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Nach der flächendeckenden Einführung der Laparoskopie und der Staplertechnik, steht mit der steigenden Anzahl an roboterassistierten Operationen die nächste technische Revolution in der Allgemein- und Viszeralchirurgie an. Es bleibt abzuwarten, inwiefern auch in diesem Handwerk die Maschine den Menschen sinnvoll ergänzen bzw. sukzessive ersetzen wird.

In wissenschaftlichen Studien wird die roboterassistierte Chirurgie diesbezüglich mit den herkömmlichen Operationen verglichen und zeigt vielversprechende Ergebnisse. Viel Zeit und Geld fließt in die entsprechende technische Ausstattung und die Evaluation der erzielten Resultate. Dabei zeichnet sich ab, dass einige ausgewählte Eingriffe an einem selektierten Patientengut tatsächlich ähnlich gut oder besser mit Hilfe des Roboters vorgenommen werden können. Und bei roboterassistiert (noch) nicht beherrschbaren Befunden oder Komplikationen? In diesem Fall bleibt die Option der Konversion und Rettung des Patienten durch den erfahrenen Operateur von Hand.

„WIE SOLLEN DEUTSCHE CHIRURGEN BESSER SEIN ALS IHRE TECHNISCHEN HILFSMITTEL,
WENN SIE NICHT GLEICHERMASSEN GEFÖRDERT WERDEN?“

Dieser Wettstreit oder – optimalerweise – Synergismus von Mensch und Maschine scheint richtungsweisend für die Zukunft der Chirurgie. Neben den konventionellen Operationen und der Laparoskopie wird sich die roboterassistierte Chirurgie als dritte Kerndisziplin des Faches etablieren. Perspektivisch wird diese Entwicklung den Chirurgen keinesfalls überflüssig machen. Im Gegenteil: Die Beherrschung aller drei Techniken stellt extreme Anforderungen an die künftigen Operateure. Einerseits sollten sie einige komplexe Eingriffe auf drei verschiedene Weisen in hinreichender Qualität durchführen lernen. Andererseits müssen sie sich ein hohes Maß an Expertise in der offenen Chirurgie bewahren. Denn – obwohl sie immer seltener Anwendung findet – bleibt sie die oft lebensrettende Basisdisziplin, wenn Laparoskopie und Roboter versagen. Wie junge Chirurgen in Anbetracht immer weniger primär offener Operationen das hierfür nötige manuelle Niveau erreichen können, ist eine der entscheidenden Zukunftsfragen des Fachgebietes.

Trotz oder gerade wegen dieser technischen Neuerungen ist die Zukunft der Chirurgie weiterhin auf essenzielle Weise mit der Qualität der chirurgischen Ausbildung assoziiert. Und auch in diesem Bereich haben in den vergangenen Jahren dramatische Veränderungen stattgefunden. Leider sind diese jedoch keinesfalls so positiv wie die technischen. Vielmehr hat sich die chirurgische Ausbildung weiter verkompliziert und verschlechtert. Der proklamierte Wettbewerb „Mensch gegen Maschine“ findet somit unter unfairen, den Chirurgen aus Fleisch und Blut benachteiligenden Bedingungen statt.

Denn von einem solide finanzierten, auf das optimale operative Ergebnis ausgerichteten, handwerklichen Training ist die chirurgische Ausbildung immer weiter entfernt. Stattdessen ist der Arbeitsalltag junger Chirurgen von einer zunehmenden Arbeitsverdichtung außerhalb des OP-Saals geprägt. Im Zuge der Fast-Track-Chirurgie und des DRG-Systems werden immer mehr Patienten in immer kürzerer Zeit aufgenommen und entlassen. Zudem sind die Patienten immer multimorbider. Entsprechend steigen zusätzlich zur Patientenanzahl der zeitliche und bürokratische Aufwand pro Patient.

Am extremsten lässt sich dieser Trend in den Notfallambulanzen beobachten. Bekanntermaßen sehen diese sich aus verschiedenen Gründen mit einer kaum noch zu bewältigenden Patientenzahl konfrontiert. Dies führt dazu, dass hier der Bedarf an Assistenzärzten wächst, ohne dass neue Stellen geschaffen würden. Entsprechend verlagert sich das Tätigkeitsfeld des jungen Chirurgen weg von Station und OP hin zur ambulanten Patientenversorgung. Statt der im Ausbildungskatalog geforderten sechs Monate verbringen viele Chirurgen mehrere Jahre in der Notfallambulanz.

Die steigende Zahl in der Chirurgie tätiger junger Eltern verkompliziert die Situation weiter. Denn prinzipiell ist dieser Trend zwar zu begrüßen, de facto bleiben die Kliniken jedoch eine dringend erforderliche Reaktion hierauf schuldig. Einerseits reißen Schwangerschaft und Elternzeit so zwangsläufig Löcher in die Operationskataloge junger Eltern. Andererseits leiden auch die Nicht-Eltern im Kollegium. Denn die Nacht- und Wochenenddienste sowie Fehlzeiten der Schwangeren und der jungen Eltern müssen von den verbliebenen Ärzten geschultert werden. Hierdurch entstehen immer wieder zusätzliche personelle Engpässe. Eine Strategie zur Überbrückung dieser Engpässe fehlt ebenso wie ein Konzept zur generellen Vereinbarkeit des Berufes mit dem Familienleben. Akzeptable Arbeitszeiten, tragfähige Teilzeitkonzepte und Kinderbetreuungsangebote sucht man an deutschen Kliniken weiterhin vergeblich.

Stattdessen wird der Personalmangel dadurch kompensiert, dass die wertvolle Arbeitskraft der wenigen Assistenzärzte nicht zu Ausbildungszwecken im Operationssaal, sondern auf den Stationen und in der Notfallambulanz eingesetzt wird. Entsprechend operiert der deutsche Assistent – trotz des höheren Patientenaufkommens – deutlich weniger als früher. Hat der junge Chirurg dann einmal das Glück im Operationssaal zu landen, so sieht er sich auch hier mit den Problemen der Rationalisierung konfrontiert. Denn die technisch immer komplexeren Eingriffe müssen in immer kürzerer Zeit durchgeführt werden. Die bislang einzige fragwürdige Reaktion auf das Dilemma ist das wachsende Angebot an digitalen OP-Trainings oder Simulationstrainern. Doch diese sind oft teuer und sollen außerhalb der Wochenarbeitszeit von 60 bis 90 Stunden absolviert werden.

In Anbetracht der geschilderten Umstände ist es äußerst fraglich, ob das gegenwärtige Ausbildungssystem junge Chirurgen handwerklich adäquat schult. Auf die steigende technische Komplexität und Variabilität der Eingriffe müsste mit einem zu- und nicht mit einem abnehmenden Einsatz im Operationssaal reagiert werden. Stattdessen sehen sich die künftigen Operateure mit den genannten Problemen konfrontiert und nähern sich oft erst nach ihrer sechsjährigen Ausbildung mühsam dem notwendigen manuellen Niveau an. Viele gute Assistenzärzte haben bis dahin das Fachgebiet verlassen und stehen für den Wettbewerb „Mensch gegen Maschine“ nicht mehr zur Verfügung.

Herrmann F: Ausbildung vor Robotik. Passion Chirurgie. 2018 Oktober, 8(10): Artikel 04_02.

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Dr. med. Falk Herrmann

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