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Lehrende aller Fakultäten und Disziplinen versuchen seit vielen Jahren, ihre Aus- und Weiterbildung an die sich stetig erweiternde digitale Welt und die sich ebenso wandelnden Ansprüche ihrer Auszubildenden anzupassen. Was nicht immer einfach umzusetzen ist, bietet dabei ein enormes Potenzial. Die Nutzung der immer vielfältigeren Medienwelt bietet verschiedene neue Zugangs- und Darstellungswege zu wissenschaftlichen Informationen, ermöglicht eine gruppenspezifische Aufarbeitung und nicht zuletzt das Einbringen von Kreativität in die ansonsten oft starren Gerüste wissenschaftlicher Informationsaufarbeitung.

Social Media im Allgemeinen

Gängige Definitionen beschreiben mit Social Media Anwendungen, die über das Internet zugänglich sind und welche die Vernetzung und Kommunikation zwischen Nutzer:innen sowie das Erstellen und Veröffentlichen von nutzergetriebenen Inhalten unterstützen [1]. Charakteristisch für soziale Medien ist, in Abgrenzung zu den klassischen Massenmedien, eine bidirektionale Kommunikation, sie sind interaktiv und zeichnen sich durch dynamische Inhalte aus.

Unter Social Media werden zahlreiche, vielseitigste Anwendungen eingeordnet, die sich nach Kaplan & Haenlein in mehrere Untergruppen gliedern lassen (siehe Abb. 2). Sogenannte Kollektivprojekte (z. B. Wikipedia, DocCheck) zeichnen sich durch einen kollaborativen Ansatz aus und werden gemeinsam durch mehrere Personen bearbeitet. Bei Content communities (z. B. YouTube, Podcasts) steht das Teilen von Medieninhalten zwischen verschiedenen Nutzer:innen im Vordergrund. Blogs und Mikroblogs (z. B. Twitter) repräsentieren die früheste Form von Social Media und können vielfältig, auch im medizinischen Bereich, eingesetzt werden. Eine Interaktion kommt hierbei in Form von Kommentaren zustande. Soziale Netzwerke werden aufgrund ihrer großen und stetig wachsenden Popularität im heutigen Sprachgebrauch häufig mit Social Media gleichgesetzt. Hier steht das Schaffen von Verbindungen und Teilen verschiedener Medien zwischen nutzergenerierten Profilen im Vordergrund. Soziale Netzwerke lassen sich privat (z. B. Facebook, Instagram), aber auch primär beruflich (z. B. LinkedIn, Xing) nutzen, wobei die Grenzen der Nutzung zunehmend verschwimmen. Ebenfalls als soziale Netzwerke werden mittlerweile auch Messengerdienste (z. B. WhatsApp, Siilo, Threema) eingeordnet. Einige Anbieter werben dabei mit strikten Datenschutzrichtlinien explizit auch um medizinisches Personal [2].

Die schillernde Welt der sozialen Medien wird im Social-Media-Prisma visualisiert, das nach amerikanischem Vorbild zuletzt 2018 für den deutschsprachigen Raum veröffentlicht wurde [4]. Es zeigt sich eine Vielzahl an Plattformen, die in vielfältiger Art auch im medizinischen und chirurgischen Umfeld von Nutzen sein können.

Social Media in der Medizin

Die Covid-Pandemie hat ungewollt, aber eindrücklich gelehrt, dass medizinische Lehre zumindest in Teilen auch online möglich sein kann und muss. Online-Unterricht für Studierende, Online-Weiterbildungen für Assistenzärzt:innen und Online-Kongresse für das gesamte medizinische Fachpersonal sind mittlerweile Alltag geworden. Neben der Nutzung zur Weiterbildung hat die Pandemie aber auch gezeigt, welchen großen Nutzen soziale Medien als Quelle wissenschaftlicher Information für die breite Bevölkerung haben können. Soziale Medien bieten dabei einen leichten und oft kostenfreien Zugang und ermöglichen die Eröffnung wissenschaftlicher Information auch für Nicht-Mediziner:innen. Aufgrund einer mangelnden Reglementierung insbesondere in den sozialen Netzwerken ist jedoch von einer hohen Gefahr durch Mis- und Desinformation auszugehen. Es sollte uns als medizinischem Fachpersonal daran gelegen sein, diesen Falschinformationen gut recherchierte und verständlich aufbereitete Informationen entgegenzusetzen.

Über die medizinische Lehre und Information der Bevölkerung hinaus können soziale Medien in vielerlei Hinsicht angewendet werden. Abbildung 2 zeigt exemplarisch einige dieser Anwendungsmöglichkeiten und soll dazu anregen, soziale Medien vermehrt in den medizinischen Alltag zu integrieren.

Ein besonderes Beispiel für gelungenen Wissenschaftsjournalismus über Social Media ist der zu Beginn der Covid-Pandemie ins Leben gerufene Podcast Das Coronavirus-Update von NDR Info mit Christian Drosten und Sandra Ciesek. Auf hohem wissenschaftlichen Niveau aufgearbeitete Informationen, die stetige Diskussion der aktuellen Studienlage, aber auch das Aufzeigen der Grenzen von Wissen und Berufsfeld begeisterten nicht nur medizinisches Personal, sondern erreichten die breite Bevölkerung. Mit Abrufen im dreistelligen Millionenbereich und zahlreichen Auszeichnungen, u. a. dem Grimme-Online-Preis, ist der Erfolg des Podcasts längst besiegelt [6].

Tab. 1: Klassifikation der Anwendungen, modifiziert nach Kaplan & Haenlein [3]

Kollektivprojekte

Wikipedia, DocCheck

Content Communities

YouTube, Podcasts

Blogs und Mikroblogs

Twitter

Soziale Netzwerke

Facebook, Instagram (privat); LinkedIn, Xing (beruflich); Messengerdienste (u. a. WhatsApp, Siilo, Threema)

Ein weiteres, Pandemie-unabhängiges Beispiel für ein gelungenes Kollektivprojekt im medizinischen Bereich ist die Plattform DocCheck. Sie bietet (neben weiteren Funktionen) mit dem DocCheck Flexikon ein medizinbezogenes Wiki, das durch registrierte Nutzer:innen (allesamt Angehörige von Heilberufen) gestaltet wird, aber der Allgemeinheit als Nachschlagewerk zugänglich ist. Durch die Einschränkung der Autor:innen auf medizinisches Personal und eine Rückmeldefunktion ist dabei eine bessere Kontrolle der Inhalte und ein Vermeiden von Falschinformationen möglich [7].

Abb. 1: Das Social-Media-Prisma [4]

Social Media in der Chirurgie

Chirurgische Fortbildung ist vielseitig und wird niemals durch reine Online-Schulungen ersetzt werden können, dafür sind die einzelnen chirurgischen Fachdisziplinen zu praxisbezogen und erfordern viel mehr als eine rein theoretische Wissensvermittlung. Nichtsdestotrotz bieten die sozialen Medien zahlreiche Möglichkeiten, unsere chirurgische Lehre zu erweitern und zu ergänzen [8].

Eins der – mit über einer Milliarde aktiven monatlichen Nutzern – weltweit größten sozialen Netzwerke ist die Plattform Instagram, auf der Bilder und Videos veröffentlicht und zwischen Nutzer:innen geteilt werden können. Über Hashtags ist eine thematische Vernetzung und Suche einzelner Inhalte möglich. Die Nutzung der Plattform für medizinische Zwecke ist vor allem bei anglophonen Inhalten längst etabliert, der Hashtag #surgery ist dabei mit 6,1 Millionen verlinkten Inhalten vertreten. Im deutschsprachigen Umfeld sind immerhin ca. 217.000 Inhalte unter #chirurgie markiert, Spitzenreiter der chirurgischen Fachdisziplinen ist dabei mit deutlichem Abstand die #plastischechirurgie [9]. Die Plattform Instagram lässt sich vielseitig nutzen, alle der in Abbildung 3 genannten Anwendungsmöglichkeiten können hier potenziell abgedeckt werden. Besonders geeignet ist die Plattform für Lehrvideos aller Art oder wissenschaftliche Kurzpräsentationen. Die Chirurgische Arbeitsgemeinschaft Junge Chirurgie veröffentlicht beispielsweise regelmäßig das paper of the month, in dem ausgewählte, für die Weiterbildung relevante Papers in kurzen Slides für Instagram aufgearbeitet werden [10].

Abb. 2: Anwendungen von Social Media im medizinischen Bereich [5]

Wie bereits erwähnt, haben auch Podcasts längst Einzug in die medizinische Welt gehalten. Durch flexible Abrufbarkeit und häufig kostenfreien Zugriff erschließt sich eine große Hörerschaft, allerdings ist die Produktion im Vergleich zu reinen Bildmedien häufig mit höheren Kosten und zum Teil erheblichem Aufwand verbunden. Dennoch ist die Nutzung von Podcasts sehr reizvoll, da hierüber eine besonders detaillierte Themenbehandlung möglich ist. Durch Nutzung von Interviewformaten können wissenschaftliche Diskussionen geführt werden und chirurgische Vorreiter:innen zu Wort kommen. Beispiele für bereits bestehende Podcasts aus den chirurgischen Verbänden sind der Podcast CAJC fragt … der Chirurgischen Arbeitsgemeinschaft Junge Chirurgie oder die im Juni 2022 ins Leben gerufene, zweiwöchentlich erscheinende Podcastreihe Surgeon Talk des BDC [11, 12].

Diskussion

Soziale Medien erreichen durch einen freieren Zugang ein breiteres und diverseres Publikum als klassische Massenmedien. Durch die Vielfalt verschiedener Medien ist eine zielgruppenspezifische Aufarbeitung möglich, die Übermittlung wissenschaftlicher Inhalte kann dabei gemeinsam mit dem persönlichen Austausch in einem Medium erfolgen. Durch diesen Austausch haben wir die Chance, unsere Arbeit für Nachwuchskräfte realistischer darzustellen und Hürden und Lösungsstrategien niedrigschwelliger zu kommunizieren. Darüber hinaus ist eine verzögerungsarme Kommunikation und Diskussion neuer wissenschaftlicher Entwicklungen möglich. Außerdem können wir über soziale Medien unsere wissenschaftlichen Netzwerke weiter ausbauen und so eine Ergänzung zum persönlichen Kontakt bei Kongressen schaffen [13].

Bei allen Vorteilen und Möglichkeiten, die soziale Medien bieten, ist es wichtig, Nachteile und Gefahren zu beleuchten, die sich insbesondere bei der wissenschaftlichen Nutzung dieser Medien ergeben. Ein bereits angesprochener, zentraler Kritikpunkt ist sicherlich die häufig nicht gegebene Überprüfbarkeit wissenschaftlicher Informationen. Möchte man den Standard wissenschaftlicher Publikationen im Sinne von Peer-Review-Verfahren anlegen, gibt es in den modernen sozialen Medien noch enormen Nachholbedarf. Die Vielzahl der zur Verfügung stehenden Informationsquellen ist unübersichtlich und es bedarf einer hohen Medienkompetenz, um fundierte wissenschaftliche Quellen von weniger evidenzbasierten zu unterscheiden. Zudem ist die Kennzeichnungspflicht von Sponsorings nur uneinheitlich und lückenhaft geregelt. Bei der Nutzung sozialer Medien ist es daher ebenso wichtig, etablierte Verhaltensregeln zu Schweigepflicht, Datenschutz und Professionalität streng zu befolgen [14].

Insgesamt sollten wir uns als Chirurg:innen und Mediziner:innen in der Pflicht sehen, wissenschaftlich fundierte Informationen zu präsentieren und uns Diskussionen zu medizinischen Themen zu eigen zu machen, um Misinformation einzudämmen. Wir sollten uns dafür einsetzen, dass Kontrollgremien insbesondere für die wissenschaftliche Nutzung sozialer Medien etabliert werden, die die Deklarierung von Sponsorings und Interessenskonflikten äquivalent zur gängigen Praxis in wissenschaftlichen Journals und Vorträgen durchsetzen. Zuletzt sollten wir stetig daran arbeiten, Wissenschaftler:innen und wissenschaftlichen Nachwuchs im Umgang mit sozialen Medien zu schulen, um den größtmöglichen Nutzen aus diesen ziehen zu können.

Literaturempfehlung

Matthew P Fox et.al., Will Podcasting and Social Media Replace Journals and Traditional Science Communication? No, but…, American Journal of Epidemiology, August 2021

Die Literaturliste erhalten Sie auf Anfrage via [email protected].

Kommentar

Prof. Dr. med. Wolfgang Schröder, FACS, FEBS
Leiter der Deutschen Akademie für chirurgischeFo rt- und Weiterbildung
Berufsverband der Deutschen Chirurgie e.V.

Fluch oder Segen – diese Frage stellt sich allen, die versuchen zu verstehen, auf welchem Wege Social Media zunehmend das Lernverhalten überwiegend junger Chirurgen:innen beeinflussen und welche Chancen aber, auch Risiken in der Digitalisierung der chirurgischen Fort- und Weiterbildung bestehen. Den Traditionalisten sei zur Beruhigung gesagt: Auch auf absehbare Zeit wird das Fach Chirurgie letztendlich am OP-Tisch gelehrt und erlernt und keiner der Jungen Wilden, der Chirurg oder Chirurgin werden will, wird dies bestreiten. Alles aber darüber hinaus, was ebenfalls notwendig ist, unser anspruchsvolles Fach sicher zu beherrschen, ist im Fluss und steht zur Disposition. Dabei geht es weniger um Inhalte, sondern um die Art des Wissenstransfers.

In ihrem Beitrag gibt Hannah Rasel, chirurgische Assistenzärztin an der Uniklinik Mainz, einen respektablen Überblick, wie verschiedene Anwendungen der Social Media in chirurgischer Fort-und Weiterbildung eingesetzt werden können, geht aber auch kritisch auf zentrale Fragen dieser Applikationen ein. Wer überprüft und gegebenenfalls korrigiert überhaupt die hochgeladenen Inhalte auf ihre medizinisch-wissenschaftliche Evidenz und verhindert, wie in anderen gesellschaftspolitischen Bereichen üblich, gezielte Desinformation? Wer ist verantwortlich für die Umsetzung der strengen Datenschutzrichtlinien? Nicht zuletzt ist für alle Anbieter die Frage der Finanzierung zunehmend relevant, da der größte Teil der Inhalte kostenfrei angeboten wird, aber nicht unerhebliche Kosten in der Produktion verursacht.

Es ist unstrittig: Digitale Angebote müssen bei ungebremst steigenden User-Zahlen der Social Media in Fort- und Weiterbildung weiter ausgebaut werden. Aber mit Augenmaß, denn auch hier ist das letzte Wort noch nicht gesprochen, wie ein aktueller Beitrag der FAS vom 15. Januar 2023 („Der Crash der sozialen Netzwerke“) bemerkt: „Früher musste man bei Facebook sein, heute ist keine Plattform mehr unverzichtbar.“

Korrespondierende Autorin:

Hannah Rasel

Chirurgische Arbeitsgemeinschaft Junge Chirurgie der DGAV;

Assistenzärztin der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie der Universitätsmedizin Mainz

Langenbeckstraße 1

55131 Mainz

[email protected]

Dr. Christian Geis

Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Thoraxchirurgie

Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz

Rübenacher Straße 170

56072 Koblenz

PD Dr. Kim C. Honselmann

Klinik für Chirurgie

Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck

Ratzeburgerallee 160

23538 Lübeck

Chirurgie+

Rasel H, Geis C, Honselmann KC: Chirurgische Fortbildung im digitalen Zeitalter – Social Media & Co. Passion Chirurgie. 2023 März; 13(03): Artikel 04_03.

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