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Wie aus heiterem Himmel brach über die deutsche Wirtschaft der Abgas-Skandal bei Volkswagen herein. Was zunächst wie eine Randnotiz erschien, löste dann mit einem Umfang von bis zu elf Millionen Fahrzeugen zumindest in den Medien eine Krisenstimmung aus, die es eigentlich seit der Weltfinanzkrise des Jahres 2008 nicht gegeben hat. Führende Politiker wurden nicht müde, die Risiken für Volkswagen und darüber hinaus für den gesamten Wirtschaftsstandort Deutschland zu betonen. Selbst das Qualitätsmerkmal „Made in Germany“ stand plötzlich infrage. Deswegen lohnt es sich, sich intensiver mit dem Skandal und möglichen Ableitungen daraus für Anleger auseinanderzusetzen.

Deutsche Ingenieurskunst im Zweifel

Der zwischenzeitlich zu vernehmende und glücklicherweise wieder abgeklungene Abgesang auf den Wirtschafts- und Innovationsstandort Deutschland stellt in dem gesamten Skandal vielleicht die größte Gefahr dar. Deutschland verfügt kaum über international nachgefragte und benötigte Rohstoffe. Die größten Werte der Volkswirtschaft sind Bildung, Forschung und Entwicklung. Deswegen ist die deutsche Ingenieurskunst weltweit so hochangesehen. Alle Behauptungen, die nun diese Qualität pauschal infrage stellen, können sich zu einer großen Gefahr für den Standort entwickeln. So käme kein US-Amerikaner auf den Gedanken, dass General Motors unsichere Autos baue, selbst wenn dort bestehende Probleme unmittelbar lebensbedrohliche Ausmaße angenommen haben. Deswegen gibt es schon kopfschüttelnde Reaktionen, wie sich Deutschland und das dort vorhandene Fachwissen selbst infrage stellt. Etwas mehr Selbstvertrauen in die eigene Errungenschaften wären auch in vielen Medien wünschenswert.

Skandal richtig einordnen

Natürlich darf dies nicht dazu führen, diesen Skandal klein zu reden. Eine Einordnung ist aber hilfreich: Es handelt sich weniger um einen ökologischen Skandal. Schließlich sind die relativ hubraumschwachen Dieselmotoren, die von den Manipulationen betroffen sind, in ihrem Gesamtschadstoffausstoß deutlich umweltfreundlicher als gerade in den USA übliche großvolumige Benzinmotoren. Dies gilt im Übrigen sogar für Hybrid- oder reine Elektroantriebe, wenn man die Entsorgung der teilweise hochgiftigen Batterien und Akkus in die Abgasbeurteilung einbezieht. Hinzu kommt noch die Frage, aus welcher tatsächlichen Energiequelle die Akkus denn gespeist werden. Auch hier sind die USA mit einer Energieerzeugung, die nach wie vor zu fast 50 % auf Kohle basiert, kein ökologisches Vorbild. Deswegen sind die ökologischen Aspekte für eine Beurteilung des Skandals weit weniger entscheidend als dies dargestellt wird.

Moralische Enttäuschung

Wesentliche Bedeutung hat hingegen die moralische Komponente des Skandals. Statt einzuräumen, dass man in einem für Volkswagen selbst relativ unbedeutenden Markt die ökologisch fragwürdigen Abgasnormen nicht erreichen könnte, hat der Konzern entschieden, eine Software einzubauen und im Ergebnis nicht nur Kunden, die Aktionäre als Eigentümer des Unternehmens, sondern auch die Öffentlichkeit über viele Jahre zu täuschen. Das damit verlorene Vertrauen ist der Hauptbelastungsfaktor für den Kapitalmarkt, weil dies in dieser Phase hoher Unsicherheit für die Beurteilung einer dauerhaften Überlebensfähigkeit viel entscheidender als aktuelle Unternehmensdaten ist. Von der Unternehmenssubstanz ist der nur noch mit ca. 45 Mrd. Euro bewertete Automobilkonzern eigentlich nicht gefährdet, da sich allein aus dem Verkauf eines Drittels der im Konzern befindlichen Marken, Erlöse von mehr als 100 Mrd. Euro erzielen lassen. Gleichzeitig verfügt das Unternehmen über 20 Mrd. Euro Liquidität und verfügt über erhebliche Kostensenkungspotentiale.

Ist VW zukunfts- und überlebensfähig?

Also muss man bei einer Betrachtung der aktuellen Zahlen VW als klaren Kauf bewerten. Allerdings ist es nicht so einfach, da es nicht um die aktuelle unternehmerische Substanz sondern um die Zukunftsperspektiven geht. Hier ist durch die erfolgte Täuschung viel Vertrauen verlorengegangen. Es stellt sich die Frage, ob man auf dieser Basis ein Unternehmen zukunfts- und überlebensfähig gestalten kann. Dies sehen wir momentan sehr kritisch, da die bisherigen personellen Konsequenzen nicht auf eine wirkliche Aufklärung deuten und teilweise – insbesondere aus Richtung des Aufsichtsrates – eine unglückliche Kommunikation erfolgt ist.

Die Kapitalmärkte legen hier – zu Recht – den Finger in die Wunde: Man traut VW momentan nicht zu, die vollständige Tragweite des Skandals abzuschätzen. Daraus kann tatsächlich eine existenzbedrohende Situation entstehen. So würde dann ein moralischer Skandal größten Ausmaßes tatsächlich ein substanzstarkes Unternehmen in Gefahr bringen.

Bei Zusammenbruch droht Massenarbeitslosigkeit

Allerdings würde mit Volkswagen dann die gesamte deutsche Volkswirtschaft wanken. Weltweit beschäftigt der Konzern unmittelbar 600.000 Mitarbeitende, in Deutschland sind dies 300.000 Menschen. Berücksichtigt man die Zulieferunternehmen und auch branchenfremde Dienstleister, hängt an der deutschen Automobilindustrie jeder sechste Arbeitsplatz. Bei einem Zusammenbruch von Volkswagen droht dann nicht nur Massenarbeitslosigkeit, sondern auch der Einbruch bei vielen Steuerzahlungen, was dazu führen würde, dass selbst Deutschland die Top-Bonitätsbewertung der Ratingagenturen verlieren könnte. Dies zeigt, dass es auch im industriellen Bereich inzwischen Konzernstrukturen gibt, die ganze Volkswirtschaften an den Rand des Abgrunds bringen können. Im Finanzsektor ist dies im Übrigen ausgeprägter als jemals zuvor. Deswegen ist hier eine Diversifikation und unabhängige Expertise wichtig. Dies leistet jedoch kein Kreditinstitut.

Bezogen auf VW muss der Grundsatz gelten, dass dies noch ein Problem des Konzerns ist, aber Politik und Gesellschaft wachsam auf die weiteren Entwicklungen reagieren müssen. Anleger brauchen in dieser Phase starke Nerven und Geduld. Dies fällt mit unabhängiger Beratung leichter.

Laufende Informationen zu dem VW-Skandal und natürlich zu allen anderen Themen, die an den internationalen Kapitalmärkten relevant sind, bietet der wöchentlich per E-Mail erscheinende DVAM-Finanzmarkt-Newsletter. Dieser ist für BDC-Mitglieder unter [email protected] derzeit kostenlos und unverbindlich bestellbar.

Schön M. Volkswagen – folgt der Bankenkrise nun die Industriekrise? 2015 November; 5(11): Artikel 04_01.

Autor des Artikels

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Markus Schön

GeschäftsführerDVAM Deutsche Vorsorge Asset Management GmbHKlingenbergstr. 432758Detmold kontaktieren

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