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Das Interesse am Ernährungszustand onkologischer Patienten und an der Alimentation als Modul in der Tumorbehandlung wächst. Der schleichende Paradigmenwechsel im Ernährungsbewusstsein unserer Gesellschaft hat offenbar auch die Versorgungsmedizin erreicht. Grund mag sein, dass sich die Patienten, vor allem die jüngere Generation, zunehmend mit den unterschiedlichen Kostformen auseinandersetzen, auch dass es immer mehr valide, öffentlichkeitswirksam bewertete Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung und der Ökotrophologie gibt. Diese haben eine sich rasant entwickelnde Neubewertung der Rolle unserer alltäglichen Nahrung bei der Entstehung, Bewältigung und dem Verlauf der meisten Erkrankungen, vor allem in der Onkologie, in Gang gesetzt. Eingedenk der über Jahrtausende bestehenden Erstrangigkeit der Diätetik in der Traditionellen Chinesischen bzw. Ayurvedischen Medizin, mag es wenig überraschen, wenn heute dem Kernsatz „Nur die Einbeziehung der Ernährung macht zukünftige Medizin leistbar“ auch bei uns nicht mehr widersprochen wird. „Krebs ist eine vermeidbare Krankheit!“ Diese pointierte Aussage von Claus Leitzmann ist hoch aktuell und bedeutet, dass jeder täglich dazu beitragen kann, sein persönliches Krebsrisiko und das seiner Patienten zu senken. Es ist eigentlich nahe liegend, dass krebsauslösende Faktoren ab der Diagnosestellung vermieden und ausgeschaltet werden sollten.

“Krebs ist eine vermeidbare Krankheit!”

Wie valide sind wissenschaftliche Daten aus dem Zusammenhang zwischen Ernährung und Erkrankungen?

In einer auf evidenzbasierten Daten ausgerichteten medizinischen Versorgung haben es die Untersuchungen gesundheitlicher Auswirkungen im Zusammenhang mit Ernährungsgewohnheiten besonders schwer. Breit gestreute körperlich-konstitutionelle, kulturelle und gesellschaftliche Ausgangssituationen bzw. Rahmenbedingungen, besondere Individualität und Langzeiteinflüsse verschiedenster Ernährungsgewohnheiten machen aussagekräftige und belastbare kontrolliert randomisierte Studien nahezu unmöglich. Ferner liefern epidemiologische Studien selten wirklich robustes Datenmaterial, weil sie auf die subjektive Selbsteinschätzung der Probanden nicht verzichten können, was allenfalls und nur bedingt durch enorm große Zahlen kompensierbar ist. Desweiteren gehen große qualitative Unterschiede der Nahrungs- und Lebensmittel, ihre unterschiedlichste Verarbeitung und Zubereitung ganz entscheidend zu Lasten der Vergleichbarkeit.

Zusammenhang zwischen Krebserkrankung und Ernährung?

Alle Bedenken gegen die wissenschaftliche Validität in der Ernährungsforschung können dennoch die Erkenntnis kaum entkräften, dass Ernährungsgewohnheiten sehr bedeutsam für unsere Gesundheit sind und einen besonderen Einfluss auf Entstehung und Verlauf von zahlreichen Erkrankungen, also auch von Malignomen, haben.

Nahrung tierischen Ursprungs

Der regelmäßige Verzehr von Fleisch und ganz besonders von verarbeitetem Fleisch und Wurstwaren ist mit einem erhöhten Krebsrisiko verbunden. In der unter dem Titel „China Study“ publizierten Metaanalyse, die wohl weltweit größte ernährungsmedizinische Zusammenstellung vieler auch langzeit-epidemiologischer, klinischer und tierexperimenteller Studien, haben TC Campbell et al. (2006), trotz einiger methodischer Schwächen, eindrucksvoll belegen können, dass eine betont vegetabile Kostform bei Entstehung und Verlauf vieler, auch maligner Erkrankungen eine sehr wichtige protektive und besonders auch therapeutische Rolle spielt. Danach kommen in Regionen und Kulturen, die auf tierische Nahrungsbestandteile weitestgehend verzichten, kaum Krebserkrankungen vor. Dagegen steigt nach Wohnungswechsel in „omnivore“ Regionen mit dem veränderten Ernährungsverhalten das Krebsrisiko regionaltypisch an. So treten die hormonaktiven Karzinome von Prostata, Mammae und Ovarien besonders häufig im Zusammenhang mit dem Konsum von Milchprodukten auf, wobei nach tierexperimentellen Erkenntnissen dem Kasein eine herausragende Rolle zukommt. Die dominante karzinogene Bedeutung der Alimentation mit tierischen Nahrungsbestandteilen und stark verarbeiteten Nahrungsmitteln wird im aktualisierten Report des World Cancer Research Fund (WCRF) zusammen mit dem American Institute of Cancer Research (AICR) eindrucksvoll bestätigt.

Zucker

Zucker ist in den letzten Jahren zunehmend als starker kanzerogener Risikofaktor identifiziert worden. Die Nahrungszusammensetzung hinsichtlich Anteil und Qualität von Kohlenhydraten und Fetten hat nicht nur einen wesentlichen Einfluss auf die Inzidenz und den Verlauf einer Krebserkrankung, sondern auch maßgeblich auf den Therapieerfolg. Kohlenhydrate, die zu einem schnellen und starken Anstieg des Blutzuckerspiegels führen (hoher glykämischer Index, hohe glykämische Last) und als Folge dessen eine Ausschüttung von Hormonen (Insulin) und Wachstumsfaktoren (Insulin-like-Growth-Factor-1 /IGF-1) induzieren, rücken dabei immer mehr in den Mittelpunkt der Krebsforschung. Bei mehr als 1,2 Million Probanden konnte gezeigt werden, dass ein erhöhter Nüchternblutzuckerspiegel die Inzidenz von Krebs erhöht. Zhou et al. 2010 belegen, dass Menschen mit erhöhtem Blutzuckerspiegel (Prädiabetes und Diabetes) vermehrt an Krebs erkranken und dass die Todesrate durch Krebs direkt mit der Höhe des Blutzuckerspiegels korreliert. Eine internationale Studie hat nachgewiesen, dass die Aufnahme von Zucker/Kohlenhydraten mit einem erhöhten Risiko der Entstehung von Brustkrebs bei Frauen mit Rezeptorstatus ER(-) und ER(-)/PR(-) in der Menopause assoziiert ist. Zudem konnte deutlich gemacht werden, dass hohe IGF-1-Blutspiegel mit dem Auftreten von Östrogenrezeptor-positiven Brusttumoren prä- und postmenopausal und Schilddrüsenkrebs korrelieren. Daraus kann geschlossen werden, dass sowohl erhöhte Blutzuckerspiegel selbst, als auch die resultierenden erhöhten Insulin- und IGF-1-Werte mit gehäuftem Auftreten von Krebs assoziiert und für den Verlauf der Erkrankung mit bestimmend sind.

Fette

Auch die Art der alimentären Fette hat einen signifikanten Einfluss auf das Krebsrisiko und den therapeutischen Ausgang der Tumorbehandlung. Eine vermehrte Aufnahme von Omega-3-Fettsäuren (z.B. Leinöl) und die damit verbundene Verbesserung des Verhältnisses von Omega-3- zu Omega-6-Fettsäuren, wie beispielsweise bei pflanzlichen Lipiden, senkt das Brustkrebsrisiko signifikant. Das Fettprofil bei tierischen Nahrungsprodukten wird jedoch auch von der Art der Tierhaltung und Fütterung bzw. von Art und Intensität von Verarbeitung und Zubereitung bestimmt. Transfettsäuren in verarbeiteten Produkten und glykolisierte Proteine entstehen beim starken Erhitzen von tierischen Nahrungsmitteln und Fetten und sind insgesamt mit erhöhtem Krankheitsrisiko verbunden.

Eine weitere Rolle bei der Risikoentstehung durch Fleisch- und Wurstkonsum spielt das Eisen, in diesem Falle das Häm-Eisen. Der Verzehr von rotem Fleisch (Rind, Schwein, Schaf, Ziege) ist wahrscheinlich vor allem aufgrund des Häm-Eisen Gehaltes mit einem erhöhten Risiko für Dickdarmkrebs verbunden.

Gentechnisch verarbeitete Nahrungsmittel

Die Auswirkungen gentechnisch veränderter Nahrungsbestandteile, meist in stark verarbeiteten Nahrungsmitteln, werden sehr kontrovers diskutiert. Wie die Pusztai-Affäre 1999 zeigte, kann in den Disputen nach wie vor der Verdacht nicht ausgeräumt werden, dass der Druck der Wirtschaft auf die Wissenschaft enorme Interessenskonflikte auslöst, eine beherrschende Rolle spielt und die wissenschaftliche Validität hinsichtlich der Unbedenklichkeit stark zu beeinträchtigen scheint.

Es gibt schon seit den 90er Jahren sehr valide Hinweise bei Tieren, dass es in der ersten Konsumgeneration zu manifesten Organveränderungen kommen kann, Untersuchungsergebnisse an Konsumenten sind zwischen Vermutungen, Behauptungen und bewertbaren Daten jedoch nur schwer differenzierbar. Solange keine wirklich unabhängigen und reproduzierbaren Unbedenklichkeitsnachweise in-vivo und in-vitro vorgelegt werden können, sollte die angebliche Harmlosigkeit und der fehlende Zusammenhang mit Malignomen weiter hinterfragt werden dürfen.

Was aus dem Labor kommt

Was aus dem Labor kommt, sind und bleiben unnatürliche Produkte. Sie nehmen zu mit der industriellen Verarbeitung von Nahrungsmitteln und Getränken: als Farbstoffe, Aromen, Geschmacksverstärker, Stabilisatoren, Konservierungsmittel und anderes mehr. Die Grenzwertbestimmung und Risikobewertung als Nahrungsmittelzusätze findet zwar behördlich statt, stützt sich allermeist auf kaum valides Datenmaterial und berücksichtigt nicht Langzeitwirkungen. Zudem wird nur immer das untersucht, wonach gefahndet wird. Eine lückenlose Beschreibung der verarbeiteten Nahrungsprodukte findet immer nur auf der Grundlage der Deklarationspflicht statt, d. h. längst nicht alle Zusätze sind vom Verbraucher nachvollziehbar. Die gesetzlichen Bestimmungen zur Herstellung und Verarbeitung von Nahrungsmitteln hinken den rasanten Entwicklungen (Beispiel: Gen- und Nano-Technologie) weit hinterher, sodass eine eindeutige und lobby-unabhängige Risikobewertung, vor allem hinsichtlich der Karzinogenese, kaum stattfinden kann.

Die Mikroben

Mikroben sind bekanntlich unsere wichtigsten Bewohner (ca. 1 bis 2 kg des Körpergewichtes) und werden heute oft schon als eigenes Körperorgan betrachtet. Aus jüngsten Untersuchungen geht hervor, dass sie nicht nur entscheidende Immunmodulatoren sind, sondern auch ganz wesentlich Einfluss nehmen können auf unsere Individualität, einschließlich der vegetativen und psychischen Verfassung. Wir verfügen über ein hochkomplexes System, dessen Zusammenhänge und Bedeutungen hier nur sehr simplifiziert und verkürzt dargestellt werden können. Unser gastrointestinales Mikrobiom zu verändern bedeutet, dass sich unser Erkrankungsrisikoprofil verändert und dies betrifft eben auch die Krebserkrankungen. Nahrungsmittel, die das gastrointestinale Milieu verändern, verändern nicht nur die Oberfläche der Schleimhäute, sondern auch die Mikrobenpopulation sowohl qualitativ als auch quantitativ. Nehmen beispielsweise die für uns gesunden H2O2-produzierenden Laktobazillen (L. acidophilus) ab, nehmen andere H2O2-empfindliche, für uns ungünstige Bakterien zahlenmäßig und qualitativ zu. Unsere Nahrung, und besonders die der schwer Erkrankten, sollte daher darauf ausgerichtet sein, ganz im Interesse eines immunmodulierenden psychovegetativen Gleichgewichts das physiologische Mikrobiom im Gleichgewicht zu erhalten. Die Antibiotikatherapie hat selbsterklärenderweise ebenso wie eine Vielzahl von Nahrungsmittelzusätzen einen ungünstigen Einfluss auf die bakterielle Zusammensetzung. Ihre unter Umständen folgenreichen Auswirkungen sollten daher möglichst rasch mit einer gezielten prä- und probiotischen Behandlung ausgeglichen werden. Grundsätzlich unterstützt nach jüngsten Untersuchungen eine ballaststoff-, spurenelementreiche, an unverarbeiteten Vitaminen reichhaltige und auf eine basische Stoffwechsellage ausgerichtete Ernährung, nicht nur das Mikrobiom in seinem labilen Gleichgewicht, sondern auch in seinen Möglichkeiten, die kanzerogenen Vorgänge im gesamten Körper zu begrenzen, wenn nicht gar zu verhindern.

Zusammenfassend

Die Ernährung spielt offenbar eine wichtige Rolle bei der Entstehung, Rezidivbildung und Metastasierung, ist wahrscheinlich sogar „Rezidivmodulator“. Eine kohlenhydratreiche Ernährung (mit hohem glykämischem Index und hoher glykämischre Last) führt zu einer signifikant erhöhten Rezidivrate. Mit einer den Blutzuckerspiegel stabilisierenden Ernährung kann der Anstieg des Insulins und des IGF-1 gehemmt werden, wodurch der Wachstumsstimulus für Krebszellen abgebremst wird. Diese Erkenntnisse können Krebspatienten heute nutzen und davon profitieren. Dagegen erhöht fettreiche Nahrung, insbesondere die mit tierischen Fetten, das Krebserkrankungs- und Rezidivrisiko ebenfalls. Inwieweit gen- und nanotechnische Veränderungen an den Nahrungsmitteln eine riskante Rolle spielen, ist abschließend nicht geklärt, aber keinesfalls ausgeschlossen. Ein gesundes gastrointestinales Mikrobiom scheint nach neuesten Erkenntnissen aber von äußerst hochrangiger Bedeutung, auch wenn die Komplexität dieser „eigenen Welt“ noch nicht vollständig aufgeklärt ist.

Mangelernährung als Risikofaktor in der Chirurgie

Der Ernährungszustand und die körperliche wie psychische Leistungs- und Funktionsfähigkeit sind anerkanntermaßen ein Risiko-, Ergebnis- und Komplikationsfaktor für tumorchirurgische Maßnahmen sowie der daran anschließenden intensivmedizinischen Betreuung. Immerhin sind laut DGEM-Studie (2006) 38 % der stationären Krebspatienten mangelernährt, was einen nachweisbaren Einfluss auf Morbidität, Mortalität, Erholungszeit und somit auf die Behandlungskosten hat.

Ursachen eines Nahrungsmangels sind die gestörte Nahrungsaufnahme und häufig Nebenwirkungen der onkologischen Behandlung. Aber auch Schmerzen, Angstreaktionen, psychische Belastungen, gastrointestinale Symptome (z. B. Übelkeit, Erbrechen, Tenesmen, Diarrhoe u. a.), Geruchs- und Geschmackstörungen. Über die eigentlichen Ursachen wird noch immer spekuliert, aber es ist denkbar, dass auch bei diesen Phänomenen das gastrointestinale Mikrobiom eine Rolle spielen dürfte.

In den aktuellen Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM), der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) und der European Society of Parenteral and Enteral Nutrition (ESPEN) wird nahe gelegt, bei allen Tumorpatienten präoperativ den Ernährungszustand zu erfassen, indem neben dem Body-Mass-Index (BMI) auch – vor allem bei älteren Patienten – das Mini Nutritional Assessment (MNA) und/oder das Subjective Global Assessmement (SGA) eingesetzt wird. Ziel ist eine praktikable, wenn auch in der Verlaufsbeobachtung nur schwer vergleichbare Einschätzung.

Tab. 1: Kriterien für das Subjective Global Assessmant (SGA)

Bereiche

Gewichtsveränderungen

Nahrungszufuhr

Gastrointestinale Symptome

Leistungsfähigkeit

Erfassung des metabolischen Bedarfs

Grunderkrankung

Körperlicher Untersuchungsbefund

Verlust an subkutanem Fettgewebe

Muskelschwund

Vorliegen von Ödemen oder Aszites

Klassifizierung

SGA A: gut ernährt

SGA B: mäßig mangelernährt bzw. mit Verdacht einer Mangelernährung (Gewichtsverlust von mind. 5%). Reduzierte Nahrungsaufnahme, geringer Verlust an subkutanem Fett

SGA C: schwer mangelernährt (anhaltender Gewichtsverlust mit Gewichtsabnahme > 10% des Körpergewichts

Nach diesen Leitlinien gilt, dass bei Vorliegen einer schweren Mangelernährung, die gleichbedeutend mit einem hohen ernährungsmedizinischen Risiko gleichzusetzen ist, vor der Operation eine zielgerichtete Ernährungstherapie über 10 bis 14 Tage durchgesetzt (Grad A of recommendation) werden sollte. Ein hohes ernährungsmedizinisches Risiko ist anzunehmen, wenn entweder eine Gewichtsabnahme zwischen 10 % bis 15 % innerhalb der letzten sechs Monate entstanden ist, der BMI (Body-Mass-Index) unter 18,5 kg/m2 liegt, das Screening-Ergebnis (SGA Grad C oder NRS = oder >3) auf eine starke Beeinträchtigung schließen lässt oder das Serumalbumin <30 g/l (bei fehlenden Anzeichen einer hepatischen oder renalen Dysfunktion) liegt.

Tab. 2: Vor- und Nachteile und Nachteile von MNA und SGA (nach DGE, 2009)

MNA

SGA

Vorteile

speziell für Ältere entwickelt
Schnell, einfach, kosteneffektiv
Leicht erlernbar
Nicht invasiv
Geeignet für frühzeitige Erkennung gefährdeter bzw. mangelernährter Patienten


Einfache Anwendung, schnell, kostengünstig
Leicht erlernbar
Nicht invasiv
Ergebnisse sofort verfügbar

Nachteile

Vermischt verschiedene Bereiche im Gesamtscore
Risiko, dass Interventionsmaßnahmen aufgrund des Gesamtscores symptomatisch und nicht ursachenorientiert erfolgen
Nicht alle möglichen Ursachen werden berücksichtigt, quantitativer Aspekt der Nahrungsaufnahme wird nur eingeschränkt erfasst
Formulierung der Fragen nicht immer eindeutig
Fragen zur Selbsteinschätzung bei u.a. geistig verwirrten Personen nicht möglich

Nicht geeignet für Verlaufsuntersuchungen
Geringfügige Mangelernährung wird eventuell nicht erkannt
Geringe Verbreitung von Schulungsmaterial

Um unter der erkrankungsbedingten immunologischen Schwächung eine nosokomiale Infektion zu vermeiden, sollte die präoperative Ernährungsmaßnahme möglichst ambulant bzw. unter häuslichen Bedingungen erfolgen. Sie besteht aus einem in Stufen aufgebauten individualisierten Ernährungsplan mit einer vorwiegend oralen Ernährung, die mit Nährstoffen angereichert werden kann, aber nur ausnahmsweise durch eine hochkalorische enterale oder parenterale Zufuhr ergänzt werden sollte. Detaillierte Leitlinien für erkrankungsorientierte ernährungstherapeutische Betreuungen gibt es allerdings nicht.

Ernährung als Modul der Tumorbehandlung?

Sowohl in-vitro als auch tierexperimentelle Untersuchungen bestätigten und ergänzten epidemiologische Studien, wonach eine Vielzahl sekundärer Pflanzenstoffe ein krebshemmendes Potential bzw. gesundheitsfördernde Wirkungen haben. Damit eröffnet sich die Möglichkeit, die streng pflanzliche Ernährungsform als Unterstützung der Tumorbehandlung einzusetzen, entweder als Monotherapie oder als flankierende Maßnahme. Warum sollte dem Patienten diese erfolgsversprechende, schonende und kostenneutrale Therapieoption vorenthalten werden? Ausführliches wissenschaftliches Datenmaterial konnte diese zusätzliche, preiswerte, natürliche und Lebensqualität erhaltende Behandlungsoption mehr und mehr bestätigen. Übereinstimmend wird stets hervorgehoben, dass der gesundheitliche bzw. therapeutische Wert vegetabiler Kostformen mit Obst und Gemüsen nicht nur von einzelnen sekundären Pflanzenstoffen alleine ausgeht, sondern vorwiegend aus deren natürlichen Verbund mit all seiner Substanzvielfalt entsteht. Dagegen können einzelne isolierte oder synthetisch nach-„gebaute“ Substanzen selbst karzinogen sein.

Tab. 3: Sekundäre Pflanzenstoffe und ihre möglichen Wirkungen (nach Watzl u. Leitzmann 2005, S. 23)

Sekundäre Pflanzenstoffe

A

B

C

D

E

F

G

H

I

J

Karotinoide

Phytosterine

Saponine

Glukosinolate

Polyphenole

Proteaseinhibitoren

Terpene

Phytoöstrogene

Sulfide

Phytinsäure

A = antikanzerogen
B = antimikrobiell
C = antioxidativ
D = antithrombotisch
E = immunmodulierend

F = entzündungshemmend
G = blutdruckregulierend
H = cholesterinsenkend
I = den Glukosespiegel senkend
J = verdauungsfördernd

Bedauerlicherweise wird der Ernährung im medizinischen Alltag, anders als in anderen Medizinkulturen, nicht die ihr zustehende Bedeutung zuerkannt. Die Ursache ist, das die tägliche Nahrung als interdisziplinäres medizinisches Anliegen weder in der studentischen Ausbildung, noch in den Weiterbildungen einen angemessenen und vor allem unbeeinflussbaren und unabhängigen Stellenwert erhalten.

Tab. 4: Vorkommen wichtiger sekundärer Pflanzenstoffe in ausgewählten Lebensmitteln (Leitzmann, C., 2014)

Pflanzenstoffe

Lebensmittel reich an sekundären Pflanzenstoffen

Beta-Carotin

Karotten, Spinat, Grünkohl, Kürbis

Alpha-Carotin

Karotten, Spinat, Aprikosen, Brokkoli

Lykopin

Tomaten, Guave, Wassermelone

Lutein

Spinat, Brokkoli, Kopfsalat, rote Grapefruit

Phenolsäuren

Grünkohl, Weizen, Radieschen, Weißkohl

Quercetin

Zwiebeln, Grünkohl, Äpfel, Kirschen

Anthozyane

schwarze Johannisbeeren, Heidelbeeren, Brombeeren

Genistein

Sojabohnen, Tempeh, Tofu

Glukosinolate

Gartenkresse, Kohlrabi, Rotkohl, Brokkoli

Ellagsäure

Walnüsse, Brombeeren, Himbeeren, Erdbeeren

Phytosterine

Sesamsamen, Sonnenblumenkerne, Sojaöl

Saponine

Kichererbsen, Sojabohnen, grüne Bohnen

Zusammenfassung

Das Interesse an der Ernährung wächst, besonders auch bei onkologischen Patienten. Der enge Zusammenhang zwischen Ernährung und Krankheit, in anderen Medizinkulturen traditionell als hochrangig anerkannt, konnte sich in unserem pharmaziedominierten Medizinsystem kaum entwickeln. Das Wissen um die gesundheitsfördernden und antikanzerogenen Potentiale von sekundären Pflanzenstoffen hat sich in den letzten Jahren rasant entwickelt. Gleichzeitig rückt die Korrelation von Krankheitsentstehung, insbesondere von Krebserkrankungen und tierischen Nahrungsbestandteilen immer stärker ins öffentliche und gesellschaftliche Bewusstsein. Dadurch hat sich der Stellenwert einer möglichst gering verarbeiteten vegetabilen Vollwerternährung erheblich stark erhöht und kann heute als erfolgsversprechendes Behandlungsmodul in der Tumortherapie betrachtet werden. Sekundäre Pflanzenstoffe ebenso wie Vitamine entfalten ihr biologisches antikanzerogenes Potential allerdings nur im natürlichen Verbund als Obst oder Gemüse in einer substanzerhaltenden Verarbeitung. Vor Präparaten mit isolierten oder gar synthetisch „nachempfundenen“ Substanzen wird gewarnt, da sie unter Umständen selbst kanzerogene Eigenschaften entfalten können. Eine besondere Aufmerksamkeit verdient der auf Grund der Tumorerkrankung kachektische Patient, da eine Fehl- bzw. Mangelernährung durch beeinträchtigte Vitalfunktionen und postoperative Komplikationen nicht nur ein erhöhtes chirurgisches Risiko bedeutet, sondern auch das chirurgische Ergebnis beeinträchtigt.

Die Frage, ob Ernährungsformen, die gezielt uns heute bekannte krebsauslösende Faktoren meidet bzw. ausschaltet, als Teil der Tumorbehandlung betrachtet werden können, ist uneingeschränkt zu bejahen, auch wenn die Nachweise auf Grund der erwähnten unübersichtlichen Variablen den Ansprüchen der Evidenz nicht vollständig entsprechen. Sie sind in sich jedoch schlüssig. Dieser Behandlungsteil ist nicht nur vielversprechend und kostenneutral, sondern verbessert die Lebensqualität und kann teilweise das metabolische und vegetative Ungleichgewicht bereinigen.


„Nur das Einbeziehen der Ernährung macht zukünftige Medizin leistbar.“

Es bleibt zu wünschen, dass sowohl in der studentischen Ausbildung als auch in den Weiterbildungen aller Fachrichtungen die Ernährung als Teil der Behandlung gelehrt und praktiziert wird. Denn „nur mit Einbeziehung der Ernährung ist zukünftige Medizin leistbar“.

Literatur (weiterführende Literatur beim Verfasser)

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Autor des Artikels

Profilbild von Arno W. de Pay

Dr. med. Arno W. de Pay

Facharzt für Anästhesie/Praktischer ArztNotfallmedizin(LNA)-Schmerztherapie(DGAI)-Palliativmedizin(MV) Ernährungsmedizin-Psychosomatische Grundversorgung kontaktieren

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