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© Arnulf Illing, Springer Medizin

Benötigen wir eine Zertifizierung der chirurgischen Weiterbildung

Na, wo bleiben sie denn?

Der Nachwuchsmangel in der Chirurgie ist evident. In vielen chirurgischen Kliniken sind Stellen unbesetzt oder müssen nach nur kurzer Zeit wieder neu besetzt werden. Jeder kann dies im Stellenanzeigenteil des Ärzteblattes oder sogar an der eigenen Klinik beobachten. Die Ursachen sind multimodal. Die veränderten Rahmenbedingungen der Gesundheitsversorgung und deren Finanzierung in Deutschland haben scheinbar einen negativen Effekt auf die Bereitschaft der jungen Medizinerinnen und Mediziner für die kurative Medizin.

Ein weiterer Grund ist die unstrukturierte Weiterbildung in der Chirurgie und die mitunter fehlende Weiterbildungskultur an den chirurgischen Kliniken. Die an einigen Kliniken anzutreffende hohe Frustration mit den Arbeitsbedingungen der Ärzte, der Honorierung der ärztlichen Leistung und der mitunter defizitären Organisation und Durchführung der chirurgischen Weiterbildung bleiben unseren Studentinnen und Studenten gerade im Praktischen Jahr nicht verborgen. Somit darf es keinen wundern, dass der Nachwuchs andere Betätigungsfelder als die Chirurgie attraktiv findet.

Das sich die chirurgische Gesellschaft bezüglich des Nachwuchsmangels große Sorgen macht, beweisen die vielfältigen Aktivitäten des Berufsverbandes der Deutschen Chirurgen, der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie und ihrer einzelnen Fachgesellschaften. All diese Aktivitäten sind sehr lobenswert und können den Nachwuchs für die Chirurgie wieder sensibilisieren. Aber die Attraktivität der chirurgischen Weiterbildung und damit auch die des Berufs Chirurg wird überwiegend in den Kliniken durch eine moderne und strukturierte Weiterbildungskultur geprägt. Hier scheinen jedoch erhebliche Defizite und qualitative Unterschiede zwischen den einzelnen Kliniken zu herrschen. Die chirurgische Weiterbildung steht eben am Anfang einer dauerhaften Tätigkeit in der Chirurgie.

Warum schaffen wir es nicht, die chirurgische Weiterbildung adressatengerecht zu organisieren?

  • Ich möchte nur einige exemplarische Gründe benennen:
  • Süffisante Ignoranz der Verantwortlichen mit nur spärlicher Berücksichtigung der Bedürfnisse der Weiterbildungsassistenten
  • Überzogene Anforderungen an den operativen Leistungskatalog ohne Berücksichtigung der klinischen Realität bei fehlender Evidenz der vereinbarten Mindestzahlen
  • Keine realistische Verständigung darüber, was ein junger Facharzt an operativer, diagnostischer und therapeutischer Expertise haben sollte
  • Fehlendes Wissen der Weiterbilder über die Organisation, die Inhalte und die didaktische Durchführung der chirurgischen Weiterbildung = Weiterbildungsmanagement
  • Hoher ökonomischer Druck auf die Kliniken = Weiterbildung kostet Geld
  • Unzureichende Empathie = Weiterbildungskultur
  • Fehlende Evaluation der Weiterbildung und Transparenz in der Vergabe der Weiterbildungsbefugnisse

    Insgesamt muss uns klar sein, dass die zukünftige chirurgische Behandlungsqualität unserer Patienten entscheidend von der Qualität der chirurgischen Aus-, Weiter- und Fortbildung abhängt. Defizite und fehlende Attraktivität der klinischen Weiterbildung werden den Ärztemangel verstärken und können nicht nur die eigene, sondern auch die gesamte chirurgische Versorgungsqualität gefährden. Soweit sind wir aber noch nicht!!!

    Wie können wir gegensteuern?

    Es ist unübersehbar, dass die neue Generation andere Anforderungen an ihre medizinische Aus- und Weiterbildung stellt. Sie sind die Kinder der 68er und der Reformpädagogen. Eine klare Vorstellung über die berufliche Tätigkeit, der Vereinbarkeit von Beruf und Familie und dem sogenannten „Preis-Leistungsverhältnis“ von Karriere im Beruf bestimmen in großen Teilen den Tätigkeitswunsch der jungen Mediziner. Aber auch die gesellschaftliche Reputation spielt eine entscheidende Rolle. Wir sollten dies akzeptieren und nicht vergangenen Zeiten nachtrauern. Veränderungsprozesse entstehen in dem man Etabliertes kritisch wertet und, wo angebracht, infrage stellt.

    In den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass die Landesärztekammern im Schulterschluss mit der Bundesärztekammer, unterstützt von den Fachgesellschaften, in der Durchsetzung der neuen Weiterbildungsordnungen sehr hohe Anstrengungen mit zum Teil enormen persönlichen Einsatz unternahmen. Die Schwerfälligkeit einer solchen föderalistischen Behörde mit langen Diskussions-, Beratungs- und Abstimmungszeiten zeigt jedoch, dass eine Kontrolle der Weiterbildungsqualität sie personell, strukturell und vielleicht auch inhaltlich überfordert.

    Aus meiner Sicht sollten die Organisation, die Durchführung und die Kontrolle der chirurgischen Weiterbildung und deren Qualität von der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie und deren einzelnen Fachgesellschaften mit Unterstützung des Berufsverbandes der Chirurgen erfolgen.

    In einigen Kliniken scheint soeben ein Umdenken einzusetzen. Sie bemühen sich um eine Verbesserung der Weiterbildungsqualität. In anderen Kliniken wird jedoch die Weiterbildung immer noch zu sehr als notwendiges Übel statt als Unternehmensstrategie zur Sicherung der personell und qualitativ ärztlichen Versorgung betrachtet. Wie immer im alltäglichen Leben setzen Umdenkungsprozesse erst ein, wenn der Druck erhöht wird.

    Eine zusätzliche finanzielle Vergütung der Weiterbildung im Zeitalter knapper Ressourcen ist ein bedeutender Ansatzpunkt. Weiterhin denke ich, dass ein chirurgisches Weiterbildungssiegel im Sinne einer graduierenden Zertifizierung der chirurgischen Weiterbildungsqualität in Deutschland ein weiteres geeignetes Instrument ist. Wir zertifizieren Krankenhäuser nach KTQ, ISO 9001, chirurgische Kliniken nach Darmzentren, Gefäßzentren, Brustzentren, organspezifischen Kompetenz- und Referenzzentren usw., nur die am Anfang einer jeglichen chirurgischen Behandlungsqualität stehende Weiterbildung nicht.

    Die Zeit ist reif für eine derartige Zertifizierung. Der Run der Kliniken auf die oben genannten Zertifizierungsmodelle zeigt klar auf, dass dies eine Möglichkeit ist, die Behandlungs- und Versorgungsqualität und damit hoffentlich auch die Ergebnissqualität zu verbessern. Das chirurgische Weiterbildungssiegel kann auch ein Beurteilungskriterium zur Vergabe der zusätzlich einzufordernden finanziellen Mittel für die Weiterbildung an den Kliniken in Deutschland sein. Die Abgeltung der finanziellen Mehraufwendungen von mindestens ca. 20.000 € pro Weiterbildungsassistent und Jahr [1] durch das DRG-System ist nicht mehr zeitgemäß und nicht kostendeckend. Es bestraft Kliniken mit guter Weiterbildungsqualität und belohnt Kliniken mit schlechter oder sogar fehlender Weiterbildung.

    (c) Arnulf Illing, Springer MedizinDie Bereitstellung zusätzlicher finanzieller Mittel für die Weiterbildung wird überwiegend von den Beitragszahlern der Krankenversicherungen und/oder der Steuerzahler zu leisten sein.

    Das graduierende Weiterbildungssiegel kann für die notwendige Transparenz und zielgerichtete Mittelvergabe sorgen und bliebe damit originär in den Händen der chirurgischen Gemeinschaft.

    Der Einfluss der Politik oder anderen Entscheidungsträgern im Sinne von ‚Pay for Performance’-Modellen könnte somit reduziert werden. Es kann aber auch als Benchmarking für die Kliniken bei der Nachwuchsgenerierung und für unsere zukünftigen Chirurgen als Orientierung für die Auswahl der richtigen Weiterbildungsklinik dienen.

    Folgende Anforderungen an ein chirurgisches Weiterbildungssiegel sind aus meiner Sicht erforderlich:

    • Klare und transparente Abbildung der klinikinternen Weiterbildungsqualität und deren Umsetzung (Strukturqualität, Prozessqualität und Ergebnissqualität) für jede chirurgische Facharztsäule und für die Basischirurgie
    • Fremd- und Eigenevaluation der Weiterbildung
    • Graduierende Darstellung der Weiterbildungsqualität der Klinik
    • Regelmäßige Reevaluation der Weiterbildungskliniken
    • Internetbasierte Veröffentlichung

    Die dafür notwendigen Beurteilungskriterien und Verfahrensabläufe sollten im ständigen Diskurs der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie und den dazugehörigen Fachgesellschaften sowie des Berufsverbandes der Chirurgen und den Weiterbildungsassistenten erfolgen. Sie sollten möglichst objektiv die klinikinterne Weiterbildungsqualität abgestuft der eingeforderten und für notwendig erachteten Qualität abbilden.[2, 3] Der Verwaltungsaufwand sollte ansprechend, aber nicht überbordend sein.

    Eine wissenschaftliche Begleitung ist wünschenswert. Es sollte Selbstkostendeckend sein. Eine Beteiligung der Krankenversicherungen kann diskutiert werden. Eine inhaltliche Beeinflussung der Versicherungen und Gesundheitsökonomen muss jedoch vermieden werden. Dies wird großer Anstrengungen bedürfen. Das Weiterbildungssiegel wird zeitlich begrenzt verliehen und bedarf nach zwei bis drei Jahren einer Re-Zertifizierung. Im Rahmen dieser Re-Zertifizierung kann dann ein Auf- oder auch Abstieg in der Graduierung bis zur völligen Aberkennung des Siegels erfolgen.

    Warum eine Graduierung?

    Zum einen dient es der Motivation der Weiterbildungskliniken, ihre Weiterbildungsqualität stetig zu verbessern. Zum anderen wird die Qualität transparenter, denn nicht überall ist die Weiterbildung gleich gut. Die Kliniken in ‚ausgezeichnet’, ‚sehr gut’, ‚gut’ oder ‚befriedigend’ hinsichtlich ihrer Qualität der Weiterbildung zu klassifizieren, stellt die Realität in den Kliniken objektiver dar.

    Ein Siegel ohne Graduierung vermag die Qualität nur grob abzubilden und unterscheidet nicht zwischen Kliniken, die eine hervorragende Qualität und Kliniken, die vielleicht nur das Mindestmaß an Weiterbildung betreiben, zu unterscheiden. Diese Graduierung muss sich an objektiv nachvollziehbaren Kriterien orientieren, damit die Kliniken ihr eigenes Potenzial und ggf. Verbesserungen eruieren können. Diese Graduierung zu erarbeiten, ist eine sehr große Herausforderung, der wir uns aber stellen sollten. Sie wäre in der medizinischen Weiterbildung in Deutschland und weltweit einmalig.

    Die Erarbeitung und Implementierung des Weiterbildungssiegels wird natürlich nicht frei von Diskussionen sein. Es wird Stimmen der Ablehnung und Zustimmung geben. In vielen Gesprächen, die ich mit Studierenden und Weiterbildungsassistenten und sogar mit Weiterbildungsbefugten auf Kongressen und Werbeveranstaltungen an den Universitäten unseres Landes geführt habe, bestärken mich in der Auffassung, dass eine solche Transparenz gewünscht wird. Der mögliche Druck auf die Weiterbildungskliniken, ein solches Weiterbildungssiegel in möglichst hoher Graduierung zu erhalten, vermag, abseits der Vergabe der Weiterbildungsbefugnisse durch die Landesärztekammern, die Qualität der Weiterbildung zu verbessern.

    Die stetige Steigerung der Zufriedenheit der Assistenten ist Lohn dieser Arbeit. Einen besseren Werbeträger für die Chirurgie und gegen den Nachwuchsmangel, als einen zufriedenen Assistenten gibt es nicht. Die damit verbundenen Initiativbewerbungen an den chirurgischen Kliniken mögen die Besten wieder für die Chirurgie gewinnen. Dieses aus meiner Sicht zukunftweisende und moderne Weiterbildungsmanagement verbunden mit einer Verbesserung der Weiterbildungskultur an den chirurgischen Kliniken Deutschlands, ist Grund genug sich zu engagieren.

    Ich bin der festen Überzeugung, dass die chirurgische Gemeinschaft zu einer modernen und zukunftsfähigen Weiterbildungskultur bereit ist!

    Außerdem bin ich überzeugt, dass wir Chirurgen Tradition und Moderne in einer Symbiose zur Verbesserung der Weiterbildungsqualität und damit der Attraktivität und Zukunftsfähigkeit der Chirurgie vereinen können.

    In Anlehnung an Thomas Morus (1478-1535) Chirurgische „Tradition ist nicht das Halten der Asche, sondern das Weitergeben der Flamme.“

    Literatur

    1. Heil, Angela; Schwandt, Martin; Schöffski, Oliver: Darstellung der Weiterbildungskosten im Krankenhaus. Schriften zur Gesundheitsökonomie 16. HERZ, Burgdorf.2009
    2. Krüger, M.: Die chirurgische Weiterbildung in Deutschland und die Rolle des Weiterbilders. Eine Assistentensichtweise. Chirurg BDC.47.2008. S.301-304.
    3. Krüger, M.: Nachwuchsmangel in der Chirurgie. Worin liegen die Probleme einer Reform der Weiterbildung? Sichtweise eines Betroffenen. Der Unfallchirurg.112.2009. S. 927.

    Autor des Artikels

    Profilbild von Krüger

    Dr. med. Matthias Krüger

    Leiter des Ressorts Zukunft, Ökonomie und Digitalisierung in der ChirurgieGesundheitsökonom, klinischer Risikomanager(DIOcert)ZB Proktologie/NotfallmedizinUnseburger Straße 739122Magdeburg kontaktieren

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