15.08.2024 BDC|News
„Wir brauchen dringend mehr Strukturierung – und eine auskömmliche Finanzierung“

Kaum Förderung, zu wenig Nachwuchs: In der ärztlichen Weiterbildung liegt einiges im Argen. Doch welche Probleme gibt es genau? Und was müsste sich ändern? Der Ärztenachrichtendienst hat Betroffene aus mehreren Fachbereichen gefragt, wie sie die aktuelle Weiterbildungssituation in ihrer Disziplin einschätzen. Heute im Gespräch: Dr. Ralf Schmitz vom Berufsverband der Deutschen Chirurgie (BDC).
Wie steht es um die Weiterbildung in Ihrem Fach, gibt es genug Nachwuchs, gibt es genug Plätze?
Beides kann ich mit Nein beantworten. Das ist aber ein Problem, das nicht neu ist, sondern schon seit Jahren mitgeschleppt wird. Weiterbildung war letztendlich immer nur ein Nebenprodukt. Das ist nicht nur in der Chirurgie so. Primär ging es nie um die Weiterbildung, sondern es gab halt einen Arbeitsvertrag und Beiprodukt dessen war die Weiterbildung.
Das hat alles super funktioniert, als die Arbeitszeiten noch so waren wie vor dem EuGH-Urteil. Da kam man auf reichlich Eingriffe und Erfahrung. Das hat sich zum einen geändert.
Zum anderen hat sich geändert, dass in den Kliniken immer mehr Aufgaben von den jungen Kolleginnen und Kollegen erledigt werden müssen, die relativ wenig mit Weiterbildung und oftmals auch gar nichts mit Medizin zu tun haben, nämlich Dokumentationsaufgaben.
Ist denn eine rein klinische Weiterbildung angesichts der zunehmenden Ambulantisierung überhaupt noch möglich?
Nein. Wir haben genau deswegen für die Chirurgie in Schleswig-Holstein schon vor über zehn Jahren ein Modellprojekt angestoßen. Wir hatten dabei im Sinn, dass wir die jungen Kolleginnen und Kollegen, die in den Kliniken sitzen, unterstützen, weil auch schon damals im Jahr 2015 nicht genügend Ausbildungseingriffe in den Kliniken vorhanden waren.
Viele Eingriffe, wie zum Beispiel Materialentfernungen, Karpaltunnel-Operationen an der Hand und einfache Osteosynthesen sind klassische Ausbildungsoperationen. Damit fängt man normalerweise an, wenn man ein Messer in der Hand halten will. Und das hat damals schon nicht funktioniert, denn diese Eingriffe wurden auch zu diesem Zeitpunkt schon zum großen Teil im niedergelassenen Bereich, also in ambulanten OP-Zentren oder Belegkliniken durchgeführt.
Dazu kam dann noch, dass wegen verminderter Anwesenheitszeit in der Klinik durch Ausgleich der Bereitschaftsdienstzeiten immer weniger die Möglichkeit bestand, überhaupt an Operationen teilzunehmen.
Deswegen wollten wir im Rahmen eines Modellprojektes zeigen, dass eine sektorenübergreifende Weiterbildung überhaupt funktioniert. Das sah dann so aus, dass die Weiterzubildenden, die am UKSH in Kiel angestellt waren, auf Hospitationsbasis in das vertragsärztlich geleitete MVZ Chirurgie ebenfalls in Kiel gekommen sind, um dort operative Eingriffe auszuüben, die sie noch benötigten. Zunächst gab es viele Zweifler, aber mit Unterstützung von KV und Ärztekammer in Schleswig-Holstein ging es dann. Der damalige Präsident Dr. Franz Bartmann, selbst Chirurg und gleichzeitig in der Weiterbildungskommission der Bundesärztekammer, hat uns dabei sehr unterstützt. Letztendlich konnten wir zeigen, dass eine Weiterbildung über die Sektorengrenzen hinweg zwischen einer Uni-Klinik und einem niedergelassenen MVZ möglich war und gut funktionierte.
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Jetzt sind wir fast zehn Jahre weiter, wie ist die Situation denn jetzt?
Die Situation ist noch einmal deutlich schlimmer geworden. Die Ambulantisierung nimmt Fahrt auf mit der Änderung des AOP-Vertrags und der Einführung der Hybrid-DRGs, die Krankenhausreform steht an. Und die Weiterbildung wird dabei überhaupt nicht mitgedacht. Wenn man sich zum Beispiel den Referentenentwurf zum KHVVG ansieht, dann findet man in diesem 189 Seiten starken Papier zweimal kurz die Weiterbildung erwähnt. Dabei geht es aber nur um die Allgemeinmedizin, nicht um Chirurgie oder sonstige fachärztliche Weiterbildung. Das ist eine Katastrophe! Wir müssen doch irgendwie junge Ärztinnen und Ärzte ausbilden können.
Ist die Weiterbildung bei uns denn so schlecht?
Was die Organisation anbelangt: Ja. Es fehlt jede Strukturierung. Dies hat eine Masterarbeit einer jungen Kollegin – damals aus Oxford und heute in Berlin – aus dem Jahr 2020 gezeigt. Sie hat die Weiterbildung Orthopädie/Unfallchirurgie in insgesamt 10 verschiedenen hochentwickelten OECD-Ländern verglichen. Dabei kam heraus, dass in keinem Land die Weiterbildung so unstrukturiert verläuft und so schlecht ist wie bei uns. Wir sind da wirklich ganz, ganz weit unten.
Wir brauchen dringend eine Strukturierung. Unter anderem deswegen haben wir unser Modellprojekt jetzt neu aufgelegt mit dem Ziel einer auskömmlichen Finanzierung – denn nur dann bestünde die Chance, dass die Weiterbildung in die Spur kommt. Denn ohne eine Finanzierung wird es nicht funktionieren, weder im Krankenhaus und schon gar nicht im Vertragsarztbereich.
Aber es gibt doch die Förderung nach §75a?
Ja, aber das sind außerhalb der Allgemeinmedizin nur sehr wenige Stellen, letztendlich 2000 in Deutschland für alle Fachbereiche. Und es gibt viele Ausnahmetatbestände, gerade für die Chirurgie. Zum Beispiel durfte Weiterbildung nicht in großen Städten stattfinden, nicht in Spezialpraxen. Aber wo findet denn die Chirurgie sonst statt?
Wir haben es mit Unterstützung der KVSH jetzt geschafft, dass wir eine Rotationsstelle besetzen können, wieder zusammen mit dem UKSH. Die jungen Kolleginnen oder Kollegen aus der Klink kommen dann im vierten oder fünften Weiterbildungsjahr zu uns für ein Jahr, verbunden mit einem Arbeitsgeberwechsel. Wir stellen diese , vergüten nach Tarif kommunale Arbeitgeber und bekommen eine Förderung aktuell in Höhe von 5.400 Euro
Aber auch das ist wieder nur ein Modellprojekt, kann keine Blaupause für eine bundesweite Lösung sein. Man muss sich nämlich überlegen, wer die Weiterbildung beim § 75a bezahlt. Dies sind ausschließlich jeweils zur Hälfte die gesetzlichen Krankenkassen und die Vertragsärzte. Für mich und meinen Berufsverband ist ganz klar: Das muss eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe sein. Da müssen letztendlich auch über den Staat, sprich über Steuern, Modelle zur Finanzierung gefunden werden.
Wie sieht es denn bei den Kliniken aus, viele haben ja auch finanziell zu kämpfen?
Es muss ganz klar etwas passieren, damit Weiterbildung überhaupt noch stattfindet. Es gibt immer mehr Kliniken, die sagen, Weiterbildung ist zu teuer. Die müssen hochpreisige Operationen machen um überhaupt noch überleben zu können und das muss dann zack-zack gehen in hoher Qualität. Das geht nur mit Fachärzten. Dabei ist es kurzsichtig, wenn man keinen Nachwuchs ausbildet.
Wie optimistisch blicken Sie in die Zukunft?
Ich bin jetzt seit über 30 Jahren in der Chirurgie, seit 2000 niedergelassen und habe mich berufspolitisch immer für die Weiterbildung engagiert. Es wurde eigentlich immer schlechter, egal, was gemacht wurde, weil dies über lange Zeit keinen wirklich interessiert hat. Aber jetzt ist das auf einmal anders. Die Weiterbildung ist DAS Thema in Krankenhaus und Praxis, ist bestimmend auf den großen Kongressen und zuletzt auch auf dem Ärztetag. Von daher blicke ich hoffnungsvoll in die Zukunft.
Woher kommt denn das stärkere Interesse an der Weiterbildung?
Alle Fächer haben Probleme mit dem Nachwuchs, aber die Chirurgie leidet ganz besonders unter einem Nachwuchsmangel, weil viele junge Kollegen sich sagen, das tue ich mir nicht an, das ist mit meiner Vorstellung von Work-Life-Balance nicht vereinbar. Dabei haben wir haben ganz, ganz viele junge Kollegen, die eigentlich in die Chirurgie wollen. Die alte patriarchalische Struktur in der Chirurgie und die Hierarchien im Krankenhaus sind aber nicht das, was sich die jungen Kollegen heute vorstellen. Sogar mein Sohn hat nach einem Semester Chirurgie im Krankenhaus das Fachgebiet gewechselt, weil er sonst im Burn-out gelandet wäre.
Ich glaube auch nicht, dass wir zu wenig Medizinstudienplätze haben. Man müsste nur die richtigen Leute studieren lassen. Wir haben enorm hohe Abbrecherquoten und viele Absolventen, die nicht in die Patientenversorgung gehen.
Es gibt aber tausende von jungen Leuten, die sind hoch motiviert, aber haben „nur“ ein Abitur mit 2,0. Die arbeiten teils seit Jahren als Notfallsanitäter, als Intensivschwester, die kennen die anspruchsvolle Tätigkeit in der Medizin. Die wissen, dass sie am Wochenende arbeiten müssen, dass es Nachtdienste gibt. Wenn man diese jungen Kolleginnen und Kollegen für das Studium zulassen würde, dann würden sie auch im System bleiben.
Dr. Ralf Schmitz ist Vorsitzender des Landesverbands BDC Schleswig-Holstein und Sprecher der Landesverbände. Er ist seit Januar 2000 als Vertragsarzt in Kiel niedergelassen und hat 2006 das MVZ Chirurgie mitgegründet. Die Weiterbildung und die Verbesserung der medizinischen Versorgung über die Sektorengrenzen hinweg liegen im bei seiner berufspolitischen Arbeit besonders am Herzen.
Quelle: Ärztenachrichtendienst
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