01.09.2020 Panorama
Work-Life-Balance hält Einzug auch in der Chirurgie
Der Berufsverband der Deutschen Chirurgen feiert in diesem Jahr sein 60-jähriges Bestehen. Präsident Prof. Dr. Dr. h.c. Hans-Joachim Meyer im Gespräch über Veränderungen in der Arbeitskultur und ihre Auswirkungen auf das Fach, über Effekte der Kommerzialisierung in der Medizin und wie Nachwuchskräfte gewonnen werden können.
Interview mit Dr. Frauke Fritze-Büttner aus der Jubiläumsartikelserie zu 60 Jahre BDC.
Die leitende Oberärztin und Fachärztin für Chirurgie, Viszeralchirurgie und spezielle Viszeralchirurgie, Frau Dr. Frauke Fritze-Büttner, über den Spagat zwischen Job und Beruf, das Mutterschutzgesetz und ihre Motivation, Chirurgin zu werden.
PC: Was war Ihr Impuls bzw. Ihre Motivation Chirurgin zu werden?
Fritze-Büttner: Den festen Wunsch Ärztin zu werden, hatte ich bereits in der achten Schulklasse. Einen Patienten durch eine Operation zu heilen oder auch zu retten, war Faszination und mein persönlicher Antrieb zugleich, diesen Beruf zu ergreifen. Im Übrigen gegen den Ratschlag meines Vaters, der selbst Mediziner war. Er dachte an all diese Hindernisse wie überlange Arbeitszeiten und die mitunter schwierige Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
PC: Mehr als 60 Prozent der Medizinstudierenden sind weiblich. Als Chirurginnen arbeiten aktuell nur 17 Prozent. Warum ist das Fach Chirurgie offenkundig nicht so attraktiv für Frauen?
FB: Zu berücksichtigen ist, dass innerhalb der chirurgischen Fachdisziplinen der Anteil an Frauen variiert, so sind viel mehr Chirurginnen viszeralchirurgisch als kardiochirurgisch tätig. Ein Teil der Medizinstudentinnen schreckt sicherlich vor dem Alltag in der Chirurgie zurück – auch weil die Arbeit in einem chirurgischen Fach nicht immer planbar ist. Zum anderen sollten sich die jungen Kolleginnen selbstbewusst den chirurgischen Beruf zutrauen, der neben handwerklicher Geschicklichkeit eine hohe Einsatzbereitschaft und Courage erfordert.
PC: Sie sind selbst Mutter eines Sohnes. Wie schaffen Sie den Spagat zwischen Job und Familie?
FB: In meinem Falle kann ich auf ein gut funktionierendes familiäres Back-up zurückgreifen: Das heißt, mein Mann unterstützt mich und auch die Großeltern springen mal ein. Ich habe aber auch das persönliche Ziel, die Klinik zu einer gewissen Uhrzeit zu verlassen, um dann auch intensiv Zeit mit meinem Sohn verbringen zu können. Um dies umsetzen zu können, hilft auch unsere Abteilungskultur, in der die Vereinbarkeit von Beruf und Familie Priorität hat.
PC: Inwieweit spielt es eine Rolle, dass es in der Chirurgie nur wenig weibliche Vorbilder gibt?
FB: Das stimmt. In der Vergangenheit war die Chirurgie ein männlich dominiertes Fach. Die Chirurginnen profilierten sich erst in den letzten Jahrzehnten. Als ich 1996 an der chirurgischen Klinik in Greifswald anfing, waren wir von zirka 23 Kollegen nur drei Frauen. Das ändert sich nun erfreulicherweise, wenn auch langsam.
PC: Studien zeigen, dass besonders viele Medizinstudierende im Praktischen Jahr (PJ) abspringen. Muss sich die Ärztezunft nicht darüber Gedanken machen, wie das PJ attraktiver gestaltet werden kann?
FB: Wir müssen die Studierenden für unser Fach begeistern. Das geht vor allem, wenn wir auf sie eingehen und sie in unsere Tätigkeit einbeziehen. Dazu gehören Vorlesungen, Bedside-Teaching und Nahtkurse. Wichtig ist aber auch, dass wir ihnen Wertschätzung entgegenbringen und ihnen vorleben, wie ein gutes Team funktioniert und wie man auch in unserer Profession eine Work-Life-Balance umsetzen kann.
PC: Das Mutterschutzgesetz, das eine Hürde für angehende Chirurginnen darstellte, wurde inzwischen reformiert, sodass auch schwangere Chirurginnen ihre Weiterbildung fortsetzen können. War das eine ausreichende Reform oder gibt es noch Handlungsbedarf?
FB: Leider ja, es ist nach wir vor so, dass schwangere Chirurginnen ihre operative Tätigkeit nicht oder nur sehr erschwert fortführen können. Das Problem sind die „unverantwortbaren Gefährdungen“. Die Ärztinnen könnten unter Umständen zum Beispiel Röntgenstrahlen, Narkosegasen oder auch Infektionskrankheiten ausgesetzt sein, die die Gesundheit von Mutter und Kind gefährden könnten. Und weil die Haftungsfrage ungeklärt ist, entscheiden Arbeitgeber in der Regel sehr restriktiv.
Im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ist mittlerweile ein Ausschuss eingerichtet worden, der in Fragen des Mutterschutzes beratend tätig ist. Das hat aber bislang noch keine Auswirkungen auf die Praxis der Chirurginnen. Das heißt, junge angehende Chirurginnen, die schwanger werden, müssen mit Unterbrechungen in ihrer operativen fachärztlichen Weiterbildung rechnen.
PC: Flexible Arbeitszeiten, die den Beruf mit der Familie vereinbaren, sind nicht nur für Chirurginnen, sondern auch für ihre männlichen Kollegen ein großes Thema. Inwieweit sind die Arbeitgeber schon darauf eingestellt und was müsste sich da noch tun?
FB: Das Thema betrifft im Grunde alle Fachrichtungen. Ich bin überzeugt davon, dass es ein Umdenken bei den Chefärzten und Geschäftsführungen der Kliniken geben wird. Einfach, weil sich die jungen ÄrztInnen den Arbeitsplatz künftig aussuchen können. Und da spielen die Themen Teilzeit, Überstundenerfassung und -ausgleich, Elternzeit – für Mütter und Väter –, Kinderbetreuung und flexible Arbeitszeiten, angepasst an die Organisationsstrukturen der Abteilung, eine ganz große Rolle. Auch über Jobsharing sollten wir uns zunehmend Gedanken machen. Warum sollen sich nicht zwei KollegInnen eine Stelle teilen?
Mühlnikel I: Work-Life-Balance hält Einzug auch in der Chirurgie. Passion Chirurgie. 2020 September, 10(09/III): Artikel 09_01.
Autor des Artikels
Ingrid Mühlnikel
Presse- & ÖffentlichkeitsarbeitBerufsverband der Deutschen Chirurgen e.V.Luisenstraße 58/5910117Berlin kontaktierenWeitere Artikel zum Thema
28.01.2024 INTERN DGCH
Sehr persönlich nachgefragt bei Karin Pfister
Was ist das Schönste an Ihrem Beruf? Unterschiedlichen Menschen zu begegnen, um ihnen zu helfen. Welche Forschungsrichtung inspiriert Sie? Die Verwendung von Big Data. Welche Publikation der letzten vier Jahre halten Sie für einen Game Changer in Ihrem Fach? ...
27.12.2023 INTERN DGCH
DCK 2024: Vorprogramm veröffentlicht
Die Präsidentin der DGCH Professor Christiane Bruns lädt zur Teilnahme ein.
20.12.2023 INTERN DGCH
Organspende: DGCH unterstützt Bundesratsinitiative für Widerspruchslösung
Doch trotz Reform stagniert in Deutschland die Zahl der Organspenden auf niedrigem Niveau
19.12.2023 Panorama
„Das Gehirn in Wissenschaft und Kunst“ – Eine Ausstellung in der Berliner Charité
Die Ausstellung im Berliner Medizinhistorischen Museum der Charité ist ein interdisziplinäres Projekt.
Lesen Sie PASSION CHIRURGIE!
Die Monatsausgaben der Mitgliederzeitschrift können Sie als eMagazin online lesen.