 in einer wissenschaftlich begründeten Stellungnahme auf die Risiken eines rein ambulanten oder kurzstationären Vorgehens bei der Leistenhernienchirurgie hingewiesen. Die Hybrid-DRG für die Hernienchirurgie umfasst alle primären Leistenhernien und primären Ventralhernien, unabhängig von deren Größe oder dem Vorliegen von Komorbiditäten, in einer einzigen Kategorie. Die Entscheidung, ob ein Fall in eine klassische DRG eingegliedert werden sollte, hängt von Kontextfaktoren ab, die eine Hernienoperation für bestimmte Patienten aus medizinischen Gründen unangebracht machen können. So wird ein Patient, der schwerstpflegebedürftig ist, in der Regel nicht elektiv an einer Leistenhernie operiert.

Die Interpretation dieser Kriterien wird von den Krankenhäusern jedoch unterschiedlich gehandhabt. Manchmal wird aus Angst vor möglichen Reklamationen des Medizinischen Diensts und in vorauseilendem Gehorsam jeder Patient mit einer Leistenhernie möglichst ambulant operiert. In anderen Fällen wird jeder Patient, der eine stationäre Überwachung benötigt, mindestens für zwei Tage aufgenommen, um in die klassische DRG einzutreten. Die Ermittlung der geeigneten Diagnosen für die Hybrid-DRG erfolgte auf Grundlage von Gutachten. Diese Gutachten berücksichtigen allgemeine Kontextfaktoren und Schweregrade bei einer Diagnose, allerdings wird oft der individuelle Schweregrad des Falles, wie etwa die Größe der Hernie, nicht ausreichend in Betracht gezogen. Es entsteht der Eindruck, dass das wichtigste Kriterium für die Hybrid-DRG eine hohe Fallzahl bei kurzer Liegedauer ist. Eine genaue Analyse, welche Fälle länger als eine Nacht stationär verbleiben, wurde bisher entweder nicht oder nur unzureichend durchgeführt.

Was erwartet uns im Jahr 2025?

In einer Änderungsvereinbarung vom 18.12.2025 haben sich der GKV-Spitzenverband, die Deutsche Krankenhausgesellschaft und die Kassenärztliche Bundesvereinigung auf einen angepassten Leistungskatalog für das Jahr 2025 geeinigt. Die Kalkulation der neuen Hybrid-DRG wird nach dem gleichen Prinzip wie in der Startphase erfolgen, jedoch soll künftig ein stärkerer Fokus auf die Sachkosten gelegt werden. Ziel ist es, etwa 200.000 Eingriffe, die derzeit vollstationär durchgeführt werden, zu „ambulantisieren“. Diese Änderungen betreffen auch Eingriffe in der Hernienchirurgie, die bisher nicht als Hybrid-DRG abgerechnet wurden. Dazu zählen:

  • Primäre Ventralhernien (epigastrisch und umbilikal) mit Netz, unabhängig von der Art des Einbringens oder der Schicht des Netzes in der Bauchwand.
  • Narbenhernien* bis 10 cm, wenn sie minimalinvasiv behandelt werden, unabhängig von der Schicht in der Bauchwand (z. B. eMILOS, eTEP, Lap. IPOM etc.).

* Die genannten Narbenhernien bis 10 cm in minimalinvasiver Technik sind in der Hybrid-DRG Vergütungsvereinbarung in der Fassung vom 18.12.2024 enthalten und wurden bisher nicht überarbeitet. Wenn jedoch die in der Anlage aufgeführten entsprechenden OPS-Kodes im von der INEK programmierten Grouper eingegeben werden, verzweigen diese in eine aDRG G08B und schließen damit die Hybrid-DRG G24M aus. Das bedeutet, dass der GKV-Spitzenverband, die Kassenärztliche Bundesvereinigung und die DKV eine fehlerhafte Vergütungsvereinbarung veröffentlicht haben, die bis heute nicht korrigiert wurde.

Lediglich die Nahtverfahren bei Narbenhernien münden in eine Hybrid-DRG. Dies zeigt den mathematischen Charakter der Auswahl und wer letztendlich entscheidet, was eine Hybrid-DRG ist und was nicht. Insgesamt wurde die Vergütung der Hybrid-DRG für 2025 in der Hernienchirurgie um ca. 1,35 % gesteigert. Auch dies verdeutlicht erneut den rein mathematischen Charakter der Auswahl und die Entscheidungsprozesse, die bestimmen, was als Hybrid-DRG gilt und was nicht. Medizinisch-technische Faktoren spielen praktisch keine Rolle.

Zusammenfassung

Die Einführung der Hybrid-DRG als sektorenübergreifendes Modell für den Klinik- und den ambulanten Sektor ist grundsätzlich zu begrüßen. Die seit dem 1. Januar 2024 existierenden Hybrid-DRGs für die Hernienchirurgie sind jedoch inhaltlich und fachlich unzureichend und daher problematisch. Zu den zentralen Kritikpunkten zählen:

  • Die gesamte Kalkulation der Hybrid-DRG und damit die Vergütung, die auf fehlerhaften und unzulänglichen Daten basiert.
  • Die unausgewogene Vergütung der Sachkosten, die ausschließlich auf Krankenhausdaten beruht und die einen Druck in Richtung historischer Operationsverfahren ausübt.
  • Das Fehlen von Schweregraden und Hernien-spezifischen Komplexitätskriterien.
  • Eine sinnlose Liste von Kontextfaktoren, die die Anwendung der Hybrid-DRG ausschließen sollen.
  • Die Auswahl von modernen Operationsverfahren für 2025, die in der Durchführung komplexer sind als klassische Verfahren, aber Vorteile für Patienten in Bezug auf Liegedauer und Rekonvaleszenz bieten.

Stechemesser B: Hernien- und Hybrid-DRG: Fluch oder Segen? Passion Chirurgie. 2025 Januar/Februar; 15(01/02): Artikel 03_03.

Ausbildung in der Hernienchirurgie

Die Hernie ist wahrscheinlich das chirurgische Krankheitsbild zu dessen Behandlung die meisten unterschiedlichen Operationsverfahren beschrieben sind. Allein zur Versorgung von Leistenhernien ohne Netz gibt es bereits mehr als zehn verschiedene Prozeduren, die mehr oder weniger bekannt und akzeptiert sind. Gleichzeitig gehört die operative Versorgung von Hernien zu den am häufigsten durchgeführten Eingriffen in der Chirurgie. Nach Einführung der Datenbank Herniamed und der Möglichkeit der Zertifizierung zum Hernienzentrum erleben wir einen zusätzlichen Trend zur Spezialisierung im Gebiet der Hernienchirurgie.

Die Industrie versorgt uns mit immer neuen Produkten zur Behandlung von Hernien, so gibt es mittlerweile ca. 150 verschiedene Netze auf dem Markt. Diese enorme Vielfalt macht deutlich, wie wichtig gerade in der Hernienchirurgie die strukturierte und fortgesetze Ausbildung ist. Es zeigt aber auch die Veränderungen in der Versorgungsrealität von Hernien und damit die Notwendigkeit einer kontinuierlichen Aus- und Weiterbildung in der Hernienchirurgie auch für den Facharzt

Noch in unserer eigenen Weiterbildung galt es vor allem die ersten Fronjahre zu überstehen und allmählich an Operationen herangeführt zu werden, die man quasi als Belohnung für klagloses Ertragen der Situation erhielt. Diese Situation hat sich allerdings in den letzten Jahren verändert. Mit steigendem Nachwuchsmangel in der Chirurgie, hat die Nachwuchsförderung und damit auch die strukturierte Ausbildung einen immer höheren Stellenwert bekommen.

Gleichzeitig befinden sich die Krankenhäuser, als Stätten der Ausbildung, in zunehmenden ökonomischen Zwängen in denen die Ausbildung häufig auf der Strecke bleibt.

Bei einer TED-Umfrage unter ca. 400 Teilnehmern der 5. Berliner Hernientage im Januar 2011 (Abb. 1) wurde die Ausbildung in der Hernienchirurgie von 28,4 % der Befragten als defizitär und von 42,6 % als gerade einmal mittelmäßig bezeichnet. Nur 24,1 % der Teilnehmer bezeichneten die Ausbildung als gut.

Abb. 1: Wie hoch schätzen Sie die Qualität der Ausbildung für Hernienchirurgie derzeit in Deutschland ein?

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Formen der Ausbildung

Lehrassistenz

Die wohl wichtigste Form der Ausbildung in der Chirurgie und damit auch in der Hernienchirurgie bleibt die Lehrassistenz. Aber gerade diese Form der Ausbildung ist unter steigendem Zeitdruck und Facharztmangel in Bedrängnis. Häufig werden Eingriffe daher nur von Fachärzten durchgeführt. Die in der Weiterbildungsordnung geforderten Mindestzahlen in den Katalogen der Ärztekammern sind dabei auch nur wenig geeignet, um eine erfolgreiche Ausbildung in der Hernienchirurgie darzustellen.

Die offene Versorgung einer Leistenhernie gehörte dabei von jeher eigentlich zu den klassischen Ausbildungseingriffen. Da aber in den meisten Krankenhäusern in Deutschland mittlerweile die endoskopischen Verfahren favorisiert werden, bleibt die offene Leistenhernien-OP eher die Ausnahme und die klassische Versorgung nach Shouldice gar eine Rarität. Bei einer Umfrage anlässlich eines BDC-Weiterbildungsseminars zur Erlangung des Facharztstatus in Berlin hatte nur noch eine Minderheit der Teilnehmer Erfahrung mit dieser Methode. Die endoskopische Versorgung von Leistenhernien hingegen gilt allgemein nicht als Anfängeroperation, sondern wird vom eher fortgeschrittenen Weiterbildungsassistenten durchgeführt. Bei Nabelhernien und kleineren Ventralhernien gilt dies Analog. Die große Narbenhernie hingegen ist kein klassischer Ausbildungseingriff und die Versorgung offen oder laparoskopisch ist Gegenstand der unterschiedlichen Standpunkte.

Hospitationen

Durch die wachsende Zahl an Operationsverfahren gerade in der offenen Leistenchirurgie aber auch in der laparoskopischen und offenen Ventralhernien-Chirurgie werden Hospitationen zur Erweiterung des persönlichen Operationsspektrums angeboten. Diese werden meist durch die Industrie vermittelt. Wissenschaftliche Untersuchungen über den Lernerfolg solcher Veranstaltungen sind rar. Häufig werden Hospitationen in Gruppen bis zu acht Personen angeboten, ohne dass jeder Teilnehmer die Möglichkeit hat, direkt am Tisch ein Operationsverfahren zu sehen oder gar selbst kritische Operationsschritte unter Assistenz durchzuführen. Eine strukturierte Hospitationsveranstaltung mit theoretischem und praktischem Teil, Darstellung der Literatur und breiter Diskussion kann aber sehr wohl einen wichtigen Beitrag zur Ausbildung in der Hernienchirurgie darstellen. Allerdings sollte nach Möglichkeit die Op-Assistenz ermöglicht werden, um einzelne Operationsschritte entsprechend zu vermitteln.

Kongresse und Live-Surgery

Auf den großen chirurgischen Kongressen gehören die Herniensitzungen stets zu den am besten besuchten Vortragsreihen, auch die speziellen Hernienveranstaltungen, wie die Berliner Hernientage oder das Wilhelmsburger Herniensymposium, sind gemessen an der Teilnehmerzahl stets sehr gut frequentiert. Die Hernie ist eben weil sie zu den häufigsten Operationen in der Allgemeinchirurgie zählt und weil die Prozeduren einem Wandel unterliegen, sehr interessant und attraktiv. Kongresse bieten die Möglichkeit den wissenschaftlichen Stand der Hernienchirurgie zu vermitteln und ermöglichen den direkten Kontakt zu Experten. Der Dialog mit Kollegen bietet zusätzlich die Gelegenheit Erfahrungen auszutauschen und neue Aspekte in die tägliche Arbeit einfließen zu lassen.

Live-Surgery ist dabei ein wichtiger Aspekt. Das Auditorium hat die Möglichkeit einzelne Operationsschritte genauestens zu verfolgen und kann durch direkte Fragen an den Operateur Details klären und ggf. auch diskutieren. Allerdings bedeuten Live-Operationen auch ein hohes Maß an Verantwortung. Der Operateur steht bei einer solchen Übertragung unter besonderem Stress und je nach persönlicher Konstitution wird dies unterschiedlich kompensiert. Ein Operateur der in einer Live-Situation operiert, muss daher ein hohes Maß an Sicherheit für das zu operierende OP-Verfahren aufweisen und mit eventuellen operativen Unwägbarkeiten auch vor einem kritischen Publikum umgehen können. Die Auswahl der Patienten für eine Live-OP stellt hohe Anforderungen an den auswählenden Arzt, da der Fall einerseits nicht zu komplex, andererseits nicht zu einfach sein sollte. Der Fall darf nicht für die Live-OP konstruiert werden und Indikationen müssen streng eingehalten werden. Der Patient muss über die besondere Live-Situation umfassend aufgeklärt sein. Eine retrospektive Untersuchung aller live operierten Patienten während der Berliner Hernientage zwischen 2007 und 2011 bestätigt die Richtigkeit dieses Vorgehens. Dennoch Kongresse und Live-Surgery sind wichtige Angebote in der Aus- bzw. Weiterbildung der Hernienchirurgie.

Spezielle Weiterbildungskurse für Hernienchirurgie (Hernie kompakt)

Während für bestimmte Bereiche der Chirurgie strukturierte Weiterbildungskurse in großer Zahl angeboten werden, so z. B. für laparoskopische Verfahren oder Nahttechniken in den unterschiedlichsten Situationen, gab es bis 2011 keine speziell für die Hernienchirurgie konzipierten Weiterbildungskurse. Lediglich für Teilaspekte z. B. die laparoskopische Leistenhernienversorgung wurden entsprechende Kurse angeboten.

Ein das gesamte Spektrum der Hernienchirurgie abbildender Kurs ist überaus schwierig umzusetzen, da er nicht nur eine große Anzahl verschiedener Operationsverfahren darstellen muss, sondern auch Propädeutik, Anatomie und Pathophysiologie der Hernie vermitteln muss. Der derzeitige Kenntnisstand der wissenschaftlichen Diskussion muss hochaktuell eingepflegt und durch Experten vermittelt werden.

Der erste dreitägige Weiterbildungskurs Hernie kompakt, der alle diese Aspekte zu berücksichtigen hatte, fand vom 25.01. bis zum 27.01.2011 in Berlin statt. Bereits Mitte Dezember war dieser Kurs mit 50 Teilnehmern aus allen Teilen Deutschlands und Österreichs vollständig ausgebucht. Zielgruppe waren sowohl Assistenzärzte in chirurgischer Weiterbildung als auch Fachärzte für Chirurgie, die ein grundlegendes Update der Hernienchirurgie erhalten wollten. Ein zweiter Kurs fand im Januar 2012 in Hamburg statt, auch dieser Kurs war nach kurzer Zeit komplett ausgebucht. Der letzte Kurs fand im Januar 2014 in Hamburg statt und war erneut ausgebucht.

Die Kurse bestehen aus drei Teilen (Tab. 1):

Teil 1: Anatomie und OP-Übungen

Teil 2: Hospitation in Kleingruppen

Teil 3: Theorie

Tab. 1: Weiterbildungskurs ‚Hernie kompakt’, Einteilung in drei Teile

Anatomie

OP-Hospitation

Theorie

    • Einführung
    • Demonstration an Präparaten
    • Operationen an Leichen unter chirurgischer Anleitung
    • Präsentation aller wichtigen Techniken
    • Phantomkurse zur laparoskopischen Hernienversorgung
    • Quiz
    • Einteilung der Kursteilnehmer in Kleingruppen zu je max. 5 Teilnehmern
  • Breites Spektrum an demonstrierten OP-Methoden und Wahlmöglichkeit für die Teilnehmer
    • Fehlermanagement
    • Qualitätssicherung
    • Hernienregister
    • Pittfalls
    • Materialien
    • Übersicht Leistenhernie
    • Übersicht primäre/sekundäre Ventralhernie
    • Schmerz
  • Ambulant/stationäre Versorgung

Teil 1

Nach einer anatomischen Vorlesung mit Schwerpunkt auf Leisten-und Bauchwandregion werden die Kursteilnehmer auf Kleingruppen verteilt und es findet eine Vertiefung des gehörten durch Demonstration an fixierten Präparaten statt. Der Kurs bietet hier Gelegenheit anatomische Strukturen bis ins letzte Detail zu erkunden. Ein Schwerpunkt liegt in der Darstellung nervaler Strukturen. Danach, ebenfalls in Kleingruppen, Operationsübungen an nicht formalinfixierten Leichen mit der Möglichkeit zu laparoskopischen Techniken. Rotierend werden die derzeit gängigsten Operationsverfahren in Präsentationen dargestellt. Jeder Teilnehmer erhält die Möglichkeit in kleinen Gruppen zu operieren und selbst tätig zu werden. Zusätzliche Arbeitsstationen vermitteln Grundkenntnisse der Ultraschalldiagnostik und geben Gelegenheit am Phantom laparoskopische Leistenhernienoperationen zu trainieren.

Abb. 2 u. 3: Übungssituation Hernie kompakt

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Teil 2

Einteilung des Kurses in Hospitationsgruppen zu je max. fünf Teilnehmern pro Tisch bzw. OP-Saal. Berücksichtigung der persönlichen Wünsche des Kursteilnehmers. Vorabfrage welche OP-Verfahren im jeweiligen Hospitationszentrum angeboten werden und Möglichkeit der direkten OP-Assistenz . Darstellung eines möglichst großen Spektrums an Methoden. Vorbereitung der Hospitationszentren in Vorgesprächen, um einen möglichst einheitlichen Ablauf sicherzustellen. Beteiligung von Kliniken und Praxen an den Hospitationseinrichtungen, um eine große Vielfalt von Behandlungsoptionen zu garantieren.

Teil 3

Evaluation der Hospitationszentren durch Abfrage jedes einzelnen Zentrums und kurzer Berichterstattung durch die Hospitanten.

Darstellung des derzeitigen Standes der wissenschaftlichen Diskussion. Speziell für die Hernienchirurgie, aber auch für allgemeine Themen, z. B. der Fehlerkultur und der Qualitätssicherung. Vermittlung der Inhalte durch Experten. Raum für Diskussion und Erfahrungsaustausch.

Alle Teilnehmer erhalten ein Skript mit der ausführlichen Darstellung aller OP-Techniken. Das Skript enthält einen Abriss über Historie, OP-Technik und wissenschftlicher Diskussion der derzeit gängigen OP-Verfahren, sowohl für die Leistenhernie, wie auch für die Ventralhernie

Zusammenfassung

Ausbildung in der Hernienchirurgie ist bei steigender Methodenvielfalt, Nachwuchsmangel und knapper werdenden Ressourcen wichtiger denn je. Lehrassistenzen, Hospitationen, Kongresse und strukturierte Weiterbildungskurse zur Hernienchirurgie stellen unverzichtbare Module für die Umsetzung der Ausbildung dar. Der Hernienspezialist muss ein Repertoire von verschiedenen OP-Prozeduren anbieten, um allen Anforderungen an eine maßgeschneiderte Hernienchirurgie gerecht zu werden. Der Kurs versteht sich als lernendes System und wird streng an Evaluationsauswertungen und Kritik verändert und stetig verbessert.

Literatur

–  Der chirurgische Assistent in Weiterbildung Persönliche Anforderungen und Erwartungen an Weiterbilder und Weiterbildungsstätte. Krones C.-J., Schröder W., Ansorg J.

–  Hernienchirurgische Weiterbildung auf dem Prüfstand Bericht über den ersten Fortbildungskurs Hernie kompakt 25.-27.01. 2011 und die 5. Berliner Hernientage 28.-29.01. 2011. Lorenz R., Reinpold W., Stechemesser B.

Stechemesser B. / Lorenz R. / Reinpold W. Ausbildung in der Hernienchirurgie. Passion Chirurgie. 2014 April, 4(04): Artikel 02_08.