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Erbil

Stadt und Provinz Erbil wurden zwischen 2112 und 2004 v. Chr erstmals unter dem Namen Orbilem oder Erbilem erwähnt. Erbil – in den assyrischen Texten als Aria-Ilo oder Arba-Ilo bezeichnet – bedeutet übersetzt so viel wie „vier Götter“. Die Stadt Erbil zählt zu den ältesten noch heute bewohnten Städten der Welt, da sie seit etwa 6000 v. Chr. besiedelt wurde.

In Erbil leben verschiedene ethnische Gruppen zusammen: Laut Informationszentrum der UNO in Erbil wird der Anteil der Kurden auf 98,5 Prozent und der Assyrer auf 1 Prozent geschätzt, während die übrigen Ethnien heute etwa 0,5 Prozent ausmachen. [1]

Die Geschichte der Stadt Erbil ist mit ihren Zitadellen verbunden, die die Basis der Besiedlung Erbils darstellen. Ihre Wurzeln liegen tief in der Geschichte der assyrischen Zeiten. Die Stadt erlebte einige wenige Epochen der Blüte, von denen die letzte noch andauert. So gesehen kann die Geschichte Erbils in drei blühende Epochen eingeteilt werden[2]

Erste Epoche (705-681 v.Chr.): Erbil war eine militärische Stadt der Assyrer und gleichzeitig das Zentrum der mesopotamischen Gottheit Aschtar im Nordirak.

Zweite Epoche (1167-1233 n.Chr.): Als eine der ältesten Städte des Irak mit einem reichen kulturellen Hintergrund war Erbil zu dieser Zeit ein wichtiges Herrschaftszentrum. Unter der Herrschaft von Muzaffar ad-Din Kawkabry blühten die Wirtschaft und die Wissenschaft auf.

Dritte Epoche (ab 1921): In dieser Epoche wurde der Irak als ein souveräner Staat anerkannt und der Nordirak als kurdische autonome Region definiert. Die Stadt Erbil ist die Hauptstadt der heutigen föderalistischen Region des Iraks. Neuerdings erlebt Erbil einen starken Aufschwung in demographischer, sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht sowie in ihrer städtebaulichen Struktur.

Entsprechend der historischen Entwicklungen im Zweistromland, das über Jahrtausende von einer deutlich dichotomisierten Gesellschaft – einerseits urbane Zentren, andererseits rurale Bevölkerungen – geprägt war, ist es nicht verwunderlich, dass sich auch die heutigen Kurden in diese beiden Substrate unterteilen lassen. Einerseits gibt es also eine gebildete urbane Schicht, die offen für moderne politische Ideologien ist, während andererseits die rurale Basis von einem starken tribalen Milieu geprägt ist, das sich gegen jegliche Einmischung durch eine zentrale Regierung stemmt. Die beiden Schichten sind allerdings nicht voneinander getrennt. [3]

Wie kommt man als Arzt in den Irak?

Diese Frage werden Sie, liebe Leser, sich sicherlich stellen, wenn Sie die Überschrift dieses Erfahrungsberichtes lesen. Meinen ersten Flug nach Erbil habe ich einem Kollegen aus dem Libanon zu verdanken, welcher in unser Zentrum kam, auf der Suche nach einer weiblichen Urogynäkologin. So wirklich ernst genommen habe ich diesen Ausflug in eine völlig andere Welt zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Mal sehen was da so los ist…

OEBPS/images/02_04_A_02_2013_Erbil_image_01.jpgAbb. 1: German-Kurdish Medical Centre Erbil

Aus dem einen Mal sind nun regelmäßige Einsätze geworden. Inzwischen fliege ich nicht mehr allein, sondern mit dem gesamten Team des Interdisziplinären Beckenbodenzentrums/IBBZ (Proktologe, Plastischer Chirurg, Urologe, Gynäkologin, Urogynäkologin, Neurochirurg sowie Arzthelferinnen/Krankenschwestern).

OEBPS/images/02_04_A_02_2013_Erbil_image_02.jpgAbb. 2: Das Team des German-Kurdish Medical Centre Erbil

Wir alle arbeiten im‚ „German-Kurdish Medical Centre Erbil“ – die Idee eines Exilirakers, Basim Izac Hermes, welcher nach 29 Jahren Exil aus London zurückgekehrt ist. Seine restliche Familie lebt in Schweden, sein Vater war der Konkurrent von Sadam Hussein.

Inzwischen haben wir dieses Zentrum nach deutschen Krankenhausstandards eingerichtet, haben Mitarbeiter aus der Stadt gefunden, die uns in der ambulanten Tätigkeit unterstützen. Es gibt eine Telekommunikation zwischen dem German-Kurdish Medical Centre Erbil und dem IBBZ Berlin via Internetvideofonie. Die Operationen in Erbil werden in einer Privatklinik unweit des Zentrums unter schwierigsten hygienischen und technischen Bedingungen durchgeführt.

Wenn wir Fachärzte des IBBZ Berlin in Erbil eintreffen – man fliegt mit Austrian-Airline oder Lufthansa direkt nach Erbil – stehen bereits viele Menschen in Schlangen vor dem Zentrum. Die Patienten kommen bis aus Bagdad (1000 km Entfernung), um sich Hilfe zu holen.

Die häufigsten Vorstellungen sind „Veroperierte Patienten“ – mehrfache Hypospadiekorrekturen bei Kindern, fortgeschrittene Karzinome ohne adäquate Behandlung, Sterilität häufig als Folge einer Azospermie, Verbrennungen aus dem Krieg, Patienten nach Unfällen mit Tetra- oder Hemiplegie, die keine Akuthilfe bekommen konnten, männliche Patienten mit Dauerkatheter bei vorliegender Prostatahyperplasie, häufig Uretha- oder Ureterstenosen nach schlecht durchgeführten Eingriffen oder Steinanamnesen, Schussverletzungen mit undenkbaren Begleitfolgen, welche wir hier in Deutschland nie sehen würden.

OEBPS/images/02_04_A_02_2013_Erbil_image_03.jpgAbb. 3: Moderne Einrichtung (Behandlungszimmer) durch das IBBZ Berlin

Es stellen sich aber immer häufiger auch ganz normale Patienten wegen Harninkontinenz, Analinkontinenz oder einer -Senkung, Patienten mit Hernien, Gallensteinen oder Patienten zur Fettabsaugung oder Operation zur Beseitigung einer Faszialisparese oder eines Möbius-Syndroms vor. Die Menschen in Erbil sind sehr aufgeschlossen, meist sehr gut ausgebildet und damit sehr differenziert. Es ist also kein Problem, über Krankheiten und Tabuthemen zu sprechen, was ja selbst in Deutschland für den Bereich z. B des Beckenbodens doch häufig noch nicht so gut möglich ist.

OEBPS/images/02_04_A_02_2013_Erbil_image_04.jpgAbb. 4: Warteraum

Leider ist das Gesundheitssystem im Irak sehr schlecht strukturiert. Die Ärzte verdienen an Medikamenten und Laborleistungen. Demzufolge kommt jeder Patient in unser Zentrum mit diversen, verschriebenen Medikamenten und unzähligen Laboruntersuchungen für nicht relevante Parameter. In den hiesigen, irakischen Gesundheitszentren sitzen häufig auf nur wenigen Quadratmetern mehrere Ärzte in einem Raum und behandeln zwei bis drei Patienten gleichzeitig. Zeit für Untersuchungen und zum Sprechen bleibt da häufig nicht. Es zählt nur das Geldverdienen.

OEBPS/images/02_04_A_02_2013_Erbil_image_05.jpgAbb. 5: Behandlungszimmer mit der Gynäkologin Dr. Schauer

Die medizinischen Bedingungen im German-Kurdish Medical Centre Erbil sind nicht vergleichbar mit denen hier in Deutschland.

Das offizielle regionale Gesundheitssystem im kurdischen Irak befindet sich in einer eindeutig feststellbaren Entwicklung, allerdings auch in einem schwer kontrollierbaren, chaotischen und von Konkurrenz geprägten Zustand.

Eine Krankenversicherung gibt es im Land nicht, jeder bezahlt seine Behandlung selbst. Wer das Geld für eine Chemotherapie nicht aufbringen kann, der stirbt.

Das Ziel des German-Kurdish Medical Centre Erbil ist der Aufbau eines eigenen kleinen Operationssaales, zehn stationären Betten in diesem Zentrum, mit Bedingungen, die annähernd so sind, wie hier in Europa.

Einige Sponsoren und Investoren konnten wir inzwischen finden, jedoch bleibt das Projekt Erbil nach wie vor spannend. Wenn Sie Mut haben und neugierig geworden sind, dann laden wir Sie zu einem Besuch in unser neues, kleines Zentrum im Irak ein und/oder zu unserem nächsten Interdisziplinären Beckenbodenkongress (IBK) 2013 in Berlin, auf dem Sie auch Mitarbeiter und Künstler aus der Region Erbil erleben können.

Über finanzielle oder aktive medizinische Unterstützung würde sich das Team des IBBZ Berlin sehr freuen.

Literatur

[1] JHIC (United Nations Joint Humanitarian Information Center). 2002. Erbil, Dahuk, Sulaymaniyah: Rapid Diestrict Summaries, (Vol.1). Erbil: JHIC.

[2] AL-HAIDARY, A.A. 2002. (In arabischer Sprache:) Soziale und demographische Spuren der Zunahme der Urbanisierung im Irak- Provinz Erbil als Beispiel. (Diss. Universität Tunesien: Human-und sozialwissenschaftliche Fakultät). Ohne Ortsangabe.

[3] BRUINESSEN, M.M.VAN: 1989. Agha, Scheich und Staat: Politik und Gesellschaft Kurdistand. Berlin: Edition Parabolis.

Weiterführende Informationen
Interdisziplinäres Beckenbodenzentrum (IBBZ) Berlin
IBBZ in Erbil/Irak

Hermez B. I. / Gauruder-Burmester A. Das Interdisziplinäre Beckbodenzentrum Berlin in Erbil/Irak. Passion Chirurgie. 2013 Februar; 3(02): Artikel 02_04.

Autoren des Artikels

Profilbild von Annett Gauruder-Burmester

PD Dr. med. Annett Gauruder-Burmester

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Basim Izac Hermes

Leiter Deutsch-Kurdisches Zentrum ErbilBrayati - 100m St - 731/8/195 kontaktieren

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